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Reichsbürger*innen Nach Hausbesuch plant Kretschmer Folgetreffen

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Die Party-Crasher: Reichsbürger*innen konfrontieren Kretschmer beim Schaufeln.
Die Party-Crasher: Reichsbürger*innen konfrontieren Kretschmer beim Schaufeln. (Quelle: Screenshot)

Ein verschneiter Sonntag Anfang Januar in Großschönau, einer 5000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Görlitz: Eigentlich will der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an seinem freien Tag nur Schnee auf seinem Privatgrundstück schaufeln. Doch es kommt anders: Eine Reisegruppe von circa 30 „Reichsbürger*innen“, „Querdenker*innen“ und regierungskritischen Hobby-Virolog*innen, ausgestattet mit Schneestiefeln, Wanderstöcken und schwarz-weiß-roten Accessoires, macht sich auf den Weg durch das malerische Dorf. Eine Teilnehmerin der überwiegend aus Männern um die 60 Jahre bestehenden Gruppe hält ein Plakat hoch mit den Worten: „Wer Völkermord betreibt, hat das eigene Lebensrecht verwirkt! Rücktritt und Verhaftung sofort!“ Auf einem anderen Plakat steht: „Lasst die Finger weg von unseren Kindern u. Enkeln! Es gibt keine Pandemie, sondern Plandemie.“ Laut Anja Hennersdorf (SPD), die 2019 erfolglos für den Landtag kandidierte, gehört die Gruppe zu den B96-Protestler*innen. Die Reisegruppe hat Fragen an den Ministerpräsidenten. Und ein bisschen Schnee kann sie von ihrer Mission nicht abhalten.

„Also unser Hauptwunsch ist, wir möchten, dass der Lockdown so schnell wie möglich beendet wird“, sächselt der Wortführer der Gruppe Richtung eines etwas überraschten Kretschmers. „Da sind wir uns einig. Das wünsche ich mir auch“, kontert der Ministerpräsident in einem freundlichen, verständnisvollen Ton. Er stellt seine Schaufel zur Seite und versucht, mit rationalen Argumenten, mit epidemiologischen Statistiken, mit Fakten über die neue Mutation des Coronavirus an die Vernunft der Reisegruppe zu appellieren. Er scheitert grandios.

Diese Szenen sind in einem 30-minütigen, mit einem pathetischen Soundtrack vertonten Videomitschnitt auf YouTube zu sehen, der von einem Reichsbürger*innen-nahen Kanal kurz nach dem Hausbesuch bei Kretschmer am 10. Januar 2021 hochgeladen wurde. Das Video ist auch auf der rechtsalternativen Plattform WTube, einer Seite mit überwiegend verschwörungsideologischen und antisemitischen Videos, mit dem Titel „Freimaurer Michael Kretschmer bekommt Besuch“ zu finden. Was folgt, ist eine hitzige Diskussion. Es fallen Wörter wie „Panikmache“, „Soros“, „Wie eine Grippe“ und „Wir haben keinen Rechtsstaat“. Das Übliche.

Nach circa zehn Minuten ist für Kretschmer Schluss mit lustig: Sein Ton wird gereizter, seine Handbewegungen leidenschaftlicher, als er versucht, den Pandemiekurs seiner Landesregierung zu verteidigen. Die Gruppe macht klar: Sie glaubt nicht an die offiziellen Zahlen, an die Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe, macht sich Sorgen wegen ihrer Kinder, vermutet dunkle Machenschaften hinter der Pandemie. Das typische Repertoire an pandemieleugnenden Aussagen aus dem rechtsverschwörerischen Spektrum. Kretschmer macht der Gruppe ein Angebot: Er will eine Runde organisieren, wo der Chef der Anästhesie und der Oberbürgermeister dabei sind. „Wir machen eine schöne Veranstaltung“, verspricht er.

Reichsbürger? Wo?

Mehrere Mitglieder der Gruppe trugen schwarz-weiß-rot, die Farben des Deutschen Reiches und beliebt unter „Reichsbürger*innen“ (Quelle: Screenshot)

Die Protestler*innen zeigen wenig Interesse an Kretschmers Angebot. Eine Kakophonie sich gegenseitig unterbrechender Stimmen läutet durch das sonst schläfrige Dorf. Ein passierender Autofahrer hupt, die Polizei ist mittlerweile eingetroffen. Ein Nachbar fragt den Ministerpräsidenten: „Mit einer Reichsbürger-Maske gehen sie hier durch die Gegend und Sie finden das gut?“ „Reichsbürger?“, fragt Kretschmer fast überrascht und nickt. „Okay“. An dieser Stelle bricht Kretschmer das Gespräch ab. Die Hetz-Plakate und Reichsmützen sind ihm in der vergangenen halben Stunde offenbar nicht aufgefallen. Kretschmer läuft weg, schaufelt weiter Schnee. Anlass für die Beendigung des Gesprächs sei, dass eine Frau ein schwarz-weiß-rotes Halstuch demonstrativ über ihren Mund zog, wie er später n-tv sagte. „Das ging zu weit“, so Kretschmer.

Doch damit ist die Sache nicht vorbei, Kretschmer will offenbar nachlegen. So hat er die Gruppe „Reichsbürger*innen“ nun zu einem Folgetreffen online eingeladen, nachdem die sächsische Staatskanzlei sich per Email bei einer der Demonstrant*innen gemeldet hatte. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge gehört diese Person auch zu den Protestler*innen, die regelmäßig an der Bundesstraße 96 mit Reichsflaggen demonstrieren. Nach Belltower.News-Informationen geht es hier um die Person Birgit S. Am kommenden Donnerstag, den 28. Januar 2021, will Kretschmer sich in einer Online-Runde mit den Protestler*innen treffen.

In der geschlossenen Telegram-Gruppe „Corona Rebellen Sachsen“ wird das Treffen beworben und dazu aufgerufen, Fragen zu sammeln. Die Reichsbürger*innen-nahe Birgit S. ist Administratorin der knapp 1.500 Mitglieder starken Gruppe. Dort kursieren wirre Verschwörungserzählungen, QAnon-Mythen und NS-verharmlosende Aussagen. Auf einem Bild zweier bewaffneten Wehrmachtssoldaten steht beispielsweise der Text: „Kommt nur. Für uns gibt es kein zurück. Die Heimat bleibt deutsch“. Der User, der das Bild postete, kommentiert: „Wer mich impfen will, muß schon kommen und mich holen“.

Am 19. Januar postete Birgit S. einen Screenshot von einer Email in die Gruppe, mutmaßlich von der sächsischen Staatskanzlei. Darin schreibt eine Mitarbeiterin, dass die Online-Diskussion mit Kretschmer voraussichtlich am kommenden Donnerstag stattfinden wird. Es werde einen Link zu der Plattform geben, über die die Diskussion verlaufen werde. „Sie können dann ja einfach den Link weiterleiten und wer Interesse hat, kann sich selbst anmelden“, schreibt die Mitarbeiterin. Sollte der Link in der sehr aktiven Telegram-Gruppe gepostet werden, ist eine hohe Zahl an Teilnehmer*innen zu erwarten.

Kein Abstand

Die pandemieleugnenden Szene in Sachsen hat offenbar ein neues Feindbild. Doch Kretschmers Kurs während der Pandemie ist bislang alles andere als konsequent gewesen. Im Oktober hatte er noch vor „Hysterie“ und „Aktionismus“ bei den Hygiene-Maßnahmen der Bundesregierung gewarnt. Im Dezember fuhr er persönlich von Krankenhaus zu Krankenhaus – mitten in einer Pandemie – gewappnet mit Dresdner Butterstollen für die überarbeiteten und erschöpften Krankenpfleger*innen. Konfrontiert mit explodierenden Infektionszahlen in Sachsen musste Kretschmer seinen Kurs dann wechseln: So sagte er der Chemnitzer Zeitung Freie Presse Anfang Januar, er hätte sich gewünscht, dass er früher gewarnt worden wäre. Dass Virolog*innen seit Pandemie-Beginn Alarmglocken schlagen, scheint an Kretschmer vorbeigegangen zu sein. Immerhin: Es ist stets begrüßenswert, wenn Regierende Fehler einräumen. Nun rät Kretschmer von einer regionalen Ausweichung der Infektionsschutzmaßnahmen ab, auch angesichts langsam sinkender Zahlen im Freistaat. Am 21. Januar twitterte er: „Wir bleiben in #Sachsen bei unseren strengen Maßnahmen“.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Kretschmer sich diskussionsbereit gegenüber dubiosen Gesprächspartner*innen gezeigt hat. Bereits im Mai 2020 diskutierte er vor laufenden Kameras mit einem Demonstranten im sächsischen Pirna, der mit selbstgebasteltem Aluhut, einem T-Shirt mit dem Schriftzug „Wir sind das Volk“ und einem Aufkleber mit dem Spruch „Gib Gates keine Chance“ ausgestattet war. Dass solche Gespräche nicht sinnvoll sind, gar Demokratiefeindlichkeit legitimieren, zeigen etliche Beispiel aus der traurigen Reihe „mit Rechtsextremen reden“. So stellte Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, 2015 den Pegida-Köpfen Kathrin Oertel und Lutz Bachmann sein Haus für eine Pressekonferenz zur Verfügung. Er wollte den Dialog suchen, erntete aber heftige Kritik – auch vom Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, der eine „rote Linie überschritten“ sah. „Ob ich naiv bin in meinem Dialog-Bemühen, wird man am Ende sehen“, sagte Richter damals. Fünf Jahre später kann man sagen: Ja, das war naiv.

Auch ZDF-Chef Peter Frey bereute im Nachhinein seinen Auftritt 2018 bei einer AfD-Veranstaltung über „Medien und Meinung“. In einem Gastbetrag für Die ZEIT schrieb er von „Ablehnung“ und „gelegentlich Häme“ im Publikum. „Meine Lehre aus den zwei Stunden mit dem AfD-Milieu: Der Block steht fest. Die Urteile sind schon gefällt. Die Selbstbezüglichkeit ist so groß, dass für Fakten von der anderen Seite des Tischs offenbar kaum noch Aufnahmebereitschaft vorhanden ist“.

Am kommenden Donnerstag dürfte der Fall kaum anders sein. Stattdessen bietet Kretschmer „Reichsbürger*innen“ und Pandemieleugner*innen eine Bühne, er normalisiert ihre Ideen. Kretschmer würde sich und der Demokratie einen großen Gefallen tun, wenn er von diesen beiden Beispielen lernen würde. Denn es gilt jetzt erst Recht: Abstand halten.

Update 28. Januar 2021: Aus einem virtuellen Folgetreffen mit Kretschmer wurde nun eine Diskussionsveranstaltung auf Zoom mit dem Titel „Fakten statt Fake News Fragen und Antworten zur Corona-Krise am Beispiel des Dreiländereck„, organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Veranstaltung findet am 29. Januar 2021 statt. Eingeladen sind die Referent*innen Michael Kretschmer (Ministerpräsident Sachsens), Dr. Thomas Grünewald (Leiter der Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum Chemnitz und Leiter der Sächsischen Impfkommission), Bergit Kahl (Pflegeheimleiterin in Görlitz), Dr. Mathias Mengel (Klinikum Oberlausitzer Bergland) und Thomas Zenker (Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Zittau). Teilnehmer*innen seien herzlich eingeladen, mitzudiskutieren, wie es in der Einladung heißt. In pandemieleugnenden Telegram-Gruppen werden Fragen an Kretschmer gesammelt.

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