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Telegram-Leaks Hinter der Maske der besorgten „Corona-Rebellen“ lauern Gewaltfantasien

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Flagge zeigen: Auf der "Tag der Freiheit"-Demo gegen pandemiebedingte Hygienemaßnahmen Anfang August in Berlin waren viele Reichsflaggen zu sehen. Symbolbild Coronaleugner*innen-Demo. (Quelle: picture alliance / sulupress.de | Marc Vorwerk)

Sie geben sich öffentlich als besorgte Bürger*innen, kritische Querdenker*innen oder esoterische Heiler*innen aus, doch ein Blick in geschlossene Telegram-Gruppen von „Corona-Rebellen“ zeigt: Um die Pandemie geht es nur vordergründig.

In geschlossenen Telegram-Gruppen zeigen sogenannte „Corona-Rebellen“, die gegen die vermeintlich „autoritären“ und „willkürlichen“ Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie zu Tausenden bundesweit demonstrieren, ihr wahres Gesicht: Dort lassen sie ihrer verschwörungsideologischen Paranoia und wirren Gewaltfantasien freien Lauf. Die Gruppenmitglieder versuchen, die Adressen von Gegendemonstrant*innen ausfindig zu machen und sie zu Hause einzuschüchtern. Oder sie wollen Social-Media-Accounts von politisch Andersdenkenden hacken. Sie beschreiben sogar, wie sie Pressevertreter*innen auf Demos attackieren.

Das geht aus geleakten Telegram-Chatverläufen und Audiodateien hervor, die Belltower.News zugespielt wurden. Ein Aktivist, der hier lieber anonym bleiben möchte, infiltrierte über Monate mehrere Gruppen aus dem Coronaleugner*innen-Milieu – wie beispielsweise „Widerstand Würzburg“ mit knapp 150 Mitgliedern und „Rebellen“ mit nur 11 Mitgliedern. Bei der letzteren Gruppe geht es um die interne Organisationsgruppe der „Corona-Rebellen“ im Mainfranken, die auch bundesweit aktiv sind. Diese nahmen beispielsweise an der „Tag der Freiheit“-Demo Anfang August in Berlin teil und organisierten Busse aus ihre Region in die Hauptstadt.

Ihre Diskussionen schwanken zwischen esoterischen Interpretationen über die eigenen gesundheitlichen Biografien und rechtsextremer Gewaltverherrlichung gerichtet auf Gegendemonstrant*innen und Andersdenkende. So prophezeit der User „Martin E.“ in einer Sprachnachricht an die Gruppe einen kommenden Bürgerkrieg: „Am liebsten würde ich natürlich mit einem AK47 losziehen aber das hat auch keinen Zopf. Noch nicht. Aber die Zeit wird kommen“. Der Mann aus Mittelfranken behauptet, früher Lehrgänge für die Spezialeinheit der Bundespolizei „GSG9“ gehalten zu haben. Er kenne viele Mitglieder der Einheit – „feine Burschen“, wie „Martin. E.“ sagt. Es ist eine von vielen wilden, unglaubwürdigen Behauptungen in der Telegram-Gruppe.

In einer anderen Sprachnachricht beschreibt „Martin E.“ seine erste Teilnahme an einer coronaleugnerischen Demonstration in der Stadt Würzburg. Er habe mit zehn Männern an der Marienkapelle am Rand der Demo gestanden, als ihn Menschen fotografierten. Obwohl die Polizei ihm sagte, dass es hier um Journalist*innen mit Presseausweisen ging, will „Martin E.“ nur seinen Erzfeind erkannt haben: „Die Antifa“.

Er beschreibt, wie er und Menschen aus seiner Gruppe diese Fotograf*innen attackierten. Die Polizei konnte schnell intervenieren und vermutlich Schlimmeres verhindern. Dass er fotografiert wurde, scheint einen Nerv getroffen zu haben. Denn später im Chat schreibt der kamerascheue „Martin E.“: „Kennt jemand von Euch, so Vögel von der Antifa eigentlich persönlich? Denen könnte ich mal „netten“ Hausbesuch schicken. Mich stört es tierisch, dass die uns alle fotografiert haben.“ In einer späteren Nachricht behauptet er, in Besitz einer Liste von Antifa-Aktivist*innen zu sein und schon drei Adressen besucht zu haben. Da aber das Licht nicht an gewesen sei, als „Martin E.“ eintraf, habe er nicht geklingelt. Er spekuliert über die Abwesenheit der Bewohner*innen: „Haben sie heute Versammlung, die Antifa?“, fragt er. Welche Adressen er besuchte und wo er sie bekommen hat, ist Belltower.News unbekannt.

„Die Antifa“ taucht immer wieder als Feindbild in diesen Gesprächen auf. Mal gibt es die These, dass diverse Baustellen in Würzburg eigentlich „staatliche Lieferungen“ von Steinen für „die Antifa“ sind. Mal wird von „bezahlten Aufheizern“ gesprochen, die „die Menge anstacheln“ – so wird beispielsweise der haltlosen aber in rechtsextremen Kreisen weitverbreiteten Verschwörungserzählung bedient, dass „die Antifa“ vom Staat finanziert wird. Der User „Chriss“ fragt: „Kann einer evtl n Twitter Account von nem Antifa Typen hacken? Der versucht unsere komplette Bewegung hier zu stören…und ich möchte Ihm ein Denkzettel zukommen lassen…“ [Rechtschreibung wie Original]

Neben dieser Obsession mit „der Antifa“ finden auch die üblichen antisemitischen Verschwörungsideologien rund um die Rothschilds oder Rockerfellers Raum. Auch rassistische Memes über den in den USA in Polizeigewahrsam ermordeten George Floyd fehlen nicht. Beide deuten auf ein menschenverachtendes Weltbild, das nur wenig mit der aktuellen Pandemie zu tun hat. Was diese Menschen vereint, ist ein tief verwurzelter Hass gegenüber vermeintlich Anderen, sowie eine paranoide Angst vor „dem Staat“. Der User „TOM Rüd“ behauptet beispielsweise, vom Bundesnachrichtendienst und der KSK-Eliteneinheit der Bundeswehr besucht worden zu sein. “Tom” schätzt seine Situation als gefährlich ein: Er sei auf „Stufe blue“ oder „Defcon Two“.

Auch Anhaltspunkte zur Reichsbürger-Ideologie sind in der Organisations-Gruppe der mittelfränkischen „Corona-Rebellen“ unübersehbar. „Die Farben bleiben: Schwarz, Weiß, Rot“, sagt „Martin E.“ beispielsweise – und bezieht sich auf die Reichsflagge. Mehrmals leugnet er die Existenz der Bundesrepublik. In einer Sprachnachricht beruft er sich zudem auf den in Reichsbürger-Kreisen falsch gedeuteten Paragrafen 146 des Grundgesetzes. Damit behauptet das Reichsbürger-Milieu irrtümlicherweise, dass es keine „Verfassung“ gebe. Verfassungsfeindlicher könnte „Martin E.s“ Aussage an dieser Stelle wohl kaum sein: „Wir werden ein souveränes Land werden…[Wir werden] als Volk uns eine neue Verfassung bauen.“ „Martin E.“ zufolge sollte seine neue Verfassung am 3. August in Kraft treten, Putin und Trump seien bereits informiert. Von dem Plan ist bislang wenig zu sehen.

Immer wieder wird behauptet, dass man die Sorgen der Mitmarschierenden auf sogenannten „Hygiene“-Demos ernst nehmen müsse, dass es um eine heterogene und offene Bewegung geht. Die verfassungsfeindlichen und menschenverachtenden Aussagen von Figuren wie dem verschwörungsideologischen Kochbuchautor Attila Hildmann werden gerne als „Randerscheinungen“ oder „nicht repräsentativ“ abgetan. Doch diese geleakten Telegram-Chatverläufe und Audiodateien zeigen, dass es nur selten um die Covid-19-Pandemie geht: Auch regionale Organisationskreise der Bewegung hetzen gegen politische Gegner*innen und propagieren Reichsbürger-Ideologie. So wirkt der Demotitel „Tag der Freiheit” am Ende doch angemessen – denn so hieß auch ein Leni-Riefenstahl-Film über den siebten Parteitag der NSDAP und die Wehrmacht.

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