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Todesopfer rechter Gewalt 31 Jahre nach der Tat – Prozessbeginn im Fall Samuel Yeboah

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Samuel Yeboah (27) wurde bei einem Brandanschlag im September 1991 in Saarlouis ermordet. (Quelle: Polizei Saarland)

27 Jahre ist Samuel Yeboah alt, als er am 19. September 1991 bei einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis-Fraulautern stirbt. 19 Menschen leben in dem Haus, 21 Personen schlafen in jener Nacht dort. 18 davon können ins Freie fliehen. Zwei Männer werden schwer verletzt, als sie aus den Fenstern des obersten Stockwerks springen, um sich zu retten. Samuel Yeboah versucht wahrscheinlich durch das Treppenhaus zu fliehen und zieht sich schwere Verbrennungen zu. Er stirbt in derselben Nacht im Krankenhaus. 31 Jahre später beginnt heute der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Peter Werner S. wird Mord, versuchter Mord in 20 Fällen und Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen. Der Mann kommt aus der lokalen Neonaziszene.

Der Brandanschlag war bereits der fünfte Angriff auf Geflüchtetenunterkünfte in der Stadt seit 1987. Nur einen Monat zuvor gab es einen Anschlag auf eine Unterkunft im benachbarten Saarlouis-Roden. Zwischen 1990 und 1992 gibt es in der Region um Saarlouis etwa 20 Brand- und Rohrbombenanschläge. Bereits elf Monate später wurden die Ermittlungen eingestellt – die Tat wurde nicht als rechtsextrem oder rassistisch eingestuft. Die Bundesregierung korrigierte diese Einschätzung mehrmals. Zuletzt 2009 in der Antwort auf eine große Anfrage der Partei Die Linke. Im Sommer 2020 wurde im saarländischen Landespolizeipräsidium schließlich doch noch die Arbeitsgruppe „Causa“ eingesetzt, die Fehler bei den Ermittlungen um den Brandanschlag vom 19. November 1991 aufklären sollte. Eine 18-köpfige Sonderkommission namens „Welle“ rollte den Fall neu auf. Das Verfahren wurde an die Bundesstaatsanwaltschaft in Karlsruhe übergeben. „Aktion 3. Welt Saar“ fordert einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um politische Fehler aufzuklären. Auch die Akten des Falls sollen öffentlich gemacht werden.

Zum Prozessbeginn am 16. November 2022 vor dem Oberlandesgericht Koblenz fordert der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) die „Freigabe aller VS-Akten an Prozessbeteiligte“. Ein Protokoll aus dem Innenausschuss des saarländischen Landtags von September 1992 beweist, dass der Verfassungsschutz die Neonazi- und Skinheadszene in Saarlouis kannte: „Wie Sie wissen, unterliegt die Gruppe der Skinheads der Beobachtung des Landesamtes für Verfassungsschutz“, heißt es in einer Passage. Peter Werner S., eine ehemalige Größe der lokalen Neonaziszene, wird am 4. April 2022 festgenommen. Bereits am 28. Januar 2021 hatten Beamt*innen die Wohnung und den Arbeitsplatz des 50-Jährigen aus Saarlouis durchsucht. Die Polizei suchte weiterhin nach Zeugen, richtete ein Hinweistelefon ein und setzte eine Belohnung von über 10.000 Euro aus.

Nach der Festnahme im April entschuldigt sich der saarländische Polizeipräsident Norbert Rupp für „Defizite in der damaligen Polizeiarbeit“. Die dürften auch Auswirkungen auf den aktuellen Prozess haben. Denn offenbar wurde in den 1990er Jahren nicht nur versäumt, die sehr ähnlichen Anschläge in Saarlouis und Umgebung zu vergleichen, sondern mittlerweile sind auch die Beweismittel verschwunden, wie sich nach einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) herausstellt.

Laut Spiegel meldete sich im Herbst 2019 eine Zeugin, deren Aussage zur Wiederaufnahme der Ermittlungen führte. Die Frau berichtete der Polizei von einem Grillabend, während dem ihr ein Mann mit dem Spitznamen „Schlappi“ – so war S. in der Saarlouiser Szene bekannt – den Anschlag von 1991 gestanden habe: „Das war ich und sie haben mich nie erwischt“. Am 21. Juli 2022 erhebt die Bundesanwaltschaft Klage gegen S., wegen „Mordes, des versuchten Mordes zum Nachteil von 20 Menschen sowie der Brandstiftung mit Todesfolge und mit versuchter Todesfolge“.

Laut den Ermittlungen verbrachte S. den Abend vor der Tat mit weiteren Neonazis in einer Kneipe. Die Gruppe unterhielt sich über die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda, die einen Tag zuvor begonnen hatten. „Hier müsste auch mal so was brennen“, sagte einer der Neonazis laut einer Zeugenaussage, die im Spiegel zitiert wird. Nach Kneipenschluss zog S. weiter, zur Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis-Fraulautern, dem ehemaligen Hotel „Weißes Rößl“, „um dort aus seiner rechtsextremistischen und rassistischen Gesinnung heraus einen Brand zu legen“, heißt es von der Bundesanwaltschaft. S. sei ins Haus eingedrungen und habe im Erdgeschoss des Treppenhauses Benzin verschüttet und danach angezündet. Das Feuer verbreitete sich schnell.

Samuel Yeboah wurde im Dachgeschoss  von den Flammen erfasst und erlitt schwerste Verbrennungen und eine Rauchvergiftung. Wenige Stunden später starb er. Zwei Jahre lang hatte der Geflüchtete aus Ghana in Saarlouis gelebt.

Lokale Antifa-Recherchen beschreiben S. als Führungsfigur der Saarlouiser Neonaziszene in den 1990er Jahren. Fotos zeigen den Mann als Ordner bei Neonazidemonstrationen in der Stadt. Offenbar gibt es dabei auch eine Verbindung zur Terrororganisation NSU. 1996 nahm S. am „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Worms teil. Etwa 200 Neonazis demonstrierten an diesem Tag, darunter auch Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. 1997 stellte sich heraus, dass S. gegen andere Teilnehmende ausgesagt hatte, daraufhin wurde er aus der Szene in Saarlouis offenbar ausgeschlossen.

Bisher sind neun Prozesstage eingeplant, dabei sind mehr als 70 Zeug*innen geladen, aus Polizeikreisen und dem ehemaligen Szeneumfeld von S.. Drei Betroffene treten als Nebenkläger auf. Der BVRG fordert einen Opferfonds für Überlebende und Hinterbliebene des Anschlags. „Es braucht eine schnelle, unbürokratische und hohe Entschädigung an Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, so Nebenklageanwältin Kristin Pietrzk.

Antifaschistische Gruppen erinnern an Jahrestagen an den rassistischen Mord in Saarlouis. Zivilgesellschaftliche Initiativen, wie die „Aktion 3. Welt Saar“, kritisieren dabei immer wieder das Verhalten der Stadt und fordern einen zentralen Gedenkort im Stadtbild. Geschäftsführer Roland Röder: „Im Stadtbild von Saarlouis erinnert nichts an Samuel Yeboah“. Eine Initiative hat reagiert und einen virtuellen Gedenkstein mit Informationen zur Tat und dem Umgang der Stadt mit dem Mordopfer erstellt.

Im Rahmen einer Kundgebung zum zehnten Jahrestages des Anschlags im Jahr 2001 befestigten Aktivist*innen eine Gedenktafel am Rathaus der Stadt. Die Tafel wurde am selben Tag auf Anweisung des Bürgermeisters wieder entfernt. Die Stadt klagte auf Schadenersatz . Sie gewann 2005 einen vierjährigen Prozess und erhielt 134,50 Euro.

Zum 15. Jahrestag des Mordes schlug eine Initiative die Umbenennung der Saarlouiser Von-Lettow-Vorbeck-Straße zur Samuel-Yeboah-Straße vor. Paul von Lettow-Vorbeck wurde 1870 in Saarlouis geboren und war in der deutschen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ für den Völkermord an den Herero und Nama mitverantwortlich. 1956 wurde er zum Ehrenbürger in Saarlouis ernannt. Die Website der Stadt spricht in einem Beitrag von 2010 von „der als problematisch zu bewertenden Vergangenheit des Generals“ und verkündet, dass nach einstimmigen Beschluss des Stadtrates die Straße nunmehr nach zwei ehemaligen Bürgermeistern der Stadt benannt wird. In der entsprechenden Meldung findet sich kein Verweis auf die Initiative für Samuel Yeboah.

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