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Verschwörungserzählungen im Wahlkampf Die Welt der Wahlbetrugs-Narrative

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QAnon-Supporter Oliver Janich lebt in seiner eigenen Welt - in der ist jeder verdächtig. (Quelle: Screenshot)

Wenn Parteien weniger gewählt werden, als sie es sich erhofft haben, könnte es an mangelnder Zustimmung aus der Bevölkerung liegen. Wer sich aber in einem eher verschwörungsideologisch geprägten Weltbild bewegt und/oder das Ziel hat, Demokratie und ihre Prozesse unglaubwürdig zu machen, der spricht stattdessen vom Wahlbetrug. Dieses Verschwörungsnarrativ ist in der rechtsextremen Szene langjährig erprobt (vgl. Belltower.News 2014), im Trump-Wahlkampf professionalisiert worden und begleitet auch die Wahlen in Deutschland 2021.

Bereits zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im April 2021 tauchte es auf, seit der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni nimmt es an Heftigkeit und Variationsbereite zu, und zur Bundestagswahl im September ist der Höhepunkt zu erwarten.

Das Projekt de:hate der Amadeu Antonio Stiftung hat die aktuell beliebtesten Variationen der Verschwörungserzählungen im verschwörungszugeneigten „Querdenken“-Milieu  zusammengestellt.

  • Es wurden schon in der Vergangenheit Wahlen manipuliert, und immer zu Ungunsten rechter Parteien (z.B. Heinrich Fiechtner im Gespräch mit Miriam Hope)
    [Forschung zeigt, dass die meisten Wahlfälschungen von amtierenden Regierungen begangen werden – unabhängig  von der politischen Ausrichtung. Allerdings umso mehr, je diktatorischer eine Regierung ist.]
  • Wo die AfD potenziell besonders stark sein kann, sei die Gefahr besonders groß, dass ihre Zahlen manipuliert werden könnten. Nur Wahlbeobachter:innen könnten das verhindern (z.B. Heinrich Fiechtner im Gespräch mit Miriam Hope).
    [Wahlbeobachter:innen können sicherstellen, dass Wählende nicht eingeschüchtert oder behindert werden und die Prozesse korrekt ablaufen. Die Wahl bleibt aber geheim.]
  • Briefwahlen seien besonders leicht zu fälschen. Wo es einen hohen Briefwahlanteil gab (wie in Baden-Württemberg), sei bestimmt „manipuliert worden wie verrückt“. (z.B. Heinrich Fiechtner im Gespräch mit Miriam Hope)
    [Der Haupt-Manipulationsfaktor bei Briefwahlen ist, das nicht nachvollziehbar ist, ob der Wählende seine Stimme selbst abgegeben hat und dabei unbeeinflusst war. In Deutschland gehen Forscher:innen aber davon aus, dass dies nicht im großen Stil passiert, auch wenn einzelne Fälle 2014 und 2016 bekannt wurden (vgl. tagesschau.de)].
  • Online-Abstimmungen würden durch Bots manipuliert. (Heinrich Fiechtner)
    [es gibt keine Online-Wahlen in Deutschland]
  • Die “Querdenken“-Partei “Die Basis“ teilt in Sachsen-Anhalt vor der Wahl Missinformationen, dass Nichtwählen dazu führen, dass ausschließlich CDU und Grüne gestärkt würden [während dies in der Realität die Prozentverteilung alle Parteien betrifft].
  • Wahlbetrug im Wahllokal: Man lasse Menschen mehrfach wählen und gäbe sie auf Listen als andere Personen aus – oder erzähle ihnen, sie hätten schon Briefwahlunterlagen erhalten und dürften nicht wählen; die Wahlleiter:innen seien “vom Parteienkartell” und dadurch unglaubwürdig. (z.B. Die Basis)
    [gewählt werden kann nur mit Ausweisdokument; Wahlleiter:innen sind nicht parteigebunden].
  • Wahlbetrug mit Briefwahl: Man lasse Briefe verschwinden (z.B. Die Basis)
    [es verschwinden selten Briefwahlunterlagen. In der Regel handelt es sich, soweit nachvollziehbar, allerdings um Zustellpannen, nicht um bewusste Manipulation].
  • Wahlbetrug bei der Auszählung: Es könne falsch gezählt werden, oder es könnten einfach falsche Daten an den Bundeswahlleiter übermittelt werden, oder die Daten würden im “elektronischen System” der Meldewege manipuliert (z.B. Die Basis).
    [Es kommt auch bisweilen zu Fehlern bei der Auszählung, diese sind in der Regel aber menschliches Versagen].
  • Genau diese letzten drei Punkte zählte “Die Basis” auch auf, um das Wahlergebnis anzufrechten – Prozess in Sachsen-Anhalt läuft aktuell.

  • Die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt sei hochgerechnet worden (Sönke Paulsen auf Reitschuster.de), die könne nicht in zwei Stunden von 40 % auf 60 % steigen
    [doch, durch Auswertung der Briefwahlunterlagen].
  • Missinformationen mit Zahlen: Mit „statistischen Methoden“ hätten Forscher 2011 herausgefunden, dass die Wahlergebnisse in Deutschland zumeist dort „merkwürdig“ waren, wo eine Partei besonders dominant war; sie hätten mit der Methode „Benfords Gesetz“ herausgefunden, dass Wahlen in Deutschland von 1995 bis 2005 manipuliert worden seien („Hinweise auf Manipulation so gut wie überall“) („Report 24“, geteilt von „Querdenken“-Redner Michael Fritsch).
    In Wirklichkeit sagt die Studie, es gäbe nur relativ wenige Wahlkreise, in denen tatsächlich signifikante Abweichungen festgestellt wurden – es ist klassisches „Lügen mit der Missinterpretation von Zahlen, vgl. Scienceblogs)
  • Missinformation mit vermeintlichen Expert:innen: So wird Sachsen-Anhalts ehemaliger CDU-Ministerpräsident Werner Münch (1991-1993) von dem rechtsextremen YouTuber Billy Six interviewt und sagt u.a. es sei merkwürdig, dass die Zahl derjenigen, die für die AfD gestimmt haben sollen, niedriger sei als die niedrigste Zahl in den Umfragen vor der Wahl.
    [Dies kommt allerdings oft vor, dass Menschen bei Umfragen anders antworten, als sie später abstimmen].
  • Wahlbetrug-Narrativ plus Antisemitismus: Die Kanzlerin wird als “Soros-Versprechpuppe” bezeichnet, die also den Anweisungen des Investor George Soros folge, einem Feindbild der antisemitischen Szene. Der kontrolliere zudem die Massenmedien, die “propagandistisch Vollgas” gäben. Nur Wahlbeobachtung könne verhindern, dass die “Strippenzieher” (noch eine antisemitische Dogwhistle) noch starker würden und es zum “kommunistischen Umbau der Gesellschaft (#greatreset) komme (Video von “Der Waldgang”, geteilt von Michael Fritsch).
    [reine Verschwörungserzählung, kein Wahrheitsgehalt]

  • Wahlbetrung-Narrativ plus Pandemie: Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie würden bis Ende September verlängert, den dann seien die Wahlen und so sollten besonders viele Menschen zur Briefwahl getrieben werden, die mehr manipuliert und schlechter beobachtet werden könne. Und diese werde am Start-Tag der Fußball-EM verkündet, damit es keiner merke (z.B. Querdenken-Anwalt Markus Haintz).
    [Beliebt bis Anfang Juni 2021, doch schlecht gealtert, seit  täglich Lockerungen erfolgen und die gesellschaftliche Normalität mit sinkenden Inzidenzen zurückkehrt].
  • Wahlbetrug als Druckmittel in die eigene Szene: Der verschwörungsideologische YouTuber Oliver Janich schreibt in Richtung AfD: “An alle Mitglieder der AfD und die Verantwortlichen: (…) Der größte und diletantischste Wahlbetrug in der Geschichte der BRD. Wenn ihr das nicht anfechtet, macht ihr euch verdächtig.”
    [reine Verschwörungserzählung, die verschwörungsgläubige Szene ist auch gegeneinander feindlich, verdächtigt z.B. die AfD, selbst Teil “des Systems” zu sein.]
  • Missinterpretation von Daten: Die AfD schneide in Sachsen-Anhalt immer schlechter ab, je mehr Briefwahl es gäbe, und die Grünen immer besser, und der Briefwahlanteil sei in Sachsen-Anhalt von 13 % in 2016 auf 29 % in 2021 gestiegen (z.B. Oliver Janich).
    [Es lag eine Pandemie dazwischen. Und: selbst erfüllende Prophezeiung. Die AfD erzählt ihren Wähler:innen, Briefwahlen seien manipulierbar und sie sollten sie nicht nutzen – und dann nutzen sie diese auch nicht].

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