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Verschwörungsideologien „Antisemitismus funktioniert als Erweckungserlebnis“

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Debunkig bedeutet, Mythen, Gerüchte und Misinformationen mit Fakten zu widerlegen. (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Worum geht es bei dem neuen Projekt Debunk?

Das Projekt richtet sich an Jugendliche, junge Erwachsene sowie Menschen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit tätig sind, und in Sachsen die Themenkomplexe Verschwörunsgideologie und Antisemitismus adressieren wollen. Mit ihnen gemeinsam möchten wir Materialien entwickeln, in denen es darum geht, wie man sich mit verschörungsideologischen Inhalten, aber auch mit dem damit verbundenen Antisemitismus auseinandersetzen kann. Die Materialien können dann in Seminaren, Projekttagen aber auch im Jugendzentrum und in den Sozialen Netzwerken eingesetzt werden.

Was bedeutet denn eigentlich Debunking?

Mythen, Gerüchte und Misinformationen mit Fakten zu widerlegen. Unser Modellprojekt geht jedoch darüber hinaus. Wir wollen auch die irrationalen Anteile, etwa das Identitätsangebot als ‚Widerstandskämpfer*in für das Gute‘ mit unserer Arbeit adressieren.

Ihr beschäftigt euch mit Antisemitismus und Verschwörungsideologien – wie sind die miteinander verbunden?

Verschwörungsideologien und Antisemitismus hängen miteinander zusammen, weil sie ähnlich strukturiert sind und die gleichen Funktionen erfüllen. Sie personifizieren gesellschaftliche Zusammenhänge, indem sie „Schuldige“ identifizieren. Sie gehen davon aus, dass ein Kampf des Guten gegen das Böse stattfindet, bei dem man für die Seite des Guten Partei ergreifen und das Böse besiegen und restlos vernichten muss. Eng damit verbunden sind Vorstellungen von identitären Kollektiven, also, dass Menschen unveränderliche Eigenschaften besitzen, weil sie zu einer Gruppe gehören. Auf der Ebene der Weltverschwörung existiert als kulturelles Wissen seit Jahrhunderten der Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“.

Zur Zeit sind besonders viele Verschwörungserzählzungen im Umlauf…

Verschwörungserzählungen sind in Krisensituationen besonders attraktiv, da dann die eigenen Wertevorstellungen erschüttert werden. Aufgrund der Corona-Krise gibt es gerade sehr starke Einschränkungen und Veränderungen, sowohl des öffentlichen Lebens als auch im individuellen Alltag der Menschen. Diese Veränderungen werden mithilfe von Verschwörungsideologien erklärt, indem behauptet wird: Das Ganze existiert gar nicht, dahinter steckt ein dunkler Plan.

Die Ursachen zu personifizieren, also Verursacher zu nennen, anstatt das Problem zu verstehen, ist das, was Verschwörungsideologien liefern. Sie schaffen auch Abhilfe dafür, dass Menschen sich hilflos, betrogen und nicht als Subjekt wahrnehmen. Denn Verschwörungsideologien geben Handlungsempfehlungen, wie der ‚Verschwörung‘ entkommen werden kann: Man weiß auf einmal, wer hinter allem steckt, und hat damit auch eine Lösung für alle Probleme. Das ist hochgradig problematisch, weil damit eine Gesellschaft vorgestellt wird, die widerspruchsfrei funktioniert.

Was meinst Du damit?

Demokratische und liberale Gesellschaften leben davon, dass Widerspruch zu jeder Position geäußert werden kann, solange er sich auf einer gemeinsamen Grundlage befindet, nämlich dem Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland oder den Menschenrechten auf einer globalen Ebene. Mit ihrer Eigenschaft, widerspruchsfreie Räume herstellen zu wollen, sind Verschwörungsideologien letztendlich antipluralistisch: Es darf in dieser Vorstellung immer nur eine Mehrheit geben, einen Volkswillen, der allein für das Gute steht und vermeintlich umgesetzt werden müsse. Dem wird eine kleine, böse Minderheit und Elite gegenübergestellt. Dass es in einer Gesellschaft unterschiedlichste Interessen gibt, über die man sich streiten muss, in der der politische Aushandlungsprozess gerade darin besteht, sich zu streiten, wird nicht anerkannt.

Welche Konsequenzen hat ein solches Gesellschaftsverständnis für Minderheiten?

Minderheitenpositionen werden ignoriert oder sehr stark abgewertet und per se als bösartig, als Bedrohung identifiziert. Zudem besteht eine hochgradig gefährliche Nähe zum Antisemitismus. Antisemitismus kann wie ein Erweckungserlebnis innerhalb von verschwörungsideologischen Kontexten funktionieren. Im Kern dieser Milieus existieren Antisemit*innen, die ihr vermeintlich geheimes Wissen und gesellschaftlich tabuisiertes bzw. sanktioniertes Wissen ausbreiten. Das wirkt in verschwörungsideologischen Milieus besonders attraktiv, weil alles pauschal als glaubhaft und wahr gilt, was einer „offiziellen“ Position entgegensteht oder von den „Eliten“ verboten wird.

Ein weiterer problematischer Punkt: Weil Verschwörungsideologien apokalyptische Rhetorik bedienen und politische Gegner als Feinde dämonisieren, motivieren sie letztlich zu Gewalt: In ihrer Vorstellung ist es permanent fünf vor zwölf, hat die große Verschwörung fast gewonnen. Nun müsse Widerstand geleistet werden, um Gerechtigkeit wiederherzustellen, die Gerichte nicht erzeugen könnten. Es bedürfe anderer Mittel, um mit diesen ‚Monstern‘ fertig zu werden. Das fassen einige als Auftrag auf Terroranschläge zu verüben.

Welche Tipps kannst Du uns mit auf den Weg geben, um Verschwörungsideologien zu widerlegen?

Es geht nicht nur darum, zu widerlegen und die Probleme aufzuzeigen, die in Verschwörungserzählungen stecken. Vielmehr ist wichtig, zu verstehen und darauf einzugehen – und das ist ein längerer Prozess -, warum Menschen eine Verschwörungserzählung in ihrer Situation für besonders glaubhaft erachten. Es geht darum, empathisch zu sein: Warum teilt mein Gegenüber diese Erzählung jetzt gerade mit mir? Welche Motivation hat dazu geführt? Letztendlich geht es darum, darüber zu sprechen, für welche Probleme diese Person solche Verschwörungserzählungen als Antwort wahrnimmt. Es ist wichtig, nicht-öffentlich, auf Augenhöhe mit diesen Menschen zu diskutieren und dabei nicht abzuwerten. Wenn man sich darauf verständigen kann, dass man Gesellschaft auf der Grundlage der Menschenrechte gestalten möchte, kann man darauf hinweisen: Die  Konsequenz aus dem, was du mir hier zeigst, ist mit deiner menschenrechtlichen Position nicht zu verbinden. Es ist wichtig, dass das Gegenüber den Widerspruch hört, wahrnimmt und begreift. Dies ist jedoch nicht in einer Unterhaltung möglich. Dafür ist ein längerer Prozess notwendig. Das wäre jetzt der rein praktische Tipp für die Quarantäne-Zeit.

Mehr zu Projekt bei der Amadeu Antonio Stiftung:

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