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Von Dresdner Verhältnissen, Pleiten für die NPD und dem NSU-Prozess Der „Netz-gegen-Nazis“-Rückblick auf 2013

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Fackelmarsch gegen Flüchtlinge im sächsischen Schneeberg (Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)

Auch 2013 bestimmten die Enthüllungen um den NSU die Berichterstattung – zwei Jahre nach Bekanntwerden der rassistischen Mordserie standen dabei vor allem der Start des NSU-Prozesses in München sowie der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages im Fokus.

Der Prozess startete am 6. Mai: Die Bundesanwaltschaft hatte am 8. November 2012 vor dem Oberlandesgericht München Anklage gegen das mutmaßliche Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“ Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Unterstützer der terroristischen Vereinigung erhoben. Sie geht davon aus, dass neben den toten Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch Beate Zschäpe an den Morden der Terrorgruppe beteiligt gewesen ist.

Vor Beginn des Prozesses gab es gleich einen Skandal: Um die Vergabe der Plätze für die Öffentlichkeit und vor allem für die Medien war ein heftiger Streit entbrannt. Schließlich wurde entschieden, dass die Presseplätze neu ausgelost werden, in der Folge verschob sich der Prozessbeginn um fast einen Monat.

Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet – in mühevoller Kleinarbeit werden in dem Verfahren unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl die Taten des NSU nachgezeichnet. Ein Ende des Prozesses ist noch lange nicht in Sicht. Doch schon jetzt ranken sich in der rechtsextremen Szene wilde Verschwörungstheorien um den NSU und den Prozess.

Am 23. August stellte schließlich der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages seinen Abschlussbericht vor – ein Dokument der vernichtenden Kritik: Auf 1.357 Seiten bescheinigt der Ausschuss den Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in seinem Abschlussbericht „eine beschämende Niederlage“. Eva Högl, SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, erklärte danach im Interview mit „Netz-gegen-Nazis.de“: „Die größte Gefahr ist jetzt natürlich, dass er einfach in der Schublade verschwindet und sich alle Verantwortlichen hinter der Aussage verstecken, beim NSU habe es sich um einen Einzelfall gehandelt. Ich sage ganz ehrlich, dass ich mir da Sorgen mache.“ Anwältinnen und Anwälte der NSU-Opfer kritisierten den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses deutlich: In einer gemeinsamen Erklärung bemängelten sie, der Ausschuss habe das zentrale Problem, nämlich „institutionellen Rassismus“ nicht erkannt.

Antrag auf NPD-Verbot und weitere Hiobsbotschaften für die rechtsextreme Partei

Im Zuge der NSU-Aufklärungsarbeit hatte schon 2012 die Debatte um ein Verbot der rechtsextremen NPD wieder an Fahrt gewonnen. Nach langen Diskussionen stellten nun im Dezember 2013 die Innenminister der Bundesländer den Antrag auf ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht. Die große juristische Frage, die das Bundesverfassungsgericht jetzt klären muss: Reichen die Argumentationen aus, um nachzuweisen, dass die NPD die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf aggressive Art und Weise abschaffen will und deshalb verboten gehört?

Doch nicht nur das drohende Verbot brachte die NPD 2013 in Bedrängnis: Bei der Bundestagswahl in diesem Jahr verlor die rechtsextreme Partei deutlich an Stimmen. Mit insgesamt 1,3 Prozent der Zweitstimmen hat sich die Partei im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 noch einmal verschlechtert: Fast 75.000 weniger Menschen gaben der NPD ihre Stimme (-0,2 Prozent). Das bedeutet allerdings, dass immer noch 560.000 Wählerinnen und Wähler ihr Kreuzchen bei der rechtsextremen Partei setzten. Diese kann somit auf einen staatlichen Geldregen in Höhe einer halben Million jährlich setzen – eine wichtige Nachricht für eine Partei, die vor dem Hintergrund immer neuer Hiobsbotschaften über Finanzprobleme und einem drohenden Verbotsverfahren jeden Cent gebrauchen kann.

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar erzielte die NPD nur 0,8 Prozent – und bekommt somit im Bundesland keine staatlichen Gelder mehr. Die Schlappe war abzusehen: Interne Machtkämpfe, Mitgliederschwund und eine desaströse „Niedersachsen“-Tour überschatteten den Wahlkampf.

Bei der Kommunalwahl am 26. Mai in Schleswig-Holstein erhielt die NPD hingegen direkt oder via Tarnlisten vier Mandate – und das nach einem schwachen Wahlkampf, der vor allem durch Desinteresse geprägt war. Zugute kam der rechtsextremen Partei die niedrige Wahlbeteiligung.

Kurz vor Jahresende dann noch eine Nachricht, die bundesweit für Schlagzeilen sorgte: Holger Apfel gab am 19.12.2013 bekannt, dass er von seinen Ämtern als NPD-Bundesvorsitzender und Fraktionschef der NPD in Sachsen zurücktritt. Grund sei ein „Burn-Out“, heißt es aus Parteikreisen. Bei zahlreichen internen Querelen agierte Apfel in seinen zwei Jahre als NPD-Bundesvorsitzendem glücklos, Wahlerfolge oder eine Lösung der Finanzprobleme der NPD blieben ebenfalls aus. Damit ist ein NPD-Kader gescheitert, der seit seiner Jugend aktiv ist und lange als Sinnbild eines „moderner agierenden“ Nazis galt. Bereits kurz nach Apfels Bekanntgabe brodelte die Gerüchteküche über die „wahren“ Hintergründe seines Rücktritts – die Spekulationen gaben einen tiefen Einblick in das menschenverachtende Weltbild der rechtsextremen Szene.

Rassistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge

Seit dem Herbst protestieren bundesweit Menschen gegen die Einrichtung von Flüchtlingsheimen in ihrer jeweiligen Nachbarschaft. Als Organisatorin betätigt sich immer wieder die NPD, die auch bei den Protesten gegen die Unterkunft in Marzahn-Hellersdorf in Erscheinung trat. Im November gingen im sächsischen Schneeberg erneut tausende Menschen auf die Straße – für und gegen Flüchtlingsunterbringung. Nach der Antifa nehmen jetzt auch die Zivilgesellschaft und sächsische Landespolitik die Gefahr von Rechts ernst. Dabei lauert der Rassismus nicht nur bei den Neonazis. Auch in der Mitte der Gesellschaft finden die Flüchtlinge breite Ablehnung. Und kommen dabei selbst am wenigsten zu Wort.

Im Internet und vor allem in den sozialen Netzwerken kommt es dabei immer wieder zu extrem menschenverachtenden Diskussionen. In der Diskussion um neue Flüchtlingsheime bilden sich besorgniserregende Allianzen, die fast schon einem Muster zu folgen scheinen: Pläne für eine neue Einrichtung werden bekannt, eine vermeintliche Bürgerinitiative gründet sich und hetzt on- wie offline gegen die Heime, in denen verfolgte, oft traumatisierte Menschen einen Platz bekommen sollen.

Die Hetze macht auch vor Katastrophen nicht Halt: Als es im Oktober 2013 zur Katastrophe von Lampedusa kommt, bei der fast 400 Menschen bei einem Schiffsunglück vor der Mittelmeerinsel ihr Leben verlieren, gibt es im Netz zahlreiche menschenverachtende Kommentare. Dabei nimmt Deutschland statistisch gesehen gerade einmal 0,9 Flüchtlinge pro 1.000 Einwohner auf und liegt damit im europäischen Vergleich auf Platz 10 unter den EU-Ländern.

NPD instrumentalisiert Hochwasser-Katastrophe

Doch nicht nur die Ängste der Bevölkerung in Bezug auf Flüchtlingsunterkünfte werden von der NPD instrumentalisiert: Auch die Hochwasser-Katastrophe im Mai und Juni diesen Jahres wird von der rechtsextremen Partei für ihre Zwecke missbraucht. Während die anderen Politiker nur reden würden, packe die NPD tatkräftig an, um den Hochwasseropfern zu helfen – mit diesem Duktus und entsprechenden Fotos und Berichten auf ihren Internetseiten gerierte die NPD sich als die einzige Partei, die sich wirklich um die Menschen kümmere. Was tatsächlich hinter den Aufrufen zur „nationalen Solidarität mit den Hochwasser-Opfern steht, offenbarte ein genauerer Blick.

Alternative für Deutschland: Das angebliche Sprachrohr der Frustrierten

Am 6. Februar 2013 wurde die Alternative für Deutschland gegründet. Raus aus dem Euro, zurück zur D-Mark – mit dieser Forderung hat sich die AfD binnen kurzer Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit katapultiert. Mit ihren populistischen Slogans erhält die neue Partei Zuspruch aus unterschiedlichsten Richtungen – auch aus dem rechten Lager – und sorgte bei der Bundestagswahl für die größte Überraschung des Wahlabends: Aus dem Stand knackte Partei fast die 5-Prozent-Marke. Warum das Grund zur Besorgnis gibt, erörtert die neueste Veröffentlichung des Soziologen Andreas Kemper „Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V.“,

#SchauHin: Ein Aufschrei gegen Alltagsrassismus

Anfang September 2013 ging ein neuer Aufschrei durch die Netzgemeinde: Unter dem Hashtag #SchauHin twitterten die Nutzerinnen und Nutzer ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Die Resonanz war zwar nicht ganz so groß wie bei der #Aufschrei-Debatte, doch ein Anfang wurde gemacht.

Nazi-Aufmarsch in Dresden: „Ihr seht so traurig aus!“

Auch in diesem Jahr marschierten wieder Nazis durch Dresden – oder versuchten zumindest, ihren Trauermarsch durchzuführen. Doch wie schon in den vergangenen Jahren stellten sich ihnen tausende Menschen in den Weg. Der einstige Höhepunkt im rechtsextremen Kalender ist für die Nazis zum Schlag ins Wasser geworden. „Netz-gegen-Nazis.de“ war vor Ort.

Dresdner Verhältnisse: Skandalprozesse in Sachsen

Schon das erste Urteil gegen Tim H. hatte für einen Aufschrei der Empörung gesorgt: Fast zwei Jahre Haft ohne Bewährung lautete das Urteil dafür, dass er bei einer Nazi-Demo in Dresden angeblich zum Durchbrechen einer Polizeiblockade aufgerufen haben soll. Konkrete Beweise dafür gab es indes nicht. Im Januar 2013 legte die Staatsanwaltschaft noch einmal nach: Sie will ein härteres Urteil.

Nicht der einzige Skandalprozess aus der sächsischen Landeshauptstadt: Seit Anfang April lief das Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, der Vorwurf lautete auf schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruch. Am 19. Februar 2011 soll König bei den jährlichen Gegenprotesten gegen die Nazi-Demo in Dresden zu Gewalt gegen die Polizei aufgerufen haben. Wie jedes Jahr begleitete König Jugendliche der Jungen Gemeinde Jena in seinem blauen VW-Bus – die Gewaltaufrufe sollen per Lautsprecher von diesem Bus aus erfolgt sein. Schon vor dem Prozess schienen die Vorwürfe absurd, im Verfahren wurde immer deutlicher, dass die Anklage auf tönernen Füßen steht. Im Juli gab es dann die überraschende Wende: Am 2. Juli entschied das Amtsgericht Dresden, den Prozess auszusetzen. Der Grund war entlastendes Videomaterial, das die Polizei der Verteidigung erst jetzt zur Verfügung stellte. Der ganze Vorfall reiht sich nahtlos in das Bild ein, das man vom Demokratieverständnis im Freistaat mittlerweile hat.

Viraler Hass: Neue Studie zu Rechtsextremismus online

Im Juli stellte jugendschutz.net seine neue Studie zu Rechtsextremismus online vor. Das Ergebnis: Für Rechtsextreme sind die sozialen Netzwerke der wichtigste Ort im Internet geworden, um vor allem Jugendliche zu erreichen, Hassbotschaften zu verbreiten und zu mobilisieren. Ein weiterer Befund: Der virale Hass wird immer brutaler.

Immerhin wird nun häufiger von Verurteilungen gegenüber rechtsextremen Facebook-Postern berichtet. Das größte soziale Netzwerk versucht verstärkt, gegen rassistische Parolen vorzugehen – vorausgesetzt, die Seiten oder Nutzerinnen und Nutzer werden gemeldet. Die Kommentare werden gelöscht, ihre Verfasserinnen oder Verfasser gesperrt. Die rechte Szene will das nicht akzeptieren und weicht auf Parallel-Netzwerke aus, die ihre volksverhetzende Propaganda dulden. Seit neuestem rückt nun das russische „vk.com“ bei Neonazis in den Vordergrund: Immer mehr Rechtsextreme, auch aus Deutschland, nutzen das „russische Facebook“, um ihre Hasspropaganda zu verbreiten – bisher ohne Konsequenzen.

BKA-Untersuchung: Verdacht auf mehr als 800 bislang ungezählte Opfer rechtsextremer Tötungsversuche

Wie viele Gewaltverbrechen in Deutschland werden eigentlich von Neonazis verübt? Anfang Dezember wird bekannt, dass das Bundesinnenministerium nach den NSU-Morden 3.300 unaufgeklärte Tötungsdelikte und Tötungsversuche auf mögliche rechtsextreme Motive hat überprüfen lassen. In 746 Fällen mit 849 Opfern aus den Jahren 1990 bis 2011 fanden die Ermittler Anhaltspunkte für eine „mögliche politische rechte Tatmotivation“. Die Überprüfung der so genannten Altfälle fand nach Angaben des Bundesinnenministeriums im Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus (GAR) statt. Nun sollen die Landespolizeibehörden die 745 Fälle von Tötungen und Tötungsdelikten mit 849 Opfern (nicht Todesopfern, deren Zahl noch unklar) erneut untersuchen.

Weitere Infos gibt es in den Jahresrückblicken aus den einzelnen Bundesländern:

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