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Wenn Wokeism schläft Fehlende Schwarze Solidarität mit Israel und dem Judentum

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Symbol Melone: Im Moment gilt die Wassermelone als Zeichen der Solidarität mit Palästina - sie hat die gleichen Farben wie die palästinensische Flagge. Zuvor war sie in den USA ein rassistisches Motiv, mit dem Schwarze Amerikaner*innen verächtlich gemacht werden sollten, da viele nach dem Ende der Sklaverei mit der Wassermelonen-Zucht ihren Lebensunterhalt verdienten. (Quelle: Unsplash / Floh Keitgen)

 

Jewish lives don’t matter?

Am helllichten Tage wird eine Frau von mehreren Männern vergewaltigt. Sie wälzt sich auf dem Boden, sie schreit verzweifelt nach Hilfe. Ein Zeuge, an eine Straßenlaterne gelehnt, blickt von seinem Smartphone auf. Das Opfer fleht ihn an. Er runzelt mit der Stirn und zuckt mit den Schultern. Während die Angreifer sich vergnügt an der Frau vergehen, kratzt und kickt sie die Täter, soweit es ihr möglich ist. Einige der Attackierenden fangen damit an, die eigenen Straftaten zu filmen. Sie lachen, sie posieren mit der Frau und machen sich über den Davidstern an ihrer Halskette lustig. Tränenüberströmt und mit bebender Stimme wendet sich das Opfer nochmals an den Zeugen.

„Du, es reicht jetzt“, weist der Zeuge seufzend ab. „Die Jungs werden wohl ihre Gründe dafür haben, sich auf dich zu stürzen. Wie bist du denn mit denen umgegangen? Ich meine, so was kommt nicht von ungefähr. Und schau mal, wie du angezogen bist. Dein zerrissenes Kleid ist geradezu eine Einladung.“

Anstatt der Frau auf der Stelle Beistand zu leisten, feuert der Zeuge ihre Peiniger an. Später teilt er die Videos im Internet und lobt das beharrliche Eingreifen der Vergewaltiger gegenüber der Frau. Und die Frau selbst? Sie wird dem Tode überlassen.

Das ist kein Spielfilmszenario, sondern die sinnbildlich geschilderte Zusammenfassung eines Verbrechens, das sich seit dem 7. Oktober immer wieder aufs Neue abspielt. Nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel werden jüdische Menschen überall zu Freiwild erklärt. Der Entzug der Empathie ist eine multikulturelle, grenzüberschreitende Angelegenheit. Es gibt eine bunte Ansammlung von normalerweise hyper-aktivistischen Zeug*innen, die nun ganz bereitwillig unterlassene Hilfeleistung begehen. Selbst Feministinnen schaffen es nicht, die von der Hamas in Israel massenhaft verübten Vergewaltigungen überhaupt zu thematisieren, geschweige denn konsequent zu verurteilen. Queere Gruppen liebäugeln sogar mit der Hamas, jener Bande von Terroristen, die die LGBTQ-Community in Gaza systematisch verfolgen und foltern. Ebenfalls auffällig und zutiefst beschämend ist das Schweigen vieler Schwarzer Menschen, die sonst über Menschenwürde und den Schutz der Unterdrückten ein Lied zu singen wissen.

„Unser gemeinsamer Kampf“

Joachim Prinz, der 1902 in Schlesien auf die Welt kam, war ein deutscher Jude. Mit 15 trat er der zionistischen Jugendorganisation Blau-Weiß bei. Er promovierte in Religionswissenschaften in Gießen und wurde 1926 zum jüngsten Rabbiner Berlins. In der Synagoge Friedenstempel im heutigen Ortsteil Halensee, unweit des Kurfürstendamms, reüssierte der Reformjude als enthusiastischer Verfechter der sozialen Gerechtigkeit. Doch die Zeichen standen auf Sturm. Kaum gelangten die Nationalsozialisten an die Macht, geriet Prinz ins Visier der Gestapo, die ihn mehrmals kurzzeitig festnahm. 1937 entkam er mit knapper Not in die USA. Ebenda löste er sich 1948 vom Zionismus, weil diese Bewegung sich in Anbetracht der Staatsgründung Israels erübrigt habe.

Ab 1958 diente Prinz als Präsident des American Jewish Congress, und in dieser Eigenschaft nahm er als der erste Rabbiner Kontakt zu einem aufstrebenden Schwarzen Baptistenprediger namens Martin Luther King auf. Denn Kings Charisma, Mut und Wissen faszinierten den Exilrabbiner zutiefst. Es war die Grundsteinlegung einer wertvollen Zusammenarbeit. 1963 zählte Prinz zu den Veranstaltern des Marschs auf Washington für Arbeit und Freiheit, und er war einer der Keynote-Redner auf der Demonstration vor dem Lincoln Memorial, bei der King seine monumentale „I Have a Dream“-Rede hielt.

King lobte den American Jewish Congress als „eine der wenigen Organisationen, die im Süden das Thema Integration voranbringen wollen.“ Ergänzend warnte King, es sei das Ziel der Rassist*innen, Sündenböcke zu benutzen, um ihre politische und soziale Herrschaft über alle Menschen zu erleichtern. „Unser gemeinsamer Kampf richtet sich gegen diese tödlichen Feinde der Demokratie, und unser Ruhm besteht darin, dass wir, wenn wir ausgewählt werden, zu beweisen, dass Mut ein Merkmal unterdrückter Menschen ist, egal wie zynisch und brutal ihnen volle Gleichheit und Freiheit verweigert wird.“

Jene zynische Brutalität zeigt damals wie auch heute immer wieder ihr hässliches Antlitz. Wie 1964 in Philadelphia, Mississippi. In der Hitze des Sommers und im Herzen des Südens machte ein FBI-Plakat die Runde. Drei Männer waren nebeneinander in Mugshot-Manier abgebildet. Ein Schwarzer namens James Earl Chaney in der Mitte, von den beiden Weißen Michael Schwerner und Andrew Goodman umsäumten. Die dringend Gesuchten waren jedoch nicht Tatverdächtige, sondern Vermisste. Alle drei gehörten der Bürgerrechtsorganisation Congress of Racial Equality („CORE“) an.

Der Afroamerikaner Chaney, 21, stammte ursprünglich aus Mississippi selbst. Schwerner, 24, und Goodman, gerade mal 20, waren jüdisch-amerikanische Kollegen aus New York City. Gemeinsam reiste das Trio der Freiwilligen im Rahmen des CORE-Projektes Freedom Summer durch das noch stark rassifizierte Dixieland, um bislang ausgegrenzte Schwarze für die kommenden Wahlen zu registrieren. Das gefiel den Weißen Rittern des Ku-Klux-Klans in dem 5.000-Seelen-Dorf Philadelphia wohl nicht. Drei Tage nach Fahndungsbeginn wurde der ausgebrannte Kombi von Chaney, Schwerner und Goodman am Rande eines Sumpfes vor Ort gefunden. Zwei Monate später entdeckte man ihre durchlöcherten Leichen in einem Erddamm auf einem nahegelegenen Bauernhof.

Laut der Obduktionsberichte hatten die Täter die drei Aktivisten vor der Hinrichtung gequält. Chaney war vor seiner Erschießung wiederholt schwer geschlagen und, typisch für einen Schwarzen, darüber hinaus kastriert worden. Seinen Kollegen Schwerner und Goodmann war direkt ins Herz geschossen worden. Goodmans Autopsie verrät zudem, dass der 20-Jährige Bruchteile roten Tons in seinen Lungen und halb geballten Fäusten hatte. Demnach war er noch bei lebendigem Leibe begraben worden. Der Hass des Ku-Klux-Klans auf jene Weißen, die sich der Emanzipierung Schwarzer Menschen verschrieben hatten, war besonders groß. Vor allem an gebildeten, vermögenden Juden aus dem liberalen Norden, wie Goodman und Schwerner, wurde ein sadistisches Exempel statuiert.

Im Jahre 1967 wurden sieben Angeklagte, darunter ein stellvertretender Sheriff, im Zusammenhang mit den Verbrechen für schuldig gesprochen. Keiner musste mehr als sechs Jahre verbüßen. Der mutmaßliche Drahtzieher, der örtliche Klan-Anführer Edgar Ray Killen, der übrigens nebenberuflich Baptistenprediger war, wurde allerdings erst 2005 wegen dreifachen Totschlages zu einer Haftstrafe von 60 Jahren verurteilt. Der Fall, der von den Bundesbehörden unter dem Titel „Mississippi Burning“ zu den Akten gelegt wurde, war die Basis für den 1988 erschienenen Spielfilm gleichen Namens.

Wie in Flammen aufgelöst

Der Terror des Klans und die schleppende Rechtsprechung gegen Hassverbrechen in den USA hielten das konfessionsübergreifende, multikulturelle Bündnis nicht davon ab, weiter zu machen. Dabei repräsentierten jüdischstämmige Männer wie Frauen einen überdurchschnittlichen hohen Anteil der am Kampf für Bürgerrechte beteiligten Weißen.

Sogar die Hälfte der jungen Aktivist:innen, die 1964 am Freedom Summer im Brennpunkt Mississippi teilnahmen, war jüdisch. Ja, gut 50 Prozent. Wiederum auch ältere Jüdinnen und Juden, darunter Holocaust-Überlebende, verließen den Komfort ihres bürgerlichen, Lebens zu Hause im Norden, um für Schwarze Bürgerrechte das Schlachtfeld des Südens zu betreten. Im Schweiße des Angesichts marschierten sie wörtlich mit, wie der ehemalige KZ-Häftling Rabbi Abraham Joshua Heschel, der 1965 Arm in Arm mit Martin Luther King den March nach Selma, Alabama, marschierte. Die Flammen, die sie mit Schwarzen zusammenschweißten, stellten die rassistische, antisemitische Brandstiftung des Klans in den Schatten. Doch das war nicht erst ein Phänomen der revolutionären 1960er Jahre.

Bereits 1909 hatte sich Henry Moscowitz, ein jüdischer Amerikaner rumänischer Herkunft, mit W. E. B. DuBois und anderen Schwarzen Intellektuellen zusammen getan, um die renommierte Bürgerrechtsvereinigung NAACP aus der Taufe zu heben. Zwischen 1910 und 1940 gründete der jüdische Philanthrop Julius Rosenwald sage und schreibe mehr als 2.000 Grund- sowie weiterführende Schwarze Schulen und darüber hinaus 20 Schwarze Colleges und Universitäten. Solche Loyalität seitens der jüdischen Gemeinde gegenüber der Schwarzen Community überspannte etliche Generationen und war auch 2020 deutlich zu erkennen, als die Ermordung von George Floyd Abermillionen Menschen mobilisierte.

Aber heutzutage? Kurz nach dem 7. Oktober 2023 postete Black Lives Matter („BLM“) Chicago ein Bild eines Gleitschirms, und zwar in Anlehnung an die Paragliders, mit denen die islamistischen Terroristen das Musikfest Supernova Rave in Israel just überfallen hatten. Die Schrift zum Bild prahlte schadenfroh: „Ich stehe an der Seite Palästinas.“ Mitgefühl mit den 1.500 Mordopfern? Fehlanzeige. Mehr als 25 BLM-Ortsverbände rechtfertigten den Terror als „verzweifelten Akt der Selbstverteidigung“.

Malcolm Ohanwe, der deutsche Journalist nigerianisch-palästinensischer Abstammung, zwitscherte auf X: „Wenn die Zunge der Palästinenser systematisch abgeschnitten wird, wie sollen sie sich mit Worten wehren? Wenn das Wahlrecht der Palästinenser unterbunden wird, wie sollen sie sich mit Kreuzen wehren?“ Was Ohanwe ignoriert, ist, dass die letzte Wahl unter der Hamas in Gaza 2006, also vor 17 Jahren stattfand, und zwar nachdem Israel sich bereits 2005 aus dem Streifen zurückgezogen hatte! Mit solch ätzend artikuliertem Halbwissen gelingt es Ohanwe eventuell, als Azubi beim arabischen Sender Al Jazeera anzufangen. Seine Jobs beim Bayerischen Rundfunk und Arte ist er immerhin nun los.

Dann gibt es an der UdK Berlin die Schwarze Professorin, die mir per Instagram schrieb: „Um [Israels] Selbstverteidigung handelt es sich nicht[,] da Gaza ein besetztes Gebiet ist und keine eigene Nation.“ An den Fakten vorbei. Geopolitik und Völkerrecht sind zwar eh nicht ihre Fachgebiete, in den wie Monologe aus dem Megaphon ausgestoßenen Narrativen, bei denen „Apartheid“ und „Kolonialismus“ Erwähnung finden, wähnen sich viele Israel-Kritiker:innen immerhin in einem Kampf gegen die weiße Vorherrschaft – davon abgesehen, dass es Schwarze Israelis gibt, die sich freiwillig und stolz für den Erhalt der einzigen Demokratie des Nahen Ostens einsetzen. Und welch blamable Ironie:

Die Wassermelone, Symbol des palästinensischen Widerstandes, wird von vielen pro-palästinensischen BIPoCs wie eine Monstranz vor sich hergetragen, obwohl die Frucht eine lange, hässliche Geschichte als rassistisches Meme hat. Auf jedweden Fall ist es zutiefst besorgniserregend, dass die Black Community, ob aus Hass, Ignoranz oder Angst davor, gegen Wokeism zu verstoßen, sich insgesamt weigert, die lange, opferbereite und fruchtbare Solidarität des Judentums anzuerkennen und bei allen legitimen politischen Unterschieden sich dazu ringt, Empathie und Einfühlungsvermögen zu zeigen.

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