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Wie der Terror legitimiert wird Kinder als politische Soldat*innen?

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Das Plakat macht auf Kinder aus Israel aufmerksam, die von der Hamas entführt worden sind. Foto aus Budapest. (Quelle: P. Gensing)

Es seien in Israel gar keine Zivilist*innen ermordet worden – das behauptete ein Vertreter der Hamas bei SKY News zu den Terror-Attacken vom 7. Oktober im Süden Israels. Der für die internationalen Beziehungen der Hamas zuständige Dr. Basem Naim sprach von zionistischer Propaganda und erklärte zudem nach energischen Nachfragen des SKY-News-Reporters, alle Israelis seien eben zwangsläufig auch Soldaten.

So zynisch diese Aussagen angesichts von ermordeten Familien, verschleppten Seniorinnen sowie dem Mord an Hunderten Festival-Besucher*innen auch erscheinen mag – sie sind Teil einer Strategie, um Terror zu relativieren und zu legitimieren. Und auf diese Strategie setzt längst nicht nur die islamistische Hamas. Eine Doktrin dabei lautet: Israelis (oder „Zionist*innen“) müssen immer Täter und dürfen nie Opfer sein; bei den Palästinensern soll es sich demnach genau andersherum verhalten. Dementsprechend grotesk und zynisch sind derzeit die rhetorischen Verrenkungen, um die blutige Realität passend in die starren Denkschablonen zu pressen.

Propaganda der Entmenschlichung in Hamburg

Beispielhaft hierfür ist eine Veröffentlichung der antiimperialistischen Organisation „Young Struggle“, die am Freitag, den 13. Oktober, in Hamburg für die „Solidarität mit Palästina“ auf die Straße gehen wollte. Bereits mit der Überschrift „Die Al-Aqsa Flut – Der Gefängnisausbruch des palästinensischen Volkes“ betreiben die Antiimperialist*innen das, was gemeinhin als Framing bezeichnet wird: Gaza als „Gefängnis“, der Terror-Angriff der Hamas als „Befreiungskampf“ des Volkes. Schlagworte statt Kontext: beispielsweise die Rolle Ägyptens bei der Abriegelung des Gazastreifens wird in dem Text nicht erwähnt, genauso wenig wie die Unterstützung für die Hamas durch das iranische Regime und die Tatsache, dass Israel 2005 die jüdischen Siedlungen in dem Küstenstreifen gewaltsam geräumt hatte. Bereits seit 2007 herrscht in dem Landstück nun de facto die islamistische Hamas, die seitdem unermüdlichen Aufwand betreibt, um aufzurüsten und Städte sowie Zivilist*innen in Israel anzugreifen. Der Ausbau der maroden Infrastruktur für die eigene Bevölkerung spielt eine untergeordnete Rolle.

Dahingegen achtet die Hamas akkurat darauf, die palästinensischen Kinder zu indoktrinieren und so zu potenziellen Killern heranzuziehen – so wie die Täter vom 7. Oktober den Massenmord an den Juden*Jüdinnen geradezu zelebrierten, die Opfer demütigten und stolz präsentierten. Der Glaube und die Überzeugung, solche Taten seien gerechtfertigt und sogar heldenhaft, sind nicht denkbar ohne eine systematische, flächendeckende und kontinuierliche Propaganda zur Entmenschlichung des Gegners (vgl. Time Magazine).

Familien als Kolonialist*innen

In dem Text von Young Struggle heißt es zu dem Mord an Hunderten Zivilisten im Süden Israels, es sei „wichtig zu erwähnen, dass es sich bei den Bewohner:innen der „Kibutzen“ (zionistische Siedlungen mit Kollektiv-Wirtschaft) nicht einfach um Zivilist:innen handelt. Sie sind der Stoßtrupp, der, in den meisten Fällen bewaffnet, von der IDF gedeckt die Kolonialisierung Palästinas vorantreibt. Jedes einzelne Kibutz steht für ein zerstörtes palästinensisches Dorf und hunderte ermordete und vertriebene Palästinenser:innen.“ [alle Fehler im Original]

Abgesehen von dem historischen Unsinn, dass „jedes einzelne Kibutz“ (gemeint ist Kibbuz) auf den Trümmern von arabischen Dörfern aufgebaut wurde, ähnelt die antiimperialistische Erzählung von den „Stoßtruppen“ sowie Zivilist*innen als „Kolonialist*innen“ in bemerkenswerter Weise der rassistischen Verschwörungstheorie über muslimische Migrant*innen, die allesamt – auch die Kinder – Teil einer Invasion bzw. eines geplanten „Volksaustausches“ seien. Genau auf diese Legende haben sich bereits verschiedene rassistische und antisemitische Terroristen berufen, um ihre Taten zu legitimieren.

„Legitimität des Befreiungsschlags“

Mitgefühl mit den Opfern fehlt in dem Text komplett hingegen, zwar heißt es [alle Fehler im Original]:

„Bilder wie die eines Technofestivals, welches in der Nähe des Gazastreifens stattfand, bei dem, Berichten zufolge, 260 feiernde Menschen in einem Angriff der Hamas getötet worden sind, sind  natürlich schockierend, genauso wie die Bilder einer entblößten Leiche einer IDF-Soldatin, was ganz klar auf ihr Frau-sein abzielt. Natürlich befürworten wir nicht die unnötige Ermordung von Zivilist:innen durch politisch-islamische Kräfte wie die Hamas und erst Recht keine patriarchalen Kriegspraktiken. Trotzdem ändert das nichts an der Legitimität des Befreiungsschlags.“

Man befürworte also nicht die „unnötige Ermordung“ von Zivilist*innen, so richtig dagegen mag man sich aber auch nicht aussprechen, zudem sei der „Befreiungsschlag“ dennoch legitim. Eine Distanzierung, die keine ist. Eine Rechtfertigungsschrift für Massenmord, in der die linksradikale Gruppe im Folgenden die Solidarität als Zärtlichkeit der Völker proklamiert – und damit offenkundig das Kuscheln mit palästinensischen Terrorist*innen meint, womit sie an eine lange Tradition anknüpft.

Von RAF-Terrorist*innen und Reichsbürger*innen

Schon die RAF kooperierte mit der palästinensischen PFLP, auf die sich nun auch Young Struggle beruft. Bei der PFLP handelt es sich ebenfalls um eine Terrororganisation, die in den 1970er Jahren durch Flugzeug-Entführungen für Angst, Schrecken und Tod sorgte. Die Unterorganisation PFLP-EO hatte traurige Berühmtheit durch die Entführung eines Flugzeugs nach Entebbe und der Selektierung jüdischer Passagier*innen erlangt. Auch später verübte die PFLP schwere Anschläge und tötete dabei unter anderem bei einem Anschlag im Westjordanland eine 17-Jährige.

Der ehemalige RAF-Terrorist Horst Mahler personifiziert das Bündnis von deutschen Antiimperialist*innen und Palästinenser*innen wie kaum ein anderer – wobei Mahler dann im Laufe der Jahre in den organisierten Rechtsextremismus wechselte, ohne sich ideologisch zu verändern, wie er mir bei einem langen Gespräch im Gefängnis in Brandenburg an der Havel erläuterte. Mahlers wahnhafter Judenhass und sogar seine Reichsbürger-Ideen erscheinen dabei kompatibel mit dem fanatischen Antisemitismus der Hamas und der Behauptung, der Staat Israel existiere gar nicht. Diese kontrafaktische Aussage findet sich ebenfalls in dem Text von Young Struggle, wenn sie schreiben:

„Angeführt durch die reaktionäre Hamas, aber unterstützt durch alle revolutionären und fortschrittlichen Organisationen Palästinas, überquerten die Militanten der verschiedenen Organisationen die innere Grenze und betraten das besetzte Palästina. [..] Es ist eben kein Krieg, keine Auseinandersetzung zweier Staaten, sondern ein unterdrücktes Volk das sich erhebt, abgesehen davon kann man in seiner eigenen Heimat kein Invasor sein.“

Selbst die Verwendung der Begriffe Heimat und Volk werden extrem rechte Aktivisten wie Mahler sicherlich ebenfalls so unterschreiben können. Über den Umweg von radikalen Strömungen des arabischen Nationalismus finden sich hier Überschneidungen zwischen verschiedenen politischen Milieus, die eigentlich entgegengesetzter nicht sein könnten.

Der angeführte Text ist zwar nur ein Beispiel, aber er zeigt: Einige europäische Linksradikale und palästinensische Terror-Gruppen sind sich weitestgehend einig bei der Dämonisierung aller Israelis und dem Ziel eines Palästinas „From the river to the sea“ – was in diesem Kontext nichts anderes bedeuten würde als die komplette Zerstörung Israels sowie einen millionenfachen Mord – der rhetorisch bereits geebnet wird durch die Markierung aller Israelis als „Kolonialisten“ und damit vermeintlich legitime Angriffsziele.

Die Differenzierung zwischen Guerilla und Terrorismus ist in linken Befreiungsbewegungen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder diskutiert worden. Bei dem Angriff der Hamas und weiterer Gruppen auf die Menschen im Süden Israels gibt es aber wenig zu differenzieren: Es handelt sich nicht um Guerilla mit fortschrittlichen Zielen, sondern um Terror in seiner reinsten Form, der von Gruppen in Europa noch relativiert und legitimiert wird. Eine verstörende Perspektive, die auch in der linksradikalen Bewegung auf Gegenwind stößt. An der Rote Flora in Hamburg steht beispielsweise auf einem großen Wandbild einfach aber treffend: „Killing Jews is not fighting for freedom!“

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