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Wie Medien mit rechtspopulistischen Positionen umgehen können

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Im ZDF hatte sie nichts zu sagen, im Internet wieder viel Text: Opferinszenierung, das kann AfD-Spitzenkandidatin Weidel. Und das sogar, wenn ihr niemand etwas getan hat, außer Fragen zu stellen. (Quelle: Screenshot Facebook, 06.09. 2017)

Das Verhältnis der AfD zu den klassischen Medien ist ambivalent:  Einerseits  kritisiert  sie  die  Medien  als  »Lügen«-, zumindest aber »Lücken-« oder »Pinocchio-Presse«. Die Partei fühlt sich von der Presse unfair behandelt. Heftige Kritik übt sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dieser sei zwangsfinanziert und undemokratisch (Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2017, S. 48). Kritische Journalist_innen werden von Parteiveranstaltungen ausgeschlossen – etwa Liane Bednarz auf dem Bundesparteitag im April 2017.

Gleichzeitig verfolgen die Rechtspopulist_innen eine klare Kommunikationsstrategie,  die  ihnen  eine  möglichst  hohe Präsenz in den Medien sichern soll. Was sollten Journalist_innen beachten, um sich nicht zu Verlautbarungsgehilfen  der  AfD  zu  machen  und  auf  ihre Strategie »Provokation – Zurücknahme – erneute Provokation«, die Medienlogiken so perfekt bedient, hereinzufallen?

 

Handlungsempfehlungen: Umgang mit rechtspopulistischen Positionen in den Medien

 

# Nicht provozieren lassen

Es muss nicht auf jede Provokation vonseiten der AfD reagiert werden. Die Partei muss auch nicht in jeder Talk-Runde vertreten sein, um eine ausgewogene Debatte führen zu können. Allgemein gilt: Wer Demagog_innen eine Plattform bietet, ob schriftlich oder im Bewegtbild, sollte diesen inhaltlich gewachsen sein.

 

# Die Debatte normalisieren

Informierte Debatten zu führen ist ein wichtiger Teil einer demokratischen Gesellschaft – doch wir müssen die Themensetzung  auf  Verhältnismäßigkeit  prüfen.  Menschenfeindliche  Positionen  sollten  lieber  referiert  als  direkt zitiert werden: Das bietet weniger Möglichkeit zur Selbstinszenierung. Auch Betroffene sollten zu Wort kommen.

 

# Sachlich kontextualisieren und politisch-inhaltlich berichten

Argumente  und  Ansichten  sind  vielfältig  zu  diskutieren, dabei liegt der Fokus auf der Sachebene. Analysen von Parteiprogrammen, Positions- und Strategiepapieren sind eine gute Grundlage für argumentativ fundierte Diskussionen.

 

# Menschenfeindliche Positionen benennen

Essenziell ist zu erläutern, warum menschenfeindliche Positionen problematisch sind. Auch hinter scheinbar konservativen Themen steckt häufig eine Abwertung von Minderheiten.

 

# Zahlen und Fakten hinterfragen

Zahlen und Fakten lassen sich am besten mithilfe fundierter Quellenanalyse und -kritik recherchieren. Bei Liveübertragungen kann dies etwa durch Live­Fact­Checking geschehen, also durch das Überprüfen des Gesagten. So können Diskussionsteilnehmer_innen direkt mit potenziellen Verzerrungen konfrontiert werden.

 

# Themen-Hopping unterbinden

Rechtspopulist_innen  arbeiten  mit  Ängsten,  Feindbildern und Mutmaßungen – an konstruktiven Lösungsvorschlägen sind  sie  selten  interessiert.  Journalist_innen  sollten  sich dessen bewusst sein und sich nicht auf Ablenkungsmanöver einlassen.

 

# Medien als Verifikationseinheit stärken

Transparenz, selbstkritischer Umgang mit Fehlern und den Informationsauftrag wahrzunehmen – das sollten Kernprinzipien  journalistischen  Arbeitens  sein.  Hierauf  kann  die Glaubhaftigkeit von Medienhäusern aufbauen.

 

# Gegenbilder entwerfen und Möglichkeiten aufzeigen

Betroffene von Hass und Abwertung sollten zu Wort kommen. Unerlässlich ist es, über die Debattenkultur zu streiten und einen wertschätzenden Umgang miteinander weiterzugeben – auch bei konträren Positionen.

 

# Zu Medienkompetenz und Quellenarbeit befähigen

Menschen  sollten  durch  politische  Bildungsarbeit  zu  Medienkompetenz und kritischer Quellenarbeit befähigt werden, die wiederum aufgeklärte Urteile zulassen.

 

Und bei Frau Weidels Auftritt?

Hier wird die Medienlogik massiv getriggert: Alice Weidel wird von den Mitdiskutanten angegangen, hat keine Argumente und geht einfach – und veröffentlicht danach auch noch ein Statement gegen die Moderatorin, die nichts dafür konnte, und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den die AfD ja eh abschaffen will. Pressekritik funktioniert in der Presse immer, Empörung auch. Die Berichterstattung ist zwar größtenteils AfD-kritisch, aber der AfD-Auftritt dominiert. Sinnvollerweise sei aber in der Berichterstattung zu erwähnen, dass es sich hierbei offenkundig um eine Inszenierung handelt – und inhaltlich klar zu machen, warum Frau Weidel diese Nebelkerze starten muss: Weil sie keine Argumente dazu hat, warum Rechtsextreme in ihrer Partei eine Heimat finden, die nicht ihr erwünschtes, wenn auch immer schlechter aufrecht zu erhaltendes  „bürgerlich-konservatives“ Bild beschädigen würden.  Und weil sie keine inhaltlichen Argumente hat, die eine Berichterstattung wert wären.

Wobei die AfD sich intern sich über nichts so sehr erregt hat wie darüber, dass die Presse in den vergangenen Wochen fast gar nicht mehr über sie berichtet hat. Insofern wäre ein Artikel, der sachlich über die Inhalte der TV-Show berichtet und Weidels Abgang nur am Rande erwähnt hätte, auch wohltuend gewesen…

 

 

Exkurs: Beispiel Sprache und Provokation – Das AfD-Strategiepapier

 

Die Sprachforscherin Elisabeth Wehling von der Berkeley University  in  Kalifornien  spricht  sich  dagegen  aus,  auf jede sprachliche Provokation der AfD einzugehen und sie breitzutreten: »Wenn sich die Medien auf die Angriffe als ›Lügenpresse‹ einlassen und beginnen, zu belegen, dass sie ehrlich sind, haben sie sich schon im Angriff des Gegners verheddert. […] Wenn wir Ideen wiederholen, propagieren wir sie in den Köpfen der Menschen – ob wir wollen oder nicht. Selbst wenn wir ›dagegen‹ sind. Das Negieren von Ideen stärkt sie – denken Sie nicht an einen rosaroten Elefanten!«

Das  ganze  Interview  mit  der  Berkeley-Linguistin  im  Tagesspiegel  findet  sich  unter  www.tagesspiegel.de/medien/sprachforscherin-elisabeth-wehling-wir-gehen-trump-immer-noch-auf-den-leim/19345710.html.

Das  Weitertragen  von  rechtspopulistischen  und  rechtsextremen Narrativen geschieht also häufig völlig unbewusst und selbst in Texten, in denen Kritik an solchen Positionen geübt  werden  soll.  Indem  wir  Vokabular,  Bilder  und  Botschaften übernehmen, steigern wir die Aufmerksamkeit für die Narrative der AfD. Die Partei ist sich dieses Umstandes sehr wohl bewusst und macht ihn sich zunutze. So heißt es im Strategiepapier der AfD zum Bundestagswahlkampf 2017 explizit: Gesucht wird eine »reflexhafte Eskalation« mit den anderen  Parteien:  Die  AfD  müsse  »ganz  bewusst  und  ganz gezielt  immer  wieder  politisch  inkorrekt  sein«.  Die  AfD dürfe »vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken«. »Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei. Sie braucht sich dessen nicht zu schämen, sondern muss sich selbstbewusst zu ihrer Aufgabe bekennen, dem Protest in Deutschland eine politische Richtung  und  ein  Gesicht  zu  geben.«  »Nicht  die  AfD  darf das Gespräch verweigern, die Altparteien müssen es ablehnen.« Ziel sind »wenige, sorgfältig ausgewählte und kontinuierlich bespielte Themen von Bedeutung. Sie müssen so aufbereitet und vermarktet werden, dass die AfD mit ihnen in der Öffentlichkeit identifiziert wird, ihre bisherigen Alleinstellungsmerkmale verteidigt und einige wenige neue hinzugewinnt.« Wichtiger ist »mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen. Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit,  harte  und  provokante  Slogans  sind  wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze, die es allen recht machen wollen.« Die Reaktionen und Befindlichkeiten anderer Teile der Gesellschaft seien für die AfD »von untergeordneter  Bedeutung«.  (Auszüge  aus  dem  Strategiepapier:  www.tagesschau.de/inland/afd-strategiepapier-101.html, 23.01.2017)

Die Aufgabe für die Medien besteht also darin, klug auszuwählen, wann eine Geschichte von öffentlichem Interesse ist. Genauso wichtig ist es, sich mit den Narrativen der AfD auseinanderzusetzen und zu vermitteln: Was sagen Vertreter_innen der Partei? – und was meinen sie damit? Denn die AfD  versucht  durchaus,  menschenfeindliche  Aussagen  zu verschleiern, um bürgerliche Wähler_innen anzusprechen. Weder Ekel noch Empörung oder Erregung dienen der Auseinandersetzung  mit  rechtspopulistischen  Positionen. Die Leserschaft sollte das Werkzeug an die Hand bekommen,  mit  denen  die  tagtägliche  Auseinandersetzung  –  ob verbal oder geistig – gelingt:

Parteiprogramme,  Positionspapiere  und  Veröffentlichungen analysierenStrategien  offenlegen  und  diesen  nicht  auf  den  Leim gehenmenschenfeindliche  Positionen  benennen  und  erläutern, warum diese problematisch sindpolitisch-inhaltlich  berichten  statt  über  Personen  und Machtfragen, wie es bei der AfD oft der Fall ist.

Die Spiegel-Journalistin Melanie Amann empfiehlt, Fragen von Journalist_innen sollten nüchtern, unaggressiv und ergebnisoffen sein, nicht auf die Person zielen, sondern auf politische Konzepte. »Wie genau würden Björn Höcke oder Alexander Gauland eine ›negative Obergrenze‹ von minus 200 000 Migranten im Jahr forcieren? Wie würden sie die Kandidaten für die jährliche ›Remigration‹ auswählen und auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich? Was tun, wenn die Ausgewählten Widerstand leisten, juristisch oder physisch? Was, wenn ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen?«

Auf diese Weise werden Forderungen der AfD mit der Realität konfrontiert, konsequent zu Ende gedacht. Außerdem:

Bruchlinien in der Partei aufzeigen, auf inhaltliche Widersprüche hinweisenAfD-Funktionär_innen mit internen Machtkämpfen konfrontierenhartnäckig  nach  Rollenverständnis  der  Partei  fragen: Fundamentalopposition oder regierungswillige Kraft?nach  anonymen  Spenden  fragen,  z.B.  der  verdeckten Spende in Form der Zeitung »Extrablatt«.

Weiterlesen:Melanie Amann: Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert, München 2017.

 

MEHR ZUM THEMA IN DER BROSCHÜRE „POSITIONIEREN. KONFRONTIEREN. STREITEN“:

»Überforderte Atemlosigkeit«: Interview mit Alice Lanzke,  freie Journalistin, Referentin und Lektorin sowie  Projektleiterin  bei  den  Neuen  Deutschen  Medien­machern.»Konkret nachhaken und eigene Schwerpunkte setzen!« Interview mit Sabine am Orde, innenpolitische  Korrespondentin  der taz.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der  Broschüre „Positionieren Konfrontieren Streiten -Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung. Mit aktueller Ergänzung. 

Sie können die Broschüre auf der Website  der Amadeu Antonio Stiftung als pdf herunterladen oder unter info@amadeu-antonio-stiftung.de gedruckt bestellen.

 

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