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Beobachtung durch Verfassungsschutz AfD wird „Prüffall“, JA und „Flügel“ werden „Verdachtsfälle“

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Jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet: Der "Flügel" der AfD. (Quelle: Screenshot Facebook)

Wer aus Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit fordert, Menschen in Deutschland unterschiedlich zu behandeln, argumentiert damit gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen – zum Verfassungsfeind wird man damit aber noch nicht. Dazu gehören Bestrebungen, die demokratische Grundordnung beseitigen zu wollen – wie es etwa Rechtsextreme tun, die die Demokratie als politisches und gesellschaftliches Prinzip ablehnen, ihre Institutionen angreifen und delegitimieren wollen.

Zumindest das Angreifen und Delegitimieren von staatlichen Institutionen gehört inzwischen in der AfD-Rhetorik zum guten Ton, und auch Kontakte in die rechtsextreme Szene sind gar nicht mehr selten (vgl. etwa eine Recherche der ZEIT zu rechtsextremen Mitarbeiter*innen der AfD, Artikel von BTN zum Thema). Für Teile der AfD gehört selbst die Verbreitung von rechtsextremer Ideologie dazu.

Doch bevor eine Partei Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) wird, muss geprüft werden, ob dies gerechtfertigt ist. Rund 450 Seiten umfasst das Gutachten, in dem dies nun geschieht.

Das Ergebnis: Die AfD als Gesamtpartei wird als „Prüffall“ eingestuft. Das ist die erste Stufe auf dem Weg zur Beobachtung. Und das heißt: Der Verfassungsschutz darf nun systematisch öffentliche Äußerungen und Verbindungen von AfD-Mitgliedern beobachten, aber keine nachrichtendienstlichen Mittel anwenden, um weiter herauszufinden, in welchem Ausmaß rechtsextreme Bestrebungen in der Partei festzuzstellen sind. Der Thüringer Landesverband der AfD ist bereits seit September 2018 ein „Prüffall“.

In der Begründung heißt es: „Die Anhaltspunkte, die eine Prüffallbearbeitung erfordern, ergeben sich im Wesentlichen aus Aussagen von Funktionären und anderen AfD-Mitgliedern. Besonders relevant waren hier jene Verlautbarungen, die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar sind. Dies betrifft sowohl völkisch-nationalistische wie auch muslimfeindliche und andere fremden- und minderheitenfeindliche Aussagen.“ (vgl. Verfassungsschutz.de).

Anders sieht es bei der Beurteilung des BfV zur AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative (JA)“ und bei der parteiinternen Vereinigung „Der Flügel“ mit dem Wortführer Björn Höcke aus. Diese beiden Organisationen werden als „Verdachtsfälle“ eingestuft. Das ist eine Stufe höher als ein Prüffall und bedeutet, dass auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden dürfen – V-Leute, Obvervationen, Speicherung der Daten von Personen, Überprüfung von Telekommunikation. Die JA wird bereits in Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet – vor allem wegen intensiven Verbindungen zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“, selbst ein Verdachtsfall beim BfV seit 2016.

Zur „Jungen Alternative“ meint das BfV: „Hinsichtlich der Jugendorganisation der AfD liegen dem BfV hinreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt. Es liegen klare Anhaltspunkte für eine migrations- und insbesondere muslimfeindliche Haltung der JA vor. So finden sich insbesondere im sogenannten „Deutschlandplan“, dem zentralen politischen Programm der JA, und in diversen Äußerungen von Funktionären Positionen, die die Menschenwürdegarantie eindeutig verletzen. Die JA richtet sich nach den bisherigen Erkenntnissen auch gegen das Demokratieprinzip. Des Weiteren zeichnet sich die JA-Programmatik durch die Missachtung rechtsstaatlicher Grundprinzipien, insbesondere des Gewaltmonopols des Staates und der Rechtsbindung der Verwaltung, aus.“ In einer „Fachinformation“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz heißt es außerdem, dass Aussagen der JA nahe legen, „dass sie die Würde des Menschen als obersten Wert der Verfassung nicht respektiert“. Sie ziele auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs und macht die, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehören, in eindeutiger Weise verächtlich. Beispiele seien muslimfeindliche und flüchtlingsfeindliche Aussagen sowie die Verbreitung der Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“, bei dem „das Volk“ abgeschafft und durch Muslim*innen und Migrant*innen ersetzt werden solle (vgl. BTN).

Auch zum „Flügel“ ist das BfV deutlich: „Das propagierte Politikkonzept ist auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletzt die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus zieht sich zudem wie ein roter Faden durch die Aussagen der „Flügel“-Vertreter. Einzelne Mitglieder des „Flügels“ weisen nach Informationen des BfV zudem Bezüge zu bereits extremistisch eingestuften Organisationen auf.“ Auch der „Flügel“ sehe den „Fortbestand eines organisch-einheitlichen Volkes“ als „höchster Wert“ an. „Der einzelne Deutsche wird als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. „Kulturfremde“ Nicht-Deutsche gelten als nicht integrierbar. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des „Flügels“ ist ein ethnisch homogenes Volk, welches keiner „Vermischung“ ausgesetzt sein soll.“ (vgl. Fachinformation des BfV).

Wenig überraschend will die AfD gegen die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und die Beobachtung rechtliche Schritte einlegen. Viele Argumente hat Alexander Gauland bei seinem Statement im AfD-Livestream nicht zu bieten: Zu einzelnen Aussagen ist das Argumente: „Ich kenne aber auch Menschen aus anderen Parteien, die haben so etwas auch schon gesagt.“, auch ist wieder einmal von „Einzelfällen“ die Rede. Alice Weidel ergänzt: „Wir wissen nun, warum Herr Maaßen geschasst wurde.“ Mit dem sei eine Beobachtung der AfD nicht möglich gewesen. Das ist wohl eine richtige Aussage. AfD-MdB Roland Hartwich ergänzt und widerspricht sich dabei selbst: Ansonsten sei die Verlautbarung des BfV ein „Nicht-Ereignis“, dass aber „schon Konsequenzen haben könne“.

Dies war etwa bei den „Republikanern“ der Fall, die nach einer ähnlichen Entwicklung durchlaufen haben: 1983 gegründet als rechtskonservative Partei, allerdings bereits rechtsaußen von der CSU angesiedelt, Wahlerfolge um 1989 durch Radikalisierung und Rassismus, etwa 7% der Stimmen bei der Europaparlamentswahl, 7,5 % der Stimmen bei der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses, weitere Radikalisierung, ab 1992 Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Rückzug verbliebener konservativer Kräfte, Ausbleiben von Wahlerfolgen, weshalb selbst rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise das Interesse an der Partei verlieren, weil die „Republikaner“ sich durch Mäßigung zu retten versuchen; anschließend: Versinken in der Bedeutungslosigkeit.

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