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„Aktionsbüro Mittelrhein“ Mammut-Prozess gegen Neonazis in Koblenz eingestellt – Rechtsextreme jubeln

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Am Dienstag wurden Verfahren gegen zwei führende Kader aus der rechtsextremen Szene eingestellt.

Seit 2012 stehen Mitglieder der militanten Neonazi-Gruppe „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Koblenz vor Gericht. Ihnen wurde unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Nun ist das Hauptverfahren beinahe sang- und klanglos zu Ende gegangen, weil die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden. Der Neonazi-Kader Sven Skoda schreibt, dass dieser Prozess eine „Blaupause für Ermittlunsgbehörden“ (sic!) hätte werden können, um rechtsextreme Strukturen zu schwächen, stattdessen sei er nun „eine Blaupause dafür geworden, wie das nicht funktioniert!“

Worum ging es in diesem Prozess?

Im März 2012 reagierte die Staatsanwaltschaft Koblenz mit 24 Hausdurchsuchungen und 30 Festnahmen auf den militanten Aktionismus der Vereinigung des „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM), einem Zusammenschluss mehrerer rechtsextremer Kameradschaften. Die Durchsuchungen betrafen Wohnungen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg.

„Aktionsbüro Mittelrhein“: Vernetzungsplattform für militante Neonazis

Den Angeklagten wurde die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Unter anderem sollen sie im sogenannten „Braunen Haus“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler Angriffe auf linke Organisationen in ganz Deutschland geplant haben. In dem Wohnprojekt hatte sich die rechtsextreme Szene mitten in der Provinz einen Anlaufpunkt geschaffen. Aus dem „braunen Haus“ heraus sollen auch die jährlich stattfindenden Naziaufmärsche organisiert worden sein, mit denen Rechtsextreme aus ganz Deutschland im benachbarten Remagen den deutschen Kriegsgefangenen auf den Rheinwiesen „gedenken“.

Auf das Konto des „ABM“ gehen zahlreiche gewalttätige Angriffe auf linke Aktivist*innen. Mitglieder des ABM machten „Anti-Antifa“-Arbeit, nahmen an paramilitärischen Trainingscamps teil und gaben in ihrem Haus politische Schulungen und veranstalteten Rechtsrock-Konzerte.

Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung

Am 20. August 2012 begann schließlich der Prozess gegen 26 Angeklagte, alle zwischen 19 und 54 Jahre. Der Vorwurf lautet unter anderem: Bildung, beziehungsweise Unterstützung der kriminellen Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“ nach Paragraph 129, gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In der etwa 1.000 Seiten dicken Anklageschrift heißt es, die Gruppe habe ein „Klima der Angst“ schaffen wollen, ihr Ziel sei die „Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gewesen.

Christian Häger bei einer Neonazi-Demonstration 2019 in Chemnitz

Zu den Rädelsführern dieser militanten Gruppe zählen unter anderem Sven Skoda, heutiger Bundesvorsitzender der neonazistischen Partei „Die Rechte“, Christian Häger, heutiger Vorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“, derJugendorganisation der NPD, leitete das Haus und Philip Neumann, besser bekannt als „Phil“, Sänger der rechtsextremen Band „Flak“. Alle drei sind heute Szene-Größen und erfahren durch ihre Kameraden Bewunderung, was nicht unwesentlich mit der Dauer und Intensität dieses Prozesses zu tun hat.

Szeneanwälte zogen das Verfahren absichtlich in die Länge

Während des Verfahrens kam es zu einer regelrechten Antragsflut der 52 Anwälte, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Jedem Angeklagten standen zwei Verteidiger zur Seite. Sie stellten über 500 Befangenheitsanträgen, rund 240 Beweisanträgen und über 400 Anträgen zum Verfahrensablauf. 2017 musst das Verfahren eingestellt werden, weil der vorsitzende Richter in Pension ging. Der zweite Anlauf wurde nach nur einem Verhandlungstag im Oktober 2018 aus formalen Gründen eingestellt.

Im Februar dieses Jahr startete der dritte Anlauf im Prozess gegen die Neonazis vom ABM. Zunächst waren noch 14 Verdächtige angeklagt, unter anderem wegen Angriffen auf politische Gegner*innen. Im Zuge des dritten Anlaufs hatte es in den vergangenen Monaten laut Gericht sieben Einstellungen und drei Urteile gegeben. Ein Angeklagter sei Ende August gestorben.

Im Hauptverfahren sei zuletzt nur noch gegen einen Angeklagten verhandelt worden, teilte ein Sprecherin des Landgerichts Koblenz dem SWR mit. In seinem Fall sei die Einstellung nun wie bei mehreren Angeklagten zuvor wegen Geringfügigkeit erfolgt, also weil Tatvorwurf und Prozessdauer nicht im Verhältnis standen.

Vom Hauptverfahren abgetrennt wurden unter anderem die Verfahren gegen Sven Skoda, heutiger Bundesvorsitzender der neonazistischen Partei „Die Rechte“ und gegen Christian Häger, heutiger Vorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“. Auch diese Verfahren wurden nun mit gleicher Begründung wegen Geringfügigkeit eingestellt, so Blick nach rechts.

Die beiden Neonazis werteten die Einstellung ihrer Verfahren als Sieg gegenüber dem Gericht – es ist ja auch einer. Über Szene-Kanäle verbreiteten sie ihre frohe Botschaft:

„Unterm Strich können wir sagen, dass wir heute den Saal 128 des Landgerichts Koblenz erhobenen Hauptes verlassen. Als wir wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung festgenommen wurden, war für uns sofort klar, dass dies ein Angriff auf politisch arbeitende Strukturen werden sollte. Ein Angriff auf einige, der viele andere Aktivisten abschrecken sollte und wohl auch abgeschreckt hätte, wenn wir anders damit umgegangen wären.“

Sven Skoda im Februar 2019 im Gericht

An den Tatvorwürfen, wie sie die Staatsanwaltschaft Koblenz in ihrer Anklageschrift 2012 erhoben hatte, hat sich auch in der nunmehr zu Ende gegangenen Hauptverhandlung nichts geändert. “Somit ist auch § 129 StGB Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen,” teile uns ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Da jedoch die Anklagen nach und nach vom Hauptverfahren abgekoppelt wurden, lässt sich die Anklage nicht mehr aufrecht halten, da im Hauptverfahren nur noch eine Person angeklagt war. Für eine Anklage nach Paragraph 129 – Bildung einer kriminellen Vereinigung –  braucht man jedoch mindestens drei Personen.

Signalwirkung in die neonazistische Szene

Dieser Prozess hätte eine „Blaupause für Ermittlunsgbehörden werden können, um den Aktionismus ganzer Regionen mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung trocken zu legen. Nun ist es eine Blaupause dafür geworden wie das nicht funktioniert!“ (sic!), so Skoda. Und damit wird er wohl leider Recht haben

Dieses Urteil wird eine Signalwirkung in die Szene haben. Sie wird sich weiter ermächtigt fühlen. Das ist fatal.

Das findet auch Rolf Knieper, Mitarbeiter bei „m*power“, einer Beratungsstelle für Betroffene rechter und antisemitischer Gewalt in Rheinland-Pfalz. Auch er war Teil des Prozesses, als Zeuge.  Im Zuge ihrer Aktivitäten gegen zivilgesellschaftliche Akteure in der Region Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen brachten die Neonazis des „Aktionsbüros“ einen GPS-Sender unter seinem Auto an, um so ein Bewegungsprotokoll zu erstellen. „Dass die ganzen Verfahren jetzt eingestellt sind, wird sowohl den Betroffenen als auch den Angeklagten nicht gerecht, obwohl die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit nach einer solchen Prozessdauer wohl wenig andere Möglichkeiten offengelassen hat. Es wäre schön, wenn im Hinblick auf zukünftige vergleichbare Fälle nicht nur extrem rechte Akteure aus diesem Fehlschlag gelernt hätten.“

Die Wirkung für die Neonazi-Szene die von diesem Verfahren ausgeht, ist das sie Schalten und Walten können, ohne dafür in angemessener Weise belangt zu werden und letztendlich ohne Urteil aus dem Gerichtssaal gehen können. Es wirkt in keiner Weise einschüchternd. Und so schreibt Skoda in seinem Statement:

„Also auf zu neuen Aufgaben, auch wenn es diese wieder in einen Gerichtssaal oder auch eine JVA führen sollten, ist klar, dass aufgeben niemals eine Option sein kann!“

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