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Anettas Kolumne Nie Wieder Krieg! Der Schlachtruf der Verantwortungslosen

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Unter Motto „Ami go home“ demonstrierte das rechtsextreme Compact-Magazin Ende 2022 gegen die Ukrainepolitik der Bundesregierung. Jetzt ruft das Magazin zur Teilnahme an der Wagenknecht-Schwarzer-Demo auf. (Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Als ich geboren wurde, waren Krieg und Shoa gerade erst neun Jahre her. Wir spielten neben Bombenruinen und sogar – obwohl es verboten war – auf ihnen. Die Luftschutzkeller sahen allemal intakter aus, als die abgebrochenen Brandwände der Häuser über ihnen. Berlin sah aus wie eine zahnlose Minka, die Häuserreihen hatten mehr Lücken als Gebäude. Die offenen Hauswände haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. In jedem Quadrat hatte vor den Bomben jemand gewohnt, gekocht, geschlafen. Die Menschen jener Zeit, vor allem Männer, ehemalige Soldaten der Wehrmacht, sagten angesichts der Ruinen: „Nie wieder Krieg!“. Und das floss ein in das Ideologiegebäude der DDR, in dem es nur einen Schuldigen am Gemetzel gab – Hitler und seine Monopolkapitalisten. „Nie wieder Krieg!“ kam als pazifistisch daher, bedeutete aber eine Abkehr von Verantwortung.

Von meinen Eltern hörte ich diesen Satz nie. Vielleicht war das der Grund für mein Unbehagen, wenn ich ihn zu hören bekam. Der Grund für diesen Unterschied lag in der einfachen Tatsache, dass meine Eltern als Juden und Kommunisten gegen die Nazis haben kämpfen müssen, und dass sie wussten, war geschehen wäre, wenn die gewonnen hätten. Es hatte vor Hitlers Angriffskrieg verschiedene Versuche gegeben, ihn mit Zugeständnissen zu besänftigen. Damals entstand das Wort Appeasement. Genutzt hat es nichts, im Gegenteil. Es hat die Nazis ermutigt.

Angesichts der Situation in der Ukraine „Nie wieder Krieg!“ zu rufen ist zynisch und verlogen. Weil den Rufenden dabei die konkrete Situation vor Ort egal ist. Als die Nazis ihre Nachbarn überfielen, dabei alles vernichteten, wie wäre da ein Manifest gegen Waffen für die Überfallenen angekommen? Was genau hätte das bedeutet? Liefert uns doch schon mal die Juden aus, damit wir sie abschlachten können? Gebt den Widerstand auf und lasst euch von uns versklaven? Vertraut doch auf Verhandlungen damit wir dann bei euch ein bisschen aufräumen und ermorden können, wer uns stört? Stellt euch doch schon mal in Dreierreihen auf, dann tut‘s auch nicht so weh?

„Nie wieder Krieg!“ ist ein Luxus, den die Opfer damals wie heute als pure Menschenfeindlichkeit erleben.

Das Manifest von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer kommt aus der Perspektive, die auch die ehemaligen Wehrmachtssoldaten teilten. „Nie wieder Krieg!“ weil sie das Ungemach des Krieges nicht noch einmal erleben wollen, weil es sie verletzt hat, weil es ihnen Gefangenschaft eingebracht hatte, weil sie gelitten und gemordet hatten und daran nicht erinnert werden wollen. In der Debatte um das Manifest geht es doch genau darum. Die Forderung, den Ukrainern keine Waffen mehr zu liefern, um ihr Leiden nicht zu verlängern gehört zu dieser Perspektive. Und die an die Schmach ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Das kann man den Opfern von einst nie verzeihen. Die Ukraine war von den Deutschen besetzt, dort wurde geraubt, vergewaltigt und gemordet. Später waren die Ukrainer Teil der Roten Armee und damit der Alliierten, die den Verbrechen der Wehrmacht ein Ende gemacht haben, indem sie sie besiegten. Mit Waffengewalt. Nicht mit Verhandlungen.

Heute ist Russland der Aggressor, der die Ukraine überfallen und seine Bevölkerung terrorisiert hat. Die bösartige Analogie, dass heute wieder deutsche Panzer gegen Russland rollen, verdreht die Tatsachen.

Wie können die Enkel der ehemaligen Wehrmachtsoldaten und einstigen Besatzer, die den Begriff Vernichtungskrieg durch ihre Verbrechen erschaffen haben, ein so hochmütiges Urteil fällen? Keine Waffen für die Ukraine bedeutet, keine Verteidigung. Sollen sie sich ihrem Schicksal ergeben? Und das entscheiden Frau Wagenknecht, Frau Schwarzer und all diejenigen, denen das Schicksal derer egal ist, die angegriffen werden? Wie viele Ukrainer stimmen den zu? Hat man sie gefragt?

Zwei Dinge rund um das Manifest finde ich interessant. Zum einen das Erstaunen der Initiatorinnen darüber, dass der Text auch in rechten, antisemitischen und völkischen Kreisen großen Zuspruch findet. Der Gedanke darin ist nicht fortschrittlich oder gar links, sondern ganz im Gegenteil antiwestlich, verschwörungsideologisch und von Hochmut getrieben. Wie könnte also die Rechte daran keinen Gefallen finden. Spätestens seit Pegida ist die Affinität zu Putins Russland als Bastion des „starken Mannes“ gegen den „dekadenten Westen“ gesetzt. Darin hat sich doch immer die Sehnsucht nach dem Autoritären und Rücksichtslosem ausgedrückt. Man erinnere sich an die russischen Fahnen oder die quergestreifen – halb russisch, halb deutsch. Sie sind geblieben die ganze Zeit, sie sind ein Symbol der Querfront geworden. Und seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gehören sie zur materiellen und intellektuellen Grundausstattung ebendieser Szene. Jetzt so zu tun, als wolle man die nicht dabeihaben, ist einfach verlogen.

Die andere Sache, die mir immer wieder auffällt, ist dass solche Ideologen große Überschneidungsmengen mit Israelhassern haben. Sie wissen, wie Putin Assad unterstützt und das iranische Regime. Hamas, Hisbollah und Terrorgruppen wie die MPLP – sie alle würden sich niemals für die Ukrainer und deren Wunsch nach westlicher Demokratie einsetzen und Putin verurteilen. Denn auch sie teilen das antiwestliche Feindbild, in dem die USA und Israel die Ursache allen Übels sind. In dieser Weltsicht gibt es nichts Konkretes, nichts Differenziertes, sondern eben nur Ideologie.

Zerbombte Häuser mit abgebrochenen Hausteilen und diesen Rechtecken, wo einst Zimmer waren, wie früher in Berlin sehen wir jetzt in Städten wie Charkiv oder Mariupol. Ich bin vor allem froh, dass die Mehrheit in Deutschland den geflüchteten Menschen aus der Ukraine hilft. Und dass die Wagenknechts und Schwarzers dieser Welt samt ihren Querfrontanhängern ihre Meinung sagen können. Wir hören euch zu, keine Frage. Und wir erkennen euren Zynismus und Hochmut. Was für ein Glück, dass Deutschland nach dem verlorenen Krieg die Demokratie geschenkt wurde! Ohne dieses Geschenk – nicht auszudenken!

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