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Angriff in Erfurt Urteil gegen den Angreifer vom CSD in Erfurt

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(Quelle: Unsplash)

Am 24. August 2019 fand in Erfurt der Christopher-Street-Day statt. Hunderte gingen auf die Straße, die Stimmung war ausgelassen und vor allem junge Menschen machten auf die Diskriminierung der LGBTIQA*-Bewegung aufmerksam. Der Tag diente aber auch dazu, sich selbst zu feiern. Es sollte ein schöner Tag werden – auch für Anna A.*

Für sie endete der Tag allerdings mit Kopfschmerzen, einem Hämatom an der linken Wange und einem Besuch im Krankenhaus, um sich ihre Verletzung bescheinigen zu lassen. Der Nachweis sollte ihr bei der Gerichtsverhandlung helfen. Bis heute ist die Erinnerung präsent. Lange begleiteten sie im Anschluss an den Tag Schlaf- und Essstörungen sowie weiter psychische Belastungen.

Kaum hatte sich am Nachmittag der Demonstrationszug in Bewegung gesetzt, kam es zur Konfrontation mit einer Männergruppe. Fünf Personen, beschimpften die Teilnehmenden, beleidigten und provozierten. Anna, die auf die Situation aufmerksam wurde, stellte sich dazwischen. Die Provozierenden, die durch ihre homofeindlichen Aussagen auffielen, gehörten offenkundig einem Junggesellenabschied an. Auf ihren T-Shirts stand „Gib dem Affen nichts zu essen, er schmeißt mit Kot“. Der Bräutigam, der in einem Affen-Kostüm steckte, stürzte  sich in das Handgemenge, holte aus und schlug Anna mit der Faust ins Gesicht. Seine Freunde hatten die Bierflaschen bereits umgedreht und zum Zuschlagen bereit in der Hand. So sagt es Anna am 17.06.2020 vor Gericht aus.

Der Angeklagte leugnet den Angriff. Auch von einem Handgemenge wollte er nichts wissen. Er wäre im Zeitstress gewesen, um einen Bus zu bekommen, habe lediglich schlichten wollen, weil es ein verbales Gefecht gegeben habe. An den Inhalt habe er sich allerdings nicht mehr erinnern können. Seine Freunde, die als Zeugen vorgeladen wurden, erinnerten sich ebefalls an keine körperliche Auseinandersetzung. Die Staatsanwaltschaft hält im Abschlussplädoyer fest, dass sie den zum Teil widersprüchlichen Aussagen der Entlastungszeugen keinen Glauben schenkt und daher an der Anklage der vorsätzlichen Körperverletzung festhalte.

Die Verteidigung beteuert hingegen die Unschuld des Angeklagten. Sie würde nicht bestreiten, dass die Geschädigte einen Schlag bekommen habe, aber der Angeklagte sei es nicht gewesen. Das sei lediglich in der Erinnerung hängen geblieben, weil er zum Tatzeitpunkt ein Affenkostüm anhatte. Ein rein psychologisches Phänomen.

Was über die gesamte Verhandlung nahezu unerwähnt bleibt, ist das Tat-Umfeld der CSD-Demonstration. In ihrer Zeugenbefragung weist Anna wiederholt darauf hin, dass sie immer noch nicht wisse, warum gerade sie den Schlag abbekommen habe. Der Angeklagte und sie hätten sich weder gekannt noch habe man miteinander gesprochen. Einen persönlichen Bezug habe es daher nicht geben können. Die einzig logische Schlussfolgerung, die ihr bliebe, sei das Gefühl, wegen ihrer Existenz angegriffen worden zu sein. Der Richter geht darauf nicht weiter ein und dennoch kommt er manchmal der Motivfrage nach, ohne sie konsequent aufzuklären.

Es bleibt an Anna, die Nebenklägerin ist, abschließend festzuhalten, dass ihr nicht an einer hohen Strafe gelegen ist, sondern sie möchte, dass das Gericht in seinem Urteil anerkennt, dass der Angriff sie zufällig getroffen hatte, weil sie in dem Moment des Angriffs für den Angreifer den CSD verkörperte. Während der Angeklagte bestreitet, dass er etwas gegen den CSD habe, ist sich Anna sicher, dass der Angriff gegen sie aus einer homofeindlichen Überzeugung heraus entstand.

Nach drei Stunden erhebt sich der Richter und erklärt den Angeklagten der Körperverletzung schuldig. Das Urteil und die Strafe von 60 Tagessätzen á 30 Euro dürften den 31-jährigen Marco S. empfindlich treffen. Sein Anwalt verkündete bereits, in Berufung gehen zu wollen. In seinem mündlichen Urteil kommt der Richter Annas Wunsch nach und betont, dass der Angriff vor allem ihr als Teilnehmerin des CSD gegolten habe. „Ich bin zufrieden mit dem Urteil, aber jetzt müssen wir abwarten, ob das auch in der schriftlichen Urteilsbegründung Erwähnung findet“, sagt Anna nach Verlassen des Gerichtsgebäudes. Sie läuft dabei in die offenen Arme von einem Dutzend Supporter*innen, die die gesamte Zeit vor dem Gebäude ausgeharrt hatten, um ihre Solidarität mit Anna zu zeigen und auf das Tatmotiv hinzuweisen. „Ich bin wahnsinnig dankbar für die Unterstützung“, sagt Anna und sie wirkt erleichtert. Man merkt ihr an, welche Last ihr von den Schultern fällt. Noch ist das Urteil zwar nicht rechtskräftig, aber ein erster Teilerfolg ist geglückt.

*Name geändert

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