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Assoziationen und Bemerkungen „Zone of Interest” und der 7. Oktober

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Hedwig Höß (Sandra Hüller) vor der Mauer, die den Horror von Auschwitz verbirgt. (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited)

Kann und darf man die Singularität des Zivilisationsbruchs Shoah filmisch abbilden? Und wie geht das? Mit „Zone of Interest” versucht sich Jonathan Glazer daran. Doch anders als seine Vorgänger*innen, ob Steven Spielberg („Schindlers Liste”, 1993), Roberto Benigni („Das Leben ist schön”, 1997) oder jüngst László Nemes Jeles („Son of Saul”, 2016) versucht der Regisseur gar nicht erst die passenden Bilder für die unvorstellbaren Gräuel zu finden. Das hat seinerzeit auch Claude Lanzmann in seinem Opus Magnum „Shoah” (1985) vermieden und ausschließlich Interviews mit Zeitzeug*innen und Aufnahmen der Gedenkstätten oder von Überresten der ehemaligen Lager verwendet, denn, so heißt es zu Beginn des Films: „Das kann man nicht erzählen; das übersteigt jede mögliche Darstellung“.

Glazer geht einen anderen Weg. Er lässt uns nicht sehen, sondern vielmehr hören und das auch noch aus nahezu reiner Täterperspektive. Im wahrnehmbaren Hintergrund spielt die Betroffenenperspektive immer eine Rolle, aber nur als allgemein wahrnehmbare, nicht als konkrete, als Ton nur, mehr als Form denn als Inhalt. Das macht den Film zu einer körperlich so schwer erträglichen Erfahrung, zu einer Zumutung, im besten Sinn. Der Film ist nicht wie andere leicht konsumierbar, das soll er auch nicht. Wie ein guter Horrorfilm zeigt er das eigentliche Monster nicht, den industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen*Juden. Bis zum Schluss sieht der Zuschauer keine Selektion oder Leichenberge. Zu sehen sind Schornsteine und angedeutete, heranrollende Züge.

Den Zivilisationsbruch hören?

Die Zuschauenden sind zum Zuhören gezwungen. Ab Minute eins ist das Röhren der Krematorien zu hören, vereinzelt Schüsse, Geschrei, kurzum der alltägliche und unalltägliche Schrecken des Lagers. Der Lageralltag aus der Perspektive der Täter also. Aus sicherer Distanz hinter der Lagermauer. Der Rest passiert im Kopf der Zuschauer*innen. Damit verlässt sich Glazer darauf, dass sein Publikum weiß, was Auschwitz ist, was die Shoah. Man muss den Schrecken nicht zeigen, die vermeintlich authentischen Monster, die Täter aber schon.

Auf die „Authentizität” der Geräuschkulisse sind die Macher*innen besonders stolz. Minutiös haben sie versucht zu rekonstruieren, was nicht zu rekonstruieren ist. Zeitzeugenberichte, der exakte Grundriss der Kommandantenvilla wie die Entfernung zum Lager flossen in die mehr als elf Jahre lange Entstehung des Films mit ein. Während die bildliche Darstellbarkeit von Auschwitz, die moralischen Grenzen und das Für und Wider der filmischen Abbildung der Shoah immer wieder große Debatten auslöste, stellt sich beim Ton kaum jemand diesen Fragen. Dabei trifft dieser unmittelbarer das Ohr als das Bild das Auge.

Zuhause bei den Tätern?

„The Zone of Interest” zwingt in eine beobachtende Perspektive, lokalisiert im Alltag derer, die engstens mit der Koordination und der Organisation der   Vernichtung verbunden waren: die des Lagerkommandanten Rudolf Höß. Als „Big brother in a Nazi house” beschrieb Glazer die Cinematografie seines Films. Anstatt mit unterschiedlichen Einstellungen, Brennweiten und mobilen Kameras zu arbeiten, setzte der Filmemacher auf verstecke, fest-installierte Kameras mit geringer Brennweite. Die Bilder und Räume werden dadurch noch tiefer, die Zuschauenden kleiner, es entsteht eine unheimliche Distanz.

Auch der Ton und das Sprechen in der Villa wurden mittels versteckter Mikrofone aufgezeichnet. Die Schauspieler*innen sollten sich unbeobachtet fühlen, frei und „authentisch” aufspielen können. Unbeobachtet sein, wie die echten Täter*innen, im weit abgesperrten „Interessengebiet”, nach dem der Film benannt ist. Gleichzeitig schafft diese Entscheidung Beklemmung und Distanz; Distanz zwischen Werk und Regisseur. Die Kameras und Mikrofone fangen nur ein, was am Set passiert. Das schafft ein ganz eigenes Gefühl der Beklommenheit, bedeutet aber auch, dass der Regisseur ein Maß an Verantwortung abgibt und sich absichert. Absichert vom erwartbaren Vorwurf, eine reine Täterperspektive abzubilden. Doch so radikal ist der Film doch nicht. Die Täterperspektive erfährt filmisch einen Bruch.

Keine Banalität des Bösen?

In der breiten öffentlichen Rezeption des Films war immer wieder zu lesen, er zeige die „Banalität des Bösen”, das „banale” Leben der Familie Höß inmitten des Zivilisationsbruchs. Hannah Arendts oftmals missverstandener Begriff zur Beschreibung Eichmanns wurde  erneut bis zur Unmissverständlichkeit überspannt. Rudolf Höß, verkörpert von Christian Friedel, handelt nicht banal. Das Leben der Familie Höß in Anbetracht des Zivilisationsbruchs mag filmisch umgesetzt banal erscheinen und Höß im absoluten Gehorsam handeln, aber nicht im blinden  – die Nazis würden sowieso darauf beharren, dass ihre Taten aktive Gefolgschaft waren und kein passiver Gehorsam. Wie der Film sehr früh anhand einer Szene mit den Ofenbauern von „Topf & Söhne“  deutlich macht, die geradezu überambitioniert sind, die das Morden noch effizienter machen, bevor jemand danach verlangt.

Der Dienst an der Volksgemeinschaft verlangt die aktive Mitarbeit. Später wird in Oranienburg deutlich, Höß will den befohlenen Massenmord im Rahmen seines Entscheidungsspielraums besser und effizienter umsetzen als befohlen. Er weiß genau, was er warum tut und darin ist er gut. Die drohende Versetzung in die Verwaltungszentrale ist auch eine Kränkung seines beruflichen Könnens: der Organisation des industriellen Massenmords an Jüdinnen*Juden. Er will die „Sache”, gemeint ist die Deportation und Ermordung der über 700.000 ungarischen Jüdinnen*Juden selbst zu Ende bringen. Seine Frau Hedwig, gespielt von Sandra Hüller, stellt das banale Familienidyll sogar so weit hinter „die Sache”, dass sie alles daran setzt, als Pionierin für den „Lebensraum” im Osten in Auschwitz bleiben zu dürfen. Ein Spannungsfeld: Die Darstellung von Höß und seiner Familie darf weder vermitteln, es handele sich hier um „Monster”, noch so tun, als habe man es einfach mit ganz normalen Menschen zu tun.

Die Darstellung von nationalsozialistischen Täter*innen als Monster und Sadisten schafft Entlastung. Die Figur Amon Göth aus „Schindlers Liste” hat mit „uns” nichts zu tun. Das Unbegreifliche wird auf begreifliche Distanz gebracht – mit Eike Geisel gesprochen. Auch wenn es solche sadistischen Gewalttäter gab, beruhte auf ihnen nicht der industrielle Massenmord. Unsichtbar gemacht wird in einer solchen Darstellung die Vernichtung als Arbeit, der Dienst, für den Höß seine Arbeit hielt. Glazer vermeidet deshalb Darstellungen körperlicher Gewalt oder ungezügelter Wutausbrüche. Die bösartigen Beleidigungen von Hedwig Höß einer Gefangenen gegenüber zeigen sich nicht in Rage, sondern in körperlicher Gezügeltheit und Zivilisiertheit. Hier sollen keine Monster gezeichnet werden.

Der Film tappt eher in die andere Falle und suggeriert, es handele sich um ganz normale Menschen, die „nur” ihren Job machen, die sich zur „Herrenrasse” zählen und andere Menschen hassen, weil es ihnen befohlen oder gesagt wird. Aber so Recht versteht man diesen Hass nicht, weil die Ideologie unterbelichtet bleibt. Antisemitische Sätze werden im Film wenige gesagt, die Ideologie der Nationalsozialisten muss man kennen, um sie im Film zu sehen. Tatsächlich wird der Film fälschlicherweise als Parabel für Dehumanisierung im Allgemeinen gelesen und Glazer selbst scheint auf das eigene Werk reinzufallen. Auschwitz als zeitloser, scheinbar räumlich losgelöster Maßstab für gut und böse. Dabei war Auschwitz das größte Vernichtungslager des Nationalsozialismus und ist aus gutem Grund später zur Chiffre für das geworden, was danach erst Holocaust und heute Shoah genannt wird. Gegen den Regisseur selbst könnte man den Film verteidigen und darauf beharren, dass hier der Zivilisationsbruch Thema ist, der auf eliminatorischem Antisemitismus beruhte  – und gerade nicht jeder x-beliebige Krieg.

Im Film zeigt sich Entmenschlichung vor allem durch das Alltagshandeln der Täter*innen und das, obwohl der Zuschauer so nah dran ist. Wenn Rudolf Höß nur noch Empathie für Pferde und Hecken aufbringen kann, wenn Hedwig Höß den luxuriösen Lippenstift aus dem Hab und Gut eines Häftlings begehrt, ihn kurz aufträgt, nur um ihn gleich wieder wegzuwischen, weil sie sich ob ihres Begehrens ertappt fühlt.

Glazer warnte in seiner Oscar-Rede vor Dehumanisierung, die er als gemeinsame Grundlage sieht für die Shoah wie den Krieg in Gaza. Das Publikum klatschte frenetisch. Es kostet ja auch nichts. Diese Aussage ist auf bizarre Weise banal. Sie stimmt und sagt dennoch nichts über die Shoah wie den 7. Oktober, geschweige denn den Gaza-Krieg. Wo nach dem Angriff der Hamas von „Monstern” oder von „Barbarei” gesprochen wurde, da ist das eine Reaktion auf die genozidale Gewalt des Angriffs. Sie mag entmenschlichend sein, wir mögen sie moralisch ablehnen. Mit der Dehumanisierung der Shoah hat das aber nichts zu tun. Es gibt hier keine Analogisierung, die Gleichsetzung ist fatal. Die Nazis reagierten nicht auf irgendeine Gewalt, auf einen Angriff „der Juden”. Die Gleichsetzung relativiert den eliminatorischen Antisemitismus der Nazis – und sie verklärt die genozidale Gewalt der Hamas. Sie bereitet die Verherrlichung vor.

Banal wie eindrücklich ist lediglich die Schlussszene, die den Zuschauer mit der Banalität, die Erinnerung nun auch einmal bedeutet, konfrontiert. The „Zone of Interest” ist ein guter Film über die Shoah, eben weil er so unbequem und uneindeutig ist. Weder lädt er zur Entlastung ein, noch versucht er, die Dehumanisierung der Täter zu erklären. Doch er ist keiner über den aktuellen Gaza-Krieg. Wo das behauptet wird, wird der Film wie sein Stoff auf bizarre Weise verkannt.

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