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Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Handlungsempfehlungen

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(Quelle: Unsplash)

Gesellschaftskritik nicht Demokratiefeind*innen überlassen

Europas Antwort auf den russischen Angriffskrieg führt in Deutschland zu ernsthaften sozialen und politischen Verwerfungen. Das belegen konkrete Maßnahmen der Bundesregierung: das Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr, der Gaspreis-Deckel und mehrere Entlastungspakete. Wie alle politischen Entscheidungen stehen auch diese nicht jenseits der Diskutier- und Kritisierbarkeit. Für gelebte Demokratie und gegen Propaganda und Desinformation einzustehen, heißt stets, Debatten zu führen und Kritik zuzulassen. Dabei sollte demokratiefeindlichen Narrativen und Verschwörungsideologien allerdings kein zusätzlicher Raum gegeben werden – obwohl die Grenzen zwischen zulässiger Kritik und als politische Forderung getarntem Ressentiment nicht immer leicht zu erkennen sind. Deshalb ist es wichtig, die Kipppunkte zwischen beidem im Blick zu behalten und gesellschaftspolitische Debatten zu fördern, die frei von Menschenfeindlichkeit sind.

Mehr Komplexität wagen

Kremlnahe Propaganda inszeniert Russland als Land, das sich der imperialistischen und ausbeuterischen Machtpolitik des Westens entgegenstellen würde. Nicht zuletzt darauf gründet ihr Erfolg. Russlands eigene Hegemonieansprüche erscheinen in diesem Narrativ als legitime Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen. Eine wirksame Gegenstrategie darf diese Darstellung nicht einfach umdrehen. Gegen die Täter-Opfer-Umkehr des Kreml anzukämpfen, heißt nicht, jeglicher Kritik an europäischer und US-amerikanischer Außenpolitik einen Riegel vorzuschieben. Gefragt ist eine komplexere Sichtweise, die die Welt nicht bloß in Schwarz und Weiß einteilt.

Antiamerikanismus ist ein Problem

Die Falschbehauptungen russischer Propaganda finden weltweit bei unterschiedlichen Gruppen Anklang: Nazis und autoritäre Rechte, antiimperialistische Linke, Friedensbewegte und Globalisierungskritiker*innen verschiedenster Couleur. Das verbindende Element sind Ressentiments und Verschwörungsideologien, die die USA zur alleinigen Wurzel allen Übels deklarieren. Antiamerikanismus muss als menschenfeindliche Ideologie ernstgenommen und durch Aufklärungsangebote bearbeitet werden. Nicht selten steht er im Zusammenhang mit einem antisemitischen Weltbild. Dabei ist ein Antiamerikanismus, der die USA dämonisiert sowie schlicht als Projektionsfläche nutzt, von differenzierenden Kritiken der US-amerikanischen Außenpolitik zu unterscheiden – getreu dem Motto: Wer vom Imperialismus der USA spricht, sollte auch vom Imperialismus Russlands und der Sowjetunion nicht schweigen.

Handlungsempfehlungen an die Politik

Juristisch gegen Desinformation vorgehen

Als unmittelbare Reaktion auf die russische Invasion verbot die EU die kremlfinanzierten Auslandsmedien RT und Sputnik. Das Verbot ist jedoch recht einfach zu umgehen. Auch in den sozialen Medien verbreiten sich nach wie vor Links zum verbotenen Sender sowie weitere Falschmeldungen. Gegen Desinformation noch konsequenter juristisch vorzugehen und Verstöße zu sanktionieren, erschwert ihre Verbreitung. Geboten ist ebenfalls das De-Platforming – der Ausschluss von einer Social-Media-Plattform – von Kanälen und User*innen, die Falschmeldungen in Umlauf bringen.

Bedrohungslagen ernst nehmen, Unterstützungsangebote aufbauen

Politiker*innen, Journalist*innen und zivilgesellschaftlich Aktive erleben Anfeindungen und Bedrohungen, wenn sie sich der Desinformation entgegenstellen. Das war schon in der Vergangenheit bei Menschen der Fall, die sich mit rechtsextremen oder verschwörungsideologischen Szenen auseinandergesetzt haben. Bei russischer Desinformation kommt erschwerend dazu, dass die Bedrohungslage unübersichtlich ist. Gefahrenpotenzial geht nicht nur von Verschwörungsideolog*innen und Putin-Befürworter*innen aus, sondern ebenfalls von russischen Geheimdiensten, die auch in Deutschland aktiv sind. Diese Bedrohungslage ist unbedingt ernst zu nehmen. Aufmerksamkeit verdienen auch jene, die sich oftmals alleine gegen ihre gesamte Community stellen, in der kremlnahe Propaganda erfolgreich verankert ist. Unterstützungs- und Vernetzungsangebote sind hier besonders wichtig.

Mehr Fokus auf Sozialpolitik & Demokratisierung

Verschwörungsideologien sind Krisenerscheinungen. Es reicht nicht aus, ihnen diskursiv entgegenzutreten, vielmehr sind die Narrative Ausdruck verinnerlichter Weltbilder. In unsicheren Zeiten dienen sie zur Personifizierung gesellschaftlicher Prozesse und bestimmen  Schuldige, statt nach Ursachen für Probleme zu suchen und konstruktive Änderungsvorschläge einzubringen. Ein Handeln, das sich gegen Verschwörungsideologie und Desinformation richtet, ist stets politisches Handeln, das die Bedingungen, die zur Krise geführt haben, abzuschaffen versucht: eine kluge, umsichtige und gerechte Sozialpolitik; die Demokratisierung aller Lebens- und Gesellschaftsbereiche (inklusive Wirtschaft, Polizei und Bundeswehr); sowie die Einbindung möglichst aller Menschen im die Gestaltung des Zusammenlebens. Auch Sozial- und Wohlfahrtsverbände, die eine große Kompetenz in Fragen von Sozialpolitik und Armutsbekämpfung haben, sollten sich tatkräftig in sozial- und innenpolitische Diskussionen einmischen, z. B. um die Umlage gestiegener Energiekosten. Ihre Forderungen könnten sie dort lauter und vehementer vertreten.

Demokratieförderung mehrsprachig gestalten

Demokratieförderprogramme unterstützen bereits Projekte, die sich an migrantische und post-migrantische Communitys richten. Das ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Bei der Vergabe von Fördermitteln sollten jedoch verstärkt Ressourcen für mehrsprachige Bildungs- und Informationsangebote eingeplant werden.

Eigene Verstrickungen kritisch reflektieren

Medienberichte haben gezeigt, dass deutsche Politiker*innen und Wirtschaftsunternehmen aktiv an der Durchsetzung russischer Interessen in Deutschland beteiligt waren. Das ist so lange unproblematisch, wie die wirtschaftlichen Interessen Russlands einen für die Marktwirtschaft üblichen Charakter tragen – und nicht zur Meinungsmanipulation, Erpressung und der bewussten gesellschaftlichen Destabilisierung eingesetzt werden. Diese Verstrickungen kritisch aufzuarbeiten und nötigenfalls davon Abstand zu nehmen, ist ein wichtiger Schritt, um die Verbreitung russischer Desinformation einzudämmen.

An die Medien

Mechanismen und Funktionsprinzipien von Propaganda offenlegen

Welche grundsätzlichen Mechanismen und Wirkungsweisen haben Verschwörungsideologien und Desinformation? Wie sind sie zu identifizieren, ohne jedes Narrativ im Detail zu kennen? Mediale Aufklärung zu Medien- und Quellenkompetenz ist ein Schlüssel, um Desinformation frühzeitig zu erkennen und ihrer Verbreitung präventiv entgegenzuwirken.

Einseitige Darstellungen vermeiden – Medien pluralisieren

Mediale Darstellungen müssen migrantische und postmigrantische Lebensrealitäten vielschichtiger und komplexer darstellen. So werden die verheerenden Folgen der fehlenden Anerkennung von Bildungsabschlüssen oder das teils willkürliche Vorgehen bei der (Nicht-)Anerkennung von Berufsjahren bei der Rentenberechnung von Migrant*innen mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion bislang nicht als Probleme der deutschen Gesellschaft verhandelt. Sie erscheinen als marginales Phänomen, das nur den äußersten Rand der Gesellschaft betrifft. Das begünstigt schlimmstenfalls, dass (post-)migrantische Gruppen sich nicht der deutschen Gesellschaft zugehörig fühlen, und bereitet den Nährboden für die Übernahme demokratiefeindlicher Positionenaus dem Ausland. Dasselbe gilt aber auch für die verbreitete und einseitige Darstellungrusslanddeutscher Communitys als AfD-affin und Putin-freundlich. Menschen, die in ihrem Umfeld gegen russische Propaganda ankämpfen, müssen sehen, dass sie mit ihrer Haltung nicht alleine dastehen. Dies ist ebenso wichtig, wie Möglichkeiten zur Teilhabe und Selbstwirksamkeit auszubauen.

Deutschland braucht mehr mehrsprachige Medienangebote

In Deutschland leben viele Menschen, die nicht oder nicht nur Deutsch sprechen. Mehrsprachige Informationsangebote tragen dazu bei, die Herausbildung von Filterblasen zu verhindern. Auch die Entwicklung von Unterhaltungsformaten auf Russisch könnte dabei helfen, dem in russischsprachigen Communitys verbreiteten Konsum russischer Staatsmedien entgegenzuwirken.

An Schulen und Bildungsträger

Mehrsprachig arbeiten – Vorhandene Expertise nutzen

Die Aufklärungsarbeit gegen kremlnahe Propaganda und Desinformation profitiert ebenfalls davon, wenn Workshops und Bildungsmaterialien nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Russisch angeboten werden. Die bei Bildungsträgern und Projekten zur Radikalisierungsprävention bereits vorhandene Expertise zu Desinformation, Medienkompetenz und Verschwörungsideologien lässt sich dabei gut nutzen. Vorhandene Informationsmaterialien zu diesen Themen müssen übersetzt und um den spezifischen Kontext des Russland-Ukraine-Kriegs angereichert werden.

Antislawismus thematisieren

Das Narrativ einer um sich greifenden Feindschaft gegenüber allem Russischen ist ein Kernelement kremlnaher Auslandspropaganda. Diese Behauptung ist stark übertrieben und baut auf Falschmeldungen auf, dennoch sind diskriminierende Vorurteile gegen Russ*innen und andere Menschen mit postsowjetischem und osteuropäischem Migrationshintergrund in Deutschland weit
verbreitet. Sie bereiten auch in Schulen den Nährboden für rassistische Anfeindungen. Antislawismus muss deshalb in schulischen und außerschulischen Kontexten zum Thema werden. So leistet man nicht nur einen Beitrag gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, sondern auch gegen die russische Propagandamaschinerie.

Präventiv handeln

So wie andere Ungleichwertigkeits- und Verschwörungsideologien gerinnen auch kremlnahe Narrative und antiamerikanistische Ereignisdeutungen sukzessive zu einem geschlossenen Weltbild, dem sich dann nur noch schwerlich entgegentreten lässt. Insbesondere bei Jugendlichen muss deshalb präventive Aufklärungsarbeit geleistet werden.

Im privaten Umgang

Es gibt keinen universalen Weg, mit Menschen umzugehen, die von der Wahrheit kremlnaher Desinformation überzeugt sind. Wenn Sie in Ihrem Umfeld Menschen haben, die das sind, können folgende Überlegungen helfen, selbst eine geeignete Vorgehensweise zu wählen:

Ziel des Kontakts festlegen

Auseinandersetzungen mit Menschen, die den Glauben an die Narrative des Kreml über Jahre aufgebaut und gestärkt haben, sind langwierig und können sehr belastend sein. Falls in Ihrem Umfeld jemand diese Narrative vertritt, überlegen Sie sich, welche Ziele Sie mit dem Kontakt zu dieser Person verfolgen.

Möchten Sie die andere Person davon überzeugen, dass sie unrecht hat? Möchten Sie vielleicht der Person widersprechen, um zu demonstrieren, dass sie Grenzen überschreitet oder dass nicht alle Menschen so denken wie sie? Oder möchten Sie um jeden Preis die Beziehung zu der Person aufrechterhalten, weil die Person Ihnen wichtig ist – auch wenn das bedeutet, dass Sie dieses Thema meiden? Je nach Ziel können Sie ein anderes Vorgehen wählen. Achten Sie dabei auch auf Ihre eigenen Grenzen.

Nicht Fakten, sondern Werte und Emotionen

Die kremlnahe Propaganda ist raffiniert, es kann passieren, dass man darauf hereinfällt. Manche verteidigen die Narrative jedoch auch wider besseres Wissen und trotz einer Vielzahl von Argumenten, die auf den fehlenden Wahrheitsgehalt von Aussagen hinweisen. Diese Menschen sind nicht Opfer von Propaganda, sondern Anhänger*innen gefährlicher, menschenverachtender Ideologie. Kremlnahe Propaganda stiftet in besonders hohem Maße Identität. Das kann zu einer emotionalen Bindung führen, die zu stark ist, um rein durch Argumente und Faktenchecks zerstört zu werden. Möglicherweise hilft eine Auseinandersetzung um die dahinter liegenden Wertvorstellungen und ein Austausch darüber, wie man sich die Welt jeweils wünscht und vorstellt.

Es kommt auf das Setting an

Falls Sie sich für ein Gespräch mit Ihren Angehörigen entschieden haben, sprechen Sie am besten vertraulich, unter vier Augen. Nehmen Sie sich Zeit und nehmen Sie Ihr Gegenüber ernst. Auch wenn die Argumentationen Ihnen irrational oder unlogisch erscheinen, versuchen Sie, die Beweggründe
Ihres Gegenübers zu verstehen. Wenn Sie widersprechen, tun Sie es in der Sache und nicht in der Emotion.

Die Publikation

Weitere Teile der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ – Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine der Amadeu Antonio Stiftung erscheinen in den nächsten Tagen.

Aus dem Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Worauf zielt Desinformation?

3. Narrative

3.1 Was steht hinter Krieg und Propaganda?

3.2 Russische Propaganda: Zwischen Desinformationskampagne und Verschwörungsideologie

3.3 Feindbild Ukraine

3.4 Der Westen als Feind

4. Grenzüberschreitende Desinformationskanäle auf Russisch

4.1 Russische Propaganda als deutsches Problem

4.2 Quellen der Desinformation in Russland

5. Wie wird in Deutschland kremlnahe Desinformation verbreitet?

5.1 „Alternative Medien“

5.2 Social Media

5.3 Putin-Freund*innen in der Politik

6. Handlungsempfehlungen

6.1 Strategische Überlegungen zum Umgang mitkremlnaher Propaganda und Desinformation

6.2 Handlungsempfehlungen

Die Broschüre als PDF zum Download finden Sie hier:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/eine-waffe-im-informationskrieg-demokratiefeindliche-narrative-in-russlands-angriffskrieg-gegen-die-ukraine/

 

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Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Wie wird in Deutschland kremlnahe Desinformation verbreitet?

Deutsche Akteur*innen und Messenger-Kanälen verbreiten kremlnahe Narrative über den Russland-Ukraine-Krieg und kommentieren Geschehnisse in Deutschland aus kremlfreundlicher Perspektive kommentieren. Die „Beweiskette“ für Propaganda operiert effektiv über Sprach- und Landesgrenzen hinweg. Ein Auszug aus einer Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung.

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Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Putin-Freund*innen in der Politik

Kremlnahe Narrative verbreiten in Deutschland nicht nur Akteur*innen auf Social Media oder Webseiten aus der verschwörungsideologischen Medienlandschaft. Auch Politiker*innen von Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, reproduzieren derartige Erzählungen. Ein Auszug aus der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ der AAmadeu Antonio Stiftung.

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