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Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Grenzüberschreitende Desinformationskanäle auf Russisch

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(Quelle: Unsplash)

Russische Propaganda als deutsches Problem

Die Verbreitung von Verschwörungsideologien und Desinformation sowie die Manipulation der öffentlichen Meinung verantworten in Russland höchste Stellen – von Politik und Verwaltung über staatsnahe Medien bis hin zu prominenten Meinungsmacher*innen. In Russland ist Desinformation und Verschwörungsideologie somit Staatsdoktrin, die mit Milliarden von Rubeln subventioniert wird. Das ist ein entscheidender Unterschied zu Deutschland, wo Anhänger*innen von Verschwörungsideologien außerhalb ihrer Filterblasen meist in der Minderheit sind.

Täglich produziert die finanziell gut ausgestattete Propagandamaschine in Russland eine große Menge an Content: Video und Print, Erklärungen von Politiker*innen, Meldungen von Presseagenturen, Prime-Time Nachrichten, Posts in Telegram-Kanälen und TikTok-Videos. Wäre dies in Deutschland der Fall, hätten Eva Herman und Jürgen Elsässer die gesamte Medienberichterstattung übernommen und Nena und Xavier Naidoo wären die einzigen Stars, die öffentlich auftreten dürften. 17,9 Milliarden Rubel hat sich der Kreml die Propaganda alleine im ersten Quartal des Jahres 2022 kosten lassen. Die Bedeutung der Propagandamaschine wird auch daran deutlich, dass in der Stadt Cherson schon in der ersten Märzwoche – wenige Tage nach der Besetzung der Stadt durch russische Truppen – 24 russische Propaganda-Fernsehkanäle sowie drei Radiosender die Sendefrequenzen übernahmen, die zuvor lokalen ukrainischen Sendern gehört hatten. Propaganda ist eine Waffe, die genauso ins Feld geführt wird wie Panzer und Raketen. Die Ausgaben für die Propaganda sind im ersten Kriegsmonat im Vergleich zum Vorjahr um das Dreifache gestiegen. Der Topf versiegt nicht, es kommt immer etwas nach.

In Kapitel 2 haben wir bereits angeführt, dass die russische Propagandamaschine auch in und für Deutschland produziert. Laut Bundesinnenministerium stellt sie für die Gesellschaft in der Bundesrepublik eine „hybride Bedrohung“ dar, weil sie „die Absicht verfolgt, das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben und durch das Befeuern polarisierender Themen gesellschaftliche Konflikte zu entfachen oder zu vertiefen.“

Quellen der Desinformation in Russland

Die Produktion von Desinformation und antidemokratischer Ideologie in Putins Russland erfolgt auf mehreren Ebenen. Drei Ebenen, auf denen Desinformation verbreitet wird, wollen wir hier noch einmal gesondert betrachten: russische Politiker*innen; staatsnahe Medien; und nicht zuletzt Akteur*innen in den sozialen Medien.

Russische Politiker*innen

Die meisten der führenden Politiker*innen und Staatsbediensteten in Russland vertreten offen ein verschwörungsideologisches und imperialistisches Weltbild, das zudem homophob und queerfeindlich, rassistisch und antisemitisch ist. Das führt zum einen dazu, dass sie ihre Politik auf der falschen Prämisse einer weltweiten antirussischen Verschwörung aufbauen. Zum anderen haben ihre propagandistischen Aussagen hohes Gewicht: Die Äußerung eines Präsidenten oder Außenministers wiegt schwerer als die eines anonymen Telegram-Kanals.

Interview von Margarita Simonjan mit Sergej Lawrow (russischer Außenminister) für RT, Sputnik und andere Medien der RT-Gruppe. Simonjan fragt Lawrow: „Diese ganze Agenda: Sie haben die Grüne Wende erfunden, LGBT, #MeToo, Black Lives Matter, (…), das Verbot, Muttermilch Muttermilch zu nennen und Mütter Mütter … Die Menschen denken: Wofür ist das? Was ist die Idee dahinter? Wer steuert das? Wer profitiert davon? (…) Was denken Sie, was steht dahinter?“ Lawrow: „Wir können mit unserer Analyse nicht verstehen, wofür das alles nützlich ist. Es ist unmöglich zu verstehen, warum man einen Menschen, der spezielle Neigungen hat, nicht einfach seinen Neigungen überlässt. Warum muss man daraus eine Bewegung machen? Die einzige Erklärung, die ich habe – das habe ich nicht selbst erfunden, sondern bei westlichen Denkern gelesen –: Manche progressiven Philosophen, die Imperialismus und Kolonialismus ablehnen, sagen, die Goldene Milliarde – wer und wie viele Personen auch immer an der Spitze dieser Goldenen Milliarde stehen – wollen die Bevölkerung reduzieren, weil die Ressourcen auf der Welt sowieso nicht für alle ausreichen. Und wie ein russischer Komiker einst gescherzt hat: Es soll weniger von uns geben.“

Wladimir Putin (Präsident) bei seiner Rede am 30. September 2022 zur Annexion der Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. „Im Grunde nutzt die amerikanische Elite die Tragödie [der] Menschen, um ihre Konkurrenten zu schwächen, um Nationalstaaten zu zerstören. Das betrifft auch Europa, das betrifft die Identitäten von Frankreich, Italien, Spanien und von anderen Ländern mit jahrhundertelanger Tradition. Washington verlangt immer neue Sanktionen gegen Russland, und die meisten europäischen Politiker willigen gefügig ein. Sie verstehen doch klar, dass die USA, indem sie eine völlige Abkehr der EU von russischen Energieträgern und anderen Ressourcen durchdrücken, auf eine praktische Deindustrialisierung Europas hinauswollen, darauf, den europäischen Markt vollkommen an sich zu reißen – sie verstehen alles, diese europäischen Eliten, aber sie bevorzugen es, fremde Interessen zu bedienen.“

Dmitrij Medwedew (ehemaliger Präsident und Ministerpräsident, Vorsitzender der Partei Einiges Russland) auf seinem fast eine Million Follower starken Telegram-Kanal am 21. Juli 2022: „Ihre Sünden (woran Russland keine Schuld trägt) 1. Daran, dass die europäischen Dummköpfe von den Amerikanern zynisch abgezockt wurden, indem sie gezwungen wurden, die schmerzlichsten Folgen der Sanktionen gegen die Bevölkerung der EU auf sich zu nehmen. […] 6. Daran, dass die Verrückten, die sich die Führung der EU nennen, endgültig die Verbindung mit der Realität verloren haben und die unglücklichen Ukrainer dazu zwingen, ihr Leben zu opfern, um der EU beizutreten. […] 8. Daran, dass die NATO sich, entgegen aller Logik und gesundem Menschenverstand, weiterhin den Grenzen Russlands nähert und auf diese Weise die reale Bedrohung eines weltweiten Konflikts und des Sterbens eines bedeutenden Teils der Menschheit schafft. […] 9. Daran, dass nach dem Umsturz 2014 die Ukraine ihre staatliche Unabhängigkeit verloren hat und unter direkte Steuerung des kollektiven Westens geraten ist, und dass die Ukraine angefangen hat, daran zu glauben, dass die NATO für ihre Sicherheit sorgen wird. […] 10. Daran, dass die Ukraine als Ergebnis der Ereignisse den Rest ihrer staatlichen Souveränität verlieren und von den Landkarten der Welt verschwinden könnte. […]“

Russische (Staats-)Medien

In Russland gibt es keine unabhängigen Fernsehsender, Radiosendung oder Zeitungsredaktionen mehr. Am 4. März 2022 trat das so genannte „Gesetz über Fakes“ in Kraft, das bis zu zehn Jahre Gefängnis für alle diejenigen vorsieht, die den Krieg in der Ukraine Krieg nennen und nicht „Spezialoperation“. Damit wurden alle Medien vor die Wahl gestellt, entweder das Land zu verlassen, ihre Arbeit einzustellen oder sich an der kremlnahen Desinformation zu beteiligen.

Die übriggebliebenen kremlnahen Medien kuratieren Politiker*innen, die Putin nahestehen: Sergej Kirijenko, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung – und ehe maliger Ministerpräsident Russlands in der zweiten Regierungszeit Jelzins – überwacht das Internet und die digitalen Medien. Klassische Medien wie Print und Fernsehen fallen in den Aufgabenbereich von Kirijenkos Amtskollegen Sergej Gromow. Regelmäßig wer den Argumentationsleitfäden zu politischen Ereignissen für die Medien ausgearbeitet und weitergereicht. Die Propagandamedien erhalten in diesen Leitfäden Vorschläge für Argumentationsweisen, um auf bedeutende Ereignisse zu reagieren. Als Putin am 21. September 2022 die Teilmobilmachung verkündet hatte, lauteten die Empfehlungen des Leitfadens unter anderem: „Die Menschen davon überzeugen, dass sie zusammenhalten müssen angesichts der Bedrohung durch die NATO, sie daran erinnern, dass die Angriffe der Ukraine auf russischem Territorium und gegen Russ*innen stattfinden und das Land sich deshalb verteidigen muss, und nicht zuletzt betonen, dass es nur 1 % der Personen treffen wird, die zum mobilisierbaren Potenzial des Landes gehören.“ Diese Narrative werden von regierungstreuen Medien teils im Wortlaut übernommen. Aber auch Medien, die nicht dem Staat gehören, übernehmen sie „freiwillig“, um ihre gute Zusammenarbeit mit dem Kreml zu demonstrieren.

Das Fernsehen ist das Leitmedium in Russland, auch in ländlichen Gebieten haben die meisten Menschen Zugang zu einem Fernseher. Kanäle aus Russland sind auch unter postsowjetischen Migrant*innen in Deutschland beliebt und verbreitet. Sie werden über Satellit oder über das Internet empfangen. Das ist der kürzeste Weg der Kreml-Propaganda in die deutsche Gesellschaft: über Millionen deutscher Staatsbürger*innen, die regelmäßig russischsprachiges Fernsehen konsumieren.

Beispiel 1: Wladimir Solowjow

Wladimir Solowjew ist Moderator der Sendung „Der Abend mit Wladimir Solowjow“ auf dem Sender Rossija 1, des Weiteren moderiert er „Solowjow Live“, das im Internet ausgestrahlt wird. Sein Telegram-Kanal hat fast 1,4 Millionen Abonnent*innen. Im Rahmen eines Workshops mit dem Titel „Wie man Fake News erkennt und sich nicht manipulieren lässt“ zum russischen Schuljahresstart 2022 sagte er vor einem Saal voller Jugendlicher: „Acht Jahre lang haben sie Kinder umgebracht. Acht Jahre! Und wir haben endlich geantwortet. Und sie töten weiter und werden vom Westen unterstützt, dem die Tränen von Kindern egal sind. Der kein Mitgefühl Russen gegenüber hat, der auch der Meinung ist, dass es Russen nicht geben soll.

Und jeder von euch ist schuldig dadurch, dass er in Russland geboren wurde. […] So wie wir Juden [Solowjow ist jüdischer Herkunft, Anm. d. Red.] Ende der 30er Jahre in Deutschland verdammt waren zur vollständigen Vernichtung, der Endlösung der Judenfrage. Genauso sind dieselben pseudo-zivilisierten Menschen jetzt der Meinung, dass die russische Frage für immer gelöst werden muss. Die russische Kultur muss vernichtet werden, weil sie uns erzogen hat. […]

Wir sind die Nachfolger der größten Tradition, eines ewigen Kampfes gegen das Böse. Wir stehen auf als der Beschützer, während das Böse vermeintlich triumphiert.
Wir treten der gesamten Welt entgegen, und Mal für Mal erschaffen wir jene Arche, die die Menschheit rettet. Wir sind das größte Land. Nicht weil wir am besten leben, nein. Auch nicht, weil wir die höchste Lebenserwartung haben, nein. Wir sind das größte Land, weil wir die größte Bestimmung haben: Wir führen Krieg auf der Seite des Guten.

Wir stehen auf und verdecken die Kinder, die die Ukro Nazis töten, mit unseren Körpern. Wir führen Krieg auf der Seite des Guten. […] Russische Menschen sind immer bereit, für ein höheres Ziel zu sterben. Nicht für Mc Donald‘s. Nicht für Kentucky Fried Chicken. Für eine höhere Wahrheit. Wir wissen nie, wann die Heimat sagt: Es muss sein. Das hängt von Millionen von Bedingungen ab. Aber wir müssen bereit sein. Wir müssen uns unsere Bestimmung bewusst machen. Ihr seid die nächste Generation. Und mit euch hört die Geschichte auf oder sie geht weiter. Das ist eine Antwort, die nur jeder von euch geben kann. Das ist eine Antwort, die gar nicht einfach ist. Sie kommt aus dem Bewusstsein, aus dem Verständnis, aus dem Glauben an die große Bestimmung.“

Beispiel 2: Olga Skabejewa und Jewgenij Popow

Olga Skabejewa und ihr Ehemann, Jewgenij Popow, der zugleich Duma-Abgeordneter für die Partei Einiges Russland ist, moderieren gemeinsam die Talksendung „60 Minuten“, die auf dem Fernsehsender Rossija 1 ausgestrahlt wird.

In der Sendung am 29. April 2022 betonten Skabejewa und Popow die überragende Leistungsfähigkeit des russischen Militärs und die angebliche Unfähigkeit Europas, sich gegen einen russischen Angriff zur Wehr zu setzen. Dabei besprachen sie, u. a. mit einem weiteren Duma-Abgeordneten, wie lange eine in Kaliningrad gestartete russische Nuklearrakete des Typs „Sarmat“ (die bei den Streitkräften allerdings noch nicht einge führt wurde) bis zu den Hauptstädten Euro pas brauchen würde. Die Antwort wird auf einer Info-Grafik eingeblendet: 106 Sekunden bis Berlin, 200 Sekunden bis Paris, 202 Sekunden bis London.

Beispiel 3: Dmitrij Kisseljow

Kisseljow leitet das staatliche Medienkonglomerat Rossija Sewodnja zu dem etwa RIA Novosti, aber auch RT gehören. Bekannt ist er auch als Moderator der beliebten Nachrichtensendung „Neuigkeiten der Woche“ auf dem staatlichen Sendern Rossija 1. Ausgehend von einem Artikel der BILD-Zeitung log Kisseljow, dass Robert Habeck den Deutschen gesagt haben soll, sie sollten sich weniger waschen. Er verfasste einen zehnminütigen Beitrag in den Primetime-Nachrichten darüber, dass die Europäer*innen schon immer sehr unreinlich waren und deshalb viele Krankheiten hatten, wohingegen Russ*innen durch ihre Banja-Kultur schon immer sehr reinlich gewesen wären.

Eine wichtige Rolle nehmen auch Nachrichtenagenturen (also die Entsprechung etwa zur Deutschen Presseagentur) ein, z. B. RIA Novosti. Im Minutentakt kommen auf ihrer Internetseite oder im Telegram-Kanal, der allein über 2 Millionen Abonnent*innen hat, neue Meldungen an, die aufgenommen und weiterverbreitet werden.


Die Publikation

Weitere Teile der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ – Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine der Amadeu Antonio Stiftung erscheinen in den nächsten Tagen.

Aus dem Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Worauf zielt Desinformation?

3. Narrative

3.1 Was steht hinter Krieg und Propaganda?

3.2 Russische Propaganda: Zwischen Desinformationskampagne und Verschwörungsideologie

3.3 Feindbild Ukraine

3.4 Der Westen als Feind

4. Grenzüberschreitende Desinformationskanäle auf Russisch

4.1 Russische Propaganda als deutsches Problem

4.2 Quellen der Desinformation in Russland

5. Wie wird in Deutschland kremlnahe Desinformation verbreitet?

5.1 „Alternative Medien“

5.2 Social Media

5.3 Putin-Freund*innen in der Politik

6. Handlungsempfehlungen

6.1 Strategische Überlegungen zum Umgang mitkremlnaher Propaganda und Desinformation

6.2 Handlungsempfehlungen

Die Broschüre als PDF zum Download finden Sie hier:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/eine-waffe-im-informationskrieg-demokratiefeindliche-narrative-in-russlands-angriffskrieg-gegen-die-ukraine/

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