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Corona-Demos Wohin entwickelt sich das bundesweite Protest-Milieu?

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Corona-Proteste in Saarbrücken, 19.12.2021, Unkenntlichmachung von Belltower.News. (Quelle: flickr.com/ Kai Schwerdt / CC BY-NC 2.0CC-by-)

Das Jahr 2022 beginnt, wie das alte geendet hat. Auf den Straßen vieler Bundesländer treffen sich montags oder an anderen Tagen Tausende Querdenker:innen bzw. Gegner:innen der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie. Teilweise sind die Demos so groß, dass die Polizei das geltende Recht nicht mehr durchsetzen kann. In einigen Bundesländern, z.B. in Sachsen bestehen restriktive Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, in anderen Bundesländern ist das nicht der Fall. Dass die Demos nicht angemeldet werden, ist allerdings per se noch kein Argument gegen diese. Schließlich haben alle Deutschen nach Grundgesetz das Recht zur Versammlung ohne Waffen und ohne Anmeldung.

Teilnehmer:innen: Immer noch heterogen

Sowohl in den Medien als auch unter Expert:innen hat die Analyse begonnen, wer da eigentlich demonstriert und von wem die Demonstrationen ausgehen. Ähnlich wie bei der ersten Protestwelle (spätes Frühjahr 2020 bis Herbst 2020) spricht erst einmal einiges dafür, dass wieder ein sehr heterogenes Spektrum auf der Straße ist. Die Bilder aus den Städten und kleinen Ortschaften zeigen junge und alte Menschen, Frauen und Männer sowie vereinzelt auch Kinder.

Gleichzeitig zeigen die Bilder, in der Regel an der Front der Demonstrationen, demokratiefeindliche junge Menschen, die nicht selten aus der Neonazi-Szene, dem Hooligan-Milieu oder anderer rechtsradikalen Gruppen stammen. Zu erkennen sind diese Teilnehmer:innen sowohl an der verwendeten Symbolik (z.B. von Bannern oder dem Mitführen von Pyro-Technik), an der szeneüblichen Kleidung (bestimmte Marken) sowie an den Sprechchören. Von diesen Gruppen geht in immer mehr Städten des Landes Gewalt aus. Sie marschieren bewusst auf Polizeiketten oder Polizeiabsperrungen zu, suchen die körperliche Konfrontation und bekommen diese auch. Mal gelingt es dann, eine Kette zu sprengen, dann laufen in der Regel auch die anderen Demonstrierenden hin durch, mal gelingt es nicht, dann versucht die ehemalige Demo-Front einen neuen Weg durch die Stadt (z.B. in Magdeburg, 3.1.2022).

Rechtsextreme nehmen teil? Das ist zu harmlos

Dass rechtsextreme und rechtsradikale Gruppen an den Protesten teilnehmen, ist 2022 nicht mehr neu. Dies war bereits in der ersten Protest- und Demowelle der Fall. Teilnehmen klingt zudem sehr harmlos. In vielen Fällen nehmen diese Gruppen nicht nur teil, sie steuern oder beeinflussen die Demonstrationen sowohl im Vorfeld (Organisation, Verbreitung) als auch im Verlauf (siehe Demo-Front-Gruppe). Dennoch lässt sich derzeit nicht erkennen, dass die Mehrheit dieser Demonstrationen mehrheitlich aus Rechtsextremen oder Rechtsradikalen besteht. Dazu müssten genauere Untersuchungen und Demo-Beobachtungen durchgeführt werden. Sicherlich variiert das Teilnehmendenfeld auch von Stadt zu Stadt.

Dezentrale Social Media Mobilisierung

Doch genau wie im Frühjahr 2020 gibt es kein zentrales Organ, welches die Demonstrationen anleitet (vgl. Belltower.News), viel mehr gibt es reichweitenstarke Medien bzw. Influencer:innen auf den Social Media Plattformen, welche die Demonstrationen propagandistisch begleiten und anfeuern. Dazu gehören in jedem Fall Kanäle bzw. Accounts aus dem Querdenker-Milieu, dem Neonazimilieu, dem Milieu der sogenannten „Neuen Rechten“ sowie dem Milieu der Rocker- und Hooliganszene. Hier gibt es z.T. regelrechte Szene-Stars mit Zehntausenden Anhänger:innen, welche nun zu den Demos aufrufen. Das Netzwerk der sogenannten alternativen Medien wächst immer weiter und erhält dadurch immer mehr Attraktivität. Einen guten Überblick dazu bietet https://gegneranalyse.de (oder natürlich unser Medien-Bereich auf Belltower.News).

Verschwörungsideologien prägen Feindbilder

Die Rolle von Verschwörungsideologien bleibt die gleiche wie 2021. Indem viele Demogänger:innen daran glauben, dass es gar keine Pandemie gebe oder dass die Impfungen eine Art Genozid an der Menschheit seien, werden Feindbilder geprägt und werden Emotionen gebunden. Zudem stärken die Verschwörungsideologien das gemeinsame ideologische Mensch- und Weltverständnis. Sie sind damit immer auch identitätsstiftend.

Manche Verschwörungserzählungen wurden im Laufe der Pandemie unwichtiger, andere gewannen an Bedeutung. Es bleibt aber im Kern bei der Geschichte, dass eine kleine, geheime Elite die Pandemie erfunden oder orchestriert habe, damit der eigentliche Plan unerkannt bleibt. Ob dieser Plan dann ein „Great Reset“ der Weltwirtschaft sei oder ob es um massive „Bevölkerungsreduzierungen“ geht, bleibt fast nebensächlich. Entscheidend ist, dass man sich auf gemeinsame Feindbilder einigen kann und dass man der nationalen Regierung wie auch den internationalen Organisationen vorwerfen kann, dass diese nur Marionetten oder Gehilfen der eigentlichen Herrschenden seien.

Eine revolutionäre Stimmung soll erzeugt werden

Auf diese Weise gelingt es, eine Art revolutionäre Stimmung zu erzeugen, die sich, wie die Geschichte gezeigt hat, nicht nur in Gewalt, sondern ebenso auch in Vernichtungspläne transferieren lässt. Insbesondere den alten und neuen Nazis ist diese Wirkung der Verschwörungsideologien sehr bewusst. Sie haben dies bereits mit der Mär vom „Großen Austausch“ während der Migrationskrise von 2015ff. versucht. Und nun versuchen sie es mit der Corona-Pandemie erneut.

Ein bundesweites Protest-Milieu

Zunächst müssen wir anerkennen: Es gibt derzeit eine bundesweite Protest-Szene oder ein Protest-Milieu, das sich durch seine Influencer:innen mobilisieren lässt. Ob man dabei bereits von einer Bewegung spricht, wird sich daran messen lassen, wie sich das Protest-Milieu weiter organisiert. Im Augenblick sind für mich Anfänge einer solchen Bewegung erkennbar, aber ich würde noch nicht von einer solchen sprechen. Es ist aber auch nicht sinnvoll, immer nur zu betonen, dass diese Protest-Gruppe eine Minderheit darstellt. Ja, das tut sie. Ja, das war wahrscheinlich mit der Anti-AKW-Bewegung oder der Friedensbewegung im vergangenen Jahrhundert ähnlich. Trotzdem haben Protest-Gruppen, wenn sie groß genug sind, das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern.

Und die anderen?

Entscheidend ist dabei nicht so sehr die Größe allein, entscheidend ist das Verhalten der anderen und natürlich immer auch der staatlichen Organe. Derzeit zeigt sich bspw. nur marginaler Protest auf den Straßen gegen die Corona-Montagdemos. Das ist nachvollziehbar, da viele Menschen lieber zu Hause bleiben. Was aber zugenommen hat, sind Unterschriften-Kampagnen oder andere Protestformen, mit denen ebenso Hunderte oder Tausende Menschen zeigen, dass die Corona-Demos nicht ihre Unterstützung finden. Sollte sich der Corona-Protest aber weiter vergrößern und auch radikalisieren, wird das wohl nicht mehr ausreichen. In einigen Städten haben bereits Antifaschist:innen begonnen, Menschen-Blockaden gegen die Demos zu organisieren. Auf diese Weise wird sowohl den Corona-Maßnahmen-Gegner:innen als auch der Polizei klar, dass hier ein gesellschaftlicher Konflikt ausgetragen werden muss. Das ist ein richtiges und wichtiges Zeichen.

Eine Frage der Rechte und Gleichbehandlung

Klar ist aber auch, dass die Polizei in einer Pandemiesituation gewissermaßen nicht nur Grundrechte, sondern auch die Rechte der Mehrheit schützen muss. Und wenn es eben so ist, dass es unverantwortlich ist, dass eine Vielzahl von Menschen ohne Abstand und Maske durch die Innenstadt laufen, muss dies polizeilich unterbunden oder zumindest sanktioniert werden. Dabei geht es nicht um das Bejubeln von polizeistaatlichen Mitteln, sondern um die Wahrung des Prinzips der gleichen Rechte für alle. Wenn auf der einen Seite Clubs, Bars oder Fitnesseinrichtungen geschlossen bleiben müssen, aber auf der anderen Seite an sich geltende Regeln wegdemonstriert werden können, erzeugt diese das Gefühl der Ungleichbehandlung.

Wie sich die Proteste entwickeln, hängt natürlich auch vom Pandemieverlauf ab. Gelingt es nun, mit den Impfstoffen, mit neuen COVID-Medikamenten und mit einer Grundimmunität bei immer mehr Menschen, dass die Krankheit ihren Schrecken verliert und dass damit das Gesundheitswesen nicht mehr derartig überlastet ist, müssen auch die Maßnahmen nach und nach abgeschafft werden. Tut dies der Staat, wird sich die Lage sicherlich allmählich beruhigen.

Nun weiß aber keiner, ob diese positive Aussicht im Verlauf des Jahres bleibt. Es entstehen nach wie vor neue Varianten des Virus, die auch die Impfstoffe bzw. die gebildete Körperabwehr herausfordern. Viele denken dann, dass die Pandemie noch lange dauert oder vielleicht nie endet. Die Geschichte der Pandemien lehrt uns aber, dass dies sehr unwahrscheinlich ist. Wir werden dennoch Geduld und immer wieder neue Zuversicht brauchen, um bei dieser Pandemie nicht den Verstand zu verlieren. Nicht zuletzt sollten wir auch auf die Kompetenz und die Hingabe unserer Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen setzen. Diese sind gewillt, nicht nur den Umgang mit dem Virus und der Krankheit zu verbessern, auch sie sehnen sich nach Normalität.

In diesem Sinne: Bleiben wir wachsam. Dass rechtsextreme und rechtsradikale Kräfte unserer republikanische Demokratie nicht mögen, ist nichts Neues. Dass sie bei immer mehr nicht-rechten Menschen Anklang finden, dürfen wir nicht akzeptieren. Zugleich: Setzen wir alles daran, dass wir einen ehrlichen, transparenten und gerechten Umgang mit dieser Pandemie in 2022 hinbekommen.

 

Benjamin Winkler leitet das Projekt „debunk – Verschwörungstheoretischem Antisemitismus entgegentreten“ der Amadeu Antonio Stiftung Leipzig.

 

Das Titelbild wird veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-NC 2.0.

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