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Corona-Verschwörung im Deutschrap Struktureller Antisemitismus in 16 Zeilen

(Quelle: Unsplash)

Narrative rund um Endzeitfantasien, um Juden (immer männlich), die die Geschicke der Menschheit kontrollieren, und angeblich gleichgeschaltete Medien waren jedoch auch schon lange vor der Pandemie Thema in Rap-Songs. Die Kontroverse um die Echo-Preisverleihung im Jahr 2018 an die Rapper Farid Bang und Kollegah, ausgehend von einer Zeile, in der sie sich über Häftlinge in Auschwitz lustig machten, löste in Deutschland eine Debatte über Antisemitismus im Rap aus. In deren Zuge wurden Texte und Videos von Kollegah und anderen (in der Regel männlichen) Rappern diskutiert, in denen Verschwörungsdenken und eine Personifikation des Bösen in „den Juden“ transportiert werden, aber auch antisemitische Klischees mit Bezug auf Geld und politische oder mediale Macht.

Im Mai 2021 ist nun erstmalig eine Studie erschienen, die empirisch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von „Gangsta Rap“, seit den späten 1990er Jahren das dominante Genre im deutschsprachigen Rap, und der Äußerung von Antisemitismus, Rassismus und Misogynie belegt. Unklar bleibt jedoch weiterhin, ob es eine Kausalität gibt: Ob Jugendliche „Gangsta Rap“ hören, weil sie dort bestimmte Einstellungsmuster und Emotionen bestätigt sehen, ob der Rap antisemitisches und misogynes Denken und Fühlen erst erzeugt oder wie beides sich gegenseitig beeinflusst.

Auch wenn COVID-19 die Musikbranche finanziell hart trifft und noch immer allgegenwärtig ist, wurden nur wenige deutschsprachige Rap-Songs zum Thema veröffentlicht. Das kann mehrere Gründe haben: Denkbar wäre zum Beispiel, dass Rapper:innen keinen Song für die Ewigkeit aufnehmen möchten, der sich mit einer Pandemie beschäftigt, die hoffentlich bald vorbei ist und bald schon niemanden mehr interessiert. Oder aber, weil Labels, Vertriebsunternehmen oder Marketing-Berater:innen von einer direkten Thematisierung von Corona abraten – zu stark haben sich die Debatten im Netz um die Reproduktion von strukturell antisemitischen Verschwörungsmythen wie von Rapperin Juju, Rapper Ramo oder Künstler:innen anderer-Genres und Kulturbereiche im kollektiven PR-Gedächtnis eingebrannt. Antisemitismus rund um Corona ist durchaus ein öffentliches Thema und vielleicht erkennen die Verantwortlichen in der Branche, dass Rapper:innen, die sich auch als „Querdenker:innen“ inszenieren, in die Kritik geraten könnten. Was für Songs mit direktem Corona-Bezug gibt es? Wir schauen uns zwei Songs näher an.

Alpa Gun: Was ist Wahrheit

Der Kreuzberger Rapper Alpa Gun greift eine der Grundfragen von „Coronaskeptiker:innen“ in seinem Track „Was ist die Wahrheit?“ schon im Titel auf (über 2,3 Mio. Klicks; Stand 04.05.2021). Das im August 2020 veröffentlichte Video mag wie eine kritische Auseinandersetzung mit der Coronapandemie und ihren gesellschaftlichen Folgen scheinen, greift bei genauerem Hinsehen und -hören jedoch fast alle gängigen Narrative aus dem „Querdenken“-Spektrum auf: Medien werden pauschal gescholten und es wird der Vorwurf der Gleichschaltung erhoben („ein Virus, der die Welt verändert, Infiziert die Medien vom ersten bis zum letzten Sender“). Vereinzelte Stimmen aus der Wissenschaft, die das Virus für harmlos erklären und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als Panikmache abtun, werden zu „viele[n] Ärzte[n]“ erklärt. Das unter manchen Gegner:innen der Maßnahmen verbreitete Schreckensbild einer angeblichen Zwangsimpfung wird im Track als ein real zu befürchtendes Szenario verhandelt: „Ist das wirklich so, müssen wir uns jetzt alle zwangsimpfen?“ Auch die Verschwörungserzählung, nach der das Virus angeblich schon vor Jahren prophezeit wurde, demnach also eigentlich künstlich geschaffen worden sei, wird aufgegriffen.

Neben diesen Versatzstücken unterschiedlicher Narrative aus dem Spektrum der frühen „Hygienedemo-“ und späteren „Querdenker“-Szene fällt aber vor allem die mangelnde Ambiguitätstoleranz auf: Wissenschaftliche Auseinandersetzungen auf der Grundlage des jeweils verfügbaren Wissens werden als unglaubwürdig markiert („Wem kann man glauben? Viele verschiedene Meinungen […]“). Dem notwendigerweise kontrovers geführten Diskurs wird der Wunsch nach autoritärer Auflösung gegenübergestellt („Wer kann uns die Wahrheit sagen?“). Anstatt den tatsächlich komplexen Diskurs zu verfolgen und sich an ihm zu beteiligen, wird in letztlich unterwürfiger Manier gefordert: „Wir wollen Fakten haben! […] Wollen wir einfach von euch wissen, was die Wahrheit ist“. Hier klingt ein manichäisches Weltbild an, also ein Dualismus zwischen zwei nicht näher definierten Gruppen („wir“ und „ihr“) – die einen das Gute und die einfachen Menschen, die anderen das Böse und eine ominöse Gruppe mit Wissen und Macht.

In dieser projektiven Verabsolutierung „des Guten“ und „des Bösen“ bieten viele Verschwörungserzählungen einen geradezu idealen Anknüpfungspunkt für historisch tradierte antisemitische Deutungsmuster. Hinter all dem coronabedingten Übel wird eine nicht näher definierte Gruppe vermutet, die möglicherweise nichts Gutes im Schilde führt: „Wollen sie etwas Gutes oder uns was Schlimmes anrichten?“ […] „Sag mir, worum geht es hier, geht es um eine Machenschaft?“ Wer aber sollen „sie“ sein? Das herauszufinden, bleibt dem konspirationsaffinen Teil der Zuhörerschaft selbst überlassen. Frei nach dem Motto „Cui bono?“ (lat. „Wem nützt es?“) bedienen Alpa Gun oder sein lyrisches Ich hier ein verschwörungsideologisches Grundmuster: Finde heraus, wem die Verschwörung nützt, und dir werden alle Erklärungen geliefert, die du brauchst, um zu verstehen, wie du manipuliert wirst.

Flankiert wird dieses strukturell antisemitische Deutungsmuster — das heißt, ein Denken, das „die Juden“ noch nicht als angebliche Akteure benennt — von Anspielungen auf die eigentlichen Drahtzieher: Hinter dem Virus stecke womöglich „ein Geschäftsmodell“, ein codierter Hinweis auf Juden als Geschäftemacher. Dazu gesellen sich dann noch Vorwürfe der Zensur („Wichtige Infos werden gelöscht im Internet“), was unvermeidlich in die „digitale Diktatur“ führe. Auch die Kontrolle über die Medien wird „den Juden“ traditionell zugeschrieben. Aber da „keiner von uns weiß, was in Wirklichkeit dahintersteckt“, bleibt einem nur eins – sich im Refrain hinter kitschigen Floskeln von Träumen, Liebe und einer besseren Welt verstecken: „We must never, never, never, never give up on all our dreams, Take a stand for a better world, Full of love“. So erscheint der Track als harmlos und auch positiv und keinesfalls als mit bösen Absichten und Antisemitismus verbunden – und Absicht steht wahrscheinlich tatsächlich nicht dahinter.

Lovelock: Wach

Leon Lovelock, der auf seinem YouTube-Kanal (über 372 000 Follower:innen; Stand: 19.05.2021) vor allem mit Videos zu veganem Fitness-Lifestyle sowie Interviews mit Rap-Größen über Verschwörungsideologien Millionen von Klicks generiert, läutete im Mai 2020 seine Karriere als Musiker ein. Als Highlight unter den Interviewten fungiert zum Beispiel Wolfgang Wodarg, eine Größe in der Corona-Verharmloser:innen-Szene (Belltower.News berichtete). Aber auch Kollegah und weitere Rap-Größen durften vor einem Millionen-Publikum unkommentiert ihre antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Weltbilder teilen. In Kollegahs Video „Apokalypse“ geht es um den „Endkampf“ zwischen Gut und Böse – ein typisches Muster im verschwörungsideologischen Denken – ,und das Böse wird durch eine Figur repräsentiert, die einen Ring mit einem Davidstern am Finger trägt. „Buddhisten, Muslime und Christen“, explizit keine Juden sollen gemeinsam eine neue Welt aufbauen.

In seinem Erstlingswerk „Wach“ (mehr als 250.000 Views auf YouTube) verleiht Lovelock seiner Wut über die aktuelle Politik und die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie Ausdruck. Er fordert, dass Menschen, die für die jetzigen Zustände verantwortlich seien, für ihre Taten zahlen sollten. Lovelock muss dabei kein einziges Mal die Wörter „Corona“, „Covid“ oder „Pandemie“ erwähnen – alle Referenzen im Text und dem dazugehörigen Video sind unmissverständlich. Spätestens mit der Verunglimpfung von Bill Gates („Glaubt mir, Bill, der Bastard, will uns Menschen schädigen – Gates!“) ist die Botschaft nur in der vom Neu-Rapper gewünschten Lesart zu interpretieren. Und auch bei Lovelock lässt sich ein manichäisches Weltbild erkennen. Es wird nicht definiert, wer „wir“ und „die“ sind:

„Was sie machen und die kriminellen Machenschaften/
Sollten zeigen, dass sie uns als Menschen voll verachten/
Die wollen schaffen, dass wir ihre Scheiße nicht beachten/
Doch wir müssen platzen und ihnen zeigen, dass wir wach sind/
Ihr spielt nur Schach mit uns und habt gedacht, dass wir’s nicht raffen/
Doch wenn das Ende kommt, müsst ihr bezahlen für eure Taten“

Ähnlich wie Alpa Gun bedient sich Lovelock der bei Anhänger:innen von Verschwörungsideologien beliebten Narrative: In einer Zeile suggeriert er, dass Politik und Medien unter einem Hut steckten („Politik und Medien sorgten dafür, dass wir in den Ländern, wo wir angeblich frei sind, nicht mehr hinsehen“) oder appelliert, dass die Schafe aufwachen sollen („Ihr habt gedacht, die Politik ist da, um uns zu schützen/ Wacht mal auf, ihr Schafe, die sind da, um uns zu drücken“).

Leon Lovelock trägt im dazugehörigen Video ein Shirt, auf dem das Antlitz des US-Rappers Nipsey Hussle zu erkennen ist. Der US-Rapper wurde am 31.03.2019 auf dem Parkplatz eines Bekleidungsgeschäftes erschossen. Über die Gründe gibt es auch hier viel Spekulation. Eine auf keine Fakten basierte, aber sehr populäre Erzählung legt nahe, dass Nipsey Hussle Opfer eines Auftragsmordes wurde, da er angeblich an einer Dokumentation über „Dr. Sebi“ arbeitete. Der selbsternannte Doktor hieß mit bürgerlichem Namen Alfredo Bowman und wollte mit Kräutertinkturen zum Beispiel HIV heilen. Bowman wurde, so die Verschwörungserzählung, deswegen von „der Pharma-Industrie“ und „Illuminat:innen“ umgebracht. Lovelock inszeniert sich so als zugehörig zu einer Gruppe von Bescheidwisser:innen darüber, was wirklich gespielt werde. Schlussendlich führt auch der Mythos um Dr. Sebi zur Vorstellung einer Weltverschwörung, in der eine vermeintlich erlauchte Gruppe die Zügel in der Hand hält und für Profit auch vor Morden nicht zurückschreckt.

Ist Verschwörungsdenken rund um Corona im Rap angekommen?

Ende April hat die Deutschrap-Crew Genetikk, zeitgleich zu einer Reihe von Tweets mit Corona-Verharmlosungen, ein neues Lied veröffentlicht. In „German Angst! (Der Traum ist aus)“ werfen sie mit Buzzwords und Anspielungen auf Verschwörungserzählungen nur so um sich. Begleitet wird Genetikk-Rapper Kappa von Rio Reisers Gesang in Form eines Samples des „Ton Steine Scherben“-Klassikers „Der Traum ist aus“. In den Zeilen heißt es, dass es keine Freiheit mehr gebe: „Man sagt, über den Wolken sei die Freiheit grenzenlos/ Gut, denn hier unter den Wolken ist sie tot“.

Die Autor:innen der repräsentativen Leipziger Autoritarismus-Studie 2020 kommen zu dem Ergebnis, dass 51 Prozent (Ost) bzw. 35 Prozent (West) der Befragten eine manifeste Verschwörungsmentalität erkennen lassen. Der auf Serge Moscovici zurückgehende Begriff der Verschwörungsmentalität hänge eng mit einer Neigung zum Autoritarismus zusammen und bezeichne „die grundlegende Bereitschaft, hinter gesellschaftlichen und politischen Phänomenen ein intendiertes und geheimes Handeln kleiner, mächtiger Gruppen zu vermuten.“ Laut der Studie glauben 33 Prozent der Befragten, die Corona-Krise sei „groß geredet“ worden, damit einige wenige davon profitieren könnten. Rund 48 Prozent nehmen an, dass „die Hintergründe der Coronapandemie […] nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen [werden].“ Wie bei anderen gesellschaftlichen Problemen und speziell Antisemitismus auch, spiegelt sich im Rap nur wider, was allgemein verbreitet ist.


ANTIDOT – Verschwörungsmythen aufklären und die ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit sind zwei Projekte der Amadeu Antonio Stiftung in Niedersachsen und in Berlin.

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