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Neue Studie Eisenach hat ein Neutralitätsproblem

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Neue Broschüre des IDZ Jena: "Rechtsextremismus in Eisenach" (Quelle: IDZ Jena)

Sie haben einen Bericht über die Situation ein Eisenach verfasst. Außerhalb Thüringens mag man sich fragen: Was ist los in Eisenach? Warum ein Bericht über Eisenach?

Axel Salheiser: Eisenach ist seit Jahren eine Hochburg des Rechtsextremismus – und zwar in großer Kontinuität. Wir reden hier immer noch über die NPD, die auf kommunaler Ebene große Wahlerfolge erzielt! Also eine Partei, die bundesweit kaum noch Bedeutung hat, in Eisenach aber schon. Die NPD hat es hier geschafft, über lange Jahre – und trotz der Konkurrenz der AfD – eine Wählerschaft zu binden, die ihr rund 10 Prozent der Stimmen und damit 4 Sitze im Stadtrat einbringt. Außerdem gibt es eine lebendige subkulturelle Neonazi-Szene, die nicht zuletzt durch Gewalttaten von sich reden macht. So gibt es auch eine öffentliche Wahrnehmung dazu, dass Eisenach eine Hochburg der rechtsextremen Szene ist.

Jennifer Rieck: Der Rechtsextremismus in Eisenach hat viele Orte, an denen sich die Akteur*innen treffen, an denen sie Raum in der Stadt einnehmen können. Das „Flieder Volkshaus“ der NPD ist ein zentraler Veranstaltungsort für die rechtsextreme Szene – Eisenachs, Thüringens, aber so gar bis nach Hessen ausstrahlend. Dann gibt es noch mehrere einschlägige oder zumindest rechtsoffene  Kneipen – das bekannteste ist das „Bulls Eye“, die Anlaufpunkte der Szene sind. Die Areale um die Kneipen sind Angstzonen für alle, die Opfer rechtsextremer Gewalt werden könnten.

 

Das heißt, Rechtsextreme und Neonazis sind präsent in Eisenach. So präsent, dass es auch im Stadt-Alltag bemerkbar ist?

Jennifer Rieck: Das fängt an mit rechtsextremen Jugendlichen, die sich in der Innenstadt aufhalten und versuchen, diesen Raum zu besetzen. Rechtsextreme Symbolik gehört zum Stadtbild. Die rechtsextremen Jugendlichen greifen in der Innenstadt andere an, oft ebenfalls Jugendliche, die sie als politische Gegner*innen begreifen.

Axel Salheiser: Das folgt der klassischen Strategie der Raumergreifung. Die Innenstadt wird markiert, mit Graffitis wie „NS-Zone“, etwa. Gleichzeitig werden dies Graffitis etwa als so alltäglich empfunden, dass sich kaum jemand daran stört.  Im Gegenteil, Anwohner*innen erzählten in Interviews, sie glaubten, das hätten „Linksextreme“ gesprüht, um den Kiez zu verurteilen. Dass das rechtsextreme Markierungen sind, ist vielen überhaupt nicht bewusst.

 

Was macht diese Situation mit der nicht-rechten Bevölkerung?

Axel Salheiser: Viele verfolgen hier eine sehr „mittige“ Selbstverortung und sagen: Das ist ein Konflikt zwischen Rechtsextremen und Linksextremen – der geht uns nichts an. Das wird dann als „Neutralität“ verstanden – und erschwert leider eine Parteinahme für demokratische Gegenwehr gegen die rechtsextremen Bestrebungen.

Die Rechtsextremen in Eisenach gibt es ja nicht erst seit gestern. Was macht diese Kontinuität mit der Stadt?

Axel Salheiser: Bei den Rechtsextremen der 1990er Jahre sehen wir ganz klar „Verbürgerlichung“ als Strategie. Die Neonazis der 1990er, die oft der NPD nahestehen oder in der NPD politisch aktiv sind, haben mit der Zeit angefangen, sich bürgernah zu inszenieren – wobei das nicht durchgängig funktioniert hat. Aber solche Kader engagieren sich etwa heute im Bürgerwehr-Milieu, so zum Beispiel in Gersthof. Diese Menschen leben aber immer noch in der Region und sind ansprechbar. Es sind aber auch Generationenkonflikte sichtbar: Die jüngeren, subkulturell organisierten Neonazis etwa von Kampfsportvereinen wie „Knockout 51“ (51 = EA = Eisenach) mokieren sich immer wieder über die NPD, finden die zu wenig offensiv. Auch wenn wir von Akteuren wie Patrick Wieschke oder Tommy Frenck reden, die eindeutige Neonazis und bekanntermaßen vorbestrafte Gewalttäter sind.

Wir reden in Eisenach also tatsächlich immer noch von der NPD als zentralem Akteur? Wie kann das sein?

Axel Salheiser: Die NPD ist sehr etabliert, ihre Vertreter werden als „welche von uns“ wahrgenommen. Rund 1.000 Menschen wählen hier seit Jahrzehnten die NPD. Wir haben es hier definitiv nicht mit „Protestwähler*innen“ zu tun. Wobei die NPD vor allem als lokalpolitischer Akteur wahrgenommen wird. Bei Bundestags- und Landtagswahlen gehen auch aus Eisenach mehr Stimmen an die AfD.

 

Gibt es eine Vernetzung zur AfD und zum AfD-Wähler-Milieu? 

Axel Salheiser: Die AfD – die sonst thüringenweit im Schnitt auf 20 % der Wähler*innen-Stimmen kommt – teilen sich hier ihre Stimmen mit der NPD. Die NPD kommt in Eisenach auf etwa 10 % der Stimmen bei Kommunalwahlen, die AfD auch. Beide haben somit 4 Sitze im Stadtrat. Inhaltlich stehen sich die beiden Parteien nah, unterstützen sich gegenseitig auch bei Anträgen und Stadtrat. Trotzdem wird eine Distanz gewahrt. Die NPD proklamiert „Wir sind das Original“, die AfD weist auf ihr Bekenntnis zu Rechtsstaat hin. Im direkten Vergleich mit der NPD wirkt die AfD ja tatsächlich gemäßigt – diese Kontrastfolie nützt die AfD. Eine Verbrüderung wäre da kontraproduktiv.

 

Wie reagiert die Stadtgesellschaft? Wie reagiert die lokale Politik?

Jennifer Rieck: Es gibt einen nominellen Konsens „gegen rechts“. Oft wird der aber dargestellt als „gegen Extremismus“, gemeint ist „gegen rechts“ und „gegen links“. Man ist angesichts von rechtsextremen Graffiti gegen Graffiti an sich, aber stört sich nicht sonderlich am Inhalt.

Axel Salheiser: Es gibt antifaschistische und demokratische Bündnisse, Kulturstätten engagieren sich, ein Bürgerbündnis engagiert sich. Engagierten wird aber regelmäßig vorgeworfen, damit „ihre Neutralität“ zu verletzen und parteipolitische Interessen zu vertreten, statt sich für Demokratie einzusetzen. So verkommt ein Grundkonsens „gegen rechts“ praktisch zu einem Lippenbekenntnis. Also 2019 eine Antifa-Demonstration auf die rechtsextreme Dominanz hinweisen wollte, hatte die Stadt mehr Angst vor „G20“-Ausschreitungen wie in Hamburg, statt das demokratische Ansinnen zu unterstützen. Das macht den Rechtsextremen die Raumergreifung schon leichter, wenn kritisches demokratische Engagement als „Netzbeschmutzung“ angesehen wird, dass durch die Konfrontation den Konflikt verschärfe. Eisenach hat eine Bürgermeisterin der „Linken“, Katja Wolf – gegen die stellte die NPD bereits 2015 einen Abwahlantrag, dem nicht nur die NPD-Abgeordneten selbst, sondern 13 Abgeordnete anderer Parteien zustimmten — ein skandalöser Vorgang. Als Wolf den neuen NPD-Stadträten nicht die Hand geben wollte – was sie laut Thüringer Kommunalverordnung hätte tun müssen – hat die lokale CDU nicht etwa ihren gegen die Nazis gerichteten Impuls unterstützt, sondern kritisiert. Das ist fatal.

 

Das klingt, als wenn in Eisenach die 1990er oder frühen 2000er Jahre nie vergehen. Damit ist Eisenach aber ein Sonderfall, oder?

Axel Salheiser: Eisenach ist bekannt für diese Entwicklung, aber ich halte es für fraglich, ob die Wartburgstadt wirklich so ein Sonderfall ist. Die Probleme mit lokal starken, vernetzten rechtsextremen Strukturen haben wir in Ostdeutschland in gar nicht so wenigen Regionen.

 

Aber was kann in Eisenach getan werden, um die Situation zu ändern?

Axel Salheiser: Die rechtsextreme Szene hat sich hier langfristig festgesetzt – dagegen hilft es nicht, nur Graffiti zu übermalen oder mal eine Demonstration zu organisieren. Hier braucht es strategisches und langfristiges Handeln, den Aufbau einer Gegenkultur, langfristig Finanzierung für Projektarbeit, die noch mehr Menschen als bisher erreichen und aktivieren kann. Das Gute ist, es gibt ja auch hier engagierte Menschen, die bereit sind, sich einzubringen, ehrenamtlich und beruflich. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert etwa gerade den Aufbau eines Alternativen Jugendzentrums, das Räume schaffen will, damit Jugendliche Demokratie erleben können und ein politisches Engagement ohne rechtsextreme Dominanz. Das ist ein wichtiger Schritt, doch es braucht mehr Förderung nicht-rechter Räume – und wenn die Stadtkassen leer sind, ist das auch eine Aufgabe für die Landespolitik. Und es würde für die Akzeptanz dieser Arbeit helfen, Demokratiearbeit nicht unter Linksextremismus-Verdacht zu stellen.

 

Was hat Euch bei Eurer Forschung über Eisenach am meisten überrascht?

Jennifer Rieck: Ich war irritiert wie normalisiert Rechtsextremismus in Eisenach ist, wie breit der in der Gesellschaft akzeptiert wird. Dass auf die Generation rechtsextremer Erwachsener nun neue Generationen rechtsextremer Jugendlicher folgen, ohne dass dafür ein Problembewusstsein wächst. Das hatte ich so stark noch nicht gesehen.

 

Die Studie:

IDZ Jena (Hrsg.)
Axel Salheiser, Jennifer Joyce Rieck:
Rechtsextremismus in Eisenach. Kritische Bestandsaufnahme und Analyse.
Jena 2021
www.idz-jena.de

Als PDF zum Download:
https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Projektberichte/Forschungsbericht_Rechtsextremismus_in_Eisenach_Institut_f%C3%BCr_Demokratie_und_Zivilgesellschaft.pdf

Das Video zur Vorstellung der Studie und Diskussion der Ergebnisse hier:
https://www.youtube.com/watch?v=Op8Uql8hLrQ

 

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