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Eric Graziani Der „Patriotic Opposition Europe“-Chef, der die Berliner Montagsdemos gegen Coronamaßnahmen anführt

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Eric Graziani spricht auf einer Montagsdemonstration gegen Coronamaßnahmen am Alexanderplatz im Januar 2022
Eric Graziani spricht auf einer Montagsdemonstration gegen Coronamaßnahmen am Alexanderplatz im Januar 2022 (Quelle: Belltower.News)

Ein kalter Montagabend an der Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz: Mehrere Hundert Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen versammeln sich nach Feierabend zu einer Demonstration, die sie als „Spaziergang“ bezeichnen. Das Ziel: Das ZDF-Hauptstadtstudio, Zentrale einer vermeintlichen „Lügenpresse“. Auf den ersten Blick wirkt der Protest am 17. Januar 2022 vor allem bürgerlich. Kein Schwarz-Weiß-Rot weit und breit, dafür Pelzkragen und Wollschals. „Nazis raus!“, wird die Menge später skandieren, als sie an einem antifaschistischen Gegenprotest vorbeiläuft.

Doch am Mikrofon spricht ein Mann, der seit Jahren in der rechtsextremen Szene ein bekanntes Gesicht ist. Am Ärmel seiner Jacke: Eine umgedrehte Deutschlandflagge – ein Lieblingssymbol der „Reichsbürger“. Auf dem anderen Ärmel steht der Schriftzug „Patriot“. Er schwadroniert vom „Great Reset“, die Regierung seien Nazis und sollen zurücktreten. So etwas habe es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Applaus. Er beklagt, dass der Tagesspiegel ihn als Rechtsextremen bezeichnet habe, obwohl er italienischer Staatsbürger sei. So gehe man in Deutschland mit Ausländern um. Applaus.

Dass der Mann mit dem Mikrofon in der Tat führende Figur einer rechtsextremen Splittergruppe ist, scheint sein Publikum nicht sonderlich zu interessieren. Es geht um Eric Graziani (auch Graziany geschrieben), Kopf der „Patriotic Opposition Europe“. Im Wochentakt mobilisiert Graziani zu Montagsdemonstrationen gegen die Corona-Politik der Regierung in Berlin-Mitte. Und er findet jede Woche mehr Anhänger:innen, am 24. Januar sind es sogar tausend. Am 26. Januar auf einer Demonstration im Regierungsviertel gegen eine Impfpflicht tritt Graziani sogar als Journalist auf: Mit „Presse“-Binde und Presseausweis filmt er, wie mehrere Hundert Rechtsextreme, Impfgegner:innen und Verschwörungsgläubige von der Polizei eingekesselt werden (siehe Belltower.News). Graziani darf sich durch die Polizeisperren frei bewegen.

In den sozialen Medien und auf Demonstrationen dementiert Graziani, Nazi, Rechtsextremer oder Rechtspopulist zu sein. Auf Facebook beschreibt es sich als „Bürgerrechtler und Patriot“, der „gegen die Diskriminierung des deutschen Volkes im eigenen Land“ sei. Doch Graziani pflegt über Jahre hinweg enge Verbindungen zu einschlägigen Akteur:innen der extremen Rechten. In Fotos posiert er neben „Welcome Refugees“-Graffiti mit seinem Daumen runter. Er lässt sich mit dem rechtsextremen Ex-AfDler und „Flügel“-Mann Andreas Kalbitz ablichten und läuft auf Demonstrationen neben gewaltbereiten Hooligans.

Von Querfront zu „Merkel muss weg“

Graziani taucht zunächst im Rahmen der sogenannten „Friedensmahnwachen“ im Jahr 2015 auf – eine Querfront an unterschiedlichen Gruppen und Personen, die sich offiziell gegen die Ukraine- und Russland-Politik der Bundesregierung richtet, in der Praxis aber antiamerikanische, antisemitische, rechtsextreme und verschwörungsideologische Positionen vertritt. Damals läuft Graziani mit NPDlern, verurteilten Waffenhändlern und Neonazis zusammen, wie Fotos zeigen, die Belltower.News vorliegen. Im Zuge der muslimfeindlichen „Pegida“-Proteste ab 2015 tritt Graziani regelmäßig als Redner auf: Etwa beim „Bärgida“ in Berlin, „Pogida“ in Potsdam oder beim besonders rechtsradikalen Leipziger Ableger „Legida“.

Bei den rechtsextremen „Merkel muss weg“-Demonstrationen in Berlin 2016 kommt Graziani häufig zu Wort. Auf einer Demonstration am 12. März 2016 im Berliner Regierungsviertel, zu der viele organisierte Neonazis erscheinen und die von „Pro Deutschland“-Vorstandsmitglied Enrico Stubbe organisiert wird, sagt Graziani: „Noch nie, noch nie musste in der Weltgeschichte ein Volk soviel Unrecht über sich ergehen lassen wie die letzten Jahrzehnte das deutsche Volk. Hunger, Elend, Verlust und Verzweiflung, und Schuldgefühle bedeuteten Jahrzehnte lang ihr Leben, bis heute noch“. „Die anglo-amerikanischen Verbände und Terrorverbände“ hätten Deutschland 1945 „in Schutt und Asche hinterließen“, beklagt Graziani, wie der Blog Berlin Rechtsaußen des apabiz berichtet. Das „deutsche Volk“ und allen voran die „Trümmerfrauen“ hätten das Land jedoch wieder aufgebaut: „Patrioti, dies ist einer der tausend Gründe, warum wir jetzt dieses Deutschland aus dieser von Merkel ausgelösten Invasion aus aller Herren Länder bewahren und befreien müssen“, so Graziani weiter.

Am 11. Mai 2016 folgt eine zweite „Merkel muss weg“-Demonstration, die ebenfalls von Enrico Stubbe angemeldet wird. Der erste Redner des Tages: Graziani. Er spricht von „Volksverrätern“ wie Merkel, die „ihr Volk in den Genozid treibt“. Oder von den „Rothschilds“, die „in der Führungsebene sitzen und Europa in ein Chaos der Verwüstung und der Bürgerkriege stürzen“ – eine antisemitische Chiffre. Gegen diesen prophezeiten Untergang sei er bereit zu kämpfen und „Opfer zu bringen“, bis hin zum Tod: „Selbst mein Leben wäre mir nicht zu schade, es herzugeben, für die Freiheit unserer Kinder und vor allem für ein freies und souveränes Deutschland“ (siehe Berlin Rechtsaußen).

Eric Graziani auf einem Aufmarsch der „Brigade Magdeburg“ im Oktober 2016 in Magdeburg
Eric Graziani auf einem Aufmarsch der „Brigade Magdeburg“ im Oktober 2016 in Magdeburg (Quelle: Presseservice Rathenow)

Hand in Hand mit Neonazis

Einige Monate später am 22. Oktober 2016 tritt Graziani mit seiner neugegründeten Gruppe „Hand in Hand“ in Magdeburg auf – als Moderator bei einem Aufmarsch der Neonazi-Hooligangruppe „Brigade Magdeburg“. Fotos zeigen, wie Graziani vor dem Demozug mit Mikrofon läuft. Hinter ihm laufen Neonazis: Sie tragen rechtsextreme Szenemarken, NPD-Flaggen oder Hoodies der „Nationalen Sozialisten Schwerin“.

Doch auch mit „Hand in Hand“ bleibt Graziani nicht lange verbunden. 2017 schließt er sich dem Bündnis „Wir für Deutschland“ an – einem flüchtlingsfeindlichen, rechtsextremen Verein. In einem Foto auf Facebook aus diesem Jahr trägt Graziani einen „Wir für Deutschland“-Hoodie. Die Gruppe organisiert zum Tag der deutschen Einheit rechtsextreme Demonstrationen. Am 3. Oktober 2019 tritt Graziani als Redner auf. Auch dabei: Neonazis und „Reichsbürger:innen“ sowie Mitglieder der „Bruderschaft Deutschland“ und der „Identitären Bewegung“, Belltower.News berichtete damals

Auch im Chemnitz ist Graziani dabei: Er nimmt am 1. September 2018 an einem rechtsextremen „Schweigemarsch“ teil, organisiert von der AfD, „Pegida“ und „Pro Chemnitz“, nachdem ein Mann durch Messerstiche tödlich verletzt worden war. Es folgten tagelang Hetzjagden auf tatsächliche und vermeintliche Migrant:innen, Gegendemonstrant:innen, Pressevertreter:innen sowie auf ein jüdisches Restaurant.

Patriotic Opposition Europe

Ob „Pegida“, „Hand in Hand“, „Merkel muss weg“ oder „Wir für Deutschland“ – klar wird, dass Graziani sich als Führer einer Bewegung sehen möchte. Wo es ein Mikrofon gibt, steht er oft dahinter. Auf Demonstrationen sucht er die große Bühne. Doch er scheitert immer wieder, die Gruppen zerstreiten sich – teils öffentlich. Mit der „Patriotic Opposition Europe“ versucht Graziani nun offenbar erneut, im Rampenlicht zu stehen und eine Bewegung anzuführen. Die kleine Gruppe dient als Sammelbecken für „Reichsbürger:innen“, Übriggebliebene aus „Pegida“-Strukturen sowie enttäuschte AfDler.

Im Oktober 2018 postet Graziani erstmals das Logo der Patriotic Opposition Europe auf seinem privaten Facebook-Profil. Im Mai 2019 wird der Telegram-Channel dazu erstellt, der bis heute nicht einmal 500 Follower:innen hat. Den ersten Beitrag unterschreibt Graziani mit seinem eigenen Namen. Er teilt auch Beiträge des rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Compact Magazin oder des hallensischen Neonazis Sven Liebich. Auf der russischen Social-Media-Plattform VK, die unter Rechtsextremen beliebt ist, ist er noch weniger erfolgreich: Nur 340 Menschen sind Mitglied in der Gruppe „Patriotic Opposition Europe“. Mehr Anhänger:innen findet Graziani auf Facebook: Inzwischen hat die Facebook-Seite der Gruppe rund 11.500 Likes.

Zunächst versucht Grazianis „Patriotic Opposition Europe“, an die von Frankreich inspirierten „Gelbe Weste“-Proteste anzudocken. Auf Facebook zeigt sich Graziani mit Warnweste. Die „Patriotic Opposition Europe“ ruft zu einer Kundgebung der „Gelben Westen Brandenburg“ zusammen mit der rechtsextremen Bürgerwehr „Soldiers of Odin“ im August 2019 am Brandenburger Tor auf. Doch der Versuch, eine „Gelbe Weste“-Bewegung in Deutschland zu etablieren, scheitert.

Covid als Kampfthema

Mit der Covid-Pandemie finden Graziani und seine „Patriotic Opposition Europe“ ein neues politisches Kampffeld. Doch ihr Mobilisierungspotenzial hält sich in Grenzen: Zu ihrer Demonstration in Köln am 22. August 2020 kommen lediglich 15 Menschen – trotz des prominenten Gastredners Stefan Räpple, ehemals AfD (siehe Belltower.News). Eine Woche später organisiert die „Patriotic Opposition Europe“ zusammen mit den rechtsextremen „Corona Rebellen“ eine Kundgebung auf der Reichstagswiese, Anlass ist die Großdemonstration gegen Coronamaßnahmen in Berlin am 29. August 2020 (siehe Belltower.News). „Auf dass das Ende des Unrechtregimes besiegelt wird“, schreibt Graziani auf Facebook und kündigt an, auf der Reichstagswiese im Schlafsack übernachten zu wollen. An diesem Tag drängen „Reichsbürger:innen“ und Rechtsextreme auf die Treppe des Reichstagsgebäudes (siehe Belltower.News).

Auch zu einer Neonazi-Demonstration gegen Coronamaßnahmen am 20. März 2021 mobilisiert die „Patriotic Opposition Europe“ (siehe Belltower.News). Auf der Demonstration, die unter anderem von der „Anti-Antifa Germany“ organisiert wird, sind gewaltbereite Neonazis und rechtsextreme Hooligans zugegen. Wegen der geringen Teilnahme spricht ein Demonstrant danach auf Telegram von einem „Totalausfall“.

Kein Abstand zu Neonazis und Hooligans: Eric Graziani auf einer rechtsextremen Demonstration in Berlin im Juli 2021. Auch die neonazistische „Wolfsschar“ aus Brandenburg reiste an.
Kein Abstand zu Neonazis und Hooligans: Eric Graziani auf einer rechtsextremen Demonstration in Berlin im Juli 2021. Auch die neonazistische „Wolfsschar“ aus Brandenburg reiste an (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin)

Mittlerweile gibt es offenbar Ableger der „Patriotic Opposition Europe“ in Magdeburg, Niedersachsen/Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Chemnitz/Erzgebirge. Die Facebook-Seiten für alle regionale Gruppen werden im Zeitraum von April bis Juni 2020 erstellt und haben zwischen 230 und 1.000 Likes. Auch die Mitgliederzahlen dieser Ableger dürften eher überschaubar sein, ihre Facebook-Seiten teilen in der Regel lediglich Beiträge, die Werbung für Grazianis Auftritte machen.

Nun inszeniert sich Graziani als Anführer der wöchentlichen Montagsdemonstrationen in Berlin-Mitte gegen die Corona-Politik der Regierung und eine mögliche Impfpflicht. Doch seine politische Laufbahn macht deutlich: Zu gewaltbereiten Neonazis und Rechtsextremen hält er seit Jahren keinen Abstand. Und die Covid-Pandemie ist für Graziani lediglich das neuste Thema in einer langen Reihe an politischen Anliegen von „Islamisierung“ über „Merkel muss weg“ bis hin zu Geschichtsrevisionismus. Hauptsache, er steht im Rampenlicht.

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