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Telegram Was tun gegen die App der Coronaleugner:innen?

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Quo vadis, Telegram? Die Messenger-Plattform reguliert so gut wie nichts - wie lang kommt sie damit noch durch? (Quelle: Pixabay / geralt)

Für Demokratiefeind:innen ist Telegram gerade die Plattform der Wahl: Denn hier ist alles möglich. Es gibt so gut wie keine Moderation, so gut wie keine Eingriffe, egal ob Menschen hier Desinformationen verbreiten oder Gewaltaufrufe, Doxing betreiben (private Adressen anderer veröffentlichen in schädigender Absicht), andere diskriminieren oder beleidigen, den Holocaust leugnen und den Nationalsozialismus feiern, Waffenbau-Anleitungen teilen, rechtsextreme Attentäter als „Heilige“ feiern oder gefälschte Impfpässe verkaufen. Außerdem weigert sich die Plattform, mit staatlichen Behörden zu kooperieren (vgl. ausführlich: Belltower.News).

Bundesinnenministerin Nancy Faeser redet davon, die Plattform schlimmstenfalls in Deutschland „abschalten“ zu wollen (vgl. ZEIT), das BKA veröffentlichte jetzt die Idee, den Druck auf Telegram zu erhöhen zu wollen, indem man die Betreiber der Plattform mit Löschbitten und Datenanfragen fluten wolle (vgl. Welt). Bisher hat Telegram auf nichts aus Deutschland reagiert – nicht einmal auf Bußgeldverfahren, die das Bundesjustizministerium gegen die Plattform im letzten Sommer eröffnete, weil sie weder eine Möglichkeit zum Melden strafbarer Inhalte anbietet noch einen juristischen Zustellungsbeauftragten in Deutschland (beides verlangt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ab einer Anzahl deutscher Nutzer:innen von drei Millionen).

Simone Rafael, Leiterin des Digitalteams der Amadeu Antonio Stiftung und Chefredakteurin von Belltower.News, beschäftigt sich seit 13 Jahren mit Rechtsextremismus und Hass im Netz – also schon zu Zeiten, als auch Facebook und YouTube noch wenig regulierten, bevor es zivilgesellschaftliche Gegenrede und das NetzDG überhaupt gab. Telegram beschäftigt sie seit fünf Jahren.

Belltower.News: Ist Telegram ein Problem für die Demokratie?

Simone Rafael: Auf der einen Seite ist Telegram ein Medium, und die problematischen Inhalte, die Menschen dort einstellen, kommen aus den Hirnen vor den Bildschirmen – und dieses Problem löst sich nicht durch Löschungen oder Verbote. Auf der anderen Seite bietet das Medium Telegram aber eine Verbreitungsstruktur, die es sehr einfach macht, Hass und Desinformationen schnell zu vervielfältigen, und entzieht sich der Verantwortung zur Moderation, also zum Schutz von Nutzer:innen. Die schnelle Nachrichtenfolge und vermeintliche Intimität der Plattform – aller Hass ploppt auf dem Mobiltelefon auf, wie Nachrichten von Freund:innen – führt zu rasanten Radikalisierungsverläufen, wie in der Corona-Pandemie leicht zu verfolgen ist: Da dauert es oft nur Wochen, bis aus Kritik an Pandemiemaßnahmen Mordfantasien gegen Politiker:innen und schließlich konkrete Waffenbeschaffungs-Pläne werden.

Was ist bei Telegram anders als bei Facebook oder YouTube?

Auch große Netzwerke wie Facebook, YouTube oder Twitter haben anfangs Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus auf den Plattformen kaum moderiert. Allerdings hatten sie schnell Interesse an einer Kooperation mit deutschen Regierungs- und Regulierungsstrukturen, weil sie Deutschland als Markt interessiert. Telegram hat sich dagegen als Arbeitsgrundlage gesetzt, nicht mit staatlichen Strukturen zusammenzuarbeiten – in vielen Ländern ermöglicht das der demokratischen Opposition Kommunikation gegen diktatorische Regierungen, in Deutschland führt das leider zu menschenfeindlicher und verschwörungsideologischer Kommunikation gegen eine demokratisch gewählte Regierung, gegen Wissenschaft, Presse, Engagierte. Hier würde Moderation viel helfen.

Macht es also Sinn, Telegram zu verbieten?

Kommunikationsstrukturen zu verbieten ist etwas, was Diktaturen tun. Das steht einer Demokratie wie Deutschland nicht gut zu Gesicht. Trotzdem kann der Staat die Hetze und die Straftaten auf Telegram auch nicht einfach ignorieren. Sinnvoller fände ich, Straftaten auf der Plattform zu verfolgen, soweit das möglich ist – viele finden nämlich mit wenig verschleierter Identität statt. Und es wäre sinnvoll, die Auffindbarkeit der Plattform zu beschränken. Damit wird die Kommunikation nicht autoritär verboten – aber es wird auch nicht allen Menschenfeindlichkeit auf dem Präsentierteller angeboten.

Ist es sinnvoll, Telegram mit Anfragen zu bombardieren?

Es ist auf alle Fälle sinnvoll, den Druck auf das Netzwerk zu erhöhen, vielleicht doch selbst zu handeln. Diesen Effekt hatte das NetzDG etwa auf Facebook, YouTube und Twitter: Das Thema Hate Speech wurde gesetzt, priorisiert, danach hat sich bei den Netzwerken mehr getan, was Löschungen von strafbaren Inhalten und Moderation angeht. Deshalb ist es wichtig, die Messenger-Plattform unter das NetzDG fallen zu lassen, inklusive der folgenden Bußgeldbescheide und weiterer denkbarer Maßnahmen wie Reichweiteneinschränkungen. Ich fürchte aber, wer bisher wenige BKA-Anfragen ignoriert hat, wird das auch mit vielen BKA-Anfragen tun. Aber schaden wird es nicht.

Welche Handlungsoptionen gibt es denn überhaupt? 

Zu versuchen, mit einer Plattform zu kommunizieren, die Strafverfolgungs- und Justizbehörden ignoriert, scheint mir recht vergeblich. Warum nicht mit den Anbietern digitaler Infrastruktur verhandeln, die eventuell kooperativer sind, wie Suchmaschinenbetreibende oder App-Stores? Die könnten die Behörden bitten – oder es entsprechend regulieren –, Telegram schwerer erreichbar zu machen: etwa Telegram nicht mehr in App-Stores zu vertreiben – Apple und Google Play machten das etwa  in den USA mit der App “Parler”  nach dem verschwörungsideologischen „Sturm auf das Kapitol“ im Januar 2021. Oder etwa einzelne Kanäle nicht mehr über Suchmaschinen findbar zu machen. Dann reicht es nämlich nicht mehr, einen Gruppenname auf einer Pandemieleugner:innen-Demonstration zu sehen und ihn in die Suchmaschine einzugeben, um die Gruppe zu finden. Wenn in anderen Netzwerken auf Telegram verlinkt wird, könnte eine Warnung vor Desinformationen eingeblendet werden. Und natürlich hat jede:r einzelne Nutzer:in die Wahl: Möchte ich mich auf einem Netzwerk aufhalten, wo Recht und Gesetz ignoriert werden, Hassgruppen unterstützt werden, Gewalttaten organisiert werden? Es gibt auch andere Messengerdienste und Netzwerke. Und wer jetzt meint, dann wären die Hater:innen ja in ihrem Hass unter sich: Das sind sie schon jetzt. Gegenrede ist auf Telegram praktisch unmöglich, weil alle Kanäle und Gruppen Administrator:innen haben, die unliebsame Kommentierende aussperren können. Auch deshalb geht die Radikalisierung dort so rasant.

Hilft das Netzwerkdurchsetzungsgesetz?

Es hilft, um Druck zu machen, wenn strafbare Inhalte verbreitet werden, und führte zu mehr Aufmerksamkeit für das Thema Hate Speech und zu mehr Moderation und Konzepten wie Warnungs-Systemen bei Desinformationen. Opfern digitaler Gewalt hilft es bisher leider weiterhin nicht. Sie haben nach wie vor keine guten Kommunikationswege zu Plattformen, um schädigende Inhalte schnellstmöglich aus dem Netz zu bekommen. Die bisher unregulierten Transparenzberichte lassen keine Schlüsse über das Aufkommen von Hate Speech oder die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen zu – das ändert sich aber vielleicht mit der Neufassung des NetzDG, die im Februar in Kraft tritt.

Was könnte die Politik noch tun?

Also, sie könnte zum Beispiel die Verbraucherrechte – also auch die von Opfern digitaler Gewalt – gegenüber den Plattformen stärken. Sie könnte Strafverfolgungsbehörden personell und technisch so ausstatten, dass sie Straftaten im digitalen Raum besser verfolgen können. Außerdem fehlen auf vielen Netzwerken Forschungszugänge, etwa um zu untersuchen, wie die Algorithmen und Funktionalitäten einzelner Netzwerke zu Radikalisierungsprozessen beitragen, welche Zusammenhänge zwischen Hass online und Gewalt offline zu beobachten sind oder auch nur, welche Gegenstrategien wirksam sind und gefördert werden sollten. Hier würde ich mir mehr Regulierung wünschen: Netzwerke hüten diese Informationen als Geschäftsgeheimnisse, aber dass nicht einmal Politiker:innen, die Netzwerke regulieren sollen und wollen,  einen wissenschaftlich gestützten Einblick haben, wie dort Meinung gemacht und manipuliert wird, ist ein großes Problem.

 

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