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Rechtsalternative Allianzen im EU-Parlament Antifeminismus statt „Frauenrechtlerinnen“

Ausschnitt aus dem Flyer zur antifeministischen Veranstaltung im EU-Parlament. (Quelle: Screenshot)

„Liebe Mitbürger“, schrieb Christine Anderson (AfD), die Frauensprecherin der Fraktion Identität und Demokratie, zur Ankündigung der Veranstaltung „Feminismus von rechts“ im EU-Parlament. Denn warum eine weibliche oder geschlechtsneutrale Form der Ansprache wählen, wenn rechte und rechtsextreme Parteien zu „Frauenfragen“ ins Parlament einladen? Bewusst zeitgleich zur ‘Gender Equality Week‘ vom 24.- 30. Oktober im EU-Parlament lädt die Fraktion Identität und Demokratie (ID), ein Zusammenschluss rechtsextremer, nationalistischer und rechtspopulistischer Parteien ein: um über „geschlechsspezifische Diskriminierung“ zu diskutieren. „Wir werden über Frauenfragen, Weiblichkeit und weibliche Selbstbestimmung in der heutigen Zeit aus einem konservativen und patriotischen Blickwinkel diskutieren“, heißt es weiter in der Einladung.

Das Podium bestand aus drei rechten Frauen: Zwei davon, Christine Anderson (AfD) und Patricia Chagnon (Rassemblement National), sind Abgeordnete des EU-Parlaments und gehören der oben genannten Fraktion ID an. Die Dritte im Bunde der rechtsalternativen Frauen repräsentiert das weiblich rechtsextreme Vorfeld. Reinhild Boßdorf ist Kader der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, Teil der „Jungen Alternative (JA)“ sowie der Kopf der selbsternannten deutschen rechtsextremen Fraueninitiative „Lukreta“. Moderiert und organsiert wurde die Veranstaltung unter dem Titel „Feminismus von rechts“ aber von einem Mann, dem EU-Abgeordneten Gunnar Beck (AfD).  Hinter den vermeintlichen „Frauenthemen“ verbergen sich menschenfeindliche, rassistische und queerfeindliche Aussagen. Kein Wunder also, dass die Veranstaltung des „Feminsmus von rechts“ nicht über die gleichzeitig stattfindende „Gender Equality Week“ des EU-Parlaments beworben wurde, sondern ausschließlich über die ID-Gruppe sowie einschlägige rechte Social Media Profile.

Rechte Sprecherinnen der Fraktion Identität und Demokratie (ID)

Identität und Demokratie (ID) ist eine Fraktion rechtsextremer, nationalistischer und rechtspopulistischer Parteien in der neunten Wahlperiode des Europäischen Parlaments (2019–2024). Abgeordnete aus zehn EU-Staaten gehören ihr an. Neben Österreich mit FPÖ, Belgien mit Vlaams Belang, Tschechien mit Svoboda a prima demokracie, Finnland mit Perus, Dänemark mit Dansk Folkepartie sind mehrheitlich Abgeordnete der AfD, der Lega und des Rassemblement National vertreten. Thematisch beschäftigt sich die ID-Gruppe hauptsächlich mit Migration und mobilisiert gegen offene Grenzen und Einwanderung. Zunehmend spielen aber auch die Verleugnung des Klimawandels, die Verharmlosung der COVID19-Pandemie sowie Angriffe auf die Gleichstellungspolitik eine Rolle.

Werbung für die Veranstaltung auf dem Instagram-Kanal von Christine Anderson.

Christine Anderson (AfD) ist die Koordinatorin des Ausschusses für Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der ID. Sie ist bekannt für ihre biologistische Argumentation, die die Ungleichheit der Menschen und vor allem der Geschlechter untermauern sollen. Sie spricht Menschen das Recht auf Selbstbestimmung von Sexualität und Geschlecht ab, sowie ihr Recht auf Gleichstellung und Gleichwertigkeit. Gemeinsam mit den EU-Abgeordneten Nicolaus Fest, Joachim Kuhns und Gunnar Beck attackiert sie regelmäßig die Gleichstellungspolitik der EU, LGBTQI+ Menschenrechte und Frauenquoten in Parlamentssitzungen. In der letzten Sitzung des EU-Komitees für Frauenrechte und Gleichstellung am 25.10.2022 bezeichnete sie gender als eine „sick ideology”. Schon in der vorherigen Legislaturperiode des europäischen Parlaments (2014-2019) haben konservative und rechtsextreme Parteien die Gleichstellungspolitik der EU angegriffen, den Begriff der „Gender Ideologie“ verbreitet und zu einer Polarisierung im EU-Parlament beigetragen.

Das Panel der Veranstaltung. Von rechts: Reinhild Boßdorf, Christine Anderson, Moderator und EU-Parlamentarier Gunnar Beck, Patricia Chagnon.

Allein auf rechter Flur?

Veranstaltungen wie der „Feminismus von rechts“ zeigen, dass solche Aktivitäten nicht harmlos sind, sondern demokratiegefährdende Strukturen und Netzwerke bis hinein ins rechtsextreme Milieu festigen, wie die Einlandung Reinhild Boßdorfs zeigt. Reinhild Boßdorf wurde in einer rechten Familie sozialisiert.. Bereits 1992 berichtete die taz über ihren Vater Peter Boßdorf, dass dieser nicht nur Redakteur der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit (JF)“ sei, sondern außerdem „stellvertretender Chef des stramm rechten „Gesamtdeutschen Studentenverbandes“. Ihre Mutter Irmhild Boßdorf arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für einen AfD-Abgeordneten im Bundestag. Mutter und Tochter treten immer wieder gemeinsam auf, z.B. beim rechtsalternativen Frauenkongress in Münster oder zuletzt im Wahlkreisbüro des AfD-Abgeordneten Roger Beckamp, hier mit dem Titel „Das Ende des Feminismus“.

Reinhild Boßdorf (Junge Alterantive, früher IB) im Europaparlament

Was die ID-Gruppe des EU-Parlaments mit Reinhild Boßdorf verbindet, ist nicht nur ihre rechtsalternative Ideologie, sondern das Feindbild Gender. Insbesondere das Feindbild des modernen und intersektionalen Feminismus hat es der rechtsalternativen Szene angetan. Das Ziel ihrer Beschäftigung mit Feminismus ist dabei eine Neubesetzung des Begriffs Feminismus selbst. Hierzu hatten alle drei Rednerinnen eigene Argumentationsstrategien entwickelt, um ihre antifeministische Haltung zu rechtfertigen und zu legitimieren.

Feindbild „moderner Feminismus“

Reinhild Boßdorf zeichnet insbesondere transinklusiven und intersektionalen Feminismus als Feindbild – um dabei umso mehr transfeindliche Aussagen zu treffen. Sie behauptet, im modernen Feminismus gehe es nicht mehr um Frauen, sondern nur noch um Flinta+ Personen: „Weiße cis-Frauen dürfen im modernen Feminismus nur noch von der Ersatzbank zuschauen“, behauptet Boßdorf.  Die LSBTIQ+ Bewegung hätte die 3. Welle des Feminismus unterwandert und für eigene Zwecke instrumentalisiert: Sie spricht vom „Eindringen in einstige Schutzräume“ durch Transfrauen im Sport und über „importierte sexuelle Gewalt“ in Form von „Massengrabschattacken“ denen europäische Frauen ausgesetzt seien, „ein Phänomen, das wir  bis zuvor nur aus muslimsich geprägten Orten, wie beispielweise dem Tahrir-Platz in Kairo kannten.“ Neben der hier anklingenden Verschwörung sticht außerdem ihre rassistische und biologistische Argumentation hervor, denn es geht ihr vor allem um die Rechte weißer oder europäischer Cis-Frauen: „Geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten“ und “Gefahren für Frauen” sieht Boßdorf in “künstlichen Diskrimierungsskandalen, welche sich Flinta+ Personen aus der Nase ziehen” würden, während die “echten Frauen zu Hause im Stillen” säßen. Am Ende ihrer Rede ruft sie dazu auf, weibliche Themen zurückzuerobern, denn „nur wenn Frauen sichtbar sind, können wir für ureigene Rechte einstehen“.

Um die „wahre Bedeutung“ von „Weiblichkeit“ geht es in dem Beitrag von Christine Anderson. Sie wirft dem modernen Feminismus vor, Geschlechterpolitik zu „pervertieren“ und die Geschlechter gegeneinander aufzuhetzen. Frauen würden sich durch „Intersektionalität als Opfer darstellen und Diskriminierungsformen erfinden“ anstatt „starke Frauen“ zu sein. Das „Starksein“ konstruiert sie durch gewaltverharmlosende Argumente. Außerdem ruft sie dazu auf, sich, wenn nötig, selbst mit Gewalt zu wehren, und verharmlost außerdem Gewalt gegen Kinder, indem sie eine vermeintliche Geschichte aus ihrer eigenen Kindheit erzählt. Sie wäre auf dem Heimweg verprügelt worden und unter Tränen zu ihrer Mutter gelaufen, die sie ermahnte habe, sich selbst zu verteidigen: „Kommst du noch einmal nach Hause und erzählst mir, dich hätte jemand grundlos geschlagen, ich schlage dich windelweich (…) vor meiner Mutter hatte ich mehr Angst als vor dem Dorfraudi. Meine Mutter (…) hat es vermocht, mich zu einer starken Frau und starken Persönlichkeit zu erziehen.“ Laut Andersons Logik brauchen wirklich starke Frauen keinen Schutz mehr und können „sich selbst verteidigen“.

Patricia Chagnon fokussiert sich dann auf das Narrativ, die Erwerbstätigkeit von Frauen würde Frauen daran hindern, sich um ihre Familien zu kümmern. Laut ihrer Aussage sei der Wunsch nach zwei Einkommen pro Haushalt sogar eine Bedrohung für  Frauen und Familie. Ähnlich wie ihre Vorrednerinnen zeichnet Chagnion ein Feindbild nach dem anderen. Ebenfalls eine Bedrohung sieht sie im “woke-movement“, eine in der Globalisierung. Immer wieder rassifiziert sie französische Staatsbürger*innen und knüpft mit der Behauptung, die „Freiheit der Frauen in Frankreich“ sei durch eine angebliche Massenmigration bedroht, an das gängige Verschwörrungsnarrativ des „großen Austausches“ an. Sie fordert dazu auf, vermehrt den Begriff des „Cologne-Syndrom“ zu nutzen, um sexualisierte Gewalt gegen Frauen in den Zusammenhang mit jungen muslimischen Männern zu bringen – ein Bezug auf die Silvesternacht 2015/16 in Köln, in der Frauen eine Vielzahl an sexuellen Übergriffen durch von ihnen als migrantisch gelesene Männer berichteten, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Zuletzt instrumentalisiert sie die feministische Freiheitsbewegung im Iran, um für ein Kopftuchverbot in Frankreich zu werben.

Patricia Chagnon referiert Islamfeindliches.

Trotz des konstruierten Feindbilds des “linken” und “intersektionalen” Feminismus hatten die Podiumssprecherinnen erhebliche Schwierigkeiten, einen “Feminismus von rechts” auch nur zu skizzieren. Vielmehr nutzen sie Frauenrechte als Strategie, um rassistische Grenzpolitik, Queer- und Islamfeindlichkeit zu legitimieren. “Feminismus von rechts” bleibt also letztlich inhaltslos. Im Mittelpunkt stehen die üblichen rechten Abwertungsnarrative und Feindbilder, mit denen sie auf eine Diskursverschiebung hoffen. Denn über die Themen Geschlecht und Sexualität lässt sich einfach mobilisieren, da sich Menschen darüber identifizieren und angesprochen fühlen. Mit Feminismus hat keiner der drei Beiträgen etwas zu tun.

Fazit

Mitten im EU-Parlament wird von drei rechtspopulistischen bis rechtsextremen Frauen unter dem Deckmantel einer Debatte über Frauenrechte ein sehr reduziertes Demokratieverständnis kundgetan. Inmitten einer Themenwoche für Geschlechtergerechtigkeit versucht die rechte Fraktion ID, im Parlament die Demokratie zu destabilisieren. Ein „Feminismus von rechts“ wird dabei aber ausschließlich im Titel geführt. Nur Reinhild Boßdorf versucht, auf feministische Debatten Bezug zu nehmen. Den anderen Rednerinnen gelingt nicht einmal das, sie verharren im Rassismus, im Sexismus und in der Islamfeindlichkeit.

Auch wenn also festgehalten werden kann, dass unter den Podiumsteilnehmerinnen große Unklarheit bestand, wie und ob ein “Feminismus von rechts” definiert und befüllt werden kann, ist die Veranstaltung doch ein weiterer Versuch rechter und rechtsextremer Frauen, feministische Debatten zu kapern und für die eigenen menschenfeindlichen Zwecke zu instrumentalisieren.

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