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Hamburg 2018 „Merkel muss weg“ bringt die rechte Sphäre zusammen

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Auf der Demonstration "Welcome united" am 29.09.2018 in Hamburg (Quelle: Flickr.com/ Rasande Tyskar)

Simone Rafael sprach mit Niklas Stephan für den AStA der Uni Hamburg im Hamburger Bündnis Bündnis gegen Rechts (www.keine-stimme-den-nazis.org).

 

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Hamburg 2018, bezogen auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus?

Seit Januar 2018 hat Hamburg nun auch eine PEGIDA-ähnliche Demonstration namens „Merkel muss weg“ – wobei der Name vor allem als Chiffre zu verstehen ist, es geht nicht um Angela Merkel, sondern um antimuslimischen Rassismus und Feindlichkeit gegen Geflüchtete, um Forderungen nach Schließung der Grenzen und Abschiebung.

Anfangs war es eine zuvor unbekannte Frau, Uta Ogilvie, die mit einem Pappschild mit der Aufschrift „Merkel muss weg“ durch die Hamburger Innenstadt lief. Die Aktion stieß auf große Resonanz in der Welt der rechten „alternativen“ Medien, und eine Woche später waren es schon 60 Personen, die mit ihr durch die Hamburger Innenstadt liefen. Das waren dann aber bereits bekannte Akteure aus dem Umfeld der NPD, der Kameradschaft „Sektion Nordland“, rechtsextreme Hooligans und Türsteher. Dieser Aufmarsch kam so spontan, dass es da leider noch keine Gegenproteste gab. Eine größere Kundgebung mit rund 50-100 Teilnehmenden gab es dann am 12. Februar – da gab es aber auch rund 800 Menschen bei der Gegenkundgebung. Der Plan der „Merkel muss weg“-Organisation: Jeden Montag eine Kundgebung in der Hamburger Innenstadt, an wechselnden Orten. Angemeldet wurden die Kundgebungen zunächst durch Frauen, was offenkundig bürgerlicher und weniger bedrohlich wirken sollte. Nach Uta Ogilvie war das die ebenfalls zuvor unbekannte Myriam Flaig am 19.02.2018. Im Hintergrund hat aber da schon Thomas Gardlo bei der Organisation mitgewirkt. Gardlo ist ein rechtsextremer Türsteher, der auch schon den Rechtspopulisten Ronald Schill als Personenschützer begleitet hat, aber auch unpolitische Klienten wie H.P. Baxter betreut. Gardlo hat im Hintergrund die Redebeiträge organisiert und die An- und Abreisen. Die Kundgebungen fanden wechselnd in der Hamburger Innenstadt am Gänsemarkt und am Dammtor statt – und die An- und Abreise erfolgte vor Gegenstimmen geschützt in S- bzw. U-Bahn-Zügen, die nur für sie bereitgestellt wurden. An den „Merkel muss weg“-Kundgebungen nahmen bis zu 300 Menschen teil, meist aber eher 100 – mehr Resonanz als auf der Straße hatten Livestreams der Veranstaltungen in Sozialen Netzwerken, wo die rechte Gruppierung 8.000 Fans hat, die es offenbar freut, wenn Menschenfeinde im demokratischen Hamburg wieder einen Fuß auf den Boden bekommen. Unter den Teilnehmenden der Kundgebungen waren Aktivist*innen der Hamburger „Identitären Bewegung“ und  AfD-Politiker wie Ludwig Flocken (Hamburg, inzwischen aus der AfD ausgeschlossen) und Daniel Buhl (Schleswig-Holstein).

Das „Hamburger Bündnis gegen rechts“ hat Gegendemonstrationen angemeldet – und ab März 2018 konnten wir den „Merkel muss weg“-Kundgebung des Öfteren die Plätze streitig machen, auf die sie wollten. So mussten die Kundgebungen hinter dem Bahnhof Dammtor stattfinden, wo sie niemand sieht und hört.

Im April gingen die „Merkel muss weg“-Demos in die Sommerpause. Im September waren sie wieder da. Zur ersten Demo am 05. September, kurz nach den Demonstrationen in Chemnitz, waren 178 bei der „Merkel muss weg“-Demonstration – und 10.000 Hamburger*innen bei der Gegendemonstration. Inzwischen war Thomas Gardlo auch offiziell der Anmelder, die bürgerliche Maske wurde also fallengelassen. Zyklus sollte nun jeder erste Mittwoch im Monat sein. Seitdem fallen immer wieder Kundgebungen aus, etwa weil es am 03.10. hieß, man wolle lieber nach Berlin fahren. Die nächste Demonstration ist für den 02. Februar 2019 geplant, was dann ein Samstag ist – offenbar wünscht man mehr Resonanz. Eine Gegendemonstration ist angemeldet – mit der Hoffnung, dass das ein letztes Aufbäumen vor der Bedeutungslosigkeit ist.

Die Hamburger AfD ist allerdings sehr interessiert an den „Merkel muss weg“- Demos und hat etwa Initiatorin Uta Ogvilie zum „Bürgerdialog“ ins Rathaus eingeladen. Marie-Thérèse Kaiser von der AfD Niedersachsen kümmert sich um die Livestreams. In der Facebook-Gruppe „Merkel muss weg Hamburg“ waren neben Rechsextremen ebenfalls mehrere AfD-Funktionäre Mitglieder, außerdem Heino Vahldieck von der Hamburger CDU, ehemaliger Hamburger Innensenator, Chef des Verfassungsschutzes und Mitglied der Bund-Länder-Kommission „Rechtsterrorismus“, die nach der Enttarnung des NSU eingesetzt wurde . Die Gruppe, die vom Verfassungsschutz Hamburg beobachtet wurde, diente auch dem Amt auch als Indiz für die zunehmend rechtsextreme Ausrichtung der MMW-Aufmärsche. Sie ist inzwischen von Facebook gelöscht worden.

Ansonsten gab es noch am 18.10.2018 einen Besuch von AfD-Hardliner André Poggenburg in Hamburg-Veddel auf dem Privatgrundstück einer Hamburger AfD-Politikerin, Nicole Jordan. Da das Grundstück an einem Kanal liegt, gab es zu der Veranstaltung eine Gegendemonstration mit rund 500 Teilnehmenden, die zum Teil ihren Protest auf einem Floß gut zu Gehör bringen konnten.

Dann hatte noch extrem rechte „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG)“ den revisionistischen Dozenten Dr. Walter Post eingeladen hatte, um über Entwicklungen in den USA zu referieren. Die Veranstaltung sollte in einem Hamburger Restaurant stattfinden, das sich nach Bereitstellung von Informationen über die Gäste entschieden hat, die Veranstaltung abzusagen.

Zum Abschluss des NSU-Prozesses gab es auch in Hamburg eine „NSU – Tag X“-Demonstration und eine folgende Demonstration am Samstag danach. An beiden Veranstaltungen haben rund 1.500 Menschen teilgenommen. Es gab ergreifende Redebeiträge unter anderem von der Hamburger Bürgerschafts-Abgeordneten Christiane Schneider (Die Linke) und von der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano. Und auch in Hamburg hat es Straßenumbenennungen gegeben – Straßen mit Namen, die noch NS-Bezug haben, wurden symbolisch nach den Opfern des NSU umbenannt. Trotzdem wird es in Hamburg, als einzigem Bundesland mit direktem NSU-Bezug, keinen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben

Immer noch aktuell ist in Hamburg der Konflikt um das Hamburger Stadthaus als Erinnerungsort. Das Stadthaus war Sitz der Hamburger Gestapo. An deren Verbrechen und Opfer sollte in einem 750 Quadratmeter großer Lernort im Haus erinnert werden – so steht es in einem Privatisierungsvertrag, als das Haus 2009 vom Investor Quantum übernommen wurde. Nun ist das Haus mit Ladenflächen und Cafés bewirtschaftet, nur 70 Quadratmeter sind für das Gedenken übrig geblieben. Dagegen gibt es jeden Freitag Mahnwachen vor dem Stadthaus.

An großen antirassistischen Aktionen ist für 2018 die „Welcome United“-Parade am 29.09. zu nennen, zu der Institutionen 40 Lautsprecherwagen gestaltet hatten. Zwischen 25.000 und 40.000 Teilnehmende sind dabei gewesen, darunter auch viele People of Colour, was ein gutes Signal ausgesendet hat.

Wichtig war in Hamburg auch das Thema Seenotrettung. Am 13. Juli gab es eine große „Seebrücke“-Demonstration mit 1.500 Teilnehmenden, aus der sich eine feste Gruppe gebildet hat, die zum Thema arbeitet, Flashmobs und Demonstrationen organisiert, etwa eine am 25.11. zum Gedenken an die Toten an den Außengrenzen Europas. Am 02.09. gab es noch eine Großdemonstration mit 16.000 Teilnehmer*innen. Durch diese Aktionen konnte das Spektrum zivilgesellschaftlich Engagierter spürbar erweitert werden, was auch im Hamburger Appell Niederschlag fand, dass Hamburg ein sicherer Hafen sein soll, der im Mittelmeer Gerettete aufnimmt.

Welche Akteur*innen waren in Hamburg 2018 wichtig?

Da ist die AfD zu nennen. Die Hamburger AfD hat 2018 ein größeres Beben erlebt, als Professor Jörn Kruse nach den Ereignissen von Chemnitz aus der Partei ausgetreten ist, weil ihm die Partei zu weit nach rechts driftet. Kruse war Professor an der Bundeswehr-Universität und gehörte noch zur AfD-Garde aus Bernd-Lucke-Zeiten. Dass die Hamburger AfD den Boden der Bürgerlichkeit verlässt, ist auch daran zu erkennen, dass der Verfassungschutz erwägt, Teile der AfD zu beobachten. Zuvor hatte die Hamburger AfD immer versucht, sich konservativ, nationalliberal, wirtschaftsfokussiert zu präsentieren – das bröckelte aber schon durch die große Nähe zu den „Merkel muss weg“-Demonstrationen.

Die AfD hat aktuell 6 Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft. Die stellten viele kleine Anfragen – in der bisherigen Wahlperiode 1.263 –  und 12 große Anfragen. Ein Feindbild ist dabei deutlich die Hamburger Universität, die offenbar als „linke Keimzelle“ eingeschüchtert werden soll, und besonders der Bereich der Gender Studies, die als Pseudo-Wissenschaft attackiert werden. Viele der Anfragen sind reine Propaganda, wie etwa die nach der Anzahl von Transgender-Toiletten in der Universität, die es schlicht nicht gibt. Auch den „Lehrerpranger“ hat die AfD zuerst im Bundesland Hamburg eingerichtet – also das Meldeportal für der AfD unliebsame Lehrer*innen, die so eingeschüchtert werden sollen.

Gibt es weitere wichtige Gruppierungen?

Nein, die meisten rechtsextremen Vereinigungen hatten 2018 eher Probleme. Es gab vielleicht drei bis vier kleine Aktionen der „Identitären Bewegung“, aber die waren in Hamburg irrelevant. Da laufen sie spätnachts über den Campus und verkleben Sticker. Das hat keine Öffentlichkeit erzeugt. Die rechte „Burschenschaft Germania“ hat offenbar Nachwuchsprobleme und versuchte, mit Werbeflyer Studierende zu erreichen. Die NPD ist noch in den Hamburger Randbezirken vorhanden, hat in Farmsen versucht, eine Bürgerwehr aufzubauen – ohne Erfolg.

Erwähnenswert ist noch ein weiterer Prozess gegen die bereits inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Hamburg. Zum Prozessbeginn wollte „Die Rechte“ eine Kundgebung machen, aber der Prozess wurde wegen Krankheit der Richterin nach 2019 verschoben.

Vor Weihnachten gibt es noch ein Event, denn die AfD-Fraktion hat am Donnerstag den AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland ins Hamburger Rathaus zum Bürgerdialog eingeladen, der darüber berichten will, wie „die AfD wirkt“. Da haben wir als Hamburger Bündnis gegen rechts auch eine Gegenkundgebung angemeldet und freuen uns über zahlreiche Beteiligung!

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