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Internationaler Frauentag „Kann denn nicht einmal jemand an die Männer denken?“

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Happy Internationalen Frauenkampftag allen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichwertigkeit einsetzen und das auch anti-rassistisch und trans-inkludierend meinen. (Quelle: flickr.com / txmx2 / CC BY-NC-ND 2.0)

Deswegen hier ein handlicher Leitfaden von Belltower News, um antifeministische Aussagen auseinanderzunehmen. Da Antifeminismus aber weniger ein rationaler Gedanke denn ein irrationaler und emotionaler Affekt ist, wird es vermutlich eine Zeitlang dauern, bis sich die Vernunft des Feminismus gegen das Gefühl der Kränkung durchgesetzt hat. Aber es ist auch schon wichtig, andere, aufnahmebereite Menschen davon überzeugen zu können, wieso der Antifeminist einfach falsch liegt.

„Wir leben doch längst in einem „Feminat“, Männer werden systematisch diskriminiert!“

Wo denn? Männer sind im Besitz der Produktionsmittel, und somit ökonomischer Macht: 87 Prozent der Vorstände deutscher Unternehmen an der Börse werden von Männern geführt. Männliche Politiker haben 65,3 Prozent der Sitze im Bundestag inne. Frauen verdienen im Durchschnitt 18 Prozent weniger pro Stunde als ihre Kollegen – für die gleiche Arbeit, bei der gleichen Qualifikation. Frauen verrichten nach wie vor den Löwinnenanteil unbezahlter Reproduktionsarbeit. Popkulturelle Produkte wie Filme oder Videospiele: auch hier dominieren nach wie vor männliche Narrative, und falls dann doch mal eine Frau Protagonistin eines Videospiels ist, dann wird dies regelmäßig von einem Sturm der Empörung begleitet. Noch immer sind Abtreibungen strafbar. Durch die Stigmatisierung weiblicher Lust kommen Frauen in Hetero-Beziehungen wesentlich seltener zum Orgasmus als Männer. Sexuelle Gewalttaten werden aufgrund von Victim Blaming und Täterschutz ausgesprochen selten angezeigt, geschweige denn verurteilt.

„Aber Männer begehen häufiger Suizid als Frauen, sind häufiger obdachlos, oder sitzen häufiger im Gefängnis!“

Dies liegt unter anderem daran, , dass es stigmatisiert ist, wenn Männer über psychische Probleme und Krankheiten reden, da dies als unmännlich gilt. Ein weiterer Grund: Obdachlosigkeit geht für Frauen noch mehr als für Männer  mit der Bedrohung einher, Opfer von sexueller Gewalt zu werden – deshalb verbleiben  sie länger als Männer in potentiell gefährlichen Situationen in der Wohnung. Männer sitzen häufiger im Gefängnis, da eine cismännliche Sozialisation Gewalttätigkeit weit akzeptierender gegenübersteht als eine weibliche Sozialisation. Männer, die derartige „Argumente“ hervorbringen, geht es übrigens selten wirklich um Suizidopfer oder Obdachlose, sondern in der Regel nur darum, durch Whataboutism zu untermauern, wieso Männer die wahren Opfer unserer Zeit seien. Eine adäquate Gegenfrage wäre, wie konkret sich diese Männerrechtler eigentlich für Obdachlosenrechte einsetzen.

„Feminismus ist eine Agenda gegen Männer!“

Dieses im Antifeminismus seit über 100 Jahren populäre Pseudo-Argument ist in einer Täter-Opfer-Umkehr verwurzelt, mit der Männerrechtler die Gewalt verleugnen, die sie systematisch ausüben und von der sie profitieren. Sie inszenieren sich als Opfer einer imaginierten feministischen Agenda, denn: wer Opfer ist, kann kein Täter sein. Dieses Opferdenken ist in der Angst um die eigene Vorherrschaft verwurzelt. Die patriarchale Hegemonie ist nämlich auf der systematischen Diskriminierung und Ausbeutung von Frauen und queeren Menschen aufgebaut. Sowohl in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext als auch auf individueller Ebene können sich (cisgeschlechtliche, heterosexuelle) Männer durch die Abwertung des Nicht-Männlichen narzisstisch überhöhen. Gerade jener Typ Mann, der seine komplette Identität auf seiner Geschlechtszugehörigkeit aufbaut, betrachtet feministische Kämpfe daher nicht nur als Kritik an den Verhältnissen, sondern an der eigenen Person. Denn: wenn diejenigen, die er glaubt diskriminieren zu müssen, um sich selbst besser zu fühlen, gegen ihre Diskriminierung kämpfen, erschwert es die Abwertung des „Anderen“ und somit die eigene Aufwertung. Um das vermeintliche Recht auf Unterdrückung zu verteidigen, politisieren sich die gekränkten Männer im Antifeminismus.

„Feminismus zerstört die Zukunft von Jungs!“

Antifeminist:innen führen gerne an, dass sich die Politik innerhalb der letzten Jahre zunehmend um Mädchenförderung kümmern würde, während Jungen „links liegengelassen“ würden. Deshalb hätten sie keine Zukunftsaussichten oder Identifikationsfiguren mehr und seien schlechter in der Schule. Diese Behauptung verschleiert, dass Mädchen bis vor wenigen Jahrzehnten primär auf ein Leben als Hausfrau und Mutter vorbereitet wurden und abseits dessen gar keine Förderung erhielten. Dennoch wäre eine geschlechtersensible Jungenpädagogik wichtig und notwendig. Wie der Soziologe Pierre Bourdieu analysiert, ist die binnenmännliche Sozialisation von der Kindheit an auf Kampf, Wettbewerb und Konkurrenzdenken aufgebaut. Empathiefähigkeit, Emotionalität und Solidarität bleiben hingegen auf der Strecke. Es bräuchte dringend eine kritische Pädagogik, die Jungen vermittelt, dass sie eine Identität aufbauen können, die nicht auf der Abwertung weiblich konnotierter Eigenschaften basiert.

„Feminismus verweichlicht unsere Jungs und macht unsere Frauen zu unrasierten Emanzen!“

Wieso soll es etwas Schlechtes sein, wenn Jungen emotionaler, empathischer und „weicher“ werden, und wenn Frauen aufhören, sich für patriarchale Schönheitsideale zuzurichten?

„Durch den Feminismus sinken die (weißen) Geburtenraten, weil Frauen keine Kinder mehr bekommen wollen!“

Diese Behauptung zeigt sehr deutlich, wieso Antifeminismus so gut als Türöffner in die radikale bis extreme Rechte fungiert. Die Attentäter von Utoya, Christchurch oder Halle nannten den Feminismus allesamt als Ursache für den Zerfall der westlichen Welt, da er Schuld an der Frauenemanzipation und somit dem Rückgang der Geburtenraten sei. Währenddessen würden nichtweiße Menschen vermehrt Kinder bekommen, was zu einer „Umvolkung“ oder einem „Bevölkerungsaustausch“ führen würde. Dieser Ideologie nach kann und will der weiße Mann sich auch nicht gegen die sein Weib und Volk bedrohende Migrant:innen verteidigen, weil er zu verweichlicht und degeneriert geworden ist. (Cisgeschlechtliche) Frauen werden so auf eine potentielle Gebärmaschine für den Fortbestand ihres Volkes reduziert. Gleichzeitig werden weiße Kinder als wertvoller und wichtiger als nichtweiße Kinder betrachtet. Zudem ist das Narrativ der „Umvolkung“ strukturell antisemitisch. Feminismus wird als Produkt des „Kulturmarxismus“ betrachtet. Diese Chiffre besagt, dass die Vertreter der Frankfurter Schule – also: kommunistische Juden – die treibende Kraft hinter Kämpfen wie der 68er-Revolte und somit der sexuellen Revolution gewesen wären. Die Verschwörungserzählung von Feminismus als jüdischer „Erfindung“, um dem deutschen Volk zu schaden, geht jedoch bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Narrativ des „Großen Austauschs“ fallen also Antifeminismus, Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und Maskulinismus zusammen.

„Aber die Biologie sagt, dass Frauen und Männer von Natur aus unterschiedlich sind!“

Selbst wenn? Die komplette Geschichte der Zivilisation ist darauf aufgebaut, Einschränkungen der Natur durch Wissenschaft zu überwinden. Wieso dann nicht das Geschlechterverhältnis? Sowieso ist das mit „der Natur“ nicht ganz so einfach, wie es der Biologieunterricht aus der siebten Klasse suggeriert: Es gibt nämlich weit mehr als XY-und XX-Chromosomen. In Deutschland sind, je nach Einschätzungen, zwischen 0,02 bis 1,7 Prozent der Bevölkerung intergeschlechtlich. Oftmals werden intergeschlechtliche Kinder jedoch von klein auf chirurgischen Eingriffen unterzogen, um sie geschlechtlich „eindeutig“ zu machen – in der Regel ohne Zustimmung der Kinder!

Außerdem sind diese biologistischen Zuschreibungen, die die Soziologin Karin Hausen als „Geschlechtscharakter“ analysiert hat, primär ein Werkzeug, um die patriarchal-kapitalistische Vorherrschaft zu legitimieren. Unterschiede im Bezug auf intellektuelle oder emotionale Begabungen sind nicht in der Biologie, sondern in der Sozialisation und Erziehung von Mädchen und Jungen verortet. Feministische Pädagogikprojekte wie in Schweden dienen als konkretes Beispiel dafür, wie geschlechtsneutrale Erziehung funktionieren kann.

„Der Feminismus früher war ja noch in Ordnung, aber jetzt geht es nur noch um die 69 unterschiedlichen Geschlechter!“

Diese Aussage soll dazu dienen, einen vermeintlich „legitimen“ Feminismus gegen neuere Debatten, vor allem die um die Rechte von transgeschlechtlichen und nichtbinären Menschen, auszuspielen. Es ignoriert, dass das Recht von trans Menschen, ohne institutionalisierte Hindernisse eine Transition durchführen zu können, und das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gar nicht so verschieden sind! Es sind beides Kämpfe für die körperliche Selbstbestimmung abseits patriarchaler, biologistischer Zuschreibungen. Und ist es ein konkreter Angriff auf die eigene Freiheit, wenn eine andere Person trans oder nichtbinär ist? Gerade bei transfeindlichen Positionen ist es aktuell erschreckend zu sehen, dass die Berührungsängste zwischen transfeindlichen Pseudo-Feminist:innen und rechten Kräften zusehends schwinden. Die Kämpfe von trans Menschen sind feministische Kämpfe.

 „Gerade ist Krieg in der Ukraine, wir brauchen wieder ‚echte Männer‘ um das Land zu verteidigen!“

Nationalismus, Kriegsbegeisterung und Männlichkeit gehen regelmäßig Hand in Hand. Es ist nicht verwunderlich, dass Antifeminist:innen sich nicht schämen, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine für ihre Politik zu instrumentalisieren. So schreibt die „Junge Alternative“ in einem Facebook-Post vom 03. März: „Es ist interessant, wie empfänglich politmediale Eliten und Meinungsmacher der Bundesrepublik plötzlich für ausländischen Patriotismus, toxische Männlichkeit und Heroismus sind: Im Schützengraben gibt es keine 67 Geschlechter, keine Frauenquoten, keinen politisch-korrekten Wokism. Für all das wird dort nicht gekämpft.“ Außerdem spricht sich die rechtsradikale Jugendorganisation für eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus.

Wie der Kulturwissenschaftler und Geschlechterforscher Klaus Theweleit ausufernd in seinen Werken „Männerfantasien“ und „Das Lachen der Täter“ analysiert hat, geht soldatische Männlichkeit immer mit emotionaler und psychischer Verrohung einher. Kriege sind nicht heroisch, sie gehen mit Tod, Gewalt und Traumata einher. Es ist eine tragische Notwendigkeit, dass Menschen in der Ukraine gerade um ihr Leben kämpfen müssen, und keine Heldenerzählung. Außerdem sind es nicht nur Männer, die gerade kämpfen, zahlreiche Frauen verteidigen sich ebenfalls gegen die russischen Aggressionen.

„Wann ist eigentlich der internationale Männertag?“

Am 19. November. Das ist ein adäquater Tag, um sich mal darüber Gedanken zu machen, wie gewalttätig und schädlich hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen gegenüber Männern selbst sind. Es ist nämlich einiges angebrachter, diese zu hinterfragen und zu kritisieren, als Frauen, Queers und den Feminismus für das Elend der Männlichkeit verantwortlich zu machen.

 

Weiterführende Literatur zum Thema Antifeminismus:

 

Das Titelbild wird unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 veröffentlicht.

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