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Jahresrückblick 2019 – Thüringen RechtsRock, Kampfsport – und in den Parlamenten AfD

Für den rechten Rand in Thüringen waren 2019 vor allem die Wahlen bestimmend. Neben den Landtagswahlen im Oktober des Jahres, fanden im Mai die Kommunal- und Europawahlen statt. In der kontinuierlichen Beobachtung extrem rechter Aktivitäten zeigt sich, dass das Aktivitätsniveau der Szene im Vorfeld der Wahlen meist ansteigt. Dies bestätigte sich auch 2019. Daneben sind es die Themen RechtsRock und die neonazistischen Kampfsport-Aktivitäten, die für ein hohes Aufkommen extrem rechter Veranstaltungen im Jahresverlauf sorgten.

Extrem rechtes Parteienspektrum und die Wahlen

Insgesamt ist deutlich zu sehen, dass überall dort, wo die AfD in Thüringen in Erscheinung tritt, die klassischen Neonazi-Parteien deutlich an Wähler*innenstimmen und Bedeutung verloren haben. Elektoral hat das Auftreten der AfD zum Ausbluten der klassischen Neonazi-Parteien geführt.

Bei der Europawahl 2019 konnte sowohl die Neonazi-Partei Die Rechte als auch Der Dritte Weg nur 0,1% der abgegebenen Stimmen erringen. Dies bedeutet rund 1.500 bzw. 1.200 Stimmen für die beiden Kleinstparteien. Die NPD erreichte insgesamt 1,0% und verlor damit 2,4% im Vergleich zur Europawahl 2014. Dies ist zwar immer noch ein Mehrfaches des Bundestrends, wo die Partei insgesamt nur 0,3% erlangen konnte, zeigt aber auch hier einen massiven Verlust auf.

Ähnlich sieht es bei der NPD in fast allen Kreisen bei den Kommunalwahlergebnissen aus. Selbst in einigen ihrer ehemaligen Hochburgen, die auch Wohnorte von Funktionären sind, hat die NPD massiv verloren. (Siehe dazu ausführlicher: Rechts und ganz weit rechts: Die Wahlergebnisse in Thüringen – https://mobit.org/wahlergebnisse-2019/)  Im Vergleich zu 2014 war die NPD – mit wenigen lokalen Ausnahmen – ohnehin  im Wahlkampf kaum präsent. Der Bedeutungsverlust der Partei bei den Wahlen war also bereits im Vorfeld abzulesen.

Entgegen des allgemeinen Abwärtstrends der Neonazi-Parteien, sind insbesondere zwei Landkreise  zu nennen: Im Landkreis Hildburghausen konnte das Bündnis Zukunft Hildburghausen um den Neonazi Tommy Frenck sein Wahlergebnis deutlich steigern.  Auch in Eisenach konnte die NPD rund um den Neonazi Patrick David Wieschke ihr Ergebnis nochmals ausbauen. In beiden Regionen vergrößerten sich damit die extrem rechten Fraktionen im Stadt- bzw. Kreistag. Hinzu kommt, dass das Bündnis Zukunft Hildburghausen im Landkreis insgesamt 13 Sitze in Ortsteil- und Gemeinderäten erringen konnte.

Gemeinsam ist Hildburghausen und Eisenach, dass hier mit Frenck und Wieschke Neonazis an der Spitze agieren, die selbst auch aus der Region stammen und seit vielen Jahren lokalpolitisch aktiv sind. In Eisenach konnte Wieschke mit rund 4.500 Kreuzen sogar die zweitmeisten Stimmen aller angetretenen Kandidat*innen erreichen. Und auch Tommy Frenck in Hildburghausen liegt  mit rund 6.000 Stimmen als Einzelkandidat auf Platz zwei hinter dem amtierenden Landrat. Beide sind die Gallionsfiguren der lokalen Neonazi-Szene. Hinzu kommt, dass die extreme Rechte in beiden Regionen über eine Immobilie verfügt und damit auch überregional als Anlaufpunkt für die Szene Bedeutung hat.

In Erfurt trat die neonazistische Kleinstpartei Der Dritte Weg im Vorfeld der Wahlen massiv öffentlich in Erscheinung. Allein etwa 60 Infostände und Kundgebungen führten Neonazis der Partei innerhalb einer Woche im gesamten Stadtgebiet durch. Dennoch konnte die Partei bei der Stadtratswahl lediglich 0,6% der Stimmen erringen. Im Stadtteil Herrenberg, wo die Partei über eine eigene Immobilie verfügt, erreichte die Kandidatin der Partei zur Ortsteilbürgermeisterwahl 37,3% der abgegebenen Stimmen. Sie war die einzige Gegenkandidatin zum amtierenden Ortsteilbürgermeister im Erfurter Südosten.

Schon seit mehreren Jahren verfügte Der Dritte Weg über Stützpunkte im Thüringer Wald und in Ostthüringen. Seit dem Übertritt weiterer Neonazi-Funktionäre aus dem Raum Erfurt/Weimar und dem damit verbundenen Zugriff der Partei auf eine eigene Immobilie hat sich Erfurt zum Schwerpunkt der Parteiaktivitäten in Thüringen entwickelt. Zuletzt versuchte die Partei ihre jährliches „Jugend im Sturm“-Festival in Erfurt durchzuführen. Die Veranstaltung stellt eine Kombination aus RechtsRock- und Kampfsportveranstaltung dar. Der Ortswechsel von Kirchheim nach Erfurt zeigt, dass die Partei in der Landeshauptstadt trotz des verpassten Einzuges in den Stadtrat die eigenen Strukturen weiter ausbauen will. Dafür spricht auch die Ankündigung des bundesweiten Aufmarschs am 1.Mai 2020 in Erfurt.

Subkulturelle Aktionsfelder  – RechtsRock & Kampfsport

Einhergehend mit dem weitgehenden Bedeutungsverlust bei den Wahlen richtete sich die Strategie extrem rechter Akteur*innen bereits seit mehreren Jahren wieder stärker auf Bereiche wie RechtsRock oder Medienprojekte, um ihre Ideologie zu verbreiten.

Die Zahl der RechtsRock-Konzerte in Thüringen ist seit Jahren auf sehr hohem Niveau und erreichte 2018 mit 71 Konzerten einen neuen Höchststand. Vor allem die medienwirksamen öffentlichen Großveranstaltungen mit teils mehreren Tausend Teilnehmenden haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, den Ruf Thüringens als Kernland der extrem rechten Konzertszene zu festigen. Entsprechend erfreulich ist es, dass es zuletzt mehrfach gelang durch zivilgesellschaftliche Proteste und konsequenteres Agieren der Behörden, Erfolge im Kampf gegen diese Veranstaltungen zu erzielen. 2016 bis 2018 fanden jeweils 4 bis 5 Großveranstaltungen in Thüringen statt. Nachdem die dritte Auflage des „Rock gegen Überfremdung“ im Jahr 2018 in einem weitgehenden Desaster für die Szene endete (vgl. dazu Jahresrückblick 2018 ), gelang es den Veranstaltern 2019 nicht eine weitere Auflage des Konzertes zu organisieren. Damit fanden 2019 „nur“ noch 2 extrem rechte Großveranstaltungen im Freistaat statt: der „Eichsfeldtag“ in Leinefelde und die „Tage der nationalen Bewegung“ in Themar. Der „Eichsfeldtag“ des NPD-Funktionärs Thorsten Heise fand zum neunten Mal in Folge statt und zählt trotz rückläufiger Besucher*innenzahlen weiterhin zu den fest etablierten RechtsRock-Veranstaltungen.  Auch die „Tage der nationalen Bewegung“ in Themar blieben 2019 deutlich hinter den Erwartungen der neonazistischen Veranstalter zurück (vgl. dazu Störungsmelder).  Durch breit getragene Proteste, die aus ganze Thüringen unterstützt wurden, strenge Auflagen wie etwa ein Alkoholverbot und das konsequente Agieren der Polizei, die die Auftritte mehrerer Bands aufgrund von Verstößen gegen die Auflagen beendete, konnte die Veranstaltung in ihrem Ablauf erheblich behindert werden. Die Veranstalter um den Südthüringer Neonazi-Unternehmer Tommy Frenck kündigten im Nachgang ein zweites Konzert an. Dieses für zwei Tage und mit 1000 Besucher*innen angekündigte Festival, schrumpfte letztlich zu einer eintägigen Abendveranstaltung mit zwei Liedermachern zusammen.

Diese Erfolge dürfen dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass neben den Großveranstaltungen im öffentlichen Raum auch weiterhin an nahezu jedem Wochenende RechtsRock-Veranstaltungen und extrem rechte Liederabende – häufig in den zahlreichen szeneeigenen Immobilien – in Thüringen stattfanden.

Neben dem Bereich RechtsRock hat sich insbesondere in den beiden vergangenen Jahren Kampfsport als weiteres Betätigungsfeld extrem rechter Aktivisten entwickelt. Dabei zeigt sich auf vielen Ebenen, dass die extreme Rechte im Freistaat aktiv in die Netzwerke der bundesweiten und auch internationalen Kampfsportszene involviert ist. Wiederholt fanden Vernetzungstreffen der zentralen Kampfsport-Gruppierungen in Thüringen statt und immer wieder sind Thüringer Neonazis an den bundes- und europaweit stattfindenden Kampfsportveranstaltungen beteiligt.

Gänzlich neu sind diese Erscheinungen nicht, aber es ist in den letzten Jahren in der extrem rechten Szene ein enormer Ausbau der Strukturen zu beobachten. Neben den zahlreichen neuen Szene-Veranstaltungen und Kleidungsmarken entstanden auch neue extrem rechte Kampfsportvereine und Trainingsgruppen. Beispielhaft zu nennen ist die Gruppe „Knockout 51“ aus Eisenach, die für ihre Kampfsporttrainings wiederholt die Immobilie des NPD-Aktivisten und –Stadtrats Patrick Wieschke nutzte. Immer wieder treten Neonazis, die auch bei „Knockout 51“ aktiv sind, bei Spielen des FC Rot-Weiß-Erfurt in Erscheinung und pflegen enge Kontakte zum Hooliganspektrum rund um die Gruppe „Jungsturm“. So reiste etwa eine größere Gruppe aus Eisenach und Erfurt gemeinsam zum diesjährigen „Tiwaz“ – einem extrem rechten Kampfsportturnier – nach Sachsen. An dem Turnier nahm auch eine Person aus dem Umfeld der Gruppe als Kämpfer teil.

Neben dem freien Kameradschaftsspektrum ist es in Thüringen vor allem die Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg, die eigene Strukturen für Kampfsporttrainings geschaffen hat. In Erfurt bewerben die Neonazis ganz offensiv die Möglichkeit, in ihrer Immobilie auf dem Herrenberg an derartigen Trainings teilzunehmen. Ihre Angebote richten sich dabei gezielt auch an Kinder und Jugendliche.

Eigens für solche Aktivitäten wurde innerhalb der Partei im Sommer 2018 die Arbeitsgruppe „Körper & Geist“ geschaffen, die nicht nur in Thüringen agiert.

Kampfsport ist für die extreme Rechte zu einem Aktionsfeld geworden, welches deutliche Parallelen zu früheren Entwicklungen in der RechtsRock-Szene aufweist: Durch die Etablierung eigener Veranstaltungen und Modemarken können finanzielle Umsätze generiert werden. Gerade die Großevents sind zudem – ähnlich wie RechtsRock-Konzerte – Netzwerkveranstaltungen, bei denen die Szene auch ihre internationalen Verbindungen pflegt. So ziehen die Kampfsportveranstaltungen der extremen Rechten auch Personen an, die zum Teil noch nicht fest in der Szene verankert sind. Dabei ist besonders die Hooliganszene im Fokus.

Zusätzlich dient Kampfsport der extremen Rechten als Vorbereitung für den etwaigen Straßenkampf – bei Angriffen auf politische Gegner*innen, tatsächliche oder vermeintliche Migrant*innen und auch in der Auseinandersetzung mit der Polizei. 

AfD auf Kommunal- und Landesebene

 Entscheidender als die Ergebnisse der Neonazi-Parteien ist das Abschneiden der AfD um ihren extrem rechten Spitzenkandidaten Björn Höcke. Insgesamt erreichte die AfD bei den Kreistagswahlen thüringenweit 18%, bei den Wahlen zu Stadt- und Gemeinderäten nur 7,3%. Letzteres liegt vor allem daran, dass die AfD nicht in jeder Stadt bzw. Gemeinde zur Wahl angetreten ist. Fast überall dort, wo sie eigene Kandidat*innen aufgestellt hat, erreichten diese über 10 Prozent der Stimmen. Insgesamt errang die AfD weit über 300 Mandate in den verschiedenen Kommunalen Gremien.

Bei der Landtagswahl erhielt die AfD 23,4% der Stimmen und zog damit als zweitstärkste Fraktion mit 22 Sitzen in den Landtag ein. Im Vorfeld der Wahl riefen auch Thüringer NPD-Kader wie der Neonazi Thorsten Heise dazu auf, die Erststimme der AfD zu geben. Das Ergebnis liegt damit auf ähnlichem Niveau, wie zuvor bereits bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.  Die flächendecke Vertretung der AfD in den kommunalen Gremien und das starke Abschneiden bei den Landtagswahlen, stellt die demokratische Zivilgesellschaft vor enorme Herausforderungen. Wie sich bereits in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt gezeigt hat, ist künftig auch in Thüringen mit erhöhtem Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu rechnen. Das Agieren der demokratischen Fraktionen wird daher von entscheidender Bedeutung sein. Die ersten Fälle, bei denen Mitglieder der AfD-Fraktionen mit Stimmen der demokratischen Parteien in kommunale Gremien gewählt wurden, sind warnende Beispiele für die fortschreitende Normalisierung der AfD.

 Zivilgesellschaft

Die diesjährige Wahlkampfzeit stellte auch die Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen. Während es bei der Europa- und Kommunalwahl nur punktuell gelang Widerstand gegen die Wahlkampfauftritte extrem rechter Parteien und Personen zu organisieren, fand zu den Landtagswahlen nahezu bei jedem größeren Auftritt der AfD ein zivilgesellschaftlich getragener Protest dagegen statt. Trotz fehlender landesweiter Kampagne funktionierte die Gegenwehr vor Ort gut, auch in den Regionen, in denen bisher keine kontinuierlichen zivilgesellschaftlichen Bündnisse aktiv waren.

Hinzu kommt, dass es bei den Protesten gegen die RechtsRock-Veranstaltung in Themar gelang, deutlich mehr Gegendemonstrant*innen aus ganz Thüringen zu mobilisieren, als in den Vorjahren.

Die Mobile Beratung in Thüringen Für Demokratie – gegen Rechtsextremismus
https://mobit.org/

Jahresrückblicke 2019 aus den einzelnen Bundesländern

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