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Kommentar Der moderne Schlussstrich?

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Anetta Kahane ist Senior Consultand und ehemalige Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung.

Aber Grund zur Besorgnis besteht nicht. Denn wir alle wissen, das geht so weiter, auch im nächsten Jahr. Auch im übernächsten. Wir haben uns daran gewöhnt und das mag in der Tat ein Zeichen dafür sein, dass wir in einer stabilen Demokratie leben. Wir akzeptieren, dass es die NPD weit gebracht hat, dass es immer stärker werdende „freie Kräfte“ und Autonome Nationalisten gibt, wir nehmen einen Alltag in der Provinz (dies schließt bestimmte Stadtteile großer Städte ein) zur Kenntnis, in der mit Rechtsextremen Kommunalpolitik ausgehandelt wird und dass sich dort wo es sie nicht gibt, dennoch viel zu oft das „gesunde Volksempfinden“ mit Feigheit und Kälte paart. Doch eine Gefahr besteht nicht. Ist es nicht so?

In der Mediengesellschaft wird zu allen Themen unermüdlich nach Deutungen gesucht, die ein anderer vorher nicht hatte. Danach ist ein und dasselbe jeweils ganz furchtbar schlimm, völlig harmlos, schon bedenklich, aber völlig falsch interpretiert, reine Erfindung oder vollkommen aus der Mode. Das erleben wir im Fall des Rechtsextremismus natürlich auch und daraus entsteht ein enormer Druck auf die Arbeit, Ziele und Methoden der Amadeu Antonio Stiftung. Das Kunststück besteht darin, objektiv zu bleiben und vernünftig. Aber auch offen für Innovation.

Erfolgreiche Kampagne „Kein Ort für Neonazis“

Im zurückliegenden Jahr konnten wir das nur tun, weil wir Spenden bekommen haben. Damit haben wir Projekte gefördert, die sonst keine Chance gehabt hätten, Perspektiven eingenommen, die in keinem Bewilligungsbescheid standen und Methoden entwickelt, die nicht im Lehrbuch stehen. Wir haben Opfer rechter Gewalt aus dem Opferfonds CURA unterstützt, uns intensiv mit dem Thema ‚Gender und Rechtsextremismus’ beschäftigt, wir veranstalteten die Aktionswochen gegen Antisemitismus, förderten besonders in Thüringen junge Leute mit ihren Demokratieprojekten, ließen die erfolgreiche Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ starten, übersetzten das Wichtigfinden von Kinderrechten in machbare Projekte, ließen der Feiern zum Mauerfall zum Trotze auch die DDR Geschichte nicht aus dem Blick – um nur einiges zu nennen. Und mit all dem haben wir auch politischen Druck ausgeübt. Denn nichts ist so gut als Argument wie Erfahrung und funktionierende Praxis. Und nichts ist für diese Praxis so wertvoll wie privates Geld. Ohne Ihre Unterstützung gäbe es von all dem nur recht wenig, denn fast alle derjenigen Projekte, die in der Amadeu Antonio Stiftung durchgeführt werden, sind zumindest an ihrem Anfang mit privaten Mitteln ausprobiert und umgesetzt worden. Das gleiche gilt für die Förderung der kleinen Initiativen, aus denen später große Projekte wurden, wie in Wurzen beispielsweise – wo das Netzwerk für demokratische Kultur gerade seinen 10. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch an Euch! Und die Hilfe für Opfer rechter Gewalt gäbe es ohne Spenden gar nicht.

Unsere Netze müssen dichter, haltbarer und besser werden

Aber es stimmt wohl: vieles hat sich verändert, vieles verbessert und sehr vieles ist noch lange nicht begonnen worden. Will man eine Kultur so verändern, dass es den Nazis unmöglich ist, sich ihrerseits weiterzuentwickeln, dann fehlt noch eine Menge. Unsere Netze müssen dichter, haltbarer und besser werden. Sie sollten sich nicht von Ideologien leiten lassen, sie müssen ihren universalistischen Charakter verteidigen – vor alten und neuen Anfechtungen, sie selbst sollten das sein, was sie anderen vermitteln wollen: eigeninitiativ, selbstbewusst und vor allem jedem Einzelnen gegenüber menschlich im besten Sinne. Dennoch sollten sie sich nicht so wichtig nehmen und müssten es wohl auch nicht, wenn sie fachlich gut, inhaltlich inklusiv und nicht exklusiv, menschlich einigermaßen reif, für Entwicklung offen sind und sich ein gewisses Maß an Selbstironie erhalten.

Deshalb ist es wohl wichtig, was die neue Bundesregierung zum Rechts-, Links- und Querextremismus meint und wie sie wen fördern möchte. Es ist auch nicht egal, wie sich die Medien verhalten oder ob jemand meint, Rechtsextremismus sei jetzt 20 Jahre nach Mauerfall endgültig aus der Mode. Doch ob von diesem Jahr an eine Art moderner Schlussstrich gezogen wird, weil Deutschland nun endgültig aus dem Schatten seiner Vergangenheit zu treten beabsichtigt oder, ob es einen neuen Beginn gibt, der gute und schlechte Erfahrungen als wertvoll mit einschließt, ist noch nicht entschieden. Wir werden wohl selbst dafür sorgen müssen, dass es bei allem was wir tun, einen Sprung in eine neue Qualität gibt. Denn Rechtsextremismus und was damit zu tun hat, verschwindet nicht von allein. Besonders dann nicht, wenn so manche Politiker selbstgefällig darüber wegschauen. Im Gegenteil. Mit Ihrer Unterstützung werden wir auch nächstes Jahr durch Erfahrung und Innovation gute Projekte machen. Und die Nazis nicht in Ruhe lassen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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