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Todesopfer 30 Jahre nach dem Mord an Mike Zerna

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(Quelle: Moritz Stumm)

Im Interview erzählt er von seinem Bruder, der Tatnacht und den Folgen. Das Interview erschien zuerst Anfang 2022 im Punk-Magazin Black Cat.

Black Cat: Lieber Frank, erzähle von deinem Bruder.
Frank Zerna: Mike war mein kleiner Bruder, ich bin Jahr­gang 1969, er 1970. Wir sind sehr eng auf­gewachsen bei uns in Vetschau. Typisch DDR eigentlich – Frühhort, Späthort und so weiter. Als Kinder haben wir zusammen gespielt. Später waren wir dann in der Sub­kultur unterwegs und sind auf Konzerte gefahren.

Du warst schon zu Ostzeiten in der Metal­szene?
So ungefähr 1985, als ich in der Ausbildung war, ging’s mit Metal bei mir los. Ich bin da reingerutscht. In den Punk genauso und Hardcore auch, obwohl ich den Begriff da­mals noch nicht kannte. Ein Freund, der im Nachbaraufgang von uns wohnte, war ein Punk, über den kam da einiges. Viele Sze­neleute gab es in Vetschau nicht. Wir ha­ben uns darum stark auf Cottbus bezogen. Im Gladhouse haben sich alle Subkulturen getroffen. Aber wir sind auch weiter weg­ gefahren, nach Berlin oder nach Thüringen, ein paar Mal auch zu verbotenen Konzer­ten. Mike war immer dabei.

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Und ihr habt dann selbst Musik gemacht?
Nur ich. Wir wollten zusammen mit unse­rem Punk-Nachbarn an den Drums eine Band starten, aber das hat nicht geklappt. Mike war schuld, der war total unmusikalisch. (lacht) Ich war dann in der Wendezeit in einer lndustrial-Band, die hieß Dogmati­ zed Machinery. Und dann fing es mit Ensla­ved an. Die Proben waren immer Sonntag­ früh, brutaler Termin für solche Musik. Als der erste Sänger aufhörte, bin ich eingestiegen, vielleicht so 1991. Das habe ich paar Jahre gemacht, vielleicht bis Mitte der 1990er. Genau weiß ich’s nicht. Wir haben viel getrunken, mehr als gut war wahrscheinlich. (lacht) Mike hat für einige der ganz frühen Enslaved-Songs die Texte geschrieben, auf Deutsch und auf Englisch.

Beim Konzert 1993 in Hoyerswerda habt ihr aber nicht gespielt, oder?
Unsere Freunde haben da gespielt, Necro­mance aus Spremberg und dazu eine zweite Band. Meinem Bruder gehörte ein Fi­at-Transporter, er hat damit das Equipment für Necromance gefahren.

Wie lief das Konzert?
Das Nachtasyl war so ein Kellerklub, darü­ber eine Einkaufszeile oder eine Gaststätte oder soetwas. Ich kannte den Klub nicht, war das erste Mal da. Es war ein Punk­-Schuppen, schätze ich. Das Konzert lief problemlos. Ich erinnere mich noch, dass ich einen Skinhead gesehen habe, mit dem es Ärger gab. Sonst war aber nichts. Nach dem Konzert waren wir alle nicht mehr ganz nüchtern. Ich habe draußen mit Mike das Equipment von Necromance in den Transporter geladen. Das letzte, was ich dann weiß: Es gab Schreie, Leute rannten umher und ich habe was vor den Kopf gekriegt. Dann gingen bei mir die Lichter aus. Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Von dem, was dazwischen war, habe ich nur noch Fet­zen im Kopf. Das Auto war umgekippt, wir liefen durch Hoyerswerda. Ich war total durch. Im Krankenhaus habe ich es nicht einmal hinbekommen, meinen richtigen Namen zu nennen. Mein Kiefer war gebrochen. Ich hatte wohl noch Abdrücke von   Springerstiefel-Profilen auf beiden Seiten in meinem Gesicht. Der Kopf sah wohl aus wie ein Ballon, total aufgequollen. In der Zeit danach wurde das Stottern, das ich schon als Kind hatte, nochmal sehr viel schlimmer.

Wie hast du erfahren, dass Mike gestorben ist?
Eine Pflegerin hat mir im Krankenhaus gesagt, dass Mike auf der Intensivstation liegt und dass es schlimm um ihn steht und er beatmet werden muss. Ein paar Tage später ist er gestorben. Er lag zu lange unter dem Auto und war dadurch zu schwer verletzt.

Wie ging es weiter?
Mike wurde in Vetschau beerdigt. Für mei­ne Eltern war das hart. Jahre vorher war schon ein anderer kleiner Bruder von mir an einer Krankheit gestorben. Mike war also das zweite Kind, das die beiden verloren haben. Der Presserummel war mies. Es kamen dauernd Kamerateams. RTL hat sich wie die Axt im Walde benommen, total pietätlos.

Beim Gerichtsprozess warst du auch?
Ja, in Bautzen. Ich war Zeuge und auch Nebenkläger. Ich habe meine Mutter zu sehr vielen der Verhandlungstage gefahren. Den Prozess kannst du vergessen. Unsere An­wältin hat sich leider nicht ordentlich ge­kümmert. Und die Nazis… Alle taten, als wären sie arme Würste, arm und arbeitslos. Hatten aber alle beste Anwälte, die jedes Wort zerpflückt haben. Und was manche von denen schon auf dem Kerbholz hatten, krass. Die Nazis wollten sich alle an nichts erinnern, schoben alles auf ihre „schwe­re Kindheit“ und den Alkohol. Lächerliche Strafen, vier Jahre war das höchste.

War das Verhalten der Polizei Thema?
Es gab ja Zeugen beim Prozess aus den umliegenden Wohnblöcken. Die haben erzählt, dass sie gesehen haben, wie die Polizei vorbeigefahren und einfach wieder abgehauen ist. Als sie wiederkamen, war es zu spät.

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