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US-Wahl 2020 Rechtsextreme Milizen in den USA

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Bewaffnet und bereit: Ein Trump-Anhänger im US-Bundesstaat Utah.
Bewaffnet und bereit: Ein Trump-Anhänger im US-Bundesstaat Utah. (Quelle: picture alliance / zumapress | Natalie Behring)

Hampton Stall ist ein Open-Source-Sicherheits-Researcher und Analyst in Atlanta, Georgia. Er beobachtet die Milizszene in den USA seit Jahren und dokumentiert ihre Aktionen, Spaltungen und ihre wachsende Bedeutung im Land. Stall ist Gründer und Chefredakteur von MilitiaWatch. Nach der ersten TV-Debatte hat W.F. Thomas sich mit Stall über die Entwicklungen in der Miliz-Bewegung der USA unterhalten und was sie für das Land bedeutet. 

Belltower.News: Wie würden Sie eine Miliz im US-Kontext definieren?
Hampton Stall: Milizen in den USA gehören fast immer zum rechten Flügel. Darüber hinaus achte ich auf drei Punkte: Struktur, Planung und Strategie. Ähnlichkeiten zur militärischen Struktur der Streitkräfte, mit Hierarchien und Befehlsketten. Dazu gehört auch eine soziale Struktur, die zu den Milizen gehört. Wenn eine Miliz keine Treffen veranstaltet, nicht aktiv ist, eben nichts plant, dann ist sie auch keine Miliz. In Sachen Strategie gibt es meistens eine spezifische Ideologie oder ein Ideologieelement, dass alle zusammen hält. Etwa die „Verteidigung der Verfassungs“, die „Erhaltung des öffentlichen Friedens“ oder der Kampf gegen antifaschistische Gruppierungen und die Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM).

Juristisch gesprochen handelt es sich eigentlich nicht um Milizen, „militias“ im amerikanischen Sprachgebrauch, sondern um paramilitärische Gruppen. Mit Milizen oder „militias“ waren ursprünglich die bewaffneten Mitglieder einer Community gemeint, die diese Community verteidigen wollten. Die neuen Gruppierungen reisen in andere Städte und Bundesstaaten, verlassen also diesen eigenen Bereich. Die ursprünglichen „well regulated militias“ („wohlgeordneten Milizen“) aus dem zweiten Zusatzartikel der Verfassung, sind zum Teil der Nationalgarde geworden. Die neuen Gruppierungen bezeichnen sich selbst gern als „unorganisierte Milizen“, obwohl sie Anforderungen keinesfalls erfüllen. Eine Definition ist schwierig, meine lautete: Wenn sie bewaffnet sind, sich regelmäßig treffen und eine Struktur, sei sie noch so lose, haben, sind sie eine Miliz.

Ein „Milizionär“ bei einer Demonstration in Stone Mountain im Bundesstaat Georgia. Später am Tag wird es zu Aussschreitungen kommen. (Quelle: W.F. Thomas)

In der ersten TV-Debatte wurden die „Proud Boys“ erwähnt, handelt es sich bei ihnen um eine Miliz?
Vor sechs Monaten hätte ich diese Frage verneint. Die „Proud Boys“ sind eine faschistische Straßenbewegung, tendenziell für jüngere Männer. In den letzten Monaten gibt es aber eine stärkere Struktur, mehr Aktivitäten, zumindest an verschiedenen Orten, nicht landesweit. In Michigan tauchen sie immer öfter mit Schutzwesten und Gewehren auf und arbeiten direkt mit Milizen zusammen, was sie früher nicht getan haben. Wenn ich Milizen auf Facebook tracke, finde ich immer wieder Hinweise darauf, dass sich Leute den „Proud Boys“ und Milizen zugehörig finden. Man kann in unterschiedlichen Gruppen aktiv sein.

Wie organisieren sich die Milizen landesweit und welche Gruppen gibt es überhaupt?
Ich beobachte hauptsächlich die „Three Percenters“. Es gibt auch noch die „Oath Keepers“, sowie die „Constitutionalist“ und „Light Foot“-Milizen. Die „Three Percenters“ und die „Oath Keepers“ sind landesweit organisiert, es gibt eine Führungsgruppe, es gibt Sprecher, es gibt jemanden, der sich um Social Media kümmert. Andere Milizen organisieren sich höchstens auf Bundesstaatsebene, sind aber auch untereinander in Kontakt. „Constitutionalist“ und „Light Foot“-Milizen haben weniger verfestigte Ideologien, im Vergleich zu den „Three Percenters“ und den „Oath Keepers“.

Woher kommen die Namen?
Die „Oath Keepers“ versuchen vor allem ehemalige Polizist*innen und Veteran*innen zu rekrutieren, die so ihrem geleisteten Eid treu bleiben sollen. Die „Three Percenters“ beziehen sich auf die mittlerweile widerlegte Behauptung, nur drei Prozent der amerikanischen Bevölkerung hätte im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu den Waffen gegen die Briten gegriffen und sie schlussendlich vertrieben. Die heutigen Gruppen vergleichen sich mit denjenigen, die sich damals gegen Tyrannei gewehrt haben. Entstanden sind sie aus der gegen Obama gerichteten Tea-Party-Bewegung. Die politische Stoßrichtung ist also klar.

Unterstützen die Milizen alle Donald Trump?
Es kommt drauf an. Sie sind eher gegen die Linke im Ganzen, aktuell besonders mit Blick auf antifaschistische Gruppen und die BLM-Bewegung. Sie werden sicherlich überwiegend Trump wählen. Es kursieren zahlreiche Legenden darüber, dass Biden eigentlich ein Undercover-Sozialist sei und George Soros die Antifa finanziere. Das übliche. Die Gruppen wähnen sich auf der gleichen Seite mit Trump und der Polizei, gegen linke, anti-Südstaaten, antifaschistische Gruppen.

Was machen diese Milizen eigentlich überhaupt?
Traditionelle Milizen habe etwa 80 bis 90 Prozent ihrer gemeinsamen Zeit beim Training oder politischen Schulungen verbracht. Das hat sich in den letzten zwei Jahren zugunsten zweier anderer Aktionsformen verändert. Eine davon ist bewaffneter Aktivismus. Gruppen tauchen meist bewaffnet bei Demonstrationen auf und äußern ihre politische Meinung, etwa dass sie Abtreibungen ablehnen. In diesem Sommer waren es hauptsächlich Gegendemonstrationen. Dabei sind auch immer unbewaffnete Teilnehmende.

Die zweite Hauptaktivität besteht zur Zeit aus „Schutzaktionen“. Etwa wenn Mitglieder bei Protesten auftauchen und behaupten, keiner Seite anzugehören, aber bestimmte Bereiche, zum Beispiel Statuen, Tankstellen oder Gebäude bewachen. Manchmal wurden sie von den Besitzer*innen darum gebeten, manchmal nicht. Zeitgleich zu den Präsidentschaftswahlen werden im November auch Abgeordnete für den Kongress und das Repräsentantenhaus und andere gewählt. Kandidat*innen, die hier in Georgia QAnon nahestehen, werden von Milizen beschützt.

Todesblick: Ein Möchtegern-Soldat, immerhin mit Mund-Nasen-Bedeckung (Quelle: W.F. Thomas)

Haben Sie Bedenken, dass diese Gruppen sich noch stärker in Richtung Terrorismus bewegen?
Es gibt mehrere Fälle, in denen Miliz-Mitglieder explizit Minderheiten mit Gewalt bedroht haben. Drei Männer aus dem direkten Umfeld der „Three Percenter“ wurden während der Planungen für einen Brandanschlag auf ein von Migrant*innen aus Somalia bewohntes Gebäude auf frischer Tat ertappt. Wir sehen immer schärfere Bedrohungen und Wortbeiträge online, die Diskussionsteilnehmer ergehen sich in ausgiebigen Gewaltfantasien. Dieses Verhalten hat einen Verstärkungseffekt, Gewalt wird wahrscheinlicher.

Was sind das für Leute, die in Milizen organisiert sind?
Es sind zu 75 Prozent weiße Männer über 28 und auch einige ältere Personen. Es kommt sehr auf die einzelne Einheit an. Es gibt auch Gruppen mit Frauen oder PoC-Mitgliedern, die dann in erster Reihe stehen. Es gibt sehr viele Gründe, warum man sich anschließt, einige können ihre Entscheidung einem bestimmten Ereignis zuordnen. Dazu kommen neue Gruppen, wie die „Boogaloo Boys“, die eigentlich keine Miliz sind, sondern eher eine Ästhetik und Kultur, die zur Identifikation einlädt. Sie laufen parallel zur Miliz-Bewegung, aber es gibt Überschneidungen.

Was bedeuten diese Milizen für die bevorstehende Wahl? Werden diese Gruppen aktiv, wenn die Wahl anders ausgeht, als sie hoffen?
In den USA sind wir es gewohnt, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in derselben Wahlnacht zu erfahren. Dieses Jahr wird es mit der Covid-19-Pandemie und den vielen Briefwähler*innen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Der Zeitraum zwischen dem Wahltag und dem Punkt, an dem die Ergebnisse tatsächlich vorliegen, wird eine sehr unberechenbare Phase sein. Selbst wenn Biden mit erheblichem Abstand gewinnt, wird Trump möglicherweise einer friedlichen Machtübergabe nicht zustimmen. Einige seiner Bemerkungen in der ersten Debatte bekräftigen das. Äußerungen wie diese sind für Trump nicht untypisch, aber sie so klar zu hören, spornt viele dieser Leute an. Es gibt vielleicht einigen Mut zu handeln, den sie sonst vielleicht nicht hätten.

Es gibt ihnen Legitimation?
Ja, weil sie das Gefühl haben, dass der Präsident hinter ihnen steht. Kurz nach Trumps Kommentar bei der ersten TV-Debatte, noch am gleichen Abend, hatten die „Proud Boys“ bereits „Stand Back and Stand By“-Shirts entworfen – Trumps Worte in der Debatte. Und die Übergangsphase zwischen dem Wahltag und dem Amtsantritt des neuen Präsidenten könnte eine lange Phase der politischen Unsicherheit sein. Es gibt Aufzeichnungen von verschiedenen Personen in der Milizenszene, die die Presse sehr explizit und direkt ansprechen. Zum Beispiel, „Wenn Trump verliert, fahre ich mit einem Gewehr nach Washington DC“. Wir müssen davon ausgehen, dass das, was Menschen sich trauen, Journalisten direkt ins Gesicht zu sagen, nur die Spitze des Eisbergs ist.

Rechte Milizen: Eine schwer bewaffnete Bürgerwehr (Quelle: W.F. Thomas)

Wir haben über einige Neonazi-Gruppen gesprochen. Gibt es einen wachsenden Trend zum Konzept des „führerlosen Widerstands“, wie etwa mit Gruppen wie der „Atomwaffen Division“?
Ja, absolut. Die Turner Diaries haben das Konzept in der amerikanischen Neonaziszene groß gemacht. Das Buch bietet eine wichtige Erzählung für viele rechtsextremen Gruppen – eine Erzählung, die umformuliert und umgeschrieben wurde, bis ihre Ideen akzeptabel im Kampf gegen die „Tyrannei“ geworden sind. Die Milizionäre lesen dieses Buch nicht, obwohl die „Atomwaffen Division“ das sicherlich tut. Es gibt aber trotzdem Ähnlichkeiten in den Erzählungen. Zum Beispiel wie ein einzelner Akteur die Welt verändern kann.

Das zeigt sich auch in der Unterstützung für Kyle Rittenhouse. Der 17-Jährige soll zwei „Black Lives Matter“-Demonstrierende erschossen und einen weiteren schwer verletzt haben.
Er wird mittlerweile schon „Saint Kyle“ oder der „heilige Kyle“ genannt. Dieser Status als lebender Märtyrer ist alarmierend. Es gibt zahllose Memes über ihn und sogar T-Shirts werden gedruckt. Dabei hat er sich nicht öffentlich geäußert. Sein Fall ist aber auch interessant mit Blick auf die Idee des führerlosen Widerstands. Milizen, wie die „Kenosha Home Guard“ laden Nicht-Mitglieder mit Waffen ein, an den Demonstrationen teilzunehmen. Rittenhouse war kein Mitglied, aber ist dieser Einladung gefolgt. Ich glaube dieses Muster werden wir in Zukunft häufiger sehen.

Es gibt einen Unterschied zwischen „einsamen Wölfen“ und einzelnen Tätern, die sich als Teil einer Gruppe fühlen. Lone-Wolf-Terroristen führen eine Tat aus, aber sie sind alleine und agieren auch allein. Zukünftig werden Täter in den Vordergrund treten, die mit anderen zusammenarbeiten, von denen sie glauben, dass sie auf der gleichen Seite stehen, die sie aber nicht kennen müssen und denen sie auch keine Rechenschaft schuldig sind. Eine Miliz mit militärischen Strukturen und miteinander verbundenen Mitgliedern ist keineswegs besser oder sicherer, aber sie ist anders einschätzbar als ein Individuum, dass auftaucht und um sich schießt, weil es davon ausgeht, die Unterstützung der Umstehenden zu genießen.

Facebook und andere soziale Medien haben reagiert und mehrere Seiten der Milizen gesperrt.
Einerseits war das ein sehr guter Schritt, weil es die Reichweite dieser Leute stark eingeschränkt hat. Andererseits spült sie das in sehr viel geheimere und besser geschützte Teile des Internets, in denen sie Gewaltfantasien freien Lauf lassen und vor allem unbeobachtet planen können.

Was machen Sie am Wahlabend?
Kein Fernsehen! Ich werde mit der Katze spielen.

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Die „Proud Boys“, 2016 in den USA gegründet aber mittlerweile auch international aktiv, sind ein misogyner Männerclub und eine rechtsradikale Schlägertruppe – oder in ihren eigenen Worten: „westliche Chauvinisten“. In einer TV-Debatte während des US-Präsidentenwahlkampfs fand Trump ermutigende Worte für die Gruppe: Die „Proud Boys“ sollen sich bereithalten. Was meint er damit? Wer sind die „Proud Boys“? Und welche Gefahr geht von dieser Gruppe aus? Ein Porträt.

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