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Thüringen 2012 Verdoppelung rechtsextremer Aktivitäten und Gewalttaten

"Rock für Deutschland" in Gera (Quelle: Mario Bialek/Infothek Dessau)

Beiträge von Ezra – Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt – und Mobit – mobile Beratung in Thüringen

Mit dem Bekanntwerden der NSU-Morde Ende des letzten Jahres wurde einer breiten Öffentlichkeit deutlich, wohin die rechtsextreme Ideologie der Ungleichwertigkeit, der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und der Befürwortung von Gewalt führten. Für die Menschen, die sich schon länger gegen Rechtsextremismus engagieren und Opfer rechter Gewalt unterstützen, sind diese Morde nur die Spitze des Eisberges. Es waren nicht die ersten Morde und es werden andere folgen.

Das ist die traurige Wahrheit.

Bereits zum zehnten Mal in Folge fand am 7. Juli dieses Jahres das sogenannte „Rock für Deutschland“-Konzert in der Innenstadt Geras statt. Auf dem Bahnhofsvorplatz, mitten in der zweitgrößten Stadt Thüringens, jubelten rund 1.000 Neonazis RechtsRock-Bands wie Oidoxie und Tätervolk zu, kauften an diversen Ständen von Neonaziversandhändlern ein und lauschten den Worten der Redner. Positiv ist zu vermerken, dass erstmals auch Landespolitikerinnen- und politiker bei den Protesten gegen „Rock für Deutschland“ anwesend waren.

Die Veranstaltung bildete den Abschluss der Thüringer RechtsRock-Open-Air-Saison 2012. Zuvor hatten bereits der „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Meiningen (220 Teilnehmende) und der „Eichsfelder Heimattag“ in Leinefelde (900 Teilnehmende) stattgefunden. Damit wurden seit 2002 im Freistaat genau 30 dieser RechtsRock-Events unter freiem Himmel veranstaltet. Diesen wurde, über die Deklarierung des Konzertes als politische Veranstaltung durch die NPD, meist ein legaler Rahmen ermöglicht.

Attacken auf Kunsthaus und Bürgermeister

Darüber hinaus fanden auch in diesem Jahr in mehreren Städten Thüringens sogenannte „Heldengedenken“ statt. Die größte Veranstaltung dieser Art wurde mit einem Fackelmarsch in Friedrichroda durchgeführt. Sie wurde erneut vom NPD-Landesvorstandsmitglied Sebastian Reiche organisiert. Es trafen sich rund 80 Neonazis, um den toten Soldaten aus Wehrmacht, Marine, Luftwaffe, Waffen-SS und Volkssturm zu gedenken. Auch der NPD-Landesvorsitzende Patrick Wieschke beteiligte sich mit einer Rede.

Im Juli sorgte zudem ein Neonazi-Übergriff im Zentrum der Landeshauptstadt Erfurt für Aufsehen, welche im vergehenden Jahr Schwerpunktregion rechtsextremer Gewalt war. Bei einer Ausstellungseröffnung im Kunsthaus wurden die Gäste von mehreren Neonazis attackiert und teilweise verletzt. Zwar zog dieser Vorfall eine breite mediale Debatte nach sich, reiht sich jedoch nahtlos in eine lange Liste von Attacken mit extrem rechtem Hintergrund (Chronik Ezra) ein. Darunter sind auch ein tätlicher Angriff auf den Bürgermeister von Nordhausen, der bei einer Aktion der „Unsterblichen“ einschritt, und ein Sprengmittelanschlag auf das Parteibüro der Linken in Gera zu zählen.

Im rund 15 km entfernt von Erfurt gelegenen Kirchheim fand am 24.10.2012 der Bundeskongress der Jungen Nationaldemokraten (JN) statt. Die Jugendorganisation der NPD nutzte die Erlebnisscheune, deren Wirt seit längerer Zeit Anmietungen aus Reihen der extremen Rechten offen gegenüber steht.

Die Erlebnisscheune in Kirchheim ist dabei jedoch nur eines neben mindestens acht weiteren Objekten, auf welche die Thüringer Neonaziszene direkten oder leichten Zugriff hat. Auch in Crawinkel, im Landkreis Gotha, befindet sich eine solche Immobilie, dessen neue Besitzer zu dem direkten Umfeld der RechtsRock-Band Sonderkommando Dirlewanger (S.K.D.) gehören. Diese hatten das Haus in der Bahnhofsstraße Ende des Jahres 2011 gekauft und dort bereits in der ersten Jahreshälfte 2012 mindestens fünf Konzerte organisiert.

Staatliches Handeln wenig effizient

Bezüglich staatlicher Verfolgung rechtsextremer Straftaten muss resümiert werden, dass selbst eindeutig rechtsmotivierte Angriffe von der Polizei nicht als solche gewertet und verharmlost wurden. Nur durch den Druck der kritischen Öffentlichkeit wurde diese Praxis geändert. Darauf folgend ist die mobile Opferberatung ezra zu einem Gespräch mit der Erfurter Polizeiführung eingeladen worden. Ein Ergebnis dessen ist gewesen, dass in Zusammenarbeit mit mobit eine Fortbildungsveranstaltung für Polizeibeamte durchgeführt wurde.

Die Bilanz ist insgesamt ernüchternd. Die Hoffnung, dass nun Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte im Verbund offensiver gegen rechte Gewalt vorgehen,  ist in unserer Arbeit noch nicht wahrzunehmen. Oftmals handeln staatliche Stellen diesbezüglich konträr und somit unproduktiv.

Dies ist umso problematischer, da rechtsextreme Aktivitäten wie Konzerte, öffentliche Aktionen, NPD-Veranstaltungen usw. im Vergleich zum Vorjahr von 174 auf 331 (Stand Ende November 2012 – Quelle Mobit) gestiegen sind. Dies ist eine Verdoppelung, auch bei den bekannt gewordenen Gewalttaten.

Ausblick auf 2013

Prognosen über die allgemeine Entwicklung der rechten Szene in Thüringen gestalten sich schwierig. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Aktivitäten der NPD im Vorfeld der Bundestagswahlen 2013 zunehmen werden. Auch wird es voraussichtlich im nächsten Jahr wieder RechtsRock-Großveranstaltungen geben. Zumindest sind bereits ein zwölfter „Thüringentag der nationalen Jugend“ für Kahla sowie der „Eichsfelder Heimattag“ von Thorsten Heise angekündigt.

Der Kampf gegen den weit verbreiteten Rechtsextremismus wird wie in diesem Jahr – zumindest bei den aktiven Gruppen, Bündnissen und couragierten Bürger_innen – ganz oben auf der Agenda stehen. Entscheidend wird sein, ob die politisch Verantwortlichen dieses Engagement ernsthaft anerkennen und staatlichen Behörde anweisen werden, vor allem dem Verfassungsschutz, endlich das Etikett „linksextrem“ nicht mehr zu vergeben.

Die gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagierten Initiativen werden im nächsten Jahr einen „Runden Tisch der Zivilgesellschaft“ gründen. Das wird hoffentlich zur Bündelung von Kräften, aber auch zur gestärkten Interessenvertretung gegenüber der Politik beitragen.

Die Thüringer Landesregierung plant zudem, 500.000 Euro für präventive Maßnahmen gegen Rechtsextremismus auszugeben. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Geld sinnvoll und nachhaltig eingesetzt wird. Vor allem für die Betroffenen rechter Gewalt.

Mehr im Internet:

Ezra – Mobile Beratung fu?r Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Mobit – mobile Beratung in Thüringen für Demokratie gegen Rechtsextremismus

redaktionelle Betreuung: Roger Grahl

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