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Verschwörungswahn und autoritäre Männlichkeit Vater ermordet seine drei Kinder, seine Frau und sich selbst

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(Quelle: Pixabay /JellaKlauke)

Das Narrativ in verschwörungsideologischen Pandemie-Leugner:innen- und Maßnahmen-Gegner:innen-Gruppen ist seit Anfang 2020 gesetzt und wird seitdem nur in immer schrilleren und schrilleren Tönen vorgetragen – und geglaubt: Der Staat hasst Dich. Er versucht nicht, Dich vor einer tödlichen Bedrohung zu schützen. Er ist eine Diktatur, die Dich in Deiner Freiheit unterdrücken will. Die Pandemie gibt es nicht, deshalb brauchst Du keinen Schutz – außer vor dem Staat, der Deine Familie verletzen will, etwa durch Impfungen. Wer etwas Anderes sagt, dem ist nicht zu trauen. Du gehörst zu den Guten, der Staat ist der Feind, und jede:r, der oder die es anders sieht, auch.

Menschen, die das im Internet lesen oder auf Demonstrationen hören, fangen bisweilen auch an, es zu glauben. Eine furchtbare und tödliche Folge der wahnhaften Abwendung von der Wirklichkeit zeigt sich nun im brandenburgischen Senzig. Hier hat ein Mann nach aktuellem Ermittlungsstand offenbar seiner Frau einen gefälschten Impfnachweis besorgt, als deren Arbeitgeber einen solchen verlangte. Die Fälschung erregte Verdacht. Hätte der sich erhärtet, hätte es möglicherweise eine Geldstrafe gegeben, vielleicht wäre der Arbeitsplatz der Frau in Gefahr gewesen (vgl. B.Z.). Das ist unangenehm, peinlich sicher auch. In einem Hirn, dass aber den Staat als das ultimative Böse abgespeichert hat, ist kein Platz mehr für so eine realistische Abschätzung der Folgen. Stattdessen glaubte der Vater zumindest laut seines Abschiedsbriefs, dass ihm der Staat nun die Kinder wegnehmen werde. Diese Vorstellung war offenbar so überwältigend unvorstellbar, dass der Vater zur Tat schritt: Er ermordete seine Frau und die gemeinsamen zehn, acht und vier Jahre alten Töchter, dann sich selbst. Das ist kein „Familiendrama“, denn die Entscheidung zur Tat traf der Mann und dies auch bewusst, wenn auch unter wahnhafter Fehleinschätzung der Situation.

Ein Fachbegriff für Männer, die ihre Familien ermorden, wenn sie sich selbst umbringen wollen, ist der „erweiterte Suizid“. Im Nationalsozialismus wurde er, als das Ende des Dritten Reichs drohte, als Lösung propagiert und von hunderten Menschen, teilweise von ganzen Dörfern umgesetzt (vgl. Deutschlandfunk). Auch seitdem zeigt sich in den dokumentierten Fällen: Die Menschen, die ihre Familie auslöschen, sind in überwältigender Mehrheit männlich. Immer hat dieser erweiterte Suizid etwas mit hegemonialen Vorstellungen von Männlichkeit, oder viel mehr dem Scheitern an diesen, zu tun: hier der Verlust von Achtung, und der Verlust von Kontrolle.

So beschreibt es Veronika Kracher, Expertin für toxische Männlichkeiten: „Für viele Männer, gerade wenn sie einer autoritären Persönlichkeit angehören, ist der Gesichtsverlust eine kaum erträgliche Zumutung. Die paranoide Angst eines Querdenkers, Frau und Kinder nicht dem Zugriff des Staates entziehen zu können, und darüber seine Kinder auch noch zu verlieren, hat sich hier als überwältigend erwiesen. Hinzu kommt, das habe ich aus meinen monatelangen Recherchen im Milieu gelernt: Die Szene vertritt extrem rigide Vorstellungen von Familie und Elternschaft. Eltern stehen auf, Eltern gegen Impfzwang, Eltern gegen Frühsexualisierung und Gendergaga: Querdenker:innen nehmen die Kontrolle über das Leben ihrer Kinder unter dem Deckmantel, sie vor bösartigen fremden Einflüssen schützen zu müssen, ausgesprochen ernst. Es ist pathologisch. Ich glaube, dass der Täter innerhalb seines Selbstbildes also nicht nur als Vater, sondern auch als Kämpfer gegen Impflobby / das Merkelregime / den Feind generell versagt hat, und ihm dieses Versagen und die daraus folgenden Konsequenzen – Verhaftung und Wegnahme der Kinder – zu unerträglich waren, um weiterzuleben. Seine eigene Familie wird mit in den Tod gerissen, da man als guter und allwissender Patriarch a) besser weiß als die Kinder, dass der Tod ehrenvoller ist als das Überleben unter der Corona-Diktatur, und b) es nicht verkraften kann, wenn die eigene Familie Zeug:innen des Versagens des Patriarchen werden. Scham ist innerhalb der cis-männlichen Situation nicht vorgesehen.“ So habe es bereits Sexismus-Forscherin Kate Manne beschrieben: „Statt sich zu verstecken, kann man den Zuschauer beseitigen.“ Kracher schlussfolgert: „Querdenken kann töten. Und es wird weiter Menschen töten, wenn Politik, Medien und Zivilgesellschaft diese wahnhafte und gewalttätige Ideologie weiterhin als legitime Sorgen abtun.“

Nicht nur die Handlung des Vaters zeigt, dass er sich im Impfgegner:innen-Spektrum bewegt hat. Recherchen belegen, dass er etwa in der verschwörungsideologischen Coronaleugner:innen-Gruppe „Freiheitsboten Königs Wusterhausen“ Mitglied war. Nach Angaben in der Gruppe „Freiheitsboten Königs Wusterhausen“ war der Vater selbst Mitglied von „Die Basis“.

Im verschwörungsideologischen Spektrum ist das Framing als „Tragödie“ noch harmlos. In anderen Telegram-Gruppen, etwa der von Ignaz Bearth, wird der Fall so diskutiert, dass die Familie in den Tod getrieben worden sein, dass eine „Corona Kristallnacht“ bald bevorstehe (in Anspielung auf die Reichspogromnacht im Nationalsozialismus).

Das Grundgefühl dieser Person ist: Es herrscht Krieg.

Andere möchten der Presse entweder nicht glauben oder sie als Schuldige in diesem Fall darstellen.

Wer übrigens ein menschenverachtender Rechtsextremer ist, wie der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, der veröffentlicht ein Foto der Familie (!), nennt den Vater einen „Massenmörder“, gibt die Schuld aber der Regierung: „(… ) der Psychoterror der Regierung war der Auslöser. (…) Solche tragischen Fälle werden sich häufen und die Regierung kalkuliert das ein.“ Immerhin ist die Propaganda-Absicht hier klar zu erkennen.

Selbst eine solche Tat ist also in der verschwörungsideolgisch-wahnhaften Pandemieleugner:innen-Szene nicht geeignet, ein Nachdenken zu ermöglichen, ob der Weg der Angst und des Hasses, der den Tod einer ganzen Familie zur Folge hat, wirklich zielführend und lösungsorientiert ist.

In der „Freiheitsboten“-Gruppen, in der auch der Täter war, kommentiert ein anderer Mann die Ermordung der Kinder verständnisvoll und zeigt damit, dass diese Tat hoffentlich ein Einzelfall bleibt, es aber nicht muss:

Die Admins der „Freiheitsboten“-Gruppen posten derzeit Texte, die von einer „beginnenden Hexenjagd“ sprechen, aber wenigstens dazu aufrufen, sich gegenseitig zu helfen, wenn Menschen nicht mehr weiter wüssten. Immerhin, aber ob das wirklich hilft? Das ist nämlich eine weitere fatale Folge der verschwörungsideologischen „Alle anderen sind Feind“-Propaganda: Dass Betroffene sich nicht mehr an Beratungsstellen wenden, weil sie diese ebenfalls als feindlich wahrnehmen.

Im Tagesspiegel wird die Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie mit den Worten zitiert, solche Täter hätten oft schwere psychische Störungen, wie wahnhafte Depressionen, Wahnerkrankungen oder schwere narzisstische oder paranoide Persönlichkeitsstörungen.

Das spricht keinesfalls gegen eine wahnhafte politische Instrumentalisierung, denn es gibt keinen Ausschluss zwischen psychischer Erkrankung und politischer, ideologischer Verblendung: Sie führt ja dazu, bestimmte Handlungsstrategien zu ergreifen, Opfer entsprechend auszuwählen. (vgl.: Belltower.News). Bekannte der Familie erzählten gegenüber der Märkischen Allgemeinen, dass der durch die Pandemie beschäftigungslose Veranstaltungstechniker sich zuletzt „geradezu manisch“ mit dem Thema „Impfzwang“ auseinandergesetzt habe.

Dazu kommt hier auch zwingend das Männlichkeitsbild, das instrumentalisiert wird, wie es die „Fachstelle für politische Bildung und Entschwörung“ der Amadeu Antonio Stiftung beschreibt: Die verschwörungsideologische Szene nutzt bestimmte Männerbilder, um Demokratiefeindlichkeit und antisemitische Mythen zu verbreiten. Mit tradierten Vorstellungen von Geschlecht werden so viele Menschen von Verschwörungsideologien erreicht und leichter radikalisiert. Gekränkte Männlichkeit, die Angst vor Souveränitätsverlust und das Bedürfnis besser als alle anderen ‚Bescheid zu wissen‘ ergeben dabei einen toxischen Nährboden, der zur Gefahr für Andere werden kann.“ Mit tödlichem Ausgang für die Familie.

Update 18.02.2022: Ein antisemitisches, verschörungsideologisches Motiv

Das Tötungsdelikt in Königs Wusterhausen im Stadtteil Senzig im Dezember vergangenen Jahres wird auch als antisemitisches Verbrechen eingeordnet. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Petra Pau hervor. Die Erkenntnisse zu dem antisemitischen Motiv hat die Brandenburger Polizei gewonnen, nachdem sie die Chatverläufe der sichergestellten Chats des Familienvaters untersucht hat. Offenbar war der Tatverdächtige überzeugt davon, dass der Staat mit der Impfkampagne einen „bösen“ Plan verfolge und die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wolle. „Die Einordnung der Tat als ‚antisemitisch‘ ergibt sich aus der Ansicht des Tatverdächtigen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gebe“, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums. Der Mann hatte sich beim Messengerdienst Telegram der Querdenkergruppe „Freiheitsboten Königs Wusterhausen“ angeschlossen.(vgl. rbb, Berliner Zeitung, Tagesspiegel).

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