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YouTube Wenn ein selbsterklärter „Ökonom“ mit Antisemitismus Corona erklären will

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Ernst Wolff im Interview. (Quelle: Screenshot YouTube, BTN)

Corona ist die Zeit der Untergangs-Prophet*innen. Sie kriechen derzeit aus allen Ecken des Internets und posaunen dystopische Szenarien via YouTube in die Welt. Einer von ihnen ist der Autor Ernst Wolff. In einem YouTube-Video-Interview plaudert Wolff darüber, dass Corona genutzt werde, um das ohnehin angeschlagenen Finanzsystem still zu legen. Die Zuschauer*innen verstehen, was nur angedeutet wird: Hinter all dem Bösen steckten die Juden. Der YouTube-Kanal, auf dem das Interview veröffentlicht wurde, ist „eingeSCHENKt.tv“. Den Kanal gibt es seit Februar 2015 und er hat seither insgesamt über 9 Millionen Aufrufe. 

„Das System kollabiert im Moment“, sagt Ernst Wolff im Interview. „Im Grunde ist das nichts anderes als ein finanzfaschistischer Coup und zwar international orchestriert – offensichtlich“, so seine simple Erklärung zur Corona-Epidemie. Was wir hier sehen, ist, wie ein Ökonom versucht, mit seinem vorgeblichen Wissen über Privatwirtschaft ein medizinisches Problem zu erklären. Das an sich ist in der derzeitigen Situation schon problematisch, doch es findet viele Zuschauer*innen: Das Video wurde am 21. März veröffentlicht, vier Tage später am 25. März hat es bereits 1,2 Millionen Klicks generiert. 

Vielleicht ist das Video deshalb so erfolgreich, weil es scheinbar harmlos und seriös daher kommt. Zwei weiße Männer mit Brille unterhalten sich im Sitzen über Wirtschaft und Finanzen. Ernst Wolff, der studierte Philosoph und Historiker, der sich jedoch als Ökonom ausgibt, wirkt wie ein Mann, der das Finanzsystem verstanden hat. 

Wolff ist allerdings alles andere als ein seriöser Journalist. Er publiziert bei „Rubikon“ und produziert Videosendungen unter anderem mit faktenfernen und Verschwörungen zugeneigten Kanälen wie „KenFM“, „NuoViso“, „Kla.TV“. Endgültig hat Wolff seine Glaubwürdigkeit jedoch mit seinem Auftritt bei der „Anti Zensur Koalition“ (AZK) 2019 aufgegeben. Ein großes Event, durchgeführt vom Sektenführer Ivo Sasek, der von der Wahrhaftigkeit der menschenverachtenden „Protokollen der Weisen von Zion“ redet, und offenbar Hitlers „Mein Kampf“ gelesen hat. Saseks „Anti Zensur Koalition“ bietet Holocaustleugner*innen und Antisemit*innen eine Bühne. Auf der 8. AZK hatte die notorische Holocaust-Leugnerin und ehemalige Lebensgefährtin des militanten Antisemiten Horst Mahler, Sylvia Stolz, einmal mehr den Holocaust geleugnet. Menschen, die sich mit Holocaustleugner*innen eine Bühne teilen, sollten in unserer Gesellschaft geächtet werden. Das sehen die Produzent*innen von „eingeSCHENKt.tv“ offenkundig anders, die schon öfters Personen aus dem Rechtsaußen-Spektrum eine Plattform boten.

Ernst Wolff im „eingeSCHENKt.tv“-Interview

Um eine solche Person handelt es sich offenkundig auch bei Ernst Wolff. Im Interview sagt er, es gebe keine Rettung mehr für unser System und daher müsse man jetzt nach einem Schuldigen suchen. Für Wolff gibt es einen Schuldigen am Zusammenbruch: Das Virus. „Ich weiß, dass hier einiges nicht stimmt von dem, was uns gesagt wird.“ Die Meldungen über Corona-Kranke kämen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Und dann sollte man sich fragen, wer steckt hinter der Weltgesundheitsorganisation.“ Wolff meint: Heute würde die WHO zum großen Teil von Stiftungen und von Pharma-Konzernen geleitet. Der Moderator, Alex Quint, ein Vermögensberater und Edelmetallhändler aus Dresden, fragt, ob die WHO ein Lobbyorgan der Pharmaindustrie sei, Wolff antwortet: „Würde ich sagen“. Und hinter der WHO würde die „Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung“ stehen. 

Steckt die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung hinter dem Corona-Virus? Wohl kaum!

Die Falscherzählung, die Corona-Epidemie sei von Bill Gates geplant, wird im Internet derzeit sehr häufig geteilt. Diese Verschwörungstheorie lautet wie folgt: Die „Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung“ habe die Entwicklung des Corona-Virus finanziert. Ein von dieser Stiftung als Hauptsponsor finanziertes Institut habe bereits 2015 ein Patent auf das Virus angemeldet. Warum? Bill Gates und das Institut würden demnächst einen Impfstoff präsentieren und somit viel Geld mit dem Virus verdienen wollen. So die Behauptung im Kern. Laut Mimikama, einer Plattform, die Verschwörungserzählungen und Fakenews widerlegt, stammt diese Erzählung aus dem verschwörungsideologischen „QAnon“-Milieu. Mit codierten Botschaften bereitet oder bereiten „Q“ die USA auf „das große Erwachen“ vor, dem dann „der Sturm“ folgen werde: Der „Deep State“, Bürokratie, Medien, Politiker*innen und Wirtschaft, an deren Spitze wie in jeder Verschwörungserzähung jüdische Finanziers sitzen, würden dann ersetzt.

Wolff redet die Pandemie als „Corona-Hysterie“ klein

Statt die Verbreitung des Corona-Virus als eine Art Naturkatastrophe zu begreifen, wie es führende Wissenschaftler*innen weltweit tun, meint Wolff, die derzeitige Situation wäre ein „bewusstes Herbeiführen eines Crashs“. „Wir sind in der Endphase dieses Geldsystems und wir erleben die absolute Plünderungs-Orgie durch die Großinvestoren im Moment.“ Die ganze „Corona-Hysterie“ diene einer Enteignung Vieler, „weil man muss die Leute jetzt irgendwie unter Kontrolle haben“ und da passe es gut, dass die Leute nun in ihren Wohnungen festsäßen. Das Ziel sei eine Währungsreform.

Wolff will angeblich keine Panik machen, das Interview hat jedoch nur einen Zweck: Panik verbreiten

Wolff redet sich im Laufe des Interviews zunehmend in Rage, holt immer wieder tief Luft, sein Kopf wird immer röter. Das erste Anzeichen, dass hier etwas nicht stimme, habe er wahrgenommen, weil Karneval nicht abgesagt wurde. Daraus kombiniert Wolff: „Ich versuche keine Panik zu machen, aber es sind wirklich gefährliche Zeiten“. Ernsthaft gemeinte Beschwichtigung klingt jedoch anders. Alex Quin beschwert sich schließlich über „Politdarsteller“. Merkels Rede fand er öde, weil sie zu monoton geredet habe. Immerhin hat die Bundeskanzlerin versucht, mit ruhiger Stimme den Menschen ihr Panik zu nehmen – im Gegensatz zu den beiden Untergangspropheten im Video. 

„Wir leben in der Zeit eines orchestrierten, internationalen finanzfaschistischen Putsches“, so Wolff. Das Finanzwesen würde „erschossen und gleichzeitig noch vergiftet und erstochen“. Und zum Schluss würde noch geplündert. Aber Panik machen wolle man hier nicht, versichern die Männer immer wieder während des Interviews. 

„Die beiden nutzen ganz bewusst eine apokalyptische Rhetorik. Sie beschrieben, wie die ‚normalen‘ Leute von der bösen ‚Finanzelite‘ manipuliert und beraubt werden“, merkt Verschwörungsideologie-Experte Jan Rathje an, der derzeit an dem neuen Projekt „Debunk. Verschwörungstheoretischem Antisemitismus entgegentreten“ arbeitet. Menschen, die diesen Verschwörungen glauben, leiten daraus ab, sich auf dieses Szenario vorzubereiten. Wie im Video explizit empfohlen, durch Bargeld-Häufung und Gold- und Silberkäufe. In letzter Konsequenz gehört aber auch Selbstverteidigung dazu. Das endet nicht selten tödlich. Aber auch die Rechtsterroristen aus Hanau, Halle, El Paso und Pittsburgh hingen antisemitische Verschwörungstheorien an.

Kauft Gold und Silber mahnt der Goldhändler Quin

Alex Quin, der Vermögensberater und Goldverkäufer aus Dresden, spricht schließlich ganz bewusst von der „Clique“, „die hinter verschlossenen Türen Pläne zur Selbstbereicherung auf Kosten aller anderen durchführen.“ Wolff könne das nur unterstreichen. Gegen Ende des Videos kommt Quin schließlich zur entscheidenden Frage „Wie werden wir denn diese ganzen Leute los, die uns ständig verarschen?“ 

Was nebulös gehalten wird, verstehen die Zuschauer*innen: Hinter allem würden die Juden stecken 

Wer genau „diese Leute“ sind, wird im Video nie ganz ausformuliert. Mal scheint es die WHO zu sein, hinter der Bill Gates stecke, mal ist es eine „Finanzelite“, der Menschenleben vollkommen egal seien. Was von den beiden Männern nur angedeutet wird, verfehlt seine Wirkung jedoch nicht. Schaut man sich die Kommentare unter dem Video an, wird klar, dass die Zuschauer*innen sehr wohl zu wissen glauben, wer konkret hinter der „Finanzelite“ steckt und „im Hintergrund die Fäden spinnt“.

Hier haben die Schuldigen für die Corona-Krise Namen. Es sind die Rothschilds und George Soros – allesamt Juden. Die beiden Männer nutzen antisemitische Codes, weshalb es nicht verwundert, dass diese vom Publikum verstanden und decodiert werden. Die Verschwörungserzählung von bösen Juden und Jüdinnen, die Menschheit ins Elend stürzen wollten, um sich zu bereichern, ist jahrhundertealt. Sie zögen im Hintergrund die Strippen, um schließlich die Welt zu beherrschen und alle anderen zu unterdrücken. Auf den Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“ berufen sich auch antisemitische Attentäter, wie in Pittsburgh, El Paso oder in Halle, um ihre Gewalttaten zu legitimieren. Doch auch darüber hinaus ziehen sich solche Verschwörungsmythen durch alle Schichten der Gesellschaft. Nicht nur Neonazis verbreiten Antisemitismus, sondern auch Antikapitalist*innen und Friedensaktivist*innen, die hinter Kapitalismus und Krieg einzig vermeintlich jüdische Verschwörer*innen vermuten.

Wolff bekundet im Interview natürlich ein hehres Ziel – deshalb solle man die Kunde an Mitmenschen weitergeben. Er habe das Ziel, das derzeitige Finanzsystem durch ein demokratisches Geldsystem zu ersetzen. Wie das aussehen soll, verrät der Autor allerdings nicht – und ebensowenig, welches Demokratieverständnis dem zugrunde liegt.

Zum Schuss reichen sich beiden zum Trotz die Hand.

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