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Coronaleugner-Morde Die Erkenntnisse aus den Taten von Idar-Oberstein und Senzig

Wenn das Internet mit Desinformationen überschwemmt wird, also mit bewusst erzählten Falschinformationen und Verschwörungserzählungen, kann das schlimmstenfalls tödliche Konsequenzen haben. Das zeigen die Mordfälle des Jahres 2021.

 
(Quelle: pixabay / Henryk Niestrój / Arkaion )

Aktuell steht der Mörder aus Idar-Oberstein vor dem Landgericht Bad Kreuznach – der 50-jährige, der in einer Tankstelle den 20-jährigen Studenten Alex W. erschoss, weil dieser ihn als Kassierer in der Tankstelle auf die Maskenpflicht hinwies.

Vor Gericht lässt der Angeklagte seinen Anwalt eine Erklärung vorlesen. Darin sagt er, er könne heute nicht mehr verstehen, warum er die Tat begangen habe, er selbst sei „zutiefst erschrocken« und: »Ich möchte mich ausdrücklich von der Tat distanzieren“. Allerdings: Er hatte auch eine illegale Schusswaffe im Haus, ohne hätte er die Tat ja nicht begehen können. Er war offenbar betrunken und ihm seien „die Sicherungen durchgebrannt“, lässt er vor Gericht verlesen (vgl. Spiegel).

Wie der Spiegel berichtet, mischten sich offenbar im Fall von N. reale belastende Ereignisse mit Verschwörungsideologien über vermeintlich Schuldige. So habe sich sein schwer kranker Vater im März 2021 das Leben genommen, zuvor aber noch der Mutter in den Kopf geschossen. N. habe weder bei der Beisetzung dabei sein können, noch die Mutter im Krankenhaus besuchen können: „Ich war zermürbt von den Coronamaßnahmen“, so formuliert es N.: „Ich konnte für so viele Kontaktverbote kein Verständnis aufbringen.“ Dazu kam ein beruflicher Umsatzeinbruch durch die Homeoffice-Pflicht, einhergehend mit Geldsorgen, schreibt N. in seiner Erklärung vor Gericht.

Statt sich mit diesen realen Problemen auseinanderzusetzen, fixierte sich der spätere Täter auf die Maskenpflicht. Sie sei „das Schlimmste“ gewesen, so N. im Geständnis. Er leide seit seiner Kindheit an Asthma, könne durch die Maske nicht atmen, Einkäufe habe er in Eile erledigen müssen, auf öffentliche Verkehrsmittel habe er verzichten müssen. Durch die Maskenpflicht zog ich mich zurück, entfernte mich vom tatsächlichen Leben“, gibt N. an.  Stattdessen suchte er Kontakte online – die ihn in seiner „ablehnende Haltung“ verstärkten. Er selbst beschreibt: In den Chats hatte er den Eindruck, dass seine Ohnmacht immer größer geworden sei, seine Sprache zunehmend verroht. Er fühlte sich bereits „wie ein Verbrecher behandelt“, wenn er auf Widerstand stieß, Bekannte oder seine Schwester sich von ihm distanzierten aufgrund seiner Verschwörungserzählungen.

Auch über den Tatabend sagt er Bezeichnendes: Er weiß gar nicht mehr, wie das Gespräch mit dem 20-jährigen Alex W. verlief, aber er erinnert sich an das Gefühl: „Wie ein Idiot“ habe er sich behandelt gefühlt, „von oben herab“, „mit Arroganz“. Er fuhr zu einer anderen Tankstelle, trug dort Maske, bekam dort Bier. Zu Hause schlief seine Frau. In seiner Nachttischschublade lag der geladene Revolver. Von den „monatelangen Einschränkungen zutiefst zermürbt und mit den Nerven am Ende“ habe er schließlich aus seiner Nachttischschublade den Revolver geholt, mit dem Plan, Alex W. zu erschießen. „Ich wollte ihn provozieren und, falls er wie erwartet reagiert, sofort erschießen. Ich musste ein Zeichen setzen. Auch für mich selbst“, sagt N. in der Botschaft vor Gericht.

Die Staatsanwältin sagt laut ZEIT vor Gericht, der Täter habe das Opfer, einen 20-Jährigen, der an einer Tankstelle jobbte, als mitverantwortlich für die Gesamtsituation angesehen, weil der junge Mann die Maskenpflicht habe durchsetzen wollen: „Da er wusste, dass er an die verantwortlichen Politiker nicht herankam, beschloss er, ihn zu töten. Er nutzte den Umstand aus, dass das Opfer nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnete und daher nicht ansatzweise in der Lage war, dem Schuss auszuweichen.“

Nachbarn hatten Mario N. bereits zuvor als emotional aufbrausenden Coronaleugner beschrieben. Ein Nachbar erzählte dem Spiegel: Wenn es um die Coronaimpfung ging, sei Mario N. „ausgetickt“ und habe Dinge behauptet wie: „300.000 Menschen sind schon an den Impfungen gestorben. Und Du stirbst auch an der Scheiße.“ Stattdessen starb der 20-jährige Alex W. durch Mario N., der im Januar einen Selbstmordversuch verübte und nun unter Überwachung steht, um sich seine Schuld nicht entziehen zu können.

Führte in Idar-Oberstein der wahnhafte Weg der Veschwörungserzählungen mit dem Feindbild Staat als Coronamaßnahmen-Erfinder zum Mord an einem unbeteiligten jungen Mann, traf es in Senzig, einem Stadtteil von Königs-Wusterhausen, die Familie eines coronaleugnenden Vaters, der gefälschte Impfzertifikate für seine Frau und sich besorgt hatte, weil er die Familie nicht impfen lassen wollte. Als der Arbeitgeber der Frau misstrauisch wurde, erschoss der 40-Jährge seine gleichaltrige Frau, seine drei Töchter (10, 8, 4) und sich selbst.

Nach Auswertung der Chatverläufe des Vaters werden die Morde in Königs-Wusterhausen im Stadtteil Senzig im Dezember vergangenen Jahres nun auch als antisemitisch motiviertes Verbrechen eingeordnet. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Petra Pau hervor. Die Erkenntnisse zu dem antisemitischen Motiv hat die Brandenburger Polizei gewonnen, nachdem sie die Chatverläufe der sichergestellten Chats des Familienvaters untersucht hat. Offenbar war der Tatverdächtige überzeugt davon, dass der Staat mit der Impfkampagne einen „bösen“ Plan verfolge und die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wolle. „Die Einordnung der Tat als ‚antisemitisch‘ ergibt sich aus der Ansicht des Tatverdächtigen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gebe“, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums. Der Mann hatte sich beim Messengerdienst Telegram der „Querdenken“-Gruppe „Freiheitsboten Königs Wusterhausen“ angeschlossen – und war dort auf die Verschwörungserzählungen eines angeblich gegen die Bürger:innen arbeitenden „Deep State“ gestoßen (vgl. rbb, Berliner Zeitung, Tagesspiegel).

Während nun im Angesicht des Frühlings die Coronaschutzmaßnahmen gelockert werden und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mehr Demonstrierende auf die Straße bringt als die Pandemieleugnung, gehen die Lügen und Verschwörungserzählungen online nahtlos weiter – nur dass die imaginierte „jüdische Weltverschwörung“ nun nicht nur Corona erfunden hat, um die Welt von ihrem schändlichen Tun abzulenken, sondern auch noch den Ukraine-Krieg inszeniert hat. Diejenigen in den Pandemieleugner:innen-Gruppen, die sich in den Wahn verabschiedet haben, sind auch bereit, dies zu glauben – und gegebenenfalls wieder Menschen anzugreifen, die sie als Teil dessen wähnen.

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