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Demokratie in Gefahr Politische Bildung unter Druck – die AfD in der Kinder- und Jugendarbeit

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Schüler*innen des Andreas-Gymnasiums in Berlin protestieren 2018 gegen AfD-Lehrer-Meldeportale.

Auch ohne direkte Einflussnahme wirkt die starke Präsenz der Partei negativ auf das gesellschaftliche Klima und stärkt mit ihrer völkischen, autoritären und antifeministischen Grundhaltung bestehende Ideologien der Ungleichwertigkeit und Strukturen gesellschaftlicher Ungleichheit. Die über die letzten Jahrzehnte erkämpfte Orientierung an Gleichberechtigung, Diversität und Pluralität und der brüchige Konsens, Diskriminierungen und Chancenungleichheit durch politische Maßnahmen abzubauen, sind durch die Positionen und die inszenierten Tabubrüche der AfD stark gefährdet. Strukturelle Ungleichheiten und Menschen, deren Lebensentwürfe von der Norm abweichen, werden höchstens als Randphänomen wahrgenommen und Benachteiligungen als selbst verschuldet verstanden, wie die AfD in ihrem Bundestagswahlprogramm deutlich macht. Kinder, Jugendliche und Familien, die im Alltag bereits Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und ande-ren Abwertungen ausgesetzt sind, werden durch die Pro-grammatik der AfD überdies beständig mit Abwertung und Ausgrenzung konfrontiert. Die offene Gegnerschaft zu Islam und Einwanderung trifft Muslim*innen und Menschen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, hart; und viele Mitglieder der AfD äußern sich immer wieder antisemitisch oder antiziganistisch.

Außer durch diskriminierende und ordnungspolitische Perspektiven auf Jugendarbeitslosigkeit und Jugendstrafrecht nimmt die AfD keinen Bezug auf junge Menschen und hat kein Konzept für die Jugendpolitik. Ein wachsender Teil der jungen Generationen im Land wird von der Partei durch ihr völkisches Nationalstaats-Verständnis quasi abgeschrieben. Die AfD misst weder der gesellschaftlichen Teilhabe noch der individuellen Förde-rung von Heranwachsenden eine besondere Bedeu-tung bei. Aus diesem Grund lässt sie sich durchaus als jugendfeindlich bezeichnen, wie das unter anderem der Deutsche Bundesjugendring und der Bund deut-scher Pfadfinder*innen getan haben.All dies stellt die OKJA, Schule und andere Arbeitsfelder, in denen Empowerment und Antidiskriminierung noch lange nicht zum Standard gehören, vor die Aufgabe, jetzt erst recht und umso motivierter rechten Vorstößen entgegenzutreten.

Beispiel Hannover: Jugendhilfeausschuss unter Vorsitz der AfD

Am 4. November 2016 war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen: „Ein unterdrücktes Raunen geht durch den Raum, als klar wird, dass die AfD den Vorsitz des Jugendhilfeausschusses übernimmt.“Der Vorsitz des Ausschusses bringt zwar keine besondere Machtposition mit sich, seine repräsentative Wirkung ist jedoch nicht zu unterschätzen. Viele Akteure der Jugendbildungsarbeit können und wollen aufgrund ihres eigenen Anspruchs nicht mit der AfD zusammenarbeiten, sodass die Kooperation verschiedener Träger*innen und anderer Ausschüsse mit dem Jugendhilfeausschuss aufgrund des AfD-Vorsitzes deutlich zurückging. Die reduzierte Zusammenarbeit mit dem Jugendhilfeausschuss unter dem Vorsitz von Sören Hauptstein führte in logischer Konsequenz zu einer geringeren Sichtbarkeit jugendhilferelevanter Themen in Hannover: In einem schleichenden Prozess wird der Jugendhilfeausschuss bei repräsentativen Veranstaltungen, themenbezogenen Bündnissen und Aktionen sowie bei jugendpolitisch entscheidungstragenden Ereignissen immer weniger invol-viert. Hinzu kommen die Bemühungen der Partei, AfD-kritisch eingestellten Jugendeinrichtungen, Vereinen, Initiativen und migrantischen Selbstorgani-sationen die Fördermittel zu kürzen. Die AfD greift dadurch jene Institutionen unmittelbar an, deren Aufgabe der gesellschaftliche Zusammenhalt ist.

Eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Jugendhilfeausschuss unter dem AfD-Vorsitz zu fordern, um gegen sein schleichendes Verschwinden aus jugend(-hilfe)relevanten Kontexten vorzugehen, kann jedoch keine Lösung sein. Eine derartige Normalisierung im Umgang mit der AfD würde diese legitimieren und dafür sorgen, dass konservative Politiker*innen anderer Parteien sich, wie in bestimmten Belangen bereits in Hannover geschehen, an der Demontage diskriminierungs- und machtkritischer, diverser und plu-ralistischer Jugendarbeit beteiligen könnten.Eine nachhaltige Lösung kann nur die klare Abgrenzung vom bildungspoli-tischen „Programm“ der AfD im Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg sein. Ein solches gemeinsames Bekenntnis zur Jugendarbeit kann den einzelnen Akteuren innerhalb der Jugendhilfe die Sicherheit geben, das bisher Erreichte zu verteidigen und auszubauen. Insbesondere die rassismus- und antisemitismuskritische und die geschlechtergerechte und queere Jugend-arbeit haben in den letzten Jahren wertvolle intersektionale pädagogische Standards gesetzt. Multiplikator*innen der Jugendarbeit sollten sich dieser wertvollen Arbeit bewusst sein und daran orientiert Strategien erarbeiten, wie Standards einer Jugendarbeit gegen Rassismus, Antisemitismus, Homofeindlichkeit und Sexismus gesichert und weiterentwickelt werden können – entgegen menschenfeindlicher Widerstände.

Bedrohung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit durch die AfD

Träger und Einrichtungen der Sozialen Arbeit werden vermehrt von rechtsradikalen Akteuren mit Behauptungen und Unterstellungen konfrontiert. Viele Fachkräfte nehmen das als Bedrohung wahr. Aufgrund von Anfragen und Anträgen rechtsradikaler Personen in Berliner Bezirksverordnetenversammlungen und im Abgeordnetenhaus sehen sich Sozialarbeiter*innen immer häufiger großem Druck ausgesetzt, ihre fachliche und in der Berufs-ethik begründete Arbeit legitimieren zu müssen. Beispielsweise betraten Bezirksverordnete eine offene Kinder- und Jugendeinrichtung in Berlin und beschwerten sich lautstark über die aufgehängten Bilder und Plakate in den Räumlichkeiten. Politische Bildungsangebote wurden hier als „linksextrem“ diffamiert oder Arbeit zu sexueller Vielfalt als „Frühsexualisierung“ delegitimiert. In einem Jugendhilfe-ausschuss stellte die AfD einen Antrag, um die Verfassungs-treue eines offenen Kinder- und Jugendtreffs und von dessen Kooperationspartner*innen zu überprüfen. Der rechtsradikalen Strategie, die Arbeit für eine menschenrechtsorien-tierte und inklusive Stadtgesellschaft zu delegitimieren, können solidarische Gegenstrategien entgegengesetzt werden.

„Die AfD ist jugendfeindlich. Sie versteht die Jugend nicht und gibt ihr nicht den Freiraum, den sie braucht“.  Aufgrund der menschenverachten-den Politik der AfD und ihrer Jugendfeindlich-keit hat der Deutsche Bundesjugendring einen Unvereinbarkeitsbeschluss veröffentlicht. Das Positionspapier ist zu finden unter: www.dbjr.de/ artikel/rechtspopulist-innen-entgegentreten

 

Interventionsstrategien in der Kinder- und Jugendarbeit

Kritische Auseinandersetzung mit Programmatik, Ideologie und Themen von Rechtsradikalen

Eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD und rechtsradikalen Ideologien ist Kinder- und Jugendein-richtungen oder -verbänden anzuraten. Wer sich hierbei auf die eigene Satzung oder das Leitbild bezieht, sollte prüfen, ob Satzung und/oder Leitbild auch tatsächlich gelebt werden.

Menschenverachtende Positionen hinterfragen

In Räume der Offenen Kinder- und Jugendarbeit werden politische Debatten aus der Gesellschaft hineingetragen. Jugendarbeit nimmt Politisches zur Kenntnis und wirkt politisch und sollte deshalb im Sinne demokratischer Aushandlung gestaltet werden. Pädagog*innen kön-nen Foren schaffen, um Schlüsselthemen der AfD, etwa Flucht, Asyl, Familie, Presse, Zweigeschlechtlichkeit und „Deutschsein“, in Bildungseinrichtungen zu besprechen und Gegenentwürfe zu erarbeiten, die sich an Pluralität orientieren.Im Rahmen von U18-Wahlen können Pädagog*innen mit Jugendlichen demokratiefeindliche und menschen-verachtende Positionen in Wahlprogrammen kritisch hinterfragen und diskutieren.

Menschenfeindlichen Positionen keine Bühne bieten

AfD-Politiker*innen müssen nicht zu Veranstaltungen eingeladen werden; und die Zusammenarbeit mit der Partei kann durch die eigene Satzung ausgeschlossen werden. Bei Veranstaltungen ist es möglich, gemäß Ausschlussklausel vom Hausrecht Gebrauch zu machen, um Menschen auszuschließen, die menschenfeindliche Positionen äußern oder für ihr Engagement in extrem rechten Organisationen bekannt sind. Dies ist nicht undemokratisch, sondern ermöglicht allen, die sich durch die Präsenz von Rechtsextremen und Rechtsradi-kalen bedroht fühlen, angstfrei an einer Veranstaltung teilzunehmen und offen zu diskutieren.

Schnittmengen von Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus aufzeigen

Strategien rechtsradikaler Gruppierungen, Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Rassismus und Antisemitismus sowie inhaltliche oder personelle Überschneidungen zwischen der sogenannten „Neuen“ Rechten, Rechtsextremen, „PEGIDA“ und weiteren „Gida“-Bewe-gungen mit der AfD können in internen Workshops von fachlich geschulten Pädagog*innen aufgezeigt werden, um gemeinsam Handlungsstrategien zu entwickeln.

Argumentieren und Haltung zeigen

Durch demokratiepädagogische Angebote kann Argumentationskompetenz gegen menschen- und demokratiefeindliche Ideologien gezielt gefördert werden, um Jugendliche on- und offline zu stärken. Die Haltung zu Demokratie, Vielfalt und Menschenrechten sollte auch nach außen getragen werden. Dabei ist es sinnvoll, ebenfalls Mitgliedsorganisationen und Koope-rationspartner*innen zu ermutigen, sich als wichtiger Teil der Zivilgesellschaft aktiv und offen gegen Demo-kratiefeindlichkeit und moderne Rechtsradikale zu positionieren.

Klar von Rechtspopulist*innen, Rechts-radikalen und extremen Rechten distanzieren

Einrichtungen sollten sich klar von Personen distanzie-ren, die Parteien angehören oder Szenen zugeordnet werden können, in denen völkisches, rechtsextremes, menschenfeindliches Gedankengut propagiert oder von der Ungleichwertigkeit der Menschen ausgegangen wird.

Solidarisch zeigen

Wenn Kinder- und Jugendeinrichtungen und -verbände sowie ihre Mitarbeiter*innen von AfD-Vertreter*innen öffentlich diffamiert und angegriffen werden, ist Solidarität gefragt. Angriffe der AfD oder anderer rechtspopulistischer und -radikaler Organisationen gegen einzelne Verbände, Jugendringe oder Funktionsträger*innen müssen gemeinsam abgewehrt werden. Pressemittei-lungen, Solidaritätsbekundungen, gemeinsame öffentliche Erklärungen und das Schließen von Bündnissen sind hierfür sinnvolle Mittel.

Betroffene stärken

Wenn Jugendliche in der eigenen Einrichtung oder Kolleg*innen durch rassistische, antisemitische, frauen- oder queerfeindliche Äußerungen und Politiken betroffen sind, sind deren Wahrnehmung und Ängste ernst zu nehmen. Es gilt als Ansprechpartner*in präsent zu sein und gemeinsam zu überlegen, welche individuellen und kollektiven Strategien im jeweiligen Fall verfolgt werden sollten und wie Empowerment generell zur Leitlinie der eigenen Arbeit werden bzw. verstärkt werden kann.

Selbstbewusst und stark bleiben

Durch verbale Angriffe der AfD in Parlamenten oder parlamentarische Anfragen zur Förderung sollten Projekte oder einzelne Jugendverbände sich nicht ein-schüchtern lassen. In schwierigen Fällen ist es sinnvoll, politische oder rechtliche Schritte einzuleiten. Die Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus, die es in jedem Bundesland gibt, bieten gezielte Beratung an.

 

„Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt: unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht(siden-tität), sexueller Orientierung, Alter oder körperlicher Verfassung. Wir stehen ein für eine soli- darische, inklusive und demokratische Stadt- gesellschaft.“ Mit diesen und weiteren klaren Worten positionieren sich Berliner Träger aus dem sozialen Bereich gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit und die Politik der AfD. Über 170 Träger unterzeichneten die Erklärung und lieferten damit ein klares und öffentlichkeitswirksames Statement. Die Erklärung ist abrufbar unter: www.licht-blicke.org/wp-content/uploads/2018/07/18-07-16-Traegererklaerung-Unterzeichnerinnen-final-endgueltig.pdf

 

Titelbild der Broschüre „Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“, Berlin 2019

Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung.

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):

Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD.

Berlin 2019

Zu beziehen hier: http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen

Aus der Broschüre auf www.belltower.news:

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