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Demokratie in Gefahr Über die parlamentarische Praxis einer demokratiefeindlichen Partei

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Politikstil Empörung: AfD-Chef Alexander Gauland war am 13.12.2018 nicht amüsiert im Bundestag.

Die AfD im Bundestag: Die AfD zog nach der Wahl am 24.9.2017 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag ein. Mit 12,6 % der gültigen Stimmen ist sie die stärkste Oppositionspartei des 19. Bundestages. Den Vorsitz der Bundestagsfraktion teilen sich Alexander Gauland und Alice Weidel. Unmittelbar nach der Bundestagswahl erklärte Gauland vor laufenden Kameras, die AfD würde sich „unser Volk zurückholen“; und gab damit einen Vorgeschmack auf die Ideologie, mit der die AfD die parlamentarische Auseinandersetzung vergiften würde.

Auf diesen Auftakt folgten bis zum Januar 2019 insgesamt 604 Kleine Anfragen, vier Große Anfragen und 107 Anträge. 13 dieser Anträge waren konstituierende Anträge gemeinsam mit den übrigen Fraktionen. In einer Auswertung der parlamentarischen Arbeit der AfD zeigt sich, dass etwa ein Sechstel aller Anträge (17 %)  und beinahe ein Drittel der Kleinen Anfragen (31 %) der Partei das Thema Migration behandeln – hier stand überwiegend eine Kriminalisierung von Migration als auch von Migrant*innen im Fokus.

Die Verankerung einer rechtsradikalen Partei

Das Ergebnis der Bundestagswahl hat für die Arbeit des Parlaments insgesamt, aber auch für die AfD selbst, einiges verändert. So ist der Einzug in den Bundestag mit erheblichen finanziellen Zuwendungen für die Fraktion verbunden, allein 2018 erhielt sie insgesamt 56,4 Millionen Euro. Durch die 92 Bundestagsmandate kann die Partei mithilfe dieser Parteienfinanzierung ihre eigenen Strukturen ausbauen. Bestandteil der 56,4 Millionen Euro sind die Diäten der Abgeordneten, die Finanzierung der Fraktion und ihrer Mitarbeiter*innen sowie die Finanzierung eines Büros inklusive Mitarbeiter*innen für jede*n Abgeordnete*n. Letzteres wurde von einzelnen Abgeordneten bereits dazu genutzt, um bekannten Rechtsextremen eine Anstellung im Bundestag zu ermöglichen. Darunter sind Neonazis mit Verbindungen zu verbotenen Organisationen und Personen, die der sogenannten „Neuen“ Rechten zuzuordnen sind. Über die finanzielle und strukturelle Stärkung der Partei hinaus kann die AfD als Oppositionsführerin auch einen politischen Machtzuwachs auf Bundesebene verzeichnen. So stellt sie in drei Ausschüssen den Vorsitz.

Veränderungen in der Arbeit des Parlaments

Die AfD nutzt das Plenum des Bundestages, um die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben. So sprach Alice Weidel abwertend von „Kopftuch-Mädchen“ und „Messer-Männern“, die nach Deutschland migrierten, und wurde dafür vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble gerügt. Die wiederholten, kalkulierten Tabubrüche folgen einem klaren Schema: Auf eine sprachliche Grenzüberschreitung folgt eine inszenierte Distanzierung mit dem Verweis darauf, die angeblich bedrohte Meinungsfreiheit retten zu wollen. Diese regelmäßigen Grenzüberschreitungen der AfD greifen die wichtigsten Regeln des zivilen Umgangs an und folgen dabei den Vordenkern der sogenannten „Neuen“ Rechten. Eine der wichtigsten Aufgaben für Politik und Gesellschaft ist es daher, den autoritären, antisemitischen, sexistischen, rassistischen und geschichtsrevisionistischen Verlautbarungen der AfD aktiv zu widersprechen. Politiker*innen anderer Parteien fallen mittlerweile seltener auf diese Manöver herein und stellen sich zunehmend der Debatte.

Schaubild „Die AfD in Parlamenten“ – klicken zum Vergrößern.

 

Mit dem Auftreten der AfD im Bundestag wird im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit die Abwertung von Minderheiten und demokratischen Werten auf die Tagesordnung gesetzt. Diese Normalisierung schafft ein negatives Vorbild für die Gesellschaft, das zunehmend Einzug in die Umgangsformen findet. Der Verlust des zivilen Umgangs ist nicht nur ein Nebeneffekt, sondern steht im Zentrum der Bemühungen dieser modernen rechtsradikalen Partei.

Zugleich gewinnt sie zunehmend an konkreter politischer Bedeutung. So äußerten sich Ende 2018/Anfang 2019 vereinzelt Funktionäre ostdeutscher CDU-Landesverbände positiv über mögliche Koalitionsverhandlungen mit der AfD. Regierungspolitische Überlegungen scheinen hier die Sicht auf eine Partei zu trüben, die mit rechtsextremen Akteuren durch Chemnitz marschiert. Die AfD für eigene Machtansprüche nutzen zu wollen, kann daher unter keinen Umständen als verantwortungsvolle Politik verstanden werden.

Sabotage der parlamentarischen Arbeit

An anderer Stelle versuchte die AfD, mithilfe der Abstimmungsregeln des Bundestages die parlamentarische Arbeit der anderen Fraktionen zu sabotieren. So beantragte die Partei bei einer Sitzung im Dezember 2018 die Beschlussfähigkeit des Bundestages mithilfe des sogenannten „Hammelsprungs“ zu prüfen. Bei diesem Verfahren müssen alle Parlamentarier*innen den Plenarsaal verlassen und werden beim Wiederbetreten gezählt. Die AfD-Fraktion verließ geschlossen den Saal, kehrte jedoch nicht wieder zurück. Sie wollte damit die Arbeit des Parlaments an diesem Sitzungstag sabotieren, verzählte sich jedoch. Denn anders, als es die Partei beabsichtigte, war das Parlament auch ohne AfD beschlussfähig.

Die Arbeit der AfD im Parlament erscheint oft wie eine Inszenierung, die nur dazu dient, die eigenen Anhänger*innen mithilfe der Sozialen Medien aufzustacheln. Aus diesem Grund können sich die Auftritte einzelner Abgeordneter sehr stark voneinander unterscheiden, je nachdem, ob ein entsprechender Beitrag geplant ist. Die Regeln und Gepflogenheiten des Parlaments gelten dabei wenig.

Nach der Ermordung der 14-jährigen Susanna durch einen Menschen mit Fluchthintergrund wollte ein AfD-Abgeordneter demonstrativ seine Redezeit für eine Schweigeminute nutzen. Im Bundestag entscheidet allerdings das Präsidium über solche Anliegen – auch und vor allem, um Instrumentalisierungen durch einzelne Parteien oder Abgeordnete zu vermeiden. Obwohl die Möglichkeit dazu bestand, beantragte die Fraktion keine Gedenkminute, sondern handelte eigenmächtig. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth reagierte souverän im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestags und verwies den Abgeordneten des Rednerpults. Doch der Videomitschnitt der Szene wurde direkt im Anschluss auf den Social Media-Kanälen der AfD verbreitet – mit aggressiven und abwertenden Kommentaren gegenüber Roth.44 Sie wurde daraufhin tagelang beleidigt und bedroht.

Die AfD in Landesparlamenten

Die AfD ist mittlerweile in allen Landesparlamenten der Bundesrepublik vertreten. Eine Studie aus dem Jahr 2018 stellte für die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen fest, dass die Arbeit der AfD stark vom jeweiligen Personal abhängig ist. So treten Abgeordnete der Partei zum Teil seriös und eher ruhig oder aber aggressiv und pöbelnd auf. Die Autor*innen der Studie sehen hier eine Arbeitsteilung, die entlang der innerparteilichen Spaltung zwischen radikalen und „gemäßigten“ Abgeordneten verläuft.45 Dieses unterschiedliche Auftreten stellt die übrigen Parteien vor eine besondere Herausforderung im Umgang mit der AfD. Eine rigorose Abwehr und damit auch Abwehr der „seriös“ arbeitenden Abgeordneten der AfD nutzt die Partei für ihre Inszenierung als Opfer der „Alt-Parteien“. Diese Inszenierungen sind prägend für die Arbeit der AfD. So stellte eine Studie aus dem Jahr 2017 fest, dass die AfD-Fraktionen insbesondere das Plenum der Landesparlamente für sich zu nutzen wissen. Hier halten sie öffentlichkeitswirksame Reden und verbreiten diese in den Sozialen Medien. Die Arbeit im Hintergrund, die tatsächliche Arbeitsebene der Parlamente, finde dagegen kaum Beachtung durch die AfD. Die einzige Möglichkeit, dieser Inszenierung zu entgehen, ist eine fundierte und sachliche Auseinandersetzung mit der Partei, die im Fall der Fälle auch ein ausschließendes Verhalten gut und nachvollziehbar begründen muss.

Es lässt sich festhalten: Die Arbeit der AfD-Landesverbände folgt im Wesentlichen dem Stil der Bundestagsfraktion. Ein Unterschied liegt in der Zusammensetzung der Fraktionen. Während auf Bundesebene nahezu alle Strömungen der Partei repräsentiert sind, ist das auf Länder-Ebene anders: So ist bspw. die Thüringer Fraktion unter Leitung von Björn Höcke wesentlich stärker durch die völkisch nationalistische Position des „Flügels“ geprägt als die AfD-Landtagsfraktionen in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen.

Zudem ist auffällig, dass in fast allen Landesverbänden mindestens ein*e Abgeordnete*r die Fraktion verlassen hat bzw. aufgrund eines Ausschlusses verlassen musste: Bei insgesamt 157 Landtags-Mandaten kam es zu 43 Austritten oder Ausschlüssen.

Die AfD in Kommunalparlamenten

Die AfD ist mittlerweile auch in den meisten Kommunalparlamenten vertreten. Sie verfügte laut Informationsportal rechtesland.de über insgesamt 1.285 Kommunalmandate (Stand Januar 2018). Dies führt bei vielen Parlamentarier*innen zu starker Verunsicherung. Strategien aus dem Bundestag oder den Landtagen im Umgang mit der AfD lassen sich nicht eins zu eins auf die Kommune übertragen.

Auf kommunaler Ebene, der in der Parteihierarchie unteren Ebene, ist die AfD heterogener als in den Landesparlamenten oder im Bundestag. Ihr Handeln hängt damit viel stärker von den jeweiligen Mandatsträger*innen und der Fraktionsgröße ab. Dennoch lassen sich Ähnlichkeiten feststellen. Das Klima in den Parlamenten ist rauer geworden, die AfD hat auch hier klare Schwerpunktthemen: Geflüchtete und Islam. Sie setzt meist mehr auf populistische Inszenierungen statt auf Gremienarbeit. So ist das Verhalten der AfD oft abhängig davon, ob eine Sitzung öffentlich ist oder nicht. In nicht-öffentlichen Ausschusssitzungen ist das Stimmverhalten häufig ein anderes als in öffentlichen, auch gibt man sich hier oft gelangweilt, desinteressiert oder erscheint gar nicht erst. In den öffentlichen Sitzungen hingegen inszenieren die Mandatsträger*innen sich gern volksnah. Diese populistische Selbstdarstellung mit sehr vielen Anträgen und langen Reden führt vielfach zu endlosen Parlamentssitzungen. Das stellt für die häufig ehrenamtlich arbeitenden Politiker*innen eine enorme Belastung dar und führt zu einer Lähmung des parlamentarischen Betriebs und der Sacharbeit. Das ist gewollt. Die AfD inszeniert sich auch auf kommunaler Ebene als Anwalt der „kleinen Leute“ und fordert vielfach finanzielle Streichungen, wenn Gelder ihrer Meinung nach „gegen deutsche Interessen“ ausgegeben werden: Das betrifft vor allem die Bereiche Asyl, Migration, Jugendhilfe, Frauen- und Gleichstellungsförderung.

In einer Studie über das Verhalten der AfD in den Kommunalparlamenten in Hessen und Niedersachsen unterscheidet der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger grob drei unterschiedliche AfD-Fraktionstypen nach ihrem Auftreten im Parlament und ihrer Arbeitsweise.

Die Studie von Benno Hafeneger kommt zu dem Ergebnis, dass es im Auftreten der AfD häufig einen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt: „Je größer die Stadt ist, erst recht in den Zentren, desto provozierender sind die AfD-Fraktionen. Auf dem Land sind die Akteure hingegen braver, zurückhaltender und anbiedernder.“46 In einigen AfD-Fraktionen sitzen Parlamentarier*innen, die in der letzten Legislaturperiode noch für eine andere Partei im Kommunalparlament saßen. Das erschwert für viele den Umgang. Hier ist zu empfehlen, die jeweiligen Parlamentarier*innen nicht losgelöst von der Linie der Partei zu behandeln. Wenn eine Partei rassistisch ist, sind deren Abgeordnete Mitglieder einer rassistischen Partei und sollten politisch dementsprechend behandelt werden.

 

Verhalten der AfD in Kommunalparlamenten in Hessen und Niedersachsen
Auftreten
aggressiv: Direktes und unmittelbar rassistisches, nationalistisches und völkisches Auftreten mit den Mitteln der Provokation und der Skandalisierung, um eine möglichst starke Abgrenzung von den demokratischen Parteien zu verdeutlichen. subtil: Durch weniger aggressives, sondern eher verdecktes und subtiles Auftreten mit einem moderateren und weniger eindeutigen Subtext inszeniert man sich als die einzige Partei, die kritische Fragen stellt und eine Öffentlichkeit für die angeblich „wahren“ Interessen der deutschen Bevölkerung herstellt – in klarer Abgrenzung zu den etablierten Parteien. kümmernd: Moderates und sachbezogenes Aufgreifen von Alltags- und Sachthemen, die auch von anderen Parteien hätten aufgegriffen werden können bzw. werden; Inszenierung als „Kümmerer“ und „Partei der kleinen Leute“.
Arbeitsweise
fleißig: Die Fraktionen stellen viele Anträge und Fragen, die die Verwaltung beschäftigen. faul: Die Fraktionen sind, wenn überhaupt, nur körperlich anwesend, sie steuern über Monate keinen Debattenbeitrag bei, diskutieren nicht und nehmen generell nicht am Parlamentsleben teil. überfordert: Durch Austritte und Abspaltungen kommt es teilweise zu schnellen Auflösungen von Fraktionen.
Quelle: Hafeneger, Benno u.a.: AfD in Parlamenten: Themen, Strategien, Akteure. Wochenschau Verlag, Frankfurt a.M. 2018

 

Titelbild der Broschüre „Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“, Berlin 2019

Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung.

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):

Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD.

Berlin 2019

Zu beziehen hier: http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen

Aus der Broschüre auf www.belltower.news:

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