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Handlungsmöglichkeiten der Praxis Aktivistinnen in der Kita

Symbolbild Kita (Quelle: pixabay.com / CC0 Creative Commons)

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du! – Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“ der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Im folgenden Kapitel beschreiben wir Fälle, die arbeitsrechtliche Fragen aufwerfen. Es handelt sich um medial diskutierte Situationen, die veröffentlicht und durch Quellen belegt wurden.

 

Fall IV. 1 und 2: Aktivistinnen in der Kita

Birkhild T. ist seit vielen Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv, z.B. bei Festen der NPD. Die fünffache Mutter organisierte jahrelang eine kleine »nationale Frauengruppe« und unterstützte diese u.a. in Erziehungsfragen. Bis zum Verbot schickte Birkhild T. die eigenen Kinder zur ‚Heimattreuen Deutschen Jugend‘. Als Erzieherin war sie langjährig in einer kommunalen Einrichtung in Niedersachsen angestellt. Nach dem Ende einer langjährigen Erziehungszeit kehrt sie in ihren Beruf zurück. Die Recherchen einer Journalistin machen ihre Tätigkeit in der rechtsextremen Szene öffentlich. Einige Kolleg*innen sehen keinen Bedarf, die Zusammenarbeit zu beenden: Birkhild T. habe gut mit den Kindern gearbeitet und die Ideologie außen vor gelassen. Eine Elterngruppe engagiert sich für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies erweist sich für den kommunalen Träger als äußerst schwierig. Erst nach drei Jahren und verschiedenen Verfahrensschritten gelingt es, den Vertrag zu beenden.

Eine christliche Kita beendet das Arbeitsverhältnis mit der Erzieherin Nicola B. Unerkannt war sie mehrere Jahre als Moderatorin für das rechtsextreme Internetportal Thiazi tätig. Dort hetzte sie antisemitisch und gegen Sinti und Roma. Noch vor ihrer Entlassung aus der Kita distanzierte sich Nicola B. von »rechtsradikalem und nationalsozialistischem Gedankengut«. Dies passe nicht »zu meinen streng katholischen Grundwerten«, sagte sie. Nicola B. hatte sich jedoch bereits früher offen rassistisch geäußert. Als Erzieherin in Rheinland-Pfalz schrieb sie, dass es in ihrem Ort »keinen einzigen Schwarzen (gibt). Wenn ich in die nächste größere Stadt fahre, ist das Bild aber schon wieder ein völlig anderes, und dort würde ich mein Kind auch
um keinen Preis in die Kita schicken wollen.« Nach der Veröffentlichung der rechtsextremen Tätigkeit von Nicola B. durch die Antifa Freiburg zeigt sich die Vereinsvorsitzende der Kindertagesstätte in einer ersten Äußerung sehr erstaunt. Auch nach Rücksprache mit Eltern und Kolleg*innen vermittelt sie, dass sie keinen Anlass für eine Beendigung der Zusammenarbeit sehe, solange Frau B. sich weiter an die Grundsätze des Vereins halte: »Solange sich alle Mitarbeiter dienstlich wie privat an unsere Grundsätze zur Nächstenliebe halten, sehen wir keinen Anlass, etwas zu unternehmen«. Wenige Tage später beendet der Verein die Zusammenarbeit mit Nicola B.

 

In der Auseinandersetzung mit rechtsextrem orientierten oder organisierten weiblichen Fachkräften sind wir mit dem Prinzip der ‚doppelten Unsichtbarkeit‘ konfrontiert: Den Kolleg*innen fällt es oft schwer, sich mit der Tatsache, dass die ‚nette Kollegin‘ über ein rechtsextremes Weltbild verfügt, auseinanderzusetzen oder sich von dieser inhaltlich abzugrenzen. Konzentriert wird sich – und dies entspricht auch unseren Beratungserfahrungen – auf den ‚liebevollen‘ und auf den ersten Blick unideologischen Umgang der Fachkraft mit den Kindern. Ein netter, liebevoller, als ‚mütterlich‘ wahrgenommener Umgang mit Kindern reicht aus, damit die mögliche rechtsextreme Weltanschauung in den Hintergrund tritt oder gar nicht als Problem wahrgenommen wird. So scheinen in den von uns gegebenen Beispielen eine oder mehrere Kolleg*innen, im zweiten Beispiel auch die Leitung, davon auszugehen, dass es möglich ist, die rechtsextreme politische Weltanschauung ‚draußen zu lassen‘. Indessen wird bei dieser Annahme unterschätzt und verkannt: Das Auftreten und pädagogische Handeln der rechtsextremen Kollegin kann einen wichtigen Teil ihrer Strategie darstellen. Zusätzlich wird die Gefährlichkeit der Ideologie der Ungleichwertigkeit unterschätzt. Nett und ‚mütterlich‘ zu sein, bedeutet mitnichten, allen Kindern ungeachtet ihrer jeweiligen Hintergründe gleichermaßen gerecht zu werden oder sie gleichwertig zu behandeln. Eine rechtsextreme Weltanschauung kann nicht wie ein Kleidungsstück für die Dauer eines Arbeitstages an der Garderobe abgegeben werden. Freundlich und fürsorglich aufzutreten und die menschenverachtende rechtsextreme Ideologie zu leben, muss nicht im Widerspruch zueinander stehen. In der Auseinandersetzung mit einer rechtsextrem orientierten oder organisierten Fachkraft ist die gesamte Einrichtung gefordert. Erhärtet sich ein möglicher Verdacht oder stellt sich als richtig heraus und wird die Entscheidung getroffen, sich von der jeweiligen Kollegin zu trennen, müssen vier Ebenen systematisch in den Blick genommen werden: Erstens muss gezielt auf Team-Ebene gearbeitet werden – das illustrieren auch unsere Beispiele. Es gilt dabei, für rechtsextreme Erscheinungsformen und rechtsextreme Ideologien zu sensibilisieren und deutlich zu machen, warum diese mit einer demokratischen Weltanschauung und einer an den Menschenrechten orientierten Pädagogik nicht zu vereinbaren sind. Ebenso unumgänglich ist es zweitens, dass die Leitung und der Träger sich ihrer Vorbildfunktion bewusst werden, sich klar und bestimmt gegen rechtsextremes und rassistisches Gedankengut in der Einrichtung und damit auch bei den Kolleg*innen positionieren und in der Lage sind, die Trennung von der jeweiligen Fachkraft auch inhaltlich begründen zu können. Zudem ist es drittens ihre Aufgabe, die Eltern über den Schritt zu informieren. So kann ein Infoabend zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus unter Einbeziehung von (lokalen) Expert*innen ein geeignetes Mittel sein, sowohl auf die gesamte Problematik hinzuweisen als auch das Handeln von Leitung und Team zu erklären. Mit den Expert*innen können konkrete Fragen und Unsicherheiten der Eltern besprochen werden. Außerdem sind diese in der Lage, eine Einschätzung der regionalen rechtsextremen Strukturen und Strategien zu geben.

Auf die meisten Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Es ist notwendig, dass Fachkräfte und demokratisch orientierte Eltern hierzu eine Position erarbeiten. Ebenso unerlässlich ist eine vertrauensvolle Kommunikation, aber auch das Wissen darum, wie rechtsextreme Erziehung zu erkennen ist und was sie ausmacht. Nicht zuletzt ist es viertens wichtig, die Trennung von der Kolleg*in auch gegenüber den Kindern zu erklären. Altersgerecht ist aufzubereiten, warum in der Einrichtung kein Platz für eine derartige Weltanschauung ist. Den Kindern muss ausreichend Raum dafür gegeben werden, Fragen zu stellen und Gefühle wie Traurigkeit und Verlust äußern zu können. Maßgebend förderlich ist die Entwicklung eines demokratischen Leitbildes, das dem Alltag in der Einrichtung zugrunde liegt. Es handelt sich hierbei um einen längerfristigen Prozess, in dessen Verlauf Kolleg*innen miteinander aushandeln und möglichst konkret formulieren, was ein demokratisches Miteinander in der Kita für sie heißt. Dabei wird geklärt, was unter Diskriminierung, z.B. unter rassistischen Äußerungen, zu verstehen ist. Wichtig ist hierbei, bereits im Leitbild konkret zu klären und zu beschreiben, in welcher Form diskriminierende Aussagen sprachlich beginnen (»Wir« vs. »die Anderen«, verbunden mit Auf- und Abwertung und damit einer Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen). Diese konkrete Klärung ermöglicht eine erhöhte Sensibilität gegenüber diskriminierenden Aussagen und Herrschaftsverhältnissen unter den Kolleg*innen generell; Leitbilder sollten nicht abstrakt formuliert sein oder als Kopiervorlage orgegeben werden, sondern gemeinsam formuliert und diskutiert werden. Wenn im Leitbild geklärt ist, wann eine Ideologie der Ungleichwertigkeit sprachlich beginnt und was diese inhaltlich ausmacht, kann dies die Basis sein, um arbeitsrechtliche Schritte zu begründen. Dazu müssen Sie in einem persönlichen Gespräch dem Gegenüber nachweisen, dass die betreffende Person von einer Ungleichwertigkeit von Menschen ausgeht bzw. eine entsprechende Aussage vertreten hat. Wenn im Arbeitsvertrag auf das demokratische Leitbild verwiesen wird, kann dieser Verstoß arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen

 

Kulturalisierung

Kulturalisierung bedeutet eine einseitige Wahrnehmung der Kinder allein entlang ihrer »scheinbaren« Kultur (oder natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit). Damit werden zum Beispiel (soziale) Konflikte als kulturelle Differenzen dargestellt. Mit dem Rückgriff auf diese Differenz ist häufig die Vorstellung von einer »natürlichen«, wesenhaften, unveränderbaren Zugehörigkeit von Einzelnen zu kulturellen Gruppen verbunden. Kultur erscheint hierbei nicht als individuell oder familiär angeeignet und variabel, sondern als unveränderlich. Die mit einer bestimmten Kultur in Verbindung gebrachten Menschen »sind dann eben so«. Eine alleinige Fokussierung auf die »Kultur«-Dimension in der pädagogischen Arbeit blendet rechtliche und sozialstrukturelle Ungleichheiten aus. Von Kulturrassismus ist zu sprechen, wenn ein Hinweis auf die »gegebene kulturelle Andersheit« direkt oder indirekt der Legitimation der Herabsetzung und Ausgrenzung der »Anderen« dient. Kulturalisierungen gehen oft mit  bestimmten Geschlechterstereotypen und Vorstellungen von »fremden« Frauen und Männern einher. Rechtsextremist*innen und Rechtspopulist*innen sprechen heute meist von »Kultur«, wenn sie sich rassistisch abgrenzen (siehe dazu Mecheril, Paul 2004: Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz Verlag).

 

MEHR FALLANALYSEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen von Rassismus«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte« Mutter und Vielfaltserziehung 

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS:

 

INHATE DER FACHSTELLE GENDER, GMF UND RECHTSEXTREMISMUS AUF BELLTOWER.NEWS

 

DIE BROSCHÜRE ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

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