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Jahresrückblick 2020 Baden-Württemberg

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Ein Appell an die Corona-Leugner*innen. (Quelle: Lucius Teidelbaum)

 

Gefährliches „Querdenken“ aus Stuttgart 

Baden-Württemberg war eine Hochburg der Corona-Proteste, die ab April 2020 einsetzten – und Stuttgart war ihre Herzkammer. Von hier aus wurden auch maßgeblich die großen Demonstrationen in Berlin (1. und 29. August), am Bodensee (03. Oktober) und in Leipzig (07. November) mitorganisiert. Nach einer unabhängigen Zählung des Autors wurden vom 1. April bis zum 1. Dezember 2020 in Baden-Württemberg mindestens 891 Demonstrationen in 111 Orten gegen die Corona-Maßnahmen angekündigt. Davon wurden mindestens 273 unter dem Label „Querdenken“ organisiert. Das bundesweit sehr erfolgreiche Label stammt aus Baden-Württembergs Landeshauptstadt Stuttgart. 

Was als Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen begann, wurde zu einer verschwörungsideologischen Massen-Bewegung im Internet und auf der Straße, die einen großen Plan hinter der Pandemie („Plandemie“) auszumachen vermeinte. In den sozialen Netzwerken, besonders bei Telegram, kursieren DDR- und NS-Gleichsetzungen zur gewählten Bundesregierung. Auch Michael Ballweg, Gründer und Chef von „Querdenken 771 – Stuttgart“ repostete bereits im April eine Karikatur, die Bill Gates als Proto-Nazi darstellt und in der Konsequenz so den Nationalsozialismus und seine Verbrechen relativiert (vgl. Kontext: Wochenzeitung).

Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen ist sehr heterogen und – entgegen eigener Bekundungen – offen für extreme Rechte. So mischten sich in Stuttgart Reichsflaggen mit PACE-Fahnen. Rechte durften aber nicht nur mitdemonstrieren, einige extreme Rechte wie der Geschichtsrevisionist Thorsten Schulte, Autor von „Fremdbestimmt: 120 Jahre Lüge und Täuschung“, bekamen sogar ein Podium, um vor tausenden Menschen zu sprechen. 

Das war kein Zufall oder Naivität. So harmlos, wie sich Querdenken-Chef Michael Ballweg und sein Team geben, sind sie nicht. 

Stephan Bergmann, bis November 2020 Pressesprecher der Stuttgarter Querdenker, entstammt dem Reichsbürger-Milieu. Er gehörte 2015 sogar zum Gründungsvorstand der Reichsbürger-Gruppe „Primus Inter Pares“ (Latein für „Erster unter Gleichen“). Schlimm genug. Dann kam auch noch heraus, dass sich Ballweg am 15. November 2020 im thüringischen Saalfeld mit dem Reichsbürger Peter Fitzek („König von Deutschland“) zu einem „Arbeitstreffen“ verabredet hatte (vgl. otz).

Während Ballweg als Bewegungsunternehmer recht erfolgreich ist und zeitweise über zehntausend Menschen in Stuttgart mobilisieren konnte, versagte er an der Wahlurne: Als unabhängiger Kandidat bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl fuhr er am 8. November im ersten Wahlgang magere 2,6% der Stimmen ein. 

Rechtspopulismus im Landtag 

Im März 2016 gewann die AfD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg mit 15,1% der Stimmen, ihrem besten westdeutschen Ergebnis, 23 Mandate. Davon sind nur noch 17 Mitglieder der Landtagsfraktion übrig. Als letzter verließ, mit einigem Zögern, der Landtagsabgeordnete Stefan Räpple Partei und Fraktion. Er meinte am 26. September 2020 auf einer Demonstration in Mainz: „Wir brauchen eine Masse auf der Straße und wir müssen die Regierung zuallererst stürzen. Und zwar mit Gewalt. Es geht nicht gewaltfrei“(vgl. Die ZEIT)

Der Zerfall der Landtagsfraktion ist vor allem das Ergebnis jahrelanger Macht- und Richtungskämpfe im Landesverband. Diese wurden und werden auch in Baden-Württemberg bis auf die Kreisverbands-Ebene ausgetragen. Dominierend ist derzeit die Meuthen-Weidel-Fehde. Obwohl beide eine ähnliche marktradikale Wirtschaftspolitik vertreten, stehen sie sich feindlich gegenüber. Während Weidel sich aktuell mit Kräften des Höcke-Flügels verbündet hat, hat Meuthen als vorgeblich Gemäßigter dasselbe Bündnis 2019 aufgekündigt. 

Inhaltlich findet sich im Landesverband eine Bandbreite von rechtskonservativ bis hinein ins neofaschistische. Als offener Rechtsextremist tritt der Freiburger AfD-Gemeinderat und Burschenschafter Dubravko Mandic auf. Seine Nähe zu organisierten Neonazis stellte er zuletzt durch das Tragen eines T-Shirts des „Kampf der Nibelungen“ sichtbar unter Beweis.

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Gegen Bestrebungen des von Meuthen dominierten Bundesvorstands, hat der von Weidel angeführte Landesverband ein Ausschlussverfahren gegen Mandic verhindert. Vermutlich um Weidel weiter die Unterstützung der AnhängerInnen des Höcke-Flügels zu sichern. 

Mandic ist sogar Direktkandidat zur kommenden Landtagswahl am 14. März 2021 im Wahlkreis 58 (Lörrach). 

Trotz diverser Pleiten, Pech und Pannen steuert die AfD zur Landtagswahl ihren Wiedereinzug an. In Umfragen rangiert sie bei 11% der Stimmen. Mandic ist ein so genannter „Alter Herr“ der Burschenschaft „Saxo-Silesia zu Freiburg“. Diese ist im extrem rechts dominierten Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) organisiert. Ebenfalls Mitgliedsbund der DB ist die Burschenschaft Normannia zu Heidelberg. Diese sorgte bundesweit für Schlagzeilen als bekannt wurde das in der Nacht vom 28. auf dem 29. August 2020 auf ihrem Haus ein antisemitischer Übergriff stattfand. Mitglieder mehrerer Studierendenverbindungen, darunter offenbar auch der Normannia selbst, beschimpften einen jüdischstämmigen Verbindungsstudenten als „Jude“, bewarfen ihn mit Geldmünzen und schlugen ihn mit Gürteln. 

Die Polizei ermittelt gegen insgesamt acht Personen, darunter eine Frau. Die Burschenschaft Normannia löste darauf am 3. September 2020 ihre „Aktivitas“, d.h. ihre studentischen Mitglieder, auf. Doch in vielen Medien-Berichten wurde auf die extrem rechten Kontinuitäten in der Burschenschaft und ihrem Dachverband hingewiesen, die längst nicht nur die aktuelle „Aktivitas“ betreffen. 

 

 

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