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Kulturkampf von rechts In Radebeul wählen CDU und AfD neurechten Schriftsteller zum Kulturchef 

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(Quelle: k.a.)

Der Stadtrat von Radebeul in Sachsen muss die Wahl des Kulturamtsleiters der Stadt wiederholen. Nachdem am 20. Mai der Schriftsteller Jörg Bernig mit Stimmen der AfD und der CDU in das Amt gehoben worden war, erhob sich breiter Protest von Kulturschaffenden und Bürger*innen. 

Der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche legte schließlich sein Veto gegen den Stadtratsbeschluss ein. „Ein Kulturamtsleiter hat aus meiner Sicht vor allen Dingen die Aufgabe, einen Diskurs in der Stadt zu erzeugen, einen Diskurs über alle kulturpolitischen Meinungen, über die Meinungsvielfalt, über die Vielfalt der Kunstsprache“, teilte Wendsche am Montagabend dem Ältestenrat mit – und das wo das Stadtoberhaupt doch tagelang betont hatte, es gäbe keine rechtlichen Möglichkeiten die Wahl rückgängig zu machen. Aber warum der ganze Trubel um  diese Personalie?

Wer ist Jörg Bernig?

Jörg Bernig, 1964 in Wurzen geboren, ist ein freischaffender Schriftsteller, der seit 1995 in Radebeul lebt. Er gilt neben seinem literarischen Schaffen als Erzähler und Lyriker auch als Kulturschaffender, der politisch rechte Positionen in der Öffentlichkeit vertritt. Dabei äußert er sich vor allem migrations- und islamkritisch. Es scheint, als sei Bernig eingebettet in ein Netzwerk aus neurechten „Intellektuellen”.

Bernig: „Versuchslabor einer ethnischen Modifizierung“

2016 sprach Jörg Bernig in einer Rede in Bezug zur Migrationsbewegung von einem „Versuchslabor einer ethnischen Modifizierung“, was nichts anderes als eine Umschreibung des Mythos des „Großen Austausches“ ist. Geadelt wurde Bernig kurze Zeit später vom neurechten Publizisten Götz Kubitschek. Er sprach am Tag der Deutschen Einheit vor dem Pegida-Publikum in Dresden, zitierte aus Bernig Rede und zeigt sich begeistert.  

Bernig gehörte auch zu den Erstunterzeichner*innen der „Charta 2017“, einer Petition, die davor warnte, „nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt“ zu sein. Anlass waren Proteste gegen extrem rechte Verlagsstände auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Jahr später war er einer der Erstunterzeichner*innen der „Erklärung 2018“, zusammen mit einschlägigen Vertreter*innen aus dem rechs-alternativen Lager wie Eva Herman, Thilo Sarrazin oder Matthias Matussek . Es kommen für Rechte wichtige Schlüsselwörter darin vor, die zugleich aber als Intellektualisierung des flüchtlings- und islamfeindlichen Wutbürgertums der Straße à la „Pegida“ oder „Merkel muss weg“-Demos gelesen werden können. Die Flucht gefährdeter Menschen vor den Schrecken des Krieges wird in der „Erklärung 2018“ zur „illegalen Masseneinwanderung“. Seinen Namen hat Bernig in beiden Fällen auf Einladung der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen hergegeben. Dagen wandte sich im Zuge von Pegida dem Rechtspopulismus zu und pflegt seither die Nähe zur AfD und zur sogenannten „neuen” Rechten um den Antaios Verlag. Sie betreibt mit ihrem Lebenspartner das „Buchhaus Loschwitz“ in Dresden in dem zum Teil auch Bernigs Texte erschienen sind. 

Im Dunstkreis der neurechten Möchtegern- Intellektuellen

Für den neurechten Blog „Sezession“  des Kleinverlegers Götz Kubitschek schrieb Bernig 2019 einen Gastbeitrag mit dem Titel „Revoltierende Resteverwerter verfallner Imperien“. Darin schreibt er vom „altbundesrepublikanische Konsens“, „daß linkes bis linksextremes Gedankengut auch von der sogenannten Mitte der Gesellschaft verinnerlicht und gleichsam verbürgerlicht worden war“. Es ist ein gerne verwendeter Mythos der neuen und extremen Rechten, dass wir alle in einer sogenannten „linken Meinungsdiktatur“ leben würden. Dass dies absurd ist, zeigt doch schon der Umstand, dass rechtsradikale Aktivist*innen ihre menschenfeindliche Positionen beinahe ungehindert (mit Ausnahme von Holocaustleugnung) in der Öffentlichkeit auf Demonstrationen, auf Social Media und auf Blogs (wie der „Sezession“) rausposaunen können. Mit seinem „Sezession“-Beitrag reiht sich Bernig in eine Riege aus neurechten und rechtsextremen Autoren wie Martin Sellner, Martin Semlitsch und Götz Kubitschek ein. Die neurechte Kaderschmiede „Institut für Staatspolitik“ rund um Kubitschek und die „Sezession“ wird seit April als Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet

Zwar ist Bernig keine Führungsperson der sogenannten „neuen“ Rechten, allerdings begibt er sich offenbar gerne personell wie ideologisch in diesem Dunstkreis. 

Die Wahl als gezielt von der Werteunion gesteuert?

Vorgeschlagen wurde der 56-Jährige, der in der nahe Dresden gelegenen Stadt wohnt, durch den CDU-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Reusch. Die Personalie war vorher nicht bekannt, gewählt wurde Bernig mit den Stimmen der AfD. Die Entscheidung fiel mit 17 Ja-, 15 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen knapp aus.

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Stadtrat, Daniel Borowitzki nennt die Wahl Bernigs in einem Blogbeitrag „skandalös“, und das nicht nur wegen seiner politischen Ausrichtung, sondern auch wegen einem Mangel an fachlicher Eignung. Borowitzki meint, die Wahl durch die CDU und AfD erfolgte allein aus „ideologischen Gründen“. Eingebracht wurde der neurechte Kandidat offenbar vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Ulrich Reusch.

Auch der SPD-Landesvorsitzende und stellvertretender Ministerpräsident, Martin Dulig, nannte den Wahlvorgang „ungeheuerlich“. Dulig glaubt nicht an einen zufälligen Schulterschluss zwischen CDU und AfD in Radebeul, vielmehr sieht er die Wahl als gezielt von der „Werteunion” gesteuert, um die abgrenzende Position von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zur AfD zu unterlaufen. Der rechte CDU-Zirkel „Werteunion“ sei im Landkreis Meißen gut verankert heißt es im Tagesspiegel, der stellvertretende Landesvorsitzende Sven Eppinger sitzt für die CDU Stadtrat in Radebeul. 2016 floss von Eppingers Privatkonto eine kleine Spende an die AfD.  

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Die „Werteunion“ widersprach Dulig am späten Mittwochabend: Es habe im Zusammenhang mit der Wahl von Bernig keine Zusammenarbeit mit „Fraktionen konkurrierender Parteien“ gegeben, die CDU-Fraktion habe auch nicht einheitlich abgestimmt. Die „Werteunion” hatte die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten Thüringens mit AfD-Stimmen ausdrücklich begrüßt. Auch sonst flirten „Werteunion”-Vertreter*innen gern mal mit der AfD.

Wie dem auch sei, für die Kulturszene wie für die Zivilgesellschaft von Radebeul ist die Wahl Bernigs ein fatales Zeichen. In der Kreisstadt finden jährlich drei große Kulturveranstaltungen statt, mit je 30.000 bis 50.000 Besucher*innen pro Wochenende. Eine enorme Summe und ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für die Dresdner Nachbarstadt mit rund 34.000 Einwohner*innen. „Auf den großen und kleinen Events wird Weltoffenheit gelebt“, so ein gebürtiger Radebeuler und Fan der dortigen Kulturszene gegenüber Belltower.News, der anonym bleiben möchte. Radebeul habe lange Zeit unter einer Art Käseglocke gelegen, ohne größere Probleme. „Ein zivilgesellschaftliches Bewusstsein, das ein solcher Vorgang demokratiegefährdend sein kann, gab es bis dahin nicht in Radebeul.“ Das habe sich jetzt schlagartig geändert, sagt er.   

„Die Wahl Dr. Jörg Bernigs ist ein folgenschweres Zeichen für den Stellenwert der Kultur in unserer heutigen Zeit. Wir befürchten, dass dieser Kulturamtsleiter die freiheitliche Ausübung von Kunst und Kultur behindern oder einengen könnte.“ Mit diesen Zeilen veröffentlichte der Radebeuler Verein Kultur e.V. am Dienstag einen offenen Brief sowie eine Stellungnahme. 

Kulturkampf von rechts

Bislang galt die Kunstfreiheit  parteiübergreifend als schützenswertes Gut, schließlich war die kritische Auseinandersetzung mit Volksvertreter*innen und Repräsentant*innen nach der Zeit des Nationalsozialismus selbstverständlich im Kunst- und Kulturbetrieb. An diesem Konsens rüttelt nun die sogenannte „neue“ Rechte und ihr parlamentarischer Arm, die AfD. 

Um ein vorherrschendes politisches System zu „überwinden“, und da sind wir auch wieder beim linken „Meinungsdiktat“ das auch Bernig anspricht, will die rechte Szene über den politischen Bereich hinaus aktiv werden. Man müsse zunächst in die Zivilgesellschaft eindringen, die Grenzen des Sagbaren verschieben und rechte Positionen in der Öffentlichkeit normalisieren. Im Rahmen der Strategie eines „Kulturkampfes“ will die sogenannte „neue“ Rechte so meinungsbildend im öffentlichen Raum wirken, um Diskurse zu besetzen und zu ändern. Diesen Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ bezeichnet die „neue“ Rechte mit dem Begriff „Metapolitik“.

Was kann mit einem neurechten Kulturamtsleiter passieren?

Bernig als Kulturamtsleiter wäre hauptamtlich unter anderem für die städtische Kulturkonzeption und -förderung zuständig gewesen, für Ausstellungen und die Vergabe kommunaler Zuschüsse – und außerdem für die Verleihung des Kunstpreises der Stadt, den er 2013 selbst erhalten hat.

Von einem neurechten Kulturchef kann man also annehmen, dass er Kunst im völkischen Sinne versteht und dementsprechende Projekte fördert. Auf Grund von Bernigs Aussagen zu Migration und Flucht, kann man wohl annehmen, dass Kulturprojekte die für eine offene Gesellschaft und für einen kulturellen Austausch zwischen den Kulturen stehen, eher keinen guten Stand bei Bernig haben dürften. Außerdem müssten die Bewohner*innen befürchten, mit Bernig an der Spitze des Amtes auch ein entsprechendes Publikum anzuziehen. 

Umso wichtiger ist die Notbremse, die der Bürgermeister mit seinem Veto am Montag gezogen hat. Wir sehen hier allerdings, dass unsere demokratischen Werte alles andere als selbstverständlich sind und dass es wachsame Bürger*innen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Leben braucht, um den schleichenden Rechtsruck zu unterbinden. 

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