Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rassismus Keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse

Von|
(Quelle: Flickr / edu aguilera)

Derzeit erleben wir in Deutschland eine enorme Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Flüchtlingen, sowohl aus der Zivilgesellschaft wie auch von politischer Ebene. Viele Menschen spenden Kleidung, Essen, Geld oder nehmen Geflüchtete direkt bei sich zuhause auf. Umso trauriger ist es, dass ausgerechnet der brutale Krieg in der Ukraine den Rassismus der westlichen Medien und vieler Menschen auch in Deutschland offenbart.

Bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn hieß es seitens amerikanischer oder britischer Journalist:innen, die Ukraine sei „kein Drittwelt-Land“ sei, sonders eher „europäisch“ und „zivilisiert“. Mittlerweile hat der Journalist für seine Formulierung entschuldigt. Während eines Interviews mit der BBC meinte ein ehemaliger ukrainischer Staatsbediensteter, dass er besonders emotional sei, weil er täglich sehe wie „europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“ getötet würden. Als wäre es nicht so tragisch, wenn die Getöteten braune Augen und dunkles Haar hätten.

Solche und ähnliche Kommentare hören wir derzeit in den Medien und lesen sie auf Social Media. Gemeint sind sie oft empathisch, sollen besonderes Mitgefühl ausdrücken oder auslösen. Aber was bei solchen Aussagen immer mitschwingt: Die Geflüchteten aus der Ukraine seien wie „wir“, gemeint ist hellhäutig oder weiß, christlich, und deshalb „zivilisierter“ als jene, die in den vergangenen Jahren gen Europa geflüchtet sind aus Afghanistan, Syrien oder Somalia. Denn die seien im Umkehrschluss „anders“ als wir. Wer fragt, warum sie anders seien, hört mitunter viele Worte, doch in der Regel ist das Warum vor allem Rassismus.

So erfreulich und wichtig die derzeitige Hilfsbereitschaft ohne Frage ist, zeigt sie auch umso erschreckender rassistische Ressentiments in der gesamten Gesellschaft, die eine Ungleichwertigkeit der Geflüchteten ausmachen und sogar schamlos offen aussprechen, ganz nach dem Motto: Guter Flüchtling schlechter Flüchtling.

Kulturelle Nähe

Ein Argument, das momentan besonders häufig zu hören ist, lautet, dass den Ukrainer:innen nun besonders dringend geholfen werden müsse, weil sie aus „demselben Kulturkreis“ kämen wie wir Deutschen. Das impliziert gleichzeitig nicht nur, dass, Menschen aus arabischen Staaten irgendwie doch „anders“ seien „als wir“ – sondern auch, dass sie deshalb vielleicht weniger dringend Hilfe „von uns“ bräuchten. Die geografische Nähe der Ukraine spielt dabei sicher auch eine Rolle.

Selbstverständlich gibt es kulturelle Unterschiede, je nach Region. Die gibt es auch im Vergleich von Stuttgart und Hamburg, aber dennoch darf dies doch kein Argument sein, Menschen in Not und auf der Flucht vor Krieg und Tod weniger Hilfe zukommen zu lassen. Menschlichkeit gegenüber Menschen in Not sollte universell sein und nicht daran gekoppelt, wo jemand herkommt, noch welche Augen- und Haarfarbe eine Person hat.

Armut

Ein weiteres Argument, das wir derzeit hören und lesen, ist, dass Menschen aus dem Nahen Osten in ihren Fluchtländern in Armut gelebt hätten (anders als „die Ukrainer:innen“, so die Annahme). Daraus werden Schlüsse gezogen wie: Wer arm sei, für den sei es deutlich einfacher, mit wenig Raum in Flüchtlingsunterkünften klarzukommen. Die Geflüchteten aus Syrien wäre das „Zusammenleben in großen Familienverbänden“ gewohnt gewesen, Ukrainer:innen dagegen nicht.

Das Bild, das in solchen Aussagen mitschwingt, ist das von weniger zivilisierten Menschen aus arabischen Ländern – und das ist Rassismus. Sicherlich hat Deutschland einen sehr hohen Lebensstandard hat, doch auch in Syrien, Afghanistan und dem Irak lebten die Menschen nicht nur unter prekären Bedingungen – und wenn sie es taten, dann nicht auf ihren Wunsch hin. Und auch in Deutschland wächst jedes fünfte Kind in Armut auf.

„Wirtschaftsflüchtlinge“ vs. „Echte Flüchtlinge“

Momentan wird gerne der Vergleich aufgemacht, 2015 seien so bezeichnete „Wirtschaftsflüchtlinge“ nach Deutschland gekommen, währen jetzt „echte“ Flüchtlinge kämen. So eine Argumentation ist sehr problematisch, weil es den Fluchtgrund Krieg negiert. Auch die Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak mussten aus ihren Heimatländern fliehen, weil dort ihre Leben in Gefahr waren. Genau wie momentan Wladimir Putin die ukrainische Zivilbevölkerung terrorisiert, terrorisierten Baschar al-Assad und die Taliban ihre eigene Bevölkerung. Hier das eine Leid gegen ein anders auszuspielen, ist perfide und den Geflüchteten gegenüber verächtlich.

Heldenhafte Ukrainer, feigen Araber 

In der TV-Talkshow „Hart aber fair“ vom 28. Februar sagte der Journalist Gabor Steingart, die Ukrainer würden zu „unserem Kulturkreis“ zählen und: „ja, es sind Christen“, und dass er sich deshalb vorstellen könnte, dass es „diesmal funktioniert“. Was scheinbar bisher „nicht funktioniert“ habe, überlässt er der Fantasie der Zuhörer:innen. Leider erntete er wenig Widerspruch, obwohl selbst die Grundannahmen – z.B. alle Ukrainer:innen seien Christen – nicht stimmen. .. Der pensionierte deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse behauptete in jener Sendung, es handelt sich bei den Geflüchteten von 2015 zu einem großen Teil um junge Männer, „wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land verteidigen sollten“. Nun, so Domröse, sei ja zum Glück Gegenteiliges der Fall: Ukrainische Männer würden ihre Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen, während die „Frauen, Mütter und Kinder“ gehen.

Die Erzählung, die Ukrainer:innen seien mutig, die „anderen“ Geflüchteten hingegen feige und würden nur nach Europa kommen, um hier Sozialleistungen abzugreifen, lesen wir derzeit häufig in den Kommentaren. Abgesehen davon, dass es eine Pauschalisierung ist, unterschlagen solche Thesen die jeweiligen komplexen Gemengelagen der verschiedenen Kriege. Statt diese Komplexitäten und die Vielschichtigkeit der Konflikte zu thematisieren, wird so ein einfaches Bild gezeichnet. Menschen werden gegeneinander aufgewogen, mitsamt ihrer Erfahrungen, Schicksale und Traumata.

 Zumutbarkeit

Wir wünschen uns, dass sich die Bedingungen für geflüchtete Menschen in Deutschland verbessern – und zwar für alle. Aber auch hier darf man keine zwei Klassen aufmachen. So sehr aktuell zu begrüßen ist, dass wir als Gesellschaft den ukrainischen Geflüchteten nicht das zumuten wollen, was wir jahrelang anderen Geflüchteten zugemutet haben – es ist verständlich, dass sich Geflüchtete aus anderen Konflikten dadurch verletzt fühlen. Wenn die Ungleichbehandlung nun auch noch fortgeführt wird, ist das extrem problematisch. Wenn jetzt syrischen Geflüchteten vermittelt wird, sie müssten „Platz machen“ für europäische Geflüchtete, sei es in Unterkünften oder in Sprachkursen, vertieft das die rassistische Erfahrung, die viele von ihnen in Deutschland bereits machen mussten. Ukrainer:innen dürfen privat unterkommen, sie dürfen sofort arbeiten, wenn sie einen Job finden – das ist sehr gut, aber es sollte für alle gelten, die nach Deutschland vor Krieg und Tod fliehen.

Wer meint, ukrainischen Geflüchteten könne man die bisherigen Bedingungen für Schutzsuchende nicht zumuten, will damit zumeist den ukrainischen Geflüchteten nur das Beste wünschen. Doch indem Menschen sagen, die Ukrainer:innen könnten beispielsweise nicht in Asylunterkünften leben, weil sie „eine uns sehr vergleichbare Lebensform“ aus der Ukraine kennen würden, wertet Geflüchtete aus anderen Regionen ab. Ihnen könne man es zutrauen in beengten Unterkünften zu leben, weil sie ja anders seien als wir und es nicht anders kennen würden. Die Zustände für Menschen auf der Flucht sind sehr belastend – das gilt für alle Geflüchteten gleichermaßen.

Entmenschlichung

Noch einmal, um Unklarheiten auszuschließen: Es ist sehr zu begrüßen, dass die Menschen aus der Ukraine momentan problemlos nach Polen und Deutschland kommen können, schließlich haben sie genügend Gründe, vor der Gewalt zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Das Recht auf Asyl ist ein zentrales Menschenrecht: Wenn in meiner Heimat mein Leben bedroht wird, weil ich politisch anderer Meinung bin, einer anderen Religion angehöre oder eine andere Sexualität besitze als die Mehrheit, kann ich Schutz im Ausland suchen. Von diesem Grundgedanken bleibt aber nicht mehr viel übrig, wenn Medien, Politiker:innen und Aktivist:innen Geflüchtete dehumanisieren.

Dass wir aktuell mit zweierlei Maß messen, liegt auch in der Politik begründet. Die Migrationsforscherin Zeynep Yanasmayan sagte etwa gegenüber dem rbb, „dass das Verhalten vieler Politiker die geflüchteten Menschen aus dem Nahen Osten besonders entmenschlicht hat.“ So hatte etwa der EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei das Ziel, Menschen von einer Flucht nach Europa abzuhalten. Mit dem Ergebnis, dass derzeit noch immer Erwachsene und Kinder auf griechischen Inseln in Lagern festsitzen. Viele Geflüchtete hatten bis vor kurzem überhaupt keine Möglichkeit, an Sprachkursen teilzunehmen. Nur mit großer Mühe bekam sie eine Arbeitserlaubnis, obgleich sie arbeiten wollen. Bis zum heutigen Tag ist es ihnen oft untersagt, ihre Familie nachzuholen. Anders als jetzt, war es 2015 untersagt, Geflüchtete privat aufzunehmen. Momentan wirkt es, als könnte Deutschland auch wirklich unbürokratisch helfen– und das ist zu großen Teilen auch gut.

Letztendlich bleibt festzuhalten: Alle Menschen auf der Flucht haben ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ruhe und Frieden, und da gibt es keine Unterschiede, weder aufgrund ihrer Religion, Sexualität oder der Haut- und Augenfarbe. Und das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren: Es gibt nicht die guten und die schlechten Flüchtlinge. Das Recht auf Flucht und Asyl darf nicht am Bildungsstand oder am Geschlecht festgemacht werden, nicht am Herkunftskontinent oder an unserer Fähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen, wenn wir diese Kriterien nicht ausblenden können.

Und was die Debatte angeht: Wenn Sie sich für ukrainische Geflüchtete aussprechen wollen, für sie Unterstützung und Hilfe organisieren wollen – tun Sie es bitte, ohne andere Geflüchtete abzuwerten. Das Leid der Menschen, die jetzt aktuell alles verlieren und nach Deutschland fliehen, ist dramatisch genug.

Weiterlesen

Eine Plattform der