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Verfassungsschutzbericht 2022 Höchststand bei extremistischen Straftaten

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Kritiker*innen des Infektionsschutzgesetz gegen Wasserwerfer am 18.11.2020 in Berlin. (Quelle: Nicholas Potter)

Am 20. Juni 2023 stellten Bundesinnenministerin Nany Faeser (SPD) und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, in Berlin den Bericht der Behörde für 2022 vor.

Schon zu Beginn betont die Innenministerin die Gefahren, die vom Rechtsextremismus für die Demokratie ausgehen, es handele sich um eine „bleibende Herausforderung“ und die „größte Gefahr für die demokratische Grundordnung“.

Verfassungsschutzchef Haldenwang stützt sich unter anderem auf die Liste der Todesopfer rechter Gewalt der Amadeu Antonio Stiftung, die seit der Wiedervereinigung insgesamt 219 Todesopfer zählt, und ordnet Rechtsextremismus neben dem russischen Angriffskrieg und seinen Auswirkungen in Deutschland und den Bemühungen ausländischer Dienste –  auch hier geht es wieder um Russland – als aktuell größte Gefahren ein. Die Phänomene überlappen sich dabei. Rechtsextreme nutzen und instrumentalisieren russische Desinformation, um staatsdelegitimierende Hetze in die Mehrheitsgesellschaft zu tragen. Namentlich benennt Haldenwang das Compact-Magazin, das der Verfassungsschutz bereits seit 2021 als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, und die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ als „prorussische Provokateure“. Die rechtsextreme Partei ist für 82 der 145 bundesweit durchgeführten rechtsextremen Demonstrationen verantwortlich. Die Behörde bestätigt dabei auch die Einschätzungen zivilgesellschaftlicher Beobachter*innen, die zeigen, dass die Mobilisierungsthemen sich immer wieder aktuellen Debatten anpassen: Von den Coronademos zum Krieg, über Wirtschaft, Klimaschutz oder Inflation.

Russischen Einfluss macht der Behördenchef auch in der AfD aus und erwähnt, ohne Namen zu nennen, den Besuch von Parteichef Tino Chrupalla und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in der russischen Botschaft.  „Teile der AfD sind sehr stark von Moskau beeinflusst“, so Haldenwang. 10.200 Mitglieder der AfD sind laut Verfassungsschutz-Bericht als gesichert rechtsextrem eingestuft. Zum ersten Mal landet die AfD überhaupt als rechtsextremer Verdachtsfall im Verfassungsschutzbericht.

Das aktuelle Umfragehoch der Partei führt Innenministerin Faeser auf unterschiedliche Gründe zurück. Sie nennt unter anderem den russischen Angriffskrieg, Wirtschaft und Inflation. Die Ministerin macht das Erstarken der Rechtsaußenpartei aber auch am Diskurs außerhalb der Partei fest: „Das Hetzen gegen andere Menschen macht die AfD stark“, so Faeser. Besonders CDU-Vertreter*innen versuchen immer wieder, über Ausgrenzung anderer demokratischer Parteien Stimmen zu generieren. Gute Ergebnisse liefert das aber aktuell vor allem der AfD.

Insgesamt ist die rechtsextreme Szene um 5.000 Personen auf insgesamt 38.800 Personen gewachsen. Mindestens 14.000 davon schätzt der Verfassungsschutz als gewaltorientiert ein. Ein Anstieg zum vierten Mal in Folge. Auch rechtsextreme Straftaten sind erneut um 3,8 Prozent auf rund 23.000 gestiegen.

Auch in der Reichsbürgerszene konstatiert der Verfassungsschutz „Narrative der russischen Staatspropaganda“. Die Szene wuchs von 21.000 auf 23.000 Personen. Obwohl Innenministerin Nancy Faeser versichert, dass es sich aufgrund ihrer Waffenaffinität und der Umsturzpläne dabei auf keinen Fall um „harmlose Querulanten oder Wirrköpfe” handle, wird die Szene erneut entpolitisiert: Der Verfassungsschutz spricht von einer „Mischszene“ und stuft nur 1.250 Personen als rechtsextrem ein. Dabei trifft bei „Reichsbürger*innen” Verschwörungsglaube auf Umsturzphantasien. Die Szene lehnt den demokratischen Staat ab und hat starke Bezüge zu antisemitischen und rassistischen Weltbildern.

Zum ersten Mal erwähnt der Bericht für 2022 rechtsextreme Siedlungsbestrebungen. Darunter die sogenannte Anastasia-Bewegung, die erst Anfang des Monats als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde.

Außerdem noch recht neu im Bericht ist die „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Entstanden ist die Kategorie mit Blick auf die unterschiedlichen Akteur*innen im Spektrum der Gegner*innen der Anti-Corona-Maßnahmen, die vor allen Dingen der Glaube an Verschwörungserzählungen eint. Nach dem Ende der staatlichen Maßnahmen und dem vorläufigen Rückgang von Teilnehmendenzahlen bei Demonstrationen hat sich auch diese Szene jetzt anderen Themen zugewandt: „In diesem Kontext wurden unter anderem die Agitation gegen staatliche Klimaschutzmaßnahmen oder die Debatte über die wirtschaftlichen und politischen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als mögliche neue Schwerpunktthemen diskutiert“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Dabei scheint der Verfassungsschutz hier immerhin zu erkennen, dass dabei unterschiedliche Szenen eng miteinander verbunden sind. Es bestehe „eine wechselseitige Anschlussfähigkeit insbesondere an die Phänomenbereiche Rechtsextremismus sowie ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘“, so die Behörde. Insgesamt zählt der Verfassungsschutz 1.400 Personen, die in der Szene aktiv sind, davon gelten 280 als „gewaltorientiert“.

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