Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Zukunftsmusik rechtsaußen 2022 — Quo vadis AfD ? — Teil 1

Von|
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Wahlabend 2019 in Sachsen. (Quelle: Wikimedia / Sandro Halank / CC BY-SA 4.0)

Die extreme Rechte liebt die Krise. Je heftiger desto besser. Ein ehemaliger AfD-Pressesprecher brachte das auf den Punkt: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“. Also müsste es der AfD jetzt prächtig gehen. Seit fast zwei Jahren bestimmt Covid19 das Geschehen. Nie wurden die Grundrechte in der Bundesrepublik so drastisch eingeschränkt wie seit Pandemiebeginn. Zehntausende gehen gegen die Pandemiemaßnahmen regelmäßig auf die Straße. Die Existenzängste insbesondere vieler Mittelständer, denen sich die AfD besonders verbunden fühlt, sind groß wie lange nicht mehr. Viele mussten bereits Insolvenz anmelden. Die Inflation ist auf Rekordniveau. Eine Situation, in der zu erwarten gewesen wäre, dass die AfD massiv profitiert. Doch das Gegenteil ist der Fall, zumindest bis jetzt.

Das Ende von 2021 ist symptomatisch für den Zustand der Partei: Der Mitte Dezember geplante Bundesparteitag sollte Weichen für die zukünftige Ausrichtung stellen. Der Parteitag wurde aber wegen Corona kurzfristig abgesagt. Einige Beobachter*innen hatten mit einem Showdown im Flügelstreit gerechnet. Ganz so martialisch wäre es wohl nicht gekommen, aber inhaltliche Orientierungslosigkeit und interner Streit zwischen dem eher rechtsradikalen Teil und dem eher rechtsextremen Flügel lähmt die Partei schon länger. Die AfD hofft im 1. Quartal 2022 den Parteitag nachzuholen. Die Zeit werden die unterschiedlichen Lager der Partei versuchen zu nutzen, die eigene Position in der Partei zu stärken und wankelmütige Delegierte für sich zu gewinnen.

Orientierungslosigkeit und Grabenkämpfe

Seit Beginn der Pandemie läuft es nicht mehr richtig rund für die AfD. Anfänglich versuchte sie die Bundesregierung mit der Forderung nach noch härteren Maßnahmen zu übertreffen. Als die ersten maßnahmenkritischen Demonstrationen anliefen, änderte die AfD sehr zögerlich ihren Kurs und versuchte sich als Partei der Freiheit und des Grundgesetzes darzustellen. Aber richtig einheitlich wirkte ihr Kurs nie: Einige Abgeordneten schleusten „Querdenker:innen“ in den Bundestag ein, als über die Änderung des Infektionsgesetzes abgestimmt wurde. Mehrere Parlamentarier:innen der demokratischen Fraktionen wurden im Bundestag durch die Querdenker:innen angegangen. Diese offen zur Schau getragene Verachtung der parlamentarischen Demokratie war in der AfD umstritten.

Während Alice Weidel noch im Mai diesen Jahres sagte, dass die AfD mit „Querdenken“ weder als Partei noch Fraktion zu tun habe, bezeichnete der sächsische AfD Chef „Querdenken“ als Partner der AfD und die Berliner AfD sieht sich als „parlamentarischer Arm“ der Corona-Proteste. Dieser fundamentale Riss auch in der Führungsspitze im Umgang mit „Querdenken“ und Corona als Ganzes zieht sich seit Pandemiebeginn durch die Partei. Mit dem erneuten Erstarken der Corona-Proteste seit November 2021 vollzieht die AfD einen neuen Kurswechsel. Bei immer mehr Demonstrationen versucht auch die Parteisführung sich an die Spitze des gemeinsamen Protests von Neonazis und Bürger:innen zu setzen. Der Journalist Robert Andreasch fasst dies für eine Demonstration in Nürnberg am 19.12. folgendermaßen zusammen: „Die AfD Kundgebung Nürnberg wiederholt gewissermaßen Chemnitz 2018. Man hat die Wirmer-Fahne gehisst, Alice Weidel schreit, sie ‚sehe keine Extremisten‘. Vor ihr stehen Martin B. (Der Dritte Weg), Alexander D. (Artgemeinschaft) und viele andere Neonazis.“

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Wahlniederlagen

Die thematische Orientierungslosigkeit und Zerstrittenheit jenseits des Migrationsthemas wirkt sich auch auf den Erfolg der Partei bei Wahlen aus. Verwöhnt von guten Ergebnissen waren die letzten 18 Monate eher ernüchternd. Im Februar 2020 tönte Alice Weidel — neben ihrem Job als Fraktionschefin im Bundestag auch Sprecherin des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg — noch siegessicher: Die Südwest-AfD sei ein schlafender Riese und müsse geweckt werden. Dann seien Wahlergebnisse wie in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg nicht in weiter Ferne. Nach einem Jahr unter ihrer Führung erlitt die AfD in Baden Württemberg eine krachende Niederlage. Mit 9,7 Prozent (2016: 15,1) büßte sie ein Drittel ihrer Stimmen ein. Weit weg von den angestrebten ostdeutschen Ergebnissen.

In Rheinland-Pfalz lief es nicht besser. Die AfD fiel von 12,6 Prozent auf 8,3 Prozent. Selbst in Ostdeutschland musste die AfD zuletzt Stimmenverlust hinnehmen, wie etwa in Sachsen-Anhalt. Allerdings steht sie dort auf einem ganz anderen Niveau als in den alten Bundesländern. In den Jahren 2020 und 2021 hat die AfD bei jeder Landtagswahl und besonders schmerzhaft auch bei der Bundestagswahl Verluste erlitten. Neben der Debatte, ob eigene Fehler begangen wurden wirft die Partei vielen Deutschen eine „Untertanenmentalität“ vor, um zu erklären warum sie nicht massenhaft „die einzige wahre Oppositionspartei, die die Interessen des Volkes vertritt“ wählen.

Europäisch isoliert

Die thematische Zerstrittenheit hat neben den Wahlniederlagen auch weitere handfeste Konsequenzen. Seit Jahren ist die AfD bemüht, die zerstrittenen Rechtsaußenfraktionen im EU-Parlament zu einen. Im Zuge der Europawahl 2019 träumte Jörg Meuthen noch davon, mit der AfD als zentraler Akteurin ein Bündnis der europäischen radikalen Rechten aufzubauen.  Und tatsächlich: Trotz fundamentaler Unterschiede in der politischen Ausrichtung, finden die europäischen Rechtsparteien aktuell näher zueinander. In Warschau trafen sich Anfang Dezember 15 Rechtsaußenfraktionen des EU-Parlamentes, um über eine gemeinsame Fraktion zu debattieren. Aber: Nicht eingeladen war die AfD.

Hauptgrund war u.a. der „Dexit-Beschluss“, also die im Bundestagswahlprogramm verankerte Forderung nach „Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union“. Vor allem soll der ungarische Ministerpräsident Orbán, aber auch die polnische Regierungspartei PiS kein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit  der AfD haben. Letztere fürchte antipolnische Ressentiments und Großmachtbestrebungen in der Partei.

Kaum Distanzierung zu Umsturzfantasien

Die weitverbreite menschenverachtende und faschistische Gesinnung in der AfD wird in regelmäßigen Abständen durch journalistische Recherchen der Öffentlichkeit bekannt. Zuletzt veröffentlichte der Bayrische Rundfunk interne Chats bayrischer AfD Abgeordneter, 16 der 18 bayerischen Landtags- und elf der zwölf Bundestagsabgeordneten aus Bayern waren in der Chatgruppe. Dort wurden Positionen geteilt wieOhne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr.“ Anne Cyron, seit 2018 für die AfD im Bayerischen Landtag, antwortet auf die Nachricht: „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden“. Auf die beiden Posts reagiert Georg Hock, inzwischen Mitglied im Landesvorstand der bayerischen AfD, mit den Worten: „Absolute Zustimmung“.

Nach Veröffentlichung konnte die AfD nicht viel Verwerfliches an den Aussagen finden. „Der einzige Vorwurf, den Sie mir machen können, ist, dass ich mich in einem Stammtisch-Chat geäußert habe“, so Anne Cyron. Für den Bundestagsabgeordneten Peter Boehringer sind die veröffentlichen Chats zumeist völlig harmlose im Kontext Zitate. Eine Notwendigkeit, sich zumindest halbherzig von solchen Äußerungen zu distanzieren scheint nicht mehr zu bestehen. Dies offenbart, dass zumindest in Teilen der AfD zunehmend weniger Wert auf eine bürgerliche Fassade gelegt wird und das selbst im bayrischen Landesverband der lange als nicht so extrem galt. Dieser Kurswechsel kann auf einen ausgemachten Gewöhnungseffekt, aber auch eine Radikalisierung in Partei und Gesellschaft schließen, die eine Distanzierung nicht mehr als erforderlich erscheinen lässt.

Wahlerfolg oder Niederlage?

Während das Spitzenduo Weidel und Chrupalla nach der Bundestagswahl noch versuchte das AfD-Ergebnis als großen Sieg darzustellen, sprach Co-Parteichef Meuthen von einer eindeutigen Niederlage. Diese klaren Worte sind ihm nicht schwer gefallen. Für ihn stand zu dem Zeitpunkt wohl schon fest, dass er sich aus der ersten Reihe der Partei zurückzieht. Wenige Wochen später verkündete er auch offiziell, dass er auf dem nächsten Parteitag in Wiesbaden nicht wieder als Co-Parteisprecher antreten werde. Er wäre wohl auch kaum wiedergewählt worden. Doch warum ist nach Lucke und Petry nun auch Meuthen gescheitert? Die Antwort hat er schon bei seinen Reden beim Kyffhäusertreffen an der Seite von Björn Höcke gegeben. Dort analysierte er, was Gründe sind, dass Führungspersonen in der AfD in Ungnade fallen.

Gründe für Meuthens Scheitern

Jörg Meuthen war insgesamt drei Mal beim Kyffhäusertreffen, dem inoffiziellen Parteitreffen der (inzwischen offiziell aufgelösten) rechtsextremen Parteiströmung „der Flügel“. Im Jahr 2017 betonte er dort, wer in der AfD in „Ausschließeritis“ verfalle, wer nicht erkenne, dass der Flügel ein wichtiger Bestandteil der Seele der AfD sei, wäre auch in der Position eines Bundessprechers fehl am Platze. Weiter sagte er: „Ich bin in dieser Funktion einfach davon überzeugt und betrachte es als meine Aufgabe, integrativ wirken zu müssen und ich gebe alles dafür, die unterschiedlichen Strömungen unser Partei zusammenzuhalten.“ Ein Jahr später klang es ähnlich: Das Verhältnis zum Flügel beschrieb er als entspannt und er sei froh, dass es so sei – dafür habe er schließlich gekämpft. Der Flügel sei selbstverständlich ein integraler Bestandteil der AfD. Diejenigen die das nicht so gesehen haben, seien mit der Spaltaxt an die Partei herangegangen und nun, fügt er süffisant an, nicht mehr in der AfD. Und darüber sei er erleichtert. Auch beschwor er sein enges Verhältnis zu Alexander Gauland: „Und von Alexander Gauland distanziere ich mich gewiss nicht. Habe ich in der Vergangenheit nicht, das tue ich heute nicht und das werde ich, das gelobe ich, auch niemals in Zukunft tun“.

Jetzt drei Jahre später werfen ihm diese Punkte große Teile der Partei vor: Er habe mit dem Vorschlag die Partei zu teilen, die Spaltaxt in nie da gewesener Form betätigt. Meuthen hatte 2020 vorgeschlagen, den Flügel zu einer eigenen Partei zu machen und vom vermeintlich gemäßigten Rest zu trennen, Mit dem von ihm betriebenen Ausschluss von Andreas Kalbitz und anderen Personen des (offiziell aufgelösten) Flügels versuche er den „integralen Bestandteil der Seele der Partei“ aus eben dieser zu verbannen. Zu schlechter Letzt habe er sich auch öffentlich von Alexander Gauland distanziert, als er ihm vorwarf Begriffe wie Corona-Diktatur zu nutzen. Dass das mit dem schleichenden Ende der politischen Karriere von Jörg Meuthen in der AfD endet, wird selbst ihn nicht überraschen. Mit Meuthen geht der letzte bekannte Professor der ehemaligen Professorenpartei. Dass er es solang an der Spitze ausgehalten hat, zeigt sein politisches Geschick, aber auch, dass er alles andere als ein „Gemäßigter“ ist, was nicht nur seine Reden beim Kyffhäusertreffen deutlich gezeigt haben.

Meuthens gescheiterte Strategie

Jörg Meuthen hat ähnlich wie Alice Weidel gegenüber dem rechtsextremen Flügel lange Zeit eine Umarmungsstrategie gefahren. Sie waren ihm nützlich beim Sturz von Lucke (2015), beim Sturz von Petry (2017). Ein Kurswechsel vollzog Meuthen nachdem die AfD mit dem Ausscheiden von Hans Georg Maaßen aus der Behörde stärker ins Visier des Verfassungsschutzes (VS) geriet. Eine Beobachtung durch den VS sieht Meuthen als existenzbedrohend für die Partei an. Sein Kurswechsel, der den Höhepunkt im Rausschmiss von Kalbitz erreichte, war somit wohl eher durch Machtkalkül als durch inhaltliche Überzeugungen geprägt.

Letztendlich hat der Noch-Vorsitzende diese Auseinandersetzung verloren und sich so schrittweise ins politische Aus befördert. Seine Arbeit bis Ende 2018 wird dabei durchaus auch von den Sympathisant:innen des rechtsextremen Flügels honoriert. So schrieb der rechtsextreme Aktivist Daniel Fiß, der auch für das neurechte Institut für Staatspolitik tätig ist: „Trotz des Verhaltens der letzten zwei Jahre muss man anerkennen, dass Meuthen durchaus ein Parteivorsitzender war, der von 2015 – 2018 um einigende Balance in der AfD bemüht gewesen ist und bereit war, Konflikte durch Dialog zu lösen. Letzteres ist ihm jedoch offensichtlich etwas entglitten“.

Foto: Wikimedia / Sandro Halank / CC BY-SA 4.0

Weiterlesen

2021 12 11 Berlin JA Impfdemo (45)

Demobericht Demo-Flopp der AfD-Jugend in Berlin

Die AfD-Jugend „Junge Alternative“ demonstrierte am Samstag in Berlin vordergründig gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Dabei zeigt sich, dass die Mobilisierungsfähigkeit der…

Von|
Eine Plattform der