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Coronaleugner*innen-Demonstrationen Wie Verschwörungsgläubige „QAnon“ und Reichsideologie verbinden

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Ein Teilnehmer einer "Coronademo" in Frankfurt. (Quelle: picture alliance / Bernd Kammerer | Bernd Kammerer)

Innerhalb des deutschen verschwörungsideologischen Milieus war die Demonstration am 1. August 2020 unter dem Motto „Tag der Freiheit/Ende der Pandemie“ ein zentrales identitätsstiftendes Ereignis. Eine sehr große Menge an heterogenen Protestierenden hatte sich in Berlin zusammengefunden, gemeinsam gegen die Demonstrationsauflagen (Abstände, Maskenpflicht) verstoßen und gegen die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie demonstriert.

Der Straßenprotest hat beflügelt: Jetzt mobilisiert die Szene zur nächsten Großdemonstration am 29.08.2020 in Berlin. Anhänger*innen sollen dabei durch viele Verschwörungsmomente  zum Handeln motiviert werden, aber zwei Verschwörungsideologien stechen dabei deutlich heraus, erhalten in der aktuellen Mobilisierungsphase gesteigerte Aufmerksamkeit und Popularität: Zum einen „QAnon“, zum anderen verschwörungsideologischer Souveränismus bzw. die Reichsideologie. Das Verschwörungsmilieu wäre nicht es selbst, wenn es nicht zwischen beiden Konzepten eine Verbindung konstruieren könnte.

„QAnon“: Trump als Heilsbringer gegen satanistische Pädophile

„QAnon“-Erzählungen stammen ursprünglich aus den USA, wo sie seit 2017 zunächst über das Internet verbreitet wurden, und inzwischen zu politischem Protest und Gewalt bis hin zu Morden geführt haben (vgl. Belltower.News). „QAnon“-Anhänger*innen eint die Vorstellung, dass der US-amerikanische Präsident Donald Trump gekommen sei, um die USA von einer Weltverschwörung pädophiler Satanist*innen zu befreien, die im Geheimen Staat und Medien kontrollieren würden. Ein angeblicher Insider der Trump-Administration mit der höchsten Geheimhaltungsstufe Q – daher der Name Q –, veröffentlicht immer wieder kryptische Botschaften und Prophezeiungen auf Imageboards – daher die Endung Anon –, die als „Beweise“ für Trumps Kampf gegen die böse Verschwörung herangezogen werden. Die Vorstellung des Missbrauchs und der Ermordung von Kindern ist anschlussfähig an den seit dem Mittelalter verbreiteten antijudaistischen Verschwörungsmythos der „Ritualmordlegende“, der zufolge Juden christliche Kinder rituell ermorden würden.

In Deutschland ist die Verbreitung der „QAnon“-Verschwörungsideologie seit dem Frühjahr 2020 maßgeblich mit zwei Ereignissen verbunden. So wurde nach Angaben des Politikwissenschaftlers Josef Holnburger am 2. April 2020 auf „Telegram“ ein Video des verschwörungsideologisch aktiven Popstars Xavier Naidoo verbreitet, in dem er weinend Erzählungen aus dem „QAnon“-Milieu verbreitete. Darüber hinaus forderte er die Zuschauenden auf, einen Begriff zu googlen, um sie zu weiteren verschwörungsideologischen Inhalten zu führen. Nur wenige Tage zuvor, so Holnburger, war Naidoo einer „QAnon“-Gruppe auf „Telegram“ beigetreten.

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Naidoos Video, wie auch ein Folgevideo wurden noch am gleichen Tag von seinem US-affinen verschwörungsideologischen Mentor, Oliver Janich, auf dessen „YouTube“- und „Telegram“-Channel verbreitet und mit weiteren „Informationen“ über „satanische Rituale“, vor denen er bereits „seit Jahren“ warnen würde, angereichert. Der rechtslibertäre Janich betreibt auf „Telegram“neinen der größten verschwörungsideologischen Kanäle, der seit der Pandemie rasant an Zuwachs gewonnen hat.

„Reichsbürger“, Souveränismus und QAnon: Die ersten Verbindungen

Doch schon zuvor hatten sich „Reichsbürger“ und andere Souveränist*innen positiv auf „QAnon“ bezogen. Anlass war das NATO-Manöver „Defender-Europe 20“, bei dem im ersten Halbjahr 2020 unter anderem die größte US-amerikanische Truppenverschiebung seit 25 Jahren vorgesehen war. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Europa verhinderte jedoch die geplante Durchführung des Manövers (vgl. mdr). Davon ließen sich souveränistische Anhänger*innen von „QAnon“ auf „Telegram“ jedoch nicht beirren. In ihren Channels und Gruppen zeigt sich seit Februar/März 2020 eine Vermischung beider Verschwörungsideologien. Exemplarisch seien die „QAnon“-„Reichbürger“-Gruppe und der dazugehörige Kanal „Defender / SHAEF 2Q2Q“ angeführt, die am 5. bzw. 12 März 2020 gegründet wurden. Bereits im Namen dieser Community wird die Verbindung sichtbar: Das Ersetzen der Nullen durch Qs verweist auf „QAnon“, „SHAEF“ (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, Oberstes Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte) ist ein geläufiger souveränistischer /„Reichsbürger“-Code, der genutzt wird, um eine vermeintliche andauernde Besatzung Deutschlands durch die Alliierten zu „beweisen“.

Eine der ersten geteilten Botschaften eines „Experten“, die den Zusammenhang von „Defender 2020“, Q und dem Deutschen Reich erklären soll, fantasiert in antisemitischer Weise eine Besatzung des Deutschen Reichs durch „zionistischen Juden“ herbei, die seit 1918 andauern würde. Auch der Erste Weltkrieg sei nie beendet worden, es existiere kein Friedensvertrag. Doch es gäbe Hoffnung: In den USA hätte Trump seit seiner Wahl die Macht der „Kabale“ – eine Chiffre, die auch von Oliver Janich in diesem Zusammenhang gerne genutzt wird – immer weiter eingegrenzt. Nun sei er gekommen, um auch das Deutsche Reich von der Besatzung durch die „zionistischen Juden“ zu befreien. Der antisemitische Verschwörungsmythos einer „jüdischen Weltverschwörung“ ist ein Kernelement souveränistischer Ideologie, in „QAnon“ haben einige ihrer Anhänger*innen im deutschen Sprachraum eine heilsgeschichtliche Erweiterung gefunden.

Q-denken

Diese Verbindung von „QAnon“, Souveränismus und Reichsideologie zeigt sich auf der Straße. Veranstaltet und organisiert wurde der Protest am 1. August 2020 in Berlin von „Querdenken 711“, einer verschwörungsideologisch-esoterischen Organisation aus Stuttgart, die im April 2020 bundesweit für Aufsehen sorgte. Gründer Michael Ballweg war es gelungen, zur Hochphase des Lockdowns, am 18. April 2020, eine Kundgebung in Stuttgart zu veranstalten. Zwar hatte die Stadt diese im Vorfeld verboten, das Bundesverfassungsgericht gab jedoch dem Eilantrag Ballwegs gegen das Verbot statt, was von verschwörungsideologischen Milieus mit Bewunderung wahrgenommen wurde.

Ein bemerkenswerter Wandel der Botschaften von Michael Ballweg erfolgte in seiner Ansprache an das Publikum in Berlin am 1. August 2020. Er nutzte die Gelegenheit, um sich positiv auf das verschwörungsideologische „QAnon“-Milieu zu beziehen und deren Motto „Where we go one, we go all“ von der Bühne zu verbreiten. Nur eine Woche später, am 8. August 2020, nutzte Ballweg die souveränistische Chiffre „Friedensvertrag“, um sein weiteres Handlungsfeld zu umreißen. Er sei in der Klärung dieser Frage mit Staatsrechtlern im Gespräch. Die verschwörungsideologische Erzählung vom „fehlenden Friedensvertrag“ behauptet, dass sich Deutschland bzw. das Deutsche Reich ohne Friedensvertrag weiterhin im Krieg befinde (vgl. Amadeu Antonio Stiftungg: Debunking, S. 34). Die augenscheinliche Nicht-Kriegssituation in der Bundesrepublik wird darin als Inszenierung einer geheimen Weltverschwörung gegen die Deutschen[6] dargestellt, die seit Jahrzehnten oder gar seit einem Jahrhundert im Gange sei (vgl. Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten). Am Ende seiner Rede in Stuttgart forderte Ballweg die Teilnehmenden auf, „Friedensvertrag“ zu googlen, was sie unter anderem auf rechtsextreme, souveränistische /“Reichsbürger“-Webseiten und „YouTube“-Kanäle leiten wird, die ihr verschwörungsideologisches Weltbild bestärken und dadurch als „wahr“ begriffen werden.

Auch der Pressesprecher von „Querdenken 711“, Stephan Bergmann, teilte und teilt souveränistische / “Reichsbürger“ Inhalte auf Facebook (vgl. Tagesspiegel). Der Trommelbauer und Fan indigener Bevölkerung der USA begrüßte darüber hinaus am 1. August den rechtsextremen und antisemitischen Vlogger Nikolai Nerling vor der Bühne mit einer freundschaftlichen Umarmung.

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Nerling gibt auf seinen Online-Präsenzen gerne Holocaust-Leugner*innen eine Plattform und ist ein Anhänger des Faschismus und des Deutschen Reichs. Bei einer solchen Nähe bzw. Radikalisierung der zentralen Organisatoren der Kundgebung am 1. August ist es nicht verwunderlich, dass in Berlin „Reichsbürger“-Gruppierungen mit ihren Reichsfahnen von den restlichen Teilnehmenden akzeptiert wurden.

Abschlussthese: Erlösung im Reich durch Q(uerdenken)

Die Konstellation aus globaler Krise, bedingt durch die COVID-19 Pandemie und ihre Folgen, und den verschwörungsideologischen Protesten gegen die grundrechtsbeschränkenden Regierungsmaßnahmen begünstigt die Verbreitung von „QAnon“ – und souveränistischen / “Reichsbürger“-Verschwörungsideologien. Beide konkretisieren das Feindbild des Staates, der vermeintlich gegen die Interessen seiner Bürger*innen operiere: Eine geheime Verschwörung gegen „das Volk“ findet statt, welche die Regierung steuert. Von Bedeutung dürfte auch sein, dass im verschwörungsideologischen Souveränismus, ob in der Reichsideologie oder anderen Formen, wie auch bei „QAnon“ Heilsversprechen enthalten sind – im Gegensatz zu den Untergangs-fixierten verschwörungsideologischen Erzählungen um die „Neue Weltordnung“, Zwangsimpfungen oder den vermeintlichen „Großen Austausch“, die letztlich nur durch Terror aufgehalten werden könnten.

Verschwörungsideologische Milieus bewegen sich stets auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnungslosigkeit und Megalomanie. Richard Hofstadter hat dies bereits in seiner Analyse verschwörungsideologischen Denkens der US-amerikanischen Rechten Mitte der 1960er Jahre herausgearbeitet. Souveränismus und Reichsideologie dämpfen die Hoffnungslosigkeit durch ihre konkreten Handlungstipps, wie das Ziel der Rückgewinnung fehlender Souveränität, individuell und staatlich, zu erreichen sei: Souveränitätserklärungen, Beantragen von bestimmten Dokumenten, die Veränderung der Schreibweise des eigenen Namens, das Ausrufen eines eigenen Reiches auf dem eigenen Grundstück, das Einberufen einer Nationalversammlung, die Errichtung einer Reichsregierung etc.

„QAnon“ erweitert diese Ideologie um eine Perspektive der Macht und christlich-fundamentalistische Endzeitvorstellungen. In den USA, in denen das Ideologem von „QAnon“, zuerst verbreitet wurde, sind Endzeitvorstellungen bei fundamentalen christlichen Gruppierungen, aber auch bei Rechtsextremen weit verbreitet. Diese Vorstellungen beschreiben, hier in aller Kürze dargestellt, unter anderem den Beginn der Endzeit mit einer Leidensperiode für Christ*innen, die durch eine Verschwörung des Antichristen verursacht würde. Dagegen würden sie sich jedoch erheben, um in einer letzten Schlacht mit Hilfe des Erzengels Michael das satanische Böse zu besiegen, und eine utopische Periode der Herrschaft des Guten in einem tausendjährigen Reich einzuleiten.

Deutschsprachige verschwörungsideologische Diskurse teilen diese Vorstellungen, wobei mindestens seit den 2010er Jahren säkulare Deutungsmuster der Apokalypse überwiegen. Für verschwörungsideologische und esoterische Milieus stellt der Politikwissenschaftler Michael Barkun ein improvisiertes Verständnis der Apokalypse seit den 1990er Jahren fest, in dem es keine kanonisierten Schriften gibt, sondern Einzelteile aus unterschiedlichen Zusammenhängen individualisiert zusammengetragen werden. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen politischen Kultur kämpf Trump in der „QAnon“-Verschwörungsideologie als christlicher Erlöser offen und im Geheimen gegen die satanische Verschwörung. Deutsche verschwörungsideologische Kontexte sehen in ihm eher einen politischen Führer, der gegen perverse „Globalisten“ zu Felde zieht. Entsprechen diesen Heilsvorstellungen wurde in souveränistischen Milieus in den Logos von „Defender-Europe 20“ und SHAEF das flammende Schwert des Erzengels Michael identifiziert, der in christlich Endzeitvorstellungen die göttliche Intervention in der Entscheidungsschlacht darstellt. Danach obsiege das Gute und das Böse würde vernichtet. Das Deutschen Reich oder ein souveränes Deutschland, was immer dies bedeute, repräsentieren den darauf zu erreichenden Heilsort.

Damit zeigen sich aber auch die Grenzen von „QAnon“ in deutschen verschwörungsideologischen Kontexten: Das Leben in der Endzeit und der unmittelbar bevorstehende Sieg des „Guten“ erfordert eine große Fähigkeit zu glauben. Diese wird durch die beständig nicht eintretenden Prophezeiungen im „QAnon“-Milieu herausgefordert. Und so eint „QAnon“ nicht nur das Milieu, sondern birgt auch stets den Zweifel an der Richtigkeit seiner Erzählungen. Im Laufe der letzten Monate ließ sich etwa feststellen, dass einzelne souveränistische “Reichsbürger“-Gruppierungen mit „QAnon“ gebrochen haben: Das Vertrauen auf die „fremde Hilfe“, also Donald Trump, sei erschöpft. Nun müsse man wieder selbst das eigene Schicksal in die Hand nehmen.

Auch das „Magazin für Souveränität“ hat die Chance von „QAnon“ realisiert, die eigene „neurechte“ Agenda an angehende Verschwörungsideolog*innen zu vermitteln. Die Woche vor der nächsten großangekündigten Demonstration von „Querdenken 711“ am 29. August 2020 bewirbt COMPACT als „Q-Woche“. Und so landen manche, die „QAnon“ oder „Q“ googlen, wie auch andere, die der Aufforderung Ballwegs zur Suche nach dem „Friedensvertrag“ folgen, bei Rechtsextremen, wie dem AfD-Politiker Björn Höcke, der mit COMPACT über die Themen „Friedensvertrag, echte Verfassung und Souveränität“ spricht.

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Die „NachDenkSeiten“ haben einen Aufsatz veröffentlicht, der die Covid19-Maßnahmen der Bundesregierung mit der Rassenhygiene der Nationalsozialisten vergleicht. 

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