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Antiziganistischer Anschlag? Bei Ulm brannten Wohnwagen einer Zirkustruppe

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Die brennenden Wohnwagen (Quelle: Zirkus "Melody")

Am Morgen des 19. März 2021, gegen 5:40 Uhr, erwacht ein junger Mann am Ortsrand von Weidenstetten im Alb-Donau-Kreis in seinem Zirkus-Wohnwagen. Er bemerkt Feuer und zieht zwei weitere Personen aus einem brennenden Wagen. Sie wecken den Rest der Truppe, damit sie sich alle in Sicherheit bringen können. Drei Wohnwagen der Zirkustruppe werden zerstört. Zu der Zirkusfamilie gehören auch einige Sinti*zze.

Seit Beginn der Pandemie sitzt die Zirkustruppe hier fest

Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und einen Brandmittelspürhund eingesetzt. Ein antiziganistischer Brandanschlag mit dem Ziel der Vertreibung könne nicht ausgeschlossen werden. 

Im November 2019 schlug die Familie Brumbach mit ihrem Zirkus „Melody“ in Weidenstetten im Alb-Donau-Kreis ihr Winterlager auf, im Frühjahr 2020 wollte der Wanderzirkus weiterziehen. Doch wegen der Covid-Pandemie sitzt die Familie dort seither fest.

Antiziganistischer Brandanschlag 2019 in der selben Region

Der aktuelle Brand weckt unschöne Erinnerungen an einen antiziganistischen Anschlag : Im Mai 2019 hatten fünf junge Männer in Erbach-Dellmensingen (Baden-Württemberg) eine brennende Wachsfackel in Richtung mehrerer Wohnwagen geworfen, in denen französische Roma-Familien lebten. Die Fackel landete neben einem Wohnwagen, in dem eine Mutter mit ihrem Säugling schlief. Das Ulmer Landgericht sah die antiziganistischen Gründe für die Tat in Erbach als erwiesen an. Alle fünf Täter wurden wegen Vertreibung bzw. gemeinschaftlicher Nötigung in 45 Fällen nach Jugendstrafrecht verurteilt. Bemerkenswert ist dabei, dass das Gericht betont, dass „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antiziganismus“ Motivation der Tat gewesen seien: „Sie wollten ein Klima von Angst und Schrecken schaffen, um die Roma-Familie zu vertreiben“

Eine Sinti- genau wie eine Romafeindlichkeit hat eine lange historische Tradition und ist in ganz Europa verbreitet. Immer wieder sehen sich Sinti*zze und Rom*nija mit rassistischen Stereotypen konfrontiert. So hatten 2018 in der Leipziger „Autoritarismus-Studie“ 56 Prozent der Befragten in Deutschland Probleme mit Sinti*zze und Rom*nija in ihrer Nachbarschaft und 49,2 Prozent wollen sie aus den Innenstädten verbannen. Und schaut man sich an, wie europaweit feindlich gesinnte Anwohner*innen auf Roma reagieren, fällt auf, dass es nicht selten zu Brandanschlägen kommt. Und ganze Siedlungen abgebrannt werden. Bei Vertreibungen von Sinti*zzeund Rom*nija spielen Pogrome scheinbar eine zentrale Rolle.

 

Zirkusfamilie nahm feindliche Stimmung wahr

Eine teils feindliche Stimmung nahm auch die Zirkusfamilie wahr. Mehrmals fuhr beispielsweise immer dasselbe Auto mit hoher Geschwindigkeit auf den Platz, auf dem die Zirkusfamilie ihr provisorisches Zuhause aufgebaut hatte, bremste mit quietschenden Reifen und hupte laut, fuhr wieder weg und kam mit quietschenden Reifen wieder angerast. Die Bewohner*innen fühlten sich damals schon bedroht.

Besonders der Landwirt, der die Fläche vermietet, auf dem die Familie ihr Lager 2019 aufschlug, wie auch der örtliche Bürgermeister Georg Engler, waren offenbar unzufrieden damit, dass der Zirkus hier so lange gestrandet ist. In einem Artikel in der Südwestpresse vom 5. August gibt Engler an, dass bei ihm Beschwerden eingegangen sind wegen des Lärms und auch wegen Bettelns. Und tatsächlich gingen einige Mitglieder des Zirkus ab und an von Haus zu Haus, um nach Spenden zu bitten. Wegen der Covid-Pandemie hat die Zirkusfamilie kein Einkommen mehr.  

Bürgermeister drohte dem Zirkustrupp

Engler habe mit den Leuten geredet und „versucht, auf sie einzuwirken“. Da die Zirkusfamilie aber auf Privatgrund lebt, habe er keine rechtliche Handhabe. Mehr wollte Engler damals nicht zu der Angelegenheit sagen. Wichtig sei, nun eine Lösung zu finden. Betroffene berichteten gegenüber dem Landesverband deutscher Sinti und Roma, der Bürgermeister habe dem Zirkus angedroht, dass seine Wagen in Flammen aufgehen könnten, wenn er nicht weiterziehen würde.

Laut Südwestpresse hatte der Landwirt bereits im August den Mietvertrag für das Gelände gekündigt. Er sei davon ausgegangen, dass der Zirkus weiterzieht. Dass die Pandemie ihnen einen Strich durch die Rechnung machte, dafür könnten die Leute ja nichts, so der Vermieter in dem Zeitungsartikel von August 2020. Dennoch sei es an der Zeit, dass die Zirkusmitglieder nun auch wieder gehen. Auch in deren eigenem Interesse: „Die hocken ja nur noch rum“, zitiert ihn die Südwestpresse.

Mittlerweile hat die Zirkusfamilie Flutlichter rund um ihr Lager aufgestellt, um so mögliche weitere nächtliche Angreifer*innen abzuschrecken. Doch es gibt auch Positives: Seit dem Brand erfährt die Zirkusfamilie enorm viel Solidarität aus der Gesellschaft. Inzwischen konnten durch die Hilfe laut VDSR-BW sogar neue Wohnwagen besorgt werden. 

 

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