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Europawahl 2019 Die Parteienlandschaft rechtsaußen in Italien

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Zur Situation in Italien vor der EU-Wahl. (Quelle: Pixabay / BTN)

Am 26. Mai 2019 finden die EU-Wahlen statt. Um einen möglichst umfangreichen Überblick über die rechte Parteienlandschafts Europas zu geben, haben wir mit europäischen Journalist*innen und Initiativen in den verschiedenen EU-Ländern gesprochen. Wir haben sie gefragt, wie die jeweiligen Parteien die EU verändern wollen und gegen welche marginalisierte Gruppen sich ihr Hass hauptsächlich richtet.

Die Fragen zu Italien beantwortet Aurora Sordini von der italienischen Menschenrechts-Organisation „Associazione 21 luglio„.

Welche rechtspopulistischen / rechtsextremen Parteien gibt es bei Ihnen bzw. treten bei der Europawahl an?

Die wichtigsten rechten Parteien, die eine beträchtliche Zahl von Wähler*innen vertreten und an den EU-Wahlen teilnehmen und daher ihren eigenen Kandidat*innen wählen können, sind: Forza Italia (dt. „ Vorwärts Italien“; rechtsliberal-populistisch; Vorsitzender ist Silvio Berlusconi); Lega (dt. Liga, rechtspopulistisch; Vorsitzender ist Matteo Salvini); Fratelli d’Italia (dt. „Brüder Italiens“, nationalkonservativ, Vorsitzende ist Giorgia Meloni). Das politische Szenario in Italien umfasst zahlreiche kleinere rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen. Von diesen nimmt Casa Pound (dt. „Haus Pound“, rechtsextreme politische Formation mit Simone Di Stefano als Vorsitzendem) an den Europawahlen teil. Casa Pound proklamiert sich als faschistische Bewegung und vertritt rechtsextreme Ideen, betont aber auch gemeinsame Themen mit den großen Parteien der Rechten, etwa  zu Migration, Sicherheit und Soziales. Dies verschärft den Ton und den Inhalt der gesamten politischen Debatte in Italien.

Für welche Haupt-Politikinhalte stehen sie?

Fast alle rechtspopulistischen und rechtsextremen italienischen politischen Formationen, die an den Europawahlen teilnehmen (insbesondere Lega, Fratelli d’Italia, Casa Pound), schlagen Maßnahmen vor, die auf eine Wiederbestätigung des „italienischen Primats“ (Italiener an erster Stelle) abzielen. Dies soll gelten für alle Sektoren des öffentlichen und sozialen Lebens umfassen sowie auch an allen italienischen Institutionen. Dieser „Neonationalismus“ mit antieuropäischer Konnotation fußt in verschiedenen soziale Probleme, die von den wichtigsten politischen und nationalen institutionellen Akteuren Italiens über Jahrzehnte hinweg nicht vollständig gelöst oder angegangen wurden. Deshalb war dies auch der Tenor der Wahlkampagnen, die auf sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten beruhten. Weitere Themen, die während der aktuellen Kampagne behandelt werden, sind: Wohnungswesen, Bildungssystem, Geburt und familiäre Unterstützung.

Die Betonung von „Souveränität“ Italiens ist auch im Wahlkampf des rechtspopulistischen und des rechtsextremen Flügels präsent. Daher wird die Europäische Union als eine supranationale Institution dargestellt, die eine Politik von oben nach unten auferlege, die losgelöst sei von den konkreten Problemen der italienischen Bürger*innen. Sie lege zum Nachteil der Italiener*innen Vetos ein und reguliere in die nationale und lokale Politik Italiens zugunsten einiger europäischer Länder (insbesondere Frankreich und Deutschland).

Was ist ihr Hauptthema (ihre Hauptthemen) im EU-Wahlkampf?

Die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien behandeln in ihren Wahlkampagnen verschiedenste Themen, aber es gibt zwei Bereiche, die vor allem öffentlich und medial verhandelt werden: Einwanderung und Sicherheit;  danach geht es zu einem geringen Teil um Sozial-, Arbeits- und Wohnungsfragen, wobei „Italien zuerst!“ her das Motto ist. Die italienische Staatsangehörigkeit soll garantieren, mehr Rechte zu haben in Bezug auf Sozial-, Arbeits- und Wohnungsfrage. Das sollen Politik und Gesetzgebung sicherstellen. Damit entfernen sich die Parteien weit von der Idee, Probleme auf EU-Ebene zu diskutieren und gemeinsame Lösungen zu finden. Es wird ein Narrativ gewählt, dass es wichtiger ist, Italiens Probleme in die EU zu tragen als europäische Politik in Italien umzusetzen.

So soll etwa das Thema „illegale Einwanderung“ mit restriktiven Ansätzen behandelt werden. Dabei wird auch thematisiert, dass europäische Institutionen die Verantwortung hätten, die Migrant*innen in den europäischen Ländern zu verteilen.

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien verhandeln ebenfalls als „Sicherheitsproblem“, dass es mehrere Roma-Siedlungen in Italien gibt. Diese sollen sofort geschlossen werden, es sei ein „Notfall“. Dabei ist den Rechtsextremen egal, dass damit Menschenrechte der Roma verletzt werden und sie umso mehr sozialer Ausgrenzung ausgesetzt sind, wenn Familien mit Kindern auf diese Weise in die Obdachlosigkeit getrieben werden.

Gegen welche marginalisierte Gruppe richten sich ihre Kampagnen am stärksten?

Der Schwerpunkt ihrer Kampagnen liegt auf Migrant*innen und Roma-Gemeinschaften. Die geplanten politischen Maßnahmen, die im Rahmen ihrer Wahlkampagnen propagiert werden, stellen Einwanderung vor allem als Notfall-Szenario dar, das aus Sicherheitsaspekten schnell beendet werden müsse („Stop Invasion“).

Vor allem die Kampagnen gegen Roma feuern ein Klima von Hass und Intoleranz an, sowohl gegenüber Roma generell als auch besonders gegenüber Roma, die in von der Bevölkerung getrennten Camps leben. Sie werden dargestellt als Diebe, nicht integriert und nicht integrierbar, und als „soziale Parasiten“. Die Kampagnen enthalten keine einzige Idee, wie die Situation für die Roma in Camps befriedigend und sozialverträglich gelöst werden können. Roms-Siedlungen sollen einfach „überwunden“ werden – auch unter Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung.

Wie wollen sie die EU verändern?

Die EU soll reformiert werden. Die Mitgliedsländer sollen Autonomie haben in den Feldern politischer, ökonomischer und sozialer Entscheidungen. Manche Felder sollen klar von EU-Zuständigkeiten ausgeschlossen werden. Wenn dies nicht gelingt, soll die EU verlassen werden. Beim Thema Flucht und Einwanderung propagieren sie „Lösungen“, die in scharfem Widerspruch zu der geltenden EU-Politik der Dublin II-Verordnung stehen.

Wie groß schätzen Sie ihre Chancen auf einen Wahlerfolg ein?

Da es in Italien derzeit keine effektive Opposition von progressiven oder linken politischen Kräften oder Parteien gibt, wird es auch bei der EU-Wahl zu einer Bestärkung und Bestätigung der rechten Parteien kommen. Die Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen behandeln die sozialen Themen und Probleme, die ein großer Teil der italienischen Gesellschaft erlebt und sieht. Das Motto „Italien zuerst“ hat allerdings einige Kräfte der Zivilgesellschaft mobilisiert, die sich für eine gleichwertige Gesellschaft einsetzen. Diese werden aber hart von rechtsextremen Kräften angegriffen.

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