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Rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ gründen Bürgerwehr

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Demonstration der "Freien Sachsen" am 26. Februar 2023 in Ramstein-Miesenbach. (Quelle: Flickr / Kai Schwerdt / CC BY-NC 2.0)

Am vergangenen Mittwoch, den 23. August 2023  läutet die CDU mit einem Grillfest auf dem Marktplatz den Wahlkampf zur Oberbürgermeisterwahl in Pirna ein. Michael Kretschmer, der Ministerpräsident Sachsens, ist ebenfalls vor Ort, um mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen. Bereits im Vorfeld werden mehrere Gegenveranstaltungen angekündigt, um gegen die CDU-Veranstaltung und die Politik der Partei zu protestieren.

Die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ tritt bei der Veranstaltung mit mehreren Dutzend Anhänger*innen auf, die ein Transparent mit der Aufschrift „Kretschmer verhaften“ tragen. Kretschmer wird eingekreist und mit kritischen Fragen zu Migration, dem Krieg in der Ukraine oder der Aufarbeitung der Corona-Pandemie bedrängt.

Wer sind die „Freien Sachsen”?

Die Partei „Freie Sachsen“ wurde Ende Februar 2021 gegründet und wirbt anfangs mit scharfen Positionen gegen die Corona-Maßnahmen. Nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes setzt sich die Partei überwiegend aus sächsischen Rechtsextremen zusammen.

Martin Kohlmann, Vorsitzender der Partei, war Mitglied der rechtsextremen Bewegung „Pro Chemnitz“ und den rechtskonservativen Kleinstparteien „Deutsche Soziale Union“ und „Die Republikaner“. Kohlmann ist selbstständiger Rechtsanwalt und vertrat unter anderen den verurteilten Holocaustleugner Günther Deckert, der von 1991 bis 1996 Vorsitzender der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands” (NPD) war. Weitere Mandanten stammen aus der Reichsbürgerszene und der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Kohlmann selbst wurde bereits zwei Mal wegen Volksverhetzung angeklagt. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz einen Strafbefehl wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen Kohlmann beantragt.

Stefan Hartung, der als Stellvertreter Kohlmanns fungiert, ist seit Jahren engagiertes Mitglied der ehemals als NPD bekannten Partei „Die Heimat“. Deutschlandweit war er 2013 als Organisator von Protesten gegen ein Flüchtlingsheim im sächsischen Schneeberg in den Medien. Dort gelang es Hartung 1.800 Menschen für einen Fackelzug gegen geplante Asylunterkünfte zu mobilisieren. Obwohl die NPD klar hinter der Organisation stand, wurde die Veranstaltung als vermeintlich unabhängige Bürgerinitiative getarnt. Auf diese Weise startete die NPD regelrechte „Asyltouren” vor Flüchtlingsheime im gesamten Bundesgebiet. Die Strategie der Akzeptanzgewinnung scheint aufgegangen zu sein.

Schatzmeister der „Freien Sachsen“ ist Robert Andres, der auch zur rechtsextremen Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ gehört.

2020 konnten die „Freien Sachsen“ den Dortmunder Neonazi Michael Brück für sich gewinnen. In Dortmund war er stellvertretender NRW-Landesvorsitzender der Kleinstpartei „Die Rechte“, für die er seit 2015 im Stadtrat saß. Vorher war er Mitglied der verbotenen Organisation „Nationaler Widerstand Dortmund“. Seit seinem Umzug nach Chemnitz ist er als Azubi in Martin Kohlmanns Kanzlei angestellt. Brück war an der Demonstration am 23. August 2023 in Pirna beteiligt und machte ein Selfie, auf dem Kretschmer im Hintergrund zu sehen ist.

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Auch Alexander W., der Neonazi, dem in Chemnitz vor zwei Wochen drei Finger abgehakt worden sind, hat Verbindungen zu den „Freien Sachsen”. Wie auch Brück, zu dessen Umfeld er gehört, stammt er aus Dortmund. Die „Freien Sachsen” hatten behauptet,, dass es sich um einen antifaschistischen Angriff gehandelt habe. Allerdings teilte das sächsische Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Chemnitz am 28. August mit, dass nun gegen W. selbst ermittelt wird. Ihm wird das Vortäuschen einer Straftat vorgeworfen. Ein Bekannter des Neonazis soll die Tat im Einvernehmen begangen haben, um sie politischen Gegner*innen in die Schuhe zu schieben. Medienberichten zufolge könnte der Angriff auch etwas mit Drogenkriminalität zu tun haben. W. soll Schulden in der Chemnitzer Unterwelt gehabt haben. Der 28-Jährige sei unter anderem wegen Betrugs, Brandstiftung, Urkundenfälschung und Körperverletzung vorbestraft.

Im Februar 2022 teilten die „Freien Sachsen“ mit, dass sie Andreas Hofmann als parteifreien Landeskandidat im Kreis Sächsische Schweiz aufgestellt hat. Hofmann ist unter dem Namen „DJ Happy Vibes” als Musiker tätig und veröffentlichte unter anderem eine Vertonung der Deutschen Geschichte und eine sogenannte „Sachsenhymne”. Bereits seine erste Wahlkampfrede, die Hofmann 2022 vor ca. 250 Demonstrant*innen auf dem Heidenauer Marktplatz hielt, strotzte nur so vor verschwörungsideologischen Narrativen. Ob der „Great Reset” oder die Bilderberger-Konferenz – kaum eine antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählung wurde ausgelassen, als Hofmann seinen Zuhörer*innen die angeblich wahren Ursachen für die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine und sogar für das Kennedy-Attentat präsentierte.

Auftreten der Partei

In der Vergangenheit traten die „Freien Sachsen“ größtenteils als Organisator von Protestveranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen in Erscheinung. Nach Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes steht dies aber nur scheinbar im Vordergrund. In ihrem Grundsatzprogramm ist die Aufarbeitung der Corona-Pandemie ein Thema unter vielen. Im Kern habe man es mit einer „als Partei organisierte[n] Gruppierung von Neonationalsozialistien, NDP-Funktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten” zu tun.

Bei Protestveranstaltungen machen Mitglieder der „Freien Sachsen“ zahlenmäßig allerdings nur einen kleinen Teil aus. Es geht der Partei eher darum, für Demonstrationen und Aktionen zu mobilisieren und zu vernetzen. Dafür nutzen die Neonazis hauptsächlich den Messengerdienst „Telegram“. Der Hauptkanal der „Freien Sachsen” wird von 150.000 Nutzer*innen abonniert. Des Weiteren existieren 12 regionale Ablegerkanäle.

Die Partei versteht sich selbst als eine Sammlungsbewegung mit Vorliebe zur Monarchie. Das macht die „Freien Sachsen” auch für Personen aus dem Reichsbürgermilieu attraktiv.

Das Verhältnis zur AfD ist gespalten. Einerseits gehen radikale Kräfte der sächsischen AfD ganz offen Allianzen mit den „Freien Sachsen” sein, andererseits stößt das bei Teilen der AfD auf Unmut. Die beiden Parteien stehen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Einige Parteimitglieder drängten den Vorstand der sächsischen AfD dazu, die „Freien Sachsen” auf die Unvereinbarkeitsliste zu setzen. Die Forderung blieb bisher unerfüllt. In Bezug auf die Landtagswahlen 2024 sagte Martin Kohlmann, dass die „Freien Sachsen” zwar nicht zwingend in den Landtag drängen würden. Sollte sich die AfD aber in eine Richtung bewegen, die seiner Partei nicht gefällt, werde man diese Option aber in Betracht ziehen.

Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen hat die Partei bereits 2021 als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Ende 2022 gab auch das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt, dass die Partei bundesweit beobachtet wird und als Verdachtsfall eingestuft sei.

Was wollen die Freien Sachsen”?

Ein zentraler Punkt des Parteiprogramms ist eine alternative Flüchtlingspolitik. Geschlossene Grenzen fordert die Partei nicht. Menschen, die nach Deutschland kommen, sollen aber keine Sozialleistungen erhalten. Stattdessen sollen „Menschen, welche in unserem Land Zuflucht suchen, […] für eine Übergangszeit ein Dach über dem Kopf und täglich eine warme Mahlzeit erhalten. Mussten sie tatsächlich vor Todesgefahr fliehen, werden sie darüber froh und dankbar sein. Für Wirtschaftsflüchtlinge wird unser Land dadurch jedoch vollständig unattraktiv”.

Die „Freien Sachsen“ fordern mehr Autonomie für ihr Bundesland, dessen Rechte innerhalb der Bundesrepublik neu verhandelt werden sollen. Sollte es zu keiner Einigung kommen, wollen die Neonazis den „Säxit“, den Austritt Sachsens aus der BRD: „FREIE SACHSEN bekennt sich zur deutschen Nation, betrachtet aber die derzeitige, staatliche Organisationsstruktur der Bundesrepublik Deutschland kritisch. Ein Austrittsrecht, wie es den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten nach ‚Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union’ zusteht und von dem Großbritannien mit dem Brexit Gebrauch gemacht hat, muss auch auf nationaler Ebene in das Grundgesetz aufgenommen werden”. Kohlmann will dann offenbar sogar Westdeutsche aus Sachsen ausweisen.

Beginnend im Sommer und Herbst 2022, also nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, instrumentalisiert die Partei die drohende Energiekrise für Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung.

Der Verfassungsschutz Sachsen merkt an: „Dabei scheinen die Themen für die ‚Freien Sachsen’ in hohem Maße austauschbar zu sein. Sowohl die Corona-Pandemie als auch der Ukraine-Krieg mit seinen befürchteten Folgen für die Bevölkerung hierzulande (u. a. steigende Energie- und Lebenshaltungskosten, wirtschaftliche Folgen, soziale Abstiegsängste) und die jüngst wieder in den Fokus rückende Flüchtlingsthematik sind für die ‚Freien Sachsen‘ geeignete Themen mit Empörungspotenzial, um das vorhandene Protestmilieu zu aktivieren und möglichst ununterbrochen für realweltliche Proteste zu mobilisieren.“ Weiter schreibt der Geheimdienst: „Ihnen geht es nicht um eine Lösung für die konkreten Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort, sondern einzig darum, diese für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda zu instrumentalisieren und mit dieser auf subtile Art und Weise in immer weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte einzusickern.“

Bildung einer Bürgerwehr

Schon im Oktober 2021 riefen die „Freien Sachsen“ über die sozialen Medien dazu auf, als Privatpersonen die Grenze zu schützen. Der Widerstand gegen eine vermeintliche „Masseneinwanderung“ müsse praktisch werden. Eine dazu geplante Kundgebung auf der A4 bei Görlitz mit dem Titel „A4 als Schleuserroute stoppen!“ wurde von der Versammlungsbehörde untersagt, da eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Versammlung angenommen wurde. 

Am 23. August 2023 teilt der Telegram-Kanal „Freie Sachsen Mittelsachsen“ mit: „In Mittelsachsen haben sich mutige Bürger zusammengeschlossen und werden jetzt wieder regelmäßig auf den Straßen präsent sein“. So wären Aktivist*innen in der Frankenberger Innenstadt Streife gelaufen, um präventiv für mehr Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Außerdem sei bei der Aktion Informationsmaterial und „gefahren Abwehrspray [sic!]“ kostenlos verteilt worden.

Screenshot Telegram Kanal „FREIE SACHSEN Mittelsachsen“

Um die Neonazipartei hat sich also offenbar eine rechte Bürgerwehr gegründet. Es macht den Anschein, als würde sich die Partei zunehmend radikalisieren. Es findet eine Verlagerung der inhaltlichen Schwerpunkte weg vom Protest gegen die Corona-Politik und hin zu einer rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Agenda statt, die offensichtlich auch nicht vor der physischen Konfrontation zurückschreckt.

Foto: Flickr / Kai Schwerdt / CC BY-NC 2.0

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