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Jahresrückblick 2021 Hamburg – Immer aggressivere Coronaleugner-Szene

Der rechtsextremen Szene gefällt das: Coronaleugner:innen-Demo in Hamburg unter dem auch bei Nazis beliebten Motto "Hände weg von unseren Kindern" im Dezember 2021. (Quelle: picture alliance/dpa | Georg Wendt)

Im zurückliegenden Jahr hat das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBT) Hamburg verschiedene Entwicklungen bei rechten Strategien und Ideologien sowie rechten Akteur:innen in Hamburg beobachtet – insbesondere in Bezug auf die Aktivitäten der rechten verschwörungsideologischen Szene im Kontext der Corona-Pandemie.

Zahlreiche rechte Angriffe und Aktivitäten wurden in Hamburg 2021 registriert. Einzelne Schlaglichter rechter Gewalt und Aktivitäten in diesem Jahr sind das professionelle Entfernen eines Stolpersteins vor einer Villa mit NS-Vergangenheit in Hamburg-Winterhude, mehrere sozialdarwinistische Angriffe auf wohnungslose Personen sowie heterosexistische Angriffe auf St. Pauli, rassistische Hetzkampagnen der AfD gegen eine Wohnsiedlung sowie rassistische und antisemitische Übergriffe in verschiedenen Stadtvierteln Hamburgs. 2021 wurden zudem zahlreiche Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit rassistischer, (hetero-)sexistischer und antisemitischer Hate Speech im Internet durchgeführt, bei denen in mehreren Fällen auch illegale Waffen und NS-Devotionalien sichergestellt wurden.

Coronaleugner:innen prägten auch Hamburg

Das ganze Jahr über waren Aktivitäten der rechten verschwörungsideologischen Coronaleugner:innen- und Querdenken-Szene in Hamburg zu beobachten. Es wurden zahlreiche Demonstrationen, Autokorsos und Kundgebungen in der Hamburger Innenstadt und beispielsweise Hamburg-Bergedorf organisiert, aber auch Kongresse in bekannten Hamburger Kiezläden abgehalten. Über alle Hamburger Bezirke verteilt, wurden Sticker dieser Szene mit antisemitischen und zu Gewalt aufrufenden Inhalten gesichtet. Gerade zum Ende des Jahres nahm die Sichtbarkeit der Aktivitäten und deren Bedrohlichkeit besonders zu: Gastronomiebetreibende, die sich an 2-G-Regelungen halten, werden bedroht; mehrere Angriffe u.a. mit Waffengewalt und schwerverletzten Opfern durch Maskenverweigerer:innen erlangten mediale Aufmerksamkeit; Demonstrationen erreichten mit über 5.000 Teilnehmenden neue Höchstzahlen, bei denen es zu mehreren Übergriffen durch Rechte kam. Auf einer Demonstration in Berlin wurden Journalist:innen durch extrem rechte Hamburger Akteur:innen angegriffen. Die hohen Teilnehmendenzahlen sind vor allem deswegen brisant, weil Hamburg lange als Ort galt, wo zwar viel verschwörungsideologischer Aktivismus stattfindet, sich aber keine Zahlen in dieser Größenordnung mobilisieren ließen.

Diese Ereignisse in den letzten Monaten zeigen jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Immer wieder wurden tätliche Übergriffe am Rande von verschwörungsideologischen Demonstrationen dokumentiert. Ein anti-asiatischer rassistischer Übergriff am Hamburger Hauptbahnhof von eine:r Maskenverweigerer:in im April 2021 verdeutlichte abermals den häufig ausgeblendeten Rassismus in der Bewegung. Das ganze letzte Jahr über haben sich zudem Eltern-Initiativen aus dem verschwörungsideologischen Milieu weiter vernetzt und in organisierten Aktionen die Hamburger Schulbehörden, die die Hygienemaßnahmen umsetzten, unter Druck gesetzt sowie Bestrebungen angestellt, eigene Schulen zu gründen. Auch Beratungsanfragen von Angehörigen verschwörungsgläubiger Menschen, für die wir regelmäßig einen angeleiteten Austauschraum anbieten, gingen bei uns über das gesamte Jahr ein. Eine besondere Entwicklung ist in diesem Kontext, dass wir 2021 vermehrt Beratungsanfragen von Angestellten in Unternehmen und Institutionen erhalten haben, die mit verschwörungsgläubigen Kolleg:innen am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Was letztes Jahr häufiger noch in familiären und freundschaftlichen Umfeldern ausgetragen wurde, findet somit inzwischen auch vermehrt in Arbeitskontexten und in Institutionen statt.

Als parteipolitischer Arm der Corona-Proteste hat sich neben der AfD vor allem die Partei „Die Basis” in Hamburg etabliert. Bei der Bundestagswahl 2021 gaben 17.242 Hamburger:innen (1,7 Prozent) ihre Erststimme an sie – eine Partei, die durch geschichtsrevisionistische und antisemitische, sozialdarwinistische und antifeministische Posts in sozialen Medien auffällt. Zusammen mit den rund 50.000 Stimmen für die AfD (5,0 %) und immerhin 648 Erststimmen (0,1 %) für die NPD wird das extrem rechte Potenzial in Hamburg deutlich. Außerdem bleibt festzuhalten, dass “Die Basis” sowie parteilose verschwörungsideologische Aktivist:innen vor allem dort versuchen zu mobilisieren, wo auch die AfD die meisten ihrer Stimmen holt. Das unterstreicht, dass AfD und verschwörungsideologische Aktivist:innen dieselbe Zielgruppe haben. In Zusammenhang mit der Bundestagswahl ist ebenfalls die bundesweite rechte Hetzkampagne gegen die Grünen während des Wahlkampfs hervorzuheben. Diese Kampagne wurde von einem rechten Hamburger Unternehmen umgesetzt. Wieder einmal haben so bundesweit rechte Akteur:innen zur Verfolgung ihrer Ziele auf rechte Strukturen in Hamburg zurückgreifen können.

Anti-Corona-Demonstrationen als Vernetzungsort für extrem rechte Akteur:innen

Wie bereits dargestellt, werden durch verschwörungsideologischen Aktivismus antisemitische, rassistische, sozialdarwinistische und (hetero-)sexistische Machtverhältnisse reproduziert. Die damit zusammenhängenden rechten Ideologieelemente sind untrennbarer Bestandteil der verschwörungsideologischen Bewegung, auch in Hamburg. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass langjährig aktive extrem rechte Akteur:innen, die u.a. zu rechtsterroristischen Gruppen in Verbindungen stehen, Teil der Bewegung sind. Wie im Jahresrückblick 2020 bereits hervorgehoben, sind Personen aus dem (extrem) rechten Orga-Team der Hamburger „Merkel-Muss-Weg“/“Michel, wach endlich auf“-Demonstrationen auch bei den verschwörungsideologischen Corona Protesten in Hamburg aktiv. Dieses Jahr wurde durch antifaschistische Recherchen bekannt, dass mehrere Personen aus diesem Kreis enge Kontakte zur rechtsterroristischen Gruppe S. halten. Zur Teilnahme an den wöchentlichen Demonstrationen ruft außerdem regelmäßig die Hamburger NPD über ihre Website auf und nimmt auch selbst vor Ort teil, ebenso wie Mitglieder der Hamburger AfD und Neonazi-Kader, zahlreiche rechte und verschwörungsideologische Youtuber:innen, Elterninitiativen, Esoteriker:innen und “Friedensaktivist:innen”. Die Demos sind also ein Vernetzungsort für die verschiedenen rechten und extrem rechten Strömungen und Akteur:innen in Hamburg und Umgebung.

Die Szene rund um die Corona Proteste hat sich 2021 also auch in Hamburg weiter etabliert, die Gewaltbereitschaft ist nochmal gestiegen und die Verbreitung rechter Ideologieelemente sowie Vernetzung mit bereits etablierten extrem rechten Akteur:innen wird vorangetrieben. Trotz all dessen, werden die Corona-Proteste allzu häufig noch verharmlost und deren rechte Ideologie ausgeblendet. Das spielt der rechten Bewegung in die Karten, da ihnen so weiterhin ein zugewandter Umgang und überproportionaler Raum für deren Perspektiven und Bedarfe in der Öffentlichkeit zukommt. Wichtig ist dabei aber auch festzuhalten, dass die rechten Aktivitäten in Hamburg fast immer von antifaschistischen Gegenprotesten begleitet und somit in ihrer Wirkung eingeschränkt wurden.

Gleichzeitig wurden dieses Jahr vor allem aus BIPoC- und FLINTA-Perspektiven zahlreiche machtkritische Veranstaltungen organisiert, die u.a. die Perspektiven und Forderungen der Betroffenen von rechter Gewalt ins Zentrum rückten und Empowermentarbeit leisteten. Beispielsweise fanden wieder das „Formation Now“ und das Fluctoplasma-Festival statt, in denen vor allem auch empowernde und machtkritische Perspektiven im Zentrum stehen. Außerdem wurde das bundesweit stattfindende Theaterprojekt „Kein Schlussstrich!” zum NSU Komplex mit zahlreichen Veranstaltungen auch in Hamburg umgesetzt.

 

Mehr über die aktuelle Situation und zu Gegenstrategien finden Sie bei der Mobilen Beratung Hamburg:

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