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Alternative Medien Stefan Raven — Der „Antifa-Aussteiger“

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Stefan Michels, aka Stefan Raven (rechts) neben Heinrich Fiechtner im Video zum Song "Heimat", der im Rahmen der "Konferenz" entstanden ist, einem Vernetzungsprojekt der "Querdenken"-Bewegung. (Quelle: Screenshot von YouTube)

Wer denkt, dass das Buch so schlecht sein könnte, dass es schon wieder gut ist, wird leider enttäuscht. In langen Schachtelsätzen, die hin und wieder einfach im Nichts enden, berichtet Michels über seine Zeit in der linken Szene Lübecks. Genaue Daten sind dem kurzen Text allerdings nicht zu entnehmen. Scheinbar war Michels bis 2014 in linken Kontexten unterwegs, 2018 verließ er die Stadt und lebt heute in Berlin. Klar wird aber sehr schnell die Stoßrichtung. Michels erzählt die Geschichte einer „gewaltbereiten Antifa“, die Recht und Ordnung ablehnt. Gerne auch platt: „Während es den anderen Kids vom Dorf ausschließlich um coole Sachen ging, hatte ich mit meinen 15 Jahren noch gerne gespielt, mochte die Ordnung in meinem Zimmer, habe nach der Schule im Garten gearbeitet und mich um die Hühner gekümmert. Einen Hang zu ausschließlich destruktiven Interessen hatte ich nie. Um so erschreckender ist es, dass ich für diese Ideologie empfänglich wurde“, heißt es schon auf der zweiten Seite.

Radikalisierung an Weihnachten

So ähnlich geht es weiter: Die „Einstiegsdroge“ für den Nachwuchs-Punk waren ausgerechnet „The Bates“, eine eher harmlose deutsche Punkband der 1990er, die vor allem mit Coversongs bekannt geworden war. Auf dem Musiksender VIVA laufen 1995 an aufeinanderfolgenden Tagen gleich mehrere Weihnachtskonzerte, darunter auch eines von „The Bates“: „Es war sicherlich gut gemeint, solche Bands in einem freien Land auch in einem Fernsehsender spielen zu lassen, doch wurde aus meiner heutigen Sicht damals übersehen, dass genau solche Bands die Grundlage für extremistisches Gedankengut sind.“ Das Drama spitzt sich zu, denn der junge und noch unschuldige Stefan Michels weiß nicht, an welchem Tag endlich „The Bates“ auftreten, „denn in der Fernsehzeitschrift stand damals nur Weihnachtskonzert“. Ein Dilemma und dem Teenager bleibt nichts anderes übrig, als jeden Abend in der Hoffnung einzuschalten, endlich das Weihnachtskonzert seiner Punkhelden zu sehen. Doch ein Abgrund tut sich auf, denn „das fatale daran war, dass ein oder zwei Tage zuvor eine andere deutsche Punkband spielte. Die Toten Hosen. Ich hatte bereits in den 80ern diesen Namen gelegentlich in der Bravo gelesen, aber immer vorbeigeblättert, weil ich den Namen so langweilig fand. […] Nun ja, dann kam das Konzert von Die Toten Hosen und leider habe ich es mir angeschaut. Orientierungslos, recht allein und einsam, jung und auf der Suche nach einen Sinn im Leben war es wohl das Schlimmste, was mir damals passieren konnte, auf diese Band zu stoßen.“

Die zunehmende Radikalisierung zeigt sich auch äußerlich: „[Ich] bemalte meine Kleidung mit irgendwelchen Sachen, die mir gerade einfielen. Hippiesymbole, ein durchgestrichenes Hakenkreuz (natürlich falsch herum) und ich glaube, SPD stand auch drauf.“ Aber es ziehen Wolken auf im Paradies, denn Stefan Michels ist einfach zu smart für die Punker vom Dorf: „Nach ca. einem Jahr verabschiedeten sich die Punkerfreunde dann aber irgendwie von mir. Ich würde – um Pöbeleien und Beleidigungen einmal zusammenzufassen – zu wenig Bullshit und Party-Scheiße reden, stattdessen zu sehr philosophieren. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Mein Intellekt stieß auf Distanzierung.“

26 Seiten lang geht es so weiter. Michels stellt absurde Behauptungen über angebliche Brandanschläge oder gewalttätige Aktionen der „Antifa“ auf, nur um alles im nächsten Satz wieder zu relativieren, denn Belege gibt es keine. Andere Passagen im Buch machen deutlich, dass Michels versucht, alle ihm zur Verfügung stehenden Register zu ziehen, um seine ehemaligen Verbündeten so schlecht wie möglich dastehen zu lassen. Zum Beispiel in dieser Szene: Michels und seine Antifa-Freunde werde bei einem Fußballspiel von Hooligans bedroht und viele aus der Antifa-Sektion fliehen. „Irgendwann merkte ich dann, dass es ziemlich nach Kot roch. Ich stellte dann fest, dass die verbliebenen 40 Leute nacheinander in die Büsche verschwanden und teils ohne Socken wieder rauskamen. Wofür sie diese verwendet haben mögen, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. Ich hatte einen kurzen Blick in die Büsche geworfen, um Erfahrung zu bringen, was da los sei und wünsche mir bis heute, ich hätte da nicht reingeschaut.“

Gerade für seine neuen Fans dürfte allerdings eine Passage im Buch interessant sein. Denn große Loyalität gegenüber seinen Genoss:innen beweist Michels in seiner Erzählung nicht, vielmehr packt er ausgiebig in „mehrstündigen Aussagen“ bei der Polizei aus. Allerdings scheinbar ohne große Konsequenzen: „Es folgten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen. Leider reichte dies nicht, um einige der Terroristen dingfest zu machen.“ Der „Querdenken“-Szene — die sich im Gegensatz zu Hitparaden-Punkern der 1990er tatsächlich immer weiter radikalisiert — scheint es jedenfalls bisher noch nicht klar geworden zu sein, dass einer ihrer Protagonisten zumindest in der Vergangenheit offenbar kein Problem damit hatte, mit der Staatsmacht zusammenzuarbeiten.

Rechtsaußen-Netzwerk

Dabei ist Michels trotz vermeintlich skandalöser Vergangenheit nur mäßig erfolgreich im Corona-Leugner-Business. Seine Inhalte vertreibt der Verschwörungsfan hauptsächlich über Telegram, hier hat er knapp 6.400 Abonnent:innen. Einen YouTube-Kanal betreibt Michels offenbar nicht mehr. In einer empörten Telegramnachricht von Januar 2021 kündigte er seinen Rückzug von der Videoplattform an, nicht etwa, weil seine Videos gelöscht wurden, sondern weil sie schlicht zu wenig Leute interessierten: „Über 100 Leute stimmten für ein Thema, wo ich meine Freizeit investiert habe, um mich vorzubereiten und KEINE Sau schaut zu.“

Doch immerhin schreibt Michels in der gleichen Nachricht von „2 Millionen Lesern“ im Monat auf der eigenen Website. Diese Zahlen lassen sich allerdings nur schwer belegen. Der Branchendienst Similar Web liefert keine Daten über die Zugriffszahlen auf dem „Newsportal“. Das deutet darauf hin, dass zu wenige User:innen auf die Artikel zugreifen, als dass sie überhaupt gezählt werden. Auf Twitter ist Michels scheinbar nicht vertreten. Auf der relativ neuen Plattform „Gettr“, die zum Anziehungspunkt für Corona-Leugner:innen und Verschwörungsfreund:innen geworden ist, folgen ihm 45 Nutzer:innen.

Wirklich verwunderlich ist das nicht, denn abgesehen von der angeblichen „Antifa-Vergangenheit“ liefert Michels wenig Neues: die immergleichen Corona-Verschwörungserzählungen, Kritik an Migration und den demokratischen Parteien. Inhaltlich also nichts, was „Querdenker:innen“ in zig Kanälen und YouTube-Videos ohnehin in rauen Mengen finden.

Verlinkung zu einschlägigen Websites auf Michels Blog.

Statt neue Inhalte zu liefern, liegt Michels Stärke scheinbar eher im Netzwerken. Er erfüllt mit seiner Seite und seinem Kanal eine Scharnierfunktion zwischen den Teilen von „Querdenken“, die sich selbst immer noch als „bürgerlich“ verstehen, auf der einen Seite und Rechtsextremen und Neonazis auf der anderen. Immer wieder teilt er etwa Beiträge des Neonazi-Aktivisten Nikolai Nerling (aka „Volkslehrer“). Auf seiner Seite findet sich an prominenter Stelle Links zu Webseiten von anderen einflussreichen Neonazis, etwa Tommy Frenck oder Henrik Ostendorf, einem bekannten Bremer NPD-Aktivisten.

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Auch mit dessen Bruder Hannes scheint Michels gut bekannt zu sein. Ganz oben auf der Website prangt das Banner von Kategorie C, einer Hooliganband, deren Sänger Hannes Ostendorf ist. Dazu gibt es immer wieder Interviews mit Bandmitglieder und Unterstützer:innen. Mit Ostendorf warb Michels um Spenden für eine verurteilte Holocaustleugnerin.

Zusammen mit Ostendorf war Michels dann auch Teil der sogenannten „Konferenz“, einem Zusammenschluss von Aktivist:innen aus dem „Querdenken“-Umfeld, die per Videokonferenz über „Alternativen“ zur Wahl debattierten. Auch hier wieder dabei: Der „Volkslehrer“, aber auch Xavier Naidoo und Heinrich Fiechtner. Manchmal wirkt sein Netzwerken jedoch eher wie das verzweifelte Betteln um die Aufmerksamkeit von erfolgreicheren Rechtsextremismus-Influencern. Beispiel dafür sind Michels öffentlichkeitswirksame Spende von 20 Euro an Identitären-Chef Martin Sellner. Oder ein Posting, in dem er darüber schwärmt, mit dem Identitären auf einem Bild abgelichtet zu sein.

Michels ist trotz seines großen Selbstbewusstseins offensichtlich ein eher kleines Rad im Getriebe der „Querdenken“-Bewegung. Von außen betrachtet mögen seine Bemühungen absurd erscheinen, aber unterschätzen sollte man ihn deswegen trotzdem nicht. Mit seinen Artikeln und Telegrambeiträgen strickt er mit am Narrativ der radikalisierten Corona-Leugner:innen und ist Bindeglied zwischen Extremen und noch Extremeren.

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