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Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen Andeutungen/Dog Whistling

"Kulturmarxismus" ist eine beliebte Andeutungsstrategie der rechts-alternativen Diskurs-Szene. (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Andeutungen erlauben es, Inhalte zu vermitteln, ohne dass sich das Gemeinte im Wortlaut konkret und zitierbar widerspiegelt. Besonders für Eingeweihte ist eindeutig, was gemeint ist; doch bei Kritik von außen kann auf die reine Formulierung verwiesen werden. Die rechts-alternative Szene verwendet die Technik gern für Gewaltaufrufe („da müsste man mal einen Hausbesuch machen“).

Ein Beispiel: Auf dem jährlichen Treffen des rechtsnationalen „Flügels“ der AfD im Juni 2018 bediente sich der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke der Sprache des nationalsozialistischen Pro-pagandaministers Joseph Goebbels. Dieser schrieb während seiner Zeit als Gauleiter von Berlin in einem Leitartikel der NSDAP-Zeitung „Der Angriff“ folgende Worte: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. […] Wir kommen nicht als Freunde. […] Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“. In seiner Ansprache an den AfD-„Flügel“ verwies der Gymnasiallehrer für Geschichte Höcke zunächst auf die „Hammer oder Amboss“-Rede des Außenministers Bernhard von Bülow von 1899, welche für eine Expansionspolitik des Deutschen Kaiserreiches plädierte.


Der Begriff „Dog Whistling“ kommt vom englischen „Dog Whistle“, Hundepfeife, da diese nur von Hunden gehört werden kann, für Menschen jedoch geräuschlos scheint. Kenntnisse über beliebte Motive des „Dog Whistling“ sind hilfreich, wenn es darum geht, verschlüsselte Aussagen als solche zu erkennen und ihre tatsächlichen Absichten zu dechiffrieren. „Dog Whistling“ funktioniert durch die Wiederholung von Inhalten – erst wenn ein Ausdruck oder ein Narrativ häufig verwendet wird, erreicht er bzw. es Eindeutigkeit. Weil es sich nur schwer eindeutig nachweisen lässt, ist „Dog Whistling“ eine nützliche Strategie für Gruppen, die extreme Ideologien vertreten, sich allerdings noch als harmlos und gemäßigt präsentieren wollen. Und da „Dog Whistling“ nur selten rechtlich geahndet werden kann – schließlich erscheinen die Aussagen ohne ihren Kontext oftmals harmlos – sind diese Art von Anspielungen ein probates Mittel, um bisher inakzeptable Ansichten in den Mainstream einzuführen.


Anschließend sagte Höcke: „Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht Hammer oder Amboss. Heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, nein wir, entscheiden uns in dieser Lage, Wolf zu sein.“ Diese Formulierung könnte als eine vereinfachende Darstellung eines Kampf zwischen Schwachen und Starken verstanden werden. Doch der Kontext des Redners, der bereits mehrfach nationalsozialistische Sprache verwendet hatte (sieheUmwertung von Begriffen) und sich beruflich mit der deutschen Geschichte befasste, und des Publikums von rechtsradikalen Mitgliedern der AfD legt den Verdacht nahe, dass es mit direktem Bezug zu Goebbels um die rhetorische Strategie der „Dog Whistle“ geht.

Eine weitere „Dog Whistle“, die in den USA seit den 1990ern beliebt ist und auch ihren Weg nach Deutschland findet, ist der verschwörungsideologische Begriff des „Kulturmarxismus“.


Was ist Kulturmarxismus?

Als wissenschaftlicher Begriff beschreibt „Kulturmarxismus“ allein eine Schule der Kulturwissenschaft, die bis auf die 1930er Jahre zurückreicht. Kulturmarxismusals Verschwörungsideologie hingegen trat erst zu Beginn der 1990er in konservativer Literatur in den USA hervor. Die Verschwörungsideologie besagt: Moderne Marxist*innen fänden keine Unterstützung mehr beim „klassischen“ Proletariat und schüfen sich deshalb ein „neues“ Proletariat aus Frauen, Migrant*innen, Zugehörigen der LGBTQI*-Gemeinschaft oder säkularen Humanist*innen. Auf diese Weise könnten Kulturmarxisten ihre Feinde dann als sexistisch, rassistisch, homo- und transfeindlich, Nazis oder ähnliches diffamieren und eine „politisch korrekte“ Sprache etablieren. Den Ursprung sehen Verfechter dieser Erzählung bei den jüdischen Philosophen der „Frankfurter Schule“ im 20. Jahrhundert. Schon diese hätten das Ziel verfolgt, traditionelle westliche Werte zu zerstören, indem sie den Marxismus nicht auf wirtschaftliche, sondern auf soziale Aspekte angewandt hätten. Interessanter- und ironischerweise machen sich einige rechts-alternative Gruppen, insbesondere die IB, dieses vermeintliche kulturmarxistische Ziel des Einwirkens auf die Gesellschaft mittels einer Kulturrevolution zu eigen.


Weil „Kulturmarxismus“ ein bewusst vage gehaltener Sammelbegriff ist, kann darunter gegen frei-heitlich-progressive Grundpfeiler wie Feminismus, Glaubensfreiheit oder gesellschaftliche Vielfalt gewettert werden. Im Unterton schwingen rassistische Ideologien wie die der „White Supremacy“ mit. Auch Antisemitismus ist in den Bezug auf die jüdischen Mitglieder der „Frankfurter Schule“ inkludiert. „Kulturmarxismus“ ist im Grunde eine moderne Version des nationalsozialistischen Judäo-Bolschewismus, bei dem ebenfalls Juden und Kommunisten der Wunsch zur Vernichtung der westlichen Welt unterstellt wurde. Enthalten sind in der Erzählung des „Kulturmarxismus“ eine Reihe toxischer Narrative: ein „Angriff auf die deutsche Kultur“ mittels einer „Umerziehung“, die in der Zensur der „politischen Korrektheit“ Andersdenkenden den Mund verbiete; eine Weltverschwörung von globalen „Kulturmarxist*innen“, die das politische Geschehen im Westen manipuliere und durch „Multikulti“ den Untergang Deutschlands herbeiführe.

Einige Rechtsterroristen des letzten Jahrzehnts nutzten die Erzählung des „Kulturmarxismus“ in ihren Schriften. Der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik schrieb in seinem „Manifest“ ausgiebig über „Kulturmarxisten“ als sein Feindbild, definierte sie als „Individuen, die den Mul-tikulturalismus unterstützen“, und benannte Feminismus und Islamismus als deren wichtigste Instrumente. Der Attentäter der zwei Moscheen in Christchurch von März 2019, Brenton Tarrant, gebrauchte den Begriff ebenfalls in seinem „Manifest“ ebenso wie das toxische Narrativ des soge-nannten „großen Austauschs“. Und auch der Rechtsterrorist John Earnest, der im April 2019 einen Anschlag auf eine Synagoge in Poway, Kalifornien, verübte, veröffentlichte vor der Tat ein Dokument, in dem er auf die Erzählung des „Kulturmarxismus“ verwies.

In Deutschland findet sich die Erzählung hauptsächlich auf Einträgen rechts-alternativer Blogs mit Überschriften wie „Kulturmarxismus: Kampf gegen Familie, Tradition, Kultur, Identität und Nation“, „Der Kommunismus war nie wirklich weg, er hat sich nur versteckt“ oder „Kulturmarxismus: Wie der marxistische Gedanke seinen Weg in die heutige Kultur fand“. Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, verfasste 2017 für die rechts-alternative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ einen Artikel mit dem Titel „Die Angst der Kulturmarxisten vor der Aufklärung und der AfD“. Hinter dem vermeintlichen „Alleinvertretungsanspruch“ der Demokrat*innen auf Kultur stecke „der einseitige, marxistische Kulturbegriff der ‚Frankfurter Schule‘“. Deren Mitglieder hätten das Ziel, „die von ihnen als Feind ausgemachte westlich-bürgerliche Kultur zu brechen“ mittels „Diskreditierung der ‚bürgerlichen‘ Familie, Früh- und Hypersexualisierung, Genderismus und Multikulturalismus“. Weidel ist der Ansicht, dass eine linke kulturelle Vorherrschaft „durch das Drohpotenzial der Politischen Korrektheit“ aufrechterhalten werde. Die Interpretationen Weidels durch den „kulturmarxistischen“ Filter geben die Sachverhalte nicht nur verzerrt wieder, sie weisen auch starke Verbindungen mit den verschwörungsideologischen und antisemitischen Aspekten der Erzählung des „Kulturmarxismus“ auf. So führt sie diese antidemokratischen Ideen in den Diskurs ein, ohne sie offen auszusprechen.

Andeutungen müssen nicht ausschließlich für Eingeweihte verständlich sein. Wer etwa die Sprache des Nationalsozialismus bewusst provokant verwendet, macht seine Ideologie deutlich. Björn Höcke erhofft sich in einer Rede auf einer AfD-Demo in 2015 „eine tausendjährige Zukunft“ für Deutschland, ein AfD-Stadtverordneter betitelt ein Ausstellungsstück als „entstellte Kunst“, und Gottfried Curio, AfD-Mitglied des Bundestages, spricht während einer Bundestagsrede in 2018 vom „zur Regel entarteten Doppelpass“.

In den letzten Jahren etablierten sich eine Reihe aktueller Verunglimpfungen für Zuwanderer*innen. Besonders beliebt in der rechts-alternativen Online-Sphäre sind höhnische Bezeichnungen wie „Kulturbereicherer“, „Fachkräfte“ oder „Goldstücke“. Letzteres verspottet vermutlich die Aussage des SPD-Politikers Martin Schulz, „[w]as die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa“.Auch durch spezifische Chiffren und Codes können eigentlich unsagbare Inhalte öffentlich angedeutet und somit vertreten werden. Dazu gehören rechtsextreme Zahlencodes – wie die 88 für HH, also „Heil Hitler“ – oder die antisemitische Kennzeichnung von jüdischen Namen durch jeweils drei Klammern: (((Name))). Dieses Identifikationsmittel, „Echoes“ genannt, wird besonders von Neonazis im Internet benutzt.

 

Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen:

  1. Die Grenzen des Sagbaren verschieben
  2. Provokation
  3. Andeutungen/Dog Whistling
  4. Abwertender Humor
  5. Umwertung von Begriffen

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020

Titelbild der Broschüre: „Alternative Wirklichkeiten“ der Amadeu Antonio Stiftung

PDF zum Download: Monitoring_2020_web

Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/

Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:

https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/

Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien

Einordnung relevanter Social Media-Plattformen

Gegenstrategien

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