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Rechtsaußen-Narrative Im Freibad wird Deutschland bedroht – oder nicht?

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So friedlich ist es in deutschen Freibädern aber nicht mehr, finden Rechtspopulist*innen. Mögen Sie doch zu Hause bleiben. (Quelle: Pixabay / 526663)

Deutschland und Freibäder, da gibt es eine besondere Verbindung. Für manche (Eltern) sind Freibäder stressige, überfüllte Orte, die aber wenigstens für ausgepowerte, glückliche Kinder sorgen. Für andere sind sie sommerliche Sehnsuchtsorte. Sie sind (oft) billig und für viele erreichbar und zugänglich, erfrischen die Sommerferien der Daheimgebliebenen, sind Orte der Begegnung, der Ertüchtigung, der Ausgelassenheit und – ja, der Freibadpommes und des Alkoholkonsums (was es so übrigens in anderen europäischen Ländern nicht gibt, die an Sportstätten eher Alkoholverbote erlassen). Sommer(loch) ist spätestens dann, wenn Artikel über Freibäder wieder die Print-, Fernseh- und Onlinemedien füllen.

“Freibäder sind die Swimmingpools des Volkes, das Meer des kleinen Mannes. (…) Die Sehnsuchtsorte unserer Sommer. (…) Herz und Spiegel unserer Gesellschaft.
(Achtung Reichelt, 29.07.2022)

„Vergnügte Kinderschreie, Wasserplatschen, das Zischen einer geöffneten Colaflasche, Schaumwaffeln und der Duft dampfender Pommes im Chlor-Sommerdunst. Die Pools und Liegewiesen der 2700 Freibäder in Deutschland symbolisieren Sommeridylle, Unbeschwertheit, Arglosigkeit.”
(BILD, 24.07.2022)

Dieser Text, das zeigt seine Titelzeile “Krieg und Frieden in deutschen Schwimmbädern – Ein aktueller Lagebericht aus Berlin, Hamburg und Dresden”, sollte an sich nicht so friedlich weitergehen. Das Freibad als bukolischer Ort der Idylle gilt gerade in rechten Diskursen als bedroht, sobald es im Sommer Berichte über Gewaltvorfälle in Schwimmbädern gibt. Allerdings konnte die BILD in dieser Reportage keine Belege für den „Krieg“ sammeln: Bei allen Schwimmbadbesuchen der Reporter*innen blieb es nicht ruhig. Auch die Bademeister*innen etwa aus dem Hamburger Kaifu-Bad und dem Dresdner Stauseebad Cossebaude berichten von ihren „netten Badegästen”. Statt Prügel-Szenen zeigt die BILD Bikini-Frauen-Fotos.  Sie findeet aber noch den Präsidenten des “Bundesverbandes Deutscher Schwimmmeister”, dem sie in dem Mund legt, diese Ruhe sei trügerisch. Wörtlich sagt er: „Die Sicherheitslage ist regional sehr unterschiedlich. Im Großteil der Bäder kann man noch schwimmen gehen. Aber viele Besucher haben den Respekt verloren. Heute braucht man mehr Security im Bad.” Okay.

Das wird übrigens aus der BILD-Geschichte im AfD-nahen Deutschlandkurier:


Denn das sind die anderen Berichte: Alle Jahre wieder rauscht der Blätterwald vor lauter Artikeln über Kriminalität in Schwimmbädern. Diese beruhen auf einzelnen Fällen in einzelnen Schwimmbädern, die durch Polizeimeldungen oder Interviews mit Bademeister*innen bekannt werden, und bisweilen auf Bäder- und Polizei-Pressemitteilungen. Presseberichte sprechen oft von einem Anstieg der Kriminalität und berichten bisweilen von über tausend Gewalttaten im Jahr in einzelnen Orten und/oder Bundesländern, was sich aber oft als statistische Fehlinterpretationen herausstellt, weil es in der Regel eben doch eher drei Gewalttaten im Jahr waren und die größte Zahl sind Straftaten wie Taschen- und Fahrraddiebstähle.

Jeder Gewaltvorfall ist einer zu viel, jeder sollte strafverfolgt und die Täter*innen zur Verantwortung gezogen werden, in keinen möchten wir involviert sein und dass Bäderbetriebe nach Vorfällen oder auch zur Vorbeugung von Kriminalität mit Erhöhung der Sicherheitskapazitäten reagieren, ist verantwortungsvoll und lobenswert.

Für die rechtspopulistische bis rechtsextreme Medien- und Online-Landschaft ist Freibad-Gewalt aber vor allem eins: Ein Anlass für ausführlichen Rassismus. Und das jeden Sommer wieder! Gerade in diesem Jahr zeigt sich wieder eine große Besessenheit vom Thema, das genutzt wird für Social Media-Meinungmache, die Rassismus und Islamfeindlichkeit im Schwimmbadzusammenhang zelebrieren.

Die „Anti-Feministin“ und Autorin Birgit Kelle meint:

Narrative: Alle kriminell außer Hans, Fritz und Gunther

Denn in der Rechtsaußenszene gibt es ein klares Narrativ zum Thema Kriminalität im Freibad:  Die Straftäter*innen und erst recht die Gewalttäter*innen seien alle, alle, alle Migrant*innen. Die nähmen „dem Deutschen” sein Freibad weg – schon durch pure Anwesenheit. Und wenn sie nicht das ganze Freibad wegnehmen, dann doch wohl zumindest den Freibad-Frieden! Wegen: Straftaten, Gewalttaten und so weiter. Medienberichte, die von Prügeleien in Schwimmbädern berichten und dazu auch noch Fotos haben, auf denen mehrere Menschen erkennbar einen Migrationshintergrund haben, werden in diesen Online-Gruppen herumgereicht wie Trophäen, weil sie endlich mal belegen, dass eine Tat wirklich stattgefunden hat. Die Taten werden dann genutzt, um damit Rassismus und Misstrauen gegenüber allem Menschen zu wecken, denen eine ähnliche Herkunft zugeschrieben wird.

Die NPD-Jugend ist auch dagegen

Selbst inhaltlich wenig durchdachte Forderungen wie „Massenabschiebungen jetzt” werden da wieder als der ideologischen Mottenkiste gekramt – das forderten etwa gestern auf einem live kaum beachteten Banner die „Jungen Nationalisten” (die NPD-Jugend, die sich von der NPD lossagen möchte, weil sie sie zu altbacken finden) vor dem Berliner Columbiabad. Im Telegram-Kanal (vgl. Tagesspiegel) der Nachwuchs-Kader präsentiert die Parteijugend stolz ein Video. Wohin die Neuköllner abgeschoben werden sollen, sagt die JN-Gruppe nicht, vielleicht nach Kreuzberg? Aber dass die rechtsextreme NPD-Jugend immer noch einem biologistischen Rassismus anhängt und deshalb nicht begreifen will, dass nicht jede*r, den sie für nicht-deutsch halten, auch nicht deutsch ist, gehört praktisch zur Ideologie.

Im „Sommerbad Neukölln”, im Volksmund Columbiabad, ist es in der aktuellen Freibadsaison des Sommers zu zwei größeren Gewaltvorfällen gekommen. Aber sinnvolle Forderungen wie nach mehr Taschenkontrollen, mehr geschulter Security zur Schlichtung und Klärung von Konflikten oder auch Alkoholverboten im Schwimmbad, um aufgeheizten Sommerköpfen nicht auch noch Bier anzubieten, waren offenbar nicht Sinne der Nazis.

Etwas taktisch geschicktere Rechtsaußen-Aktivist*innen begnügen sich erst einmal damit, rassistisch und islamfeindlich aufgeladene Empörung („Clan-Kriminalität im Freibad”) zu schüren in der Hoffnung auf die Langzeitwirkung dieses rhetorischen Gifts. Taten werden in ironisch gemeinten Anführungszeichen als „ Einzelfälle” geframt, was suggerieren soll, dass ähnliche Taten „in Wahrheit” jeden Tag, jederzeit und an jedem Ort in Deutschland geschehen und geschehen werden, wenn wir jetzt nichts tun, oder es zumindest nicht unwahrscheinlich wäre, dass es eventuell in Zukunft irgendwann einmal dazu kommen könnte. Das reicht für eine Welle der Wut, zumindest in der eigenen Szene und bisweilen bis in die Boulevardblätter der Republik.

Zugleich sind es die immer gleichen Fälle, die durch die Foren getrieben werden. Schlägereien mit 100 Personen im Insulanerbad in Berlin-Steglitz; Schlägereien im Columbiabad in Berlin-Neukölln. Dann kommen schon Fälle aus 2019. Das Freibad Gronau dagegen kommt weniger vor. Hier hat ein Mann am 27.07.2022 eine Bademeisterin angegriffen, übers Pflaster gestreift und versucht, sie ins Becken zu werfen, als sie ihn des Bades verweisen wollte, weil er andere belästigte. Der war aber blonder Niederländer und passt nicht ins Schema der hetzerischen Online-Debatte.

Faktencheck zur Freibadempörung? Eher nicht

Aber: Wie sieht es denn wirklich aus? Ist die Lage gefährlich, oder schürt die rechtsextreme Szene Ängste, wo sich die Situation vielleicht gar nicht geändert hat? Gibt es regionale Problem-Schwimmbäder, aber insgesamt ist die Situation in Ordnung, oder ist es ein Flächenphänomen? Es gibt keine offiziellen bundesweiten Zahlen zum Thema. Weder das Bundesinnenministerium noch das Bundeskriminalamt können auf Anfrage Angaben machen, wie viele Gewalttaten oder auch Straftaten es in Freibädern gab. Straf- und Gewalttaten werden nämlich nicht Orten zugeordnet. Deshalb gibt es keine bundesweiten Zahlen von heute und auch keine aus der Vergangenheit. Es gibt keine Vergleichsmöglichkeiten zwischen Vorjahren und heute, und es gibt keine Angaben über die Herkunft von Täter*innen, und wir wissen nichts über die räumliche Verbreitung der Taten. Das sind gute Zeiten für rechtspopulistische Propaganda. Und wecken den Wunsch an Strafverfolgungsbehörden und /oder Wissenschaftler*innen, hier eine Datengrundlage zu schaffen, damit wir die Freibadempörung nicht alle Jahre wieder ohne Fakten durchstehen müssen.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen immerhin hat jüngst eine Statistik dazu herausgegeben. „Die Welt” titelt: „2022 gab es bereits hunderte Straftaten in Freibädern in NRW”. Schlimm, oder? Im Text lernt der*die Leser*in: „Im ersten Halbjahr 2022 gab es bereits mehr als 300 Straftaten in Freibädern und Hallenbädern in Nordrhein-Westfalen. (…) Damit liegen die Zahlen der Kriminalitätsstatistik bisher deutlich unter denen von 2019.” Moment – die Zahlen liegen darunter? Im Jahr 2019, dem passenden Vergleichsjahr aus Vor-Pandemie-Zeiten, gab es im Jahr 2.325 Straftaten in Freibädern und Hallenbädern. Da wird die AfD, auf deren „Kleine Anfrage” die vorläufigen Zahlen zusammengestellt wurden, gestaunt haben. Zwei Drittel der identifizierten Täter sind übrigens Deutsche. Von den rund 300 Straftaten waren 29 Gewalttaten, davon die meisten (25) leichte Körperverletzungen.

Aber der AfD sind Fakten ja weniger wichtig. Die Partei macht Folgendes daraus:

Das hetzerische Sharepic dazu wiederholt die Namen, das ersparen wir Ihnen heute, liebe Leser*innen.

In diesem Sinne: Wir wünschen friedlichen Spaß im Freibad und dazu so wenig rechtsextreme Hetze wie möglich.

 

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