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Reichsbürgerprozess Bobstadt Alles „amüsant“ und „lächerlich“?

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Aktueller Zustand des Tatorts, also des Hauses, in dem Ingo K. gewohnt hat. (Quelle: BTN/NP)

Montag, 11.09.2023: Eine Zeugin wird um 9.14 Uhr in den Sitzungssaal 2 begleitet. Sie ist 30 Jahre alt, hat braune lange Haare und trägt ein schwarzes Jackett. Dann führen zwei Polizisten den Angeklagten Ingo K. in den Saal – und der Vorsitzende Richter eröffnet die Sitzung. Die Zeugin ist Kriminaloberkommissarin im LKA Baden-Württemberg. Sie war an der Vernehmung der SEK-Beamten Nr. 2, 5 und 8 beteiligt. Zunächst thematisiert der Vorsitzende Richter die Nr. 8; jener Beamte saß während des SEK-Einsatzes mit zwei Kolleg*innen in einem Toyota SUV. Die Zeugin berichtet, der Beamte habe in seiner Vernehmung ausgesagt, man habe eine Pistole von Ingo K. einziehen wollen. Das SEK sei mit vier Fahrzeugen zum Wohnhaus gefahren. Zwei Fahrzeuge, darunter der SUV, seien vor dem Haus, zwei Fahrzeuge abseits des Hauses geparkt worden. Das Blaulicht sei durchgängig, das Martinshorn regelmäßig eingeschaltet worden. Die Polizei habe Durchsagen gemacht. Der SEK-Beamte Nr. 8 sei im SUV geblieben, aber habe eine Dachluke geöffnet, um das Geschehen zu beobachten. Erst sei der Grundstückszaun, dann der Rollladen der Terrassentür „aufgeflext“ worden; dies habe Nr. 8 lediglich akustisch wahrnehmen können. Gesehen habe er Bewegungen einer Frau am Dachfenster und eines Mannes an der Balkontür.

Die Zeugin berichtet, der Beamte habe plötzlich mindestens zehn Einzelschüsse einer „großkalibrigen Waffe“ gehört. Sie ergänzt: „Die Schussfolge war kurz und schnell.“ Nr. 8 habe gehört, dass eine tiefe Stimme aus dem Inneren der Wohnung das Wort „Drecksbullenschweine“ rief. Es folgten Schüsse aus unterschiedlichen Waffen. Nach Beschuss der Dachluke habe er diese geschlossen. Die Zeugin erzählt, der SEK-Beamte Nr. 8 habe über die Evakuierung eines verletzten Kollegen und über die Evakuierung mehrerer Kollegen, die am Wohnhaus feststeckten und unter Einsatz von „Irritationsmitteln“ befreit werden mussten, berichtet. Nach Einsatz der Nebelhandgranaten sei ein Feuer im Bereich der Garage ausgebrochen. Es gab Knallgeräusche – und schließlich verließen Ingo K. und Max A., der Sohn des Vermieters Heiko A., das Wohnhaus. Laut Nr. 8 seien die beiden „auffällig gelassen“ gewesen. Der SEK-Beamte habe den Eindruck gehabt, Ingo K. „amüsiere“ sich über den Einsatz, finde alles „lächerlich“. Nach den Ausführungen der Zeugin stellt ein Richter mehrere Fragen. So fragt er nach den Einschüssen in der Dachluke. Die Zeugin sagt, Nr. 8 sei unklar, wie viele Schüsse die Luke getroffen haben. Aber der SEK-Beamte habe „massive Einschüsse“ in der Luke wahrgenommen.

Ein „Dauerfeuer“ mit „drei Schusssalven“

Dann rückt der Vorsitzende Richter die Aussage des SEK-Beamten Nr. 5 in den Fokus. Die Zeugin sagt, er habe – wie Nr. 8 – die Annäherung zum Wohnhaus beschrieben. Vier Fahrzeuge, Blaulicht und Martinshorn, eine Frau am Dachfenster. Öffnung des Grundstückszauns und eines Rollladens. Plötzlich Schüsse. Mit dem SEK-Beamten Nr. 2 habe er den verletzten Kollegen evakuiert. Nr. 2 sei gestolpert und an der Schaufel des Radladers, der zwischen Haus und Zaun stand, hängen geblieben. Letztendlich konnte der Verletzte in den SUV gebracht werden. Die Zeugin schildert, laut Nr. 5 sei die Hecktür des SUV beschossen worden. Der SEK-Beamte habe über die Evakuierung mehrerer Kollegen und die Festnahme von Ingo K. gesprochen. Ein Richter fragt, ob die Rollläden geöffnet oder geschlossen waren. Die Zeugin antwortet, zwar seien die Rollläden geschlossen, aber die Lamellen offen gewesen.

Zuletzt thematisiert der Vorsitzende Richter die Aussage des SEK-Beamten Nr. 2. Die Zeugin erklärt, er habe – wie Nr. 5 und 8 – die Annäherung zum Wohnhaus beschrieben und betont, man sei als Polizei deutlich erkennbar gewesen. Mit Blaulicht, Martinshorn, „Polizei!“-Rufen. Durch den Einsatz des Martinshorns sei die Kommunikation zwischen den Polizist*innen erschwert worden. Daher könne er sich so gut an dessen Einsatz erinnern. Der SEK-Beamte habe einen Schuss, „dann viele, sehr schnelle, einzelne Schüsse“ gehört. Es seien „drei Schusssalven“, ein „Dauerfeuer“ gewesen. Nr. 8 sei „sicher“ gewesen, „dass er über ein Sturmgewehr verfügen musste“. Dann habe er über die Evakuierung des Verletzten und die Festnahme von Ingo K. gesprochen. Nach Fragen der Richter*innen und der Staatsanwält*innen wird die Zeugin um 10.28 Uhr entlassen.

Der Gesundheitszustand von Marco S.

Nach einer Pause wird ein weiterer Zeuge in den Saal begleitet. Er ist 60 Jahre alt, trägt eine Brille und dunkelgraues Haar. Der Zeuge ist Kriminalhauptkommissar im LKA Baden-Württemberg und führte die Vernehmung des SEK-Beamten Nr. 9 durch. Der Zeuge sagt aus, der SEK-Beamte habe über die Annäherung und die Schüsse gesprochen. Laut Nr. 9 sei eine automatische Waffe mit Dauerfeuer eingesetzt worden. Der SEK-Beamte selbst habe ins Innere der Wohnung geschossen. Auf die Frage eines Richters, wie oft Nr. 9 geschossen habe, antwortet der Zeuge, er habe ein Magazin verschossen. Ein Kollege, der hinter Nr. 9 gestanden sei, habe ihm, als das Magazin leer war, die Waffe geladen. Der Richter fragt nach den Folgen des Einsatzes. Der Zeuge sagt, der SEK-Beamte schlafe schlecht und könne sich nur schwer konzentrieren. Um 11:25 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Nach der Vernehmung bringt Rechtsanwalt Seifert einen Beweisantrag ein. Er sagt, Marco S. – der gemeinsam mit seinem Vater Ingo K. in Bobstadt wohnte und während der Tat in seinem Zimmer war – sei dauerhaft verhandlungsunfähig. Der Sohn soll eigentlich am übernächsten Prozesstag aussagen. Laut Rechtsanwalt Seifert habe sich der Gesundheitszustand von S., der unter einer psychischen Krankheit leidet und offenbar Medikamente mit starken Nebenwirkungen einnimmt, massiv verschlechtert. Je näher die Vernehmung rücke, desto schlechter werde sein Zustand. Der Vorsitzende Richter gibt den Staatsanwält*innen die Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Nach kurzer Beratung erklärt der Staatsanwalt, es sei derzeit unklar, ob die Aussagen des Rechtsanwalts korrekt sind. Der Vorsitzende Richter kündigt an, das Gericht werde über den Antrag beraten. Dann beendet er die Sitzung.

Doch plötzlich klopft Ingo K., der von seinen Rechtsanwält*innen durch eine Glasscheibe getrennt ist, an die Scheibe. Er macht deutlich, dass er ein Anliegen habe. „Grüß Gott, Hohes Gericht!“, setzt der Angeklagte an. Dann klagt Ingo K. über seine Haftbedingungen. Er wolle arbeiten, Bücher bestellen, Fitnesstraining machen. Der Vorsitzende Richter entgegnet, der Angeklagte müsse einen schriftlichen Antrag stellen. Die Sitzung wird um 11:43 Uhr beendet.

Unsere bisherige Berichterstattung

Tag 1: „Reichsbürger“ wegen 14-fachem Mordversuch vor Gericht

Tag 2: „Mein Wunsch war, Verfassungsschützer zu werden“

Tag 3: Hobbys – Buddhismus und Waffen

Tag 4: Eine Garderobe mit Waffen

Tag 5: Die Kurkuma-Verschwörung

Tag 6: „Wir haben Waffen, um gegen die Tyrannei zu kämpfen“

Tag 7 und 8: „Es kann alles oder nichts passieren“

Tag 9 und 10: Mein Nachbar, der freundliche „Reichsbürger“

Tag 11 und 12: Die Schmauchspuren des Schützen

Tag 13 und 14: Die Schützenhilfe der Familie A.

Tag 15 und 16: „Die wollten rein, ich bin durchgetickt“

Tag 17 und 18: Die Hilferufe des „Reichsbürgers“

Tag 19 und 20: „Absolutes Bedauern“ bei mutmaßlichen Täter

Tag 21: Reichsbürgerprozess Bobstadt: Der angebliche „Personenschützer-Reflex“

Tag 22: Eine Friedenstaube mit Hakenkreuz

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