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AfD-Bundesparteitag „Na gut“

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Sehenswert: Interviewer Martin Schmidt hat ein paar Fragen an die neue AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel zum Rechtsextremismus in der Partei. (Quelle: Screenshot)

Die AfD, das zeigten die letzten Wahlen, steckt in einer Krise. Ihr fehlten zuletzt klare Positionen zu tagespolitischen Themen wie Corona oder dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Ebenso fehlte eine klare Entscheidung, mehr oder weniger offen rechtsextrem agieren zu wollen.

Der Bundesparteitag im sächsischen Riesa spiegelt diese Grundentwicklung exemplarisch wider. Gewählt werden, ohne weiterhin wirklich beliebt zu sein oder Unterstützung zu bekommen, Alice Weidel und Tino Chrupalla, derzeit die Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion. Jetzt sind sie also der neue Bundesvorstand (bisher: Jörg Meuthen, der inzwischen die AfD verlassen hat, und Tino Chrupalla), weiter eine Doppelspitze. Tino Chrupalla siegte mit 287 von 538 abgegebenen Delegiertenstimmen – 53,45 Prozent – gegen Norbert Kleinwächter (der die AfD “liberal-konservativ“ aufstellen wollte), Alice Weidel erhielt 360 Stimmen oder 67,29 Prozent. Ihr Gegenkandidat, der EU-Parlamentarier Nicolaus Fest, kam lediglich auf 20,75 Prozent.

Aber der Mann, der dann mutmaßlich in zwei Jahren das Ruder übernehmen möchte, der rechtsextreme Thüringer AfD-Funktionäre Björn Höcke, hat sich zumindest schon mal den Weg zur „Einzelspitze“ per Beschluss freigemacht – zwei Drittel der Delegierten stimmten dafür.

Die AfD-Zukunft scheint rechtsextrem – was immer das für die AfD heißt…

Überhaupt bestimmt Björn Höcke viele Diskurse am 18. und 19. Juni 2022 in Riesa, und macht deutlich, wo er die Zukunft der AfD sieht: in rechtsextremen Milieus und mit rechtsextremen Themen.

So etwa, als es um die Unvereinbarkeitsliste ging – auf der steht jetzt etwa die rechtsextreme Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ nicht mehr drauf. Höcke hatte dafür plädiert, sich nicht mehr am Verfassungsschutzbericht zu orientieren bei den Ausschlusskriterien, dieser sei doch nur ein „Machtinstrument“ politischer Gegner:innen – stattdessen solle die AfD „qua unserer eigenen Kraft, unseres eigenen Selbstbewusstseins, unseres eigenen Willens“ bestimmen, wer Extremist sei und von wem sich die Partei abgrenze. Applaus. 60 Prozent stimmen zu. Für die neue Bundesvorsitzende erstens eine Schlappe, weil sie „Zentrum Automobil“ auf der Unvereinbarkeitsliste lassen wollte, und zweitens ein Grund zur interviewtechnischen strategischen Nachschulung.

Denn im Tagesschau-Interview vom Bundesparteitag erwischt Alice Weidel die Frage nach Rechtsextremismus sehr kalt. Während sie noch argumentierte, ihre Parteikolleg:innen hätten wohl nicht verstanden, dass „Zentrum Automobil“ rechtsextrem sei, hakt Interviewer Martin Schmidt nach: Was sei denn rechtsextrem für Weidel? Die kontert wie ein ferngesteuerter Whataboutism-Apparat: „Was ist linksextrem? Was ist islamistisch?“ Der Interviewer bleibt konzentriert: „Nein. Was ist rechtsextrem?“ Weidel konsterniert: „Das kann ich Ihnen nicht beantworten, was rechtsextrem ist.“ Der Interviewer Schmidt liest rassistische Social-Media-Beiträge von Christina Baum vor, AfD-Baden-Württemberg und ebenfalls Teil des neuen Bundesvorstands, die etwa fordern, dass eine deutsche Staatsbürgerschaft an eine weiße Hautfarbe geknüpft werden sollte. „Na gut“, sagt Weidel, „die Aussage kenne ich nicht“. Sie versucht sich noch zu winden, aber „na gut, das ist natürlich kompletter Blödsinn.“ Die Staatsbürgerschaft sei nicht an die Hautfarbe zu knüpfen. Der Interviewer: „Christina Baum hat mehr Stimmen bekommen, mehr Unterstützung als Tino Chrupalla, ihr Co-Chef.“ Weidel: „Na gut, dann sind diese Zitate wohl nicht bekannt gewesen.“ Auch auf das rechtsextreme „Zuerst“-Magazin, das auf dem Bundesparteitag kostenfrei verteilt wird und unter anderem Kalender mit Waffen-SS-Soldaten verkauft, reagiert sie überrascht und will damit nichts zu tun haben, sie hätte gearbeitet und das gar nicht mitbekommen. Fun Fact: Damit sind ihre Schauspielfähigkeiten wohl besser geworden als in den letzten Jahren. Weidel hat „Zuerst“ selbst diverse Interviews gegeben: etwa zwei 2017 (AfD-Spitzenkandidatin Dr. Alice Weidel im ZUERST!-Interview: „Linksextreme Strukturen und Terrorzellen zerschlagen“, „Es geht um Deutschland“) und 2018 (Die Zukunft einer Partei-Stiftung: ‚Ideenschmiede der AfD’“), im Jahr 2021 ganze drei Interviews (Die Grünen regieren längst mit“, Die AfD geht mit ‚starken Themen’ in den Bundestagswahlkampf”, Ein gespaltenes Land”) und selbst 2022 noch eines (AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im ZUERST!-Interview: ‚Ein Kabinett der Unfähigkeit’”), worauf der Rechtsextremismusforscher Andreas Kemper auf Twitter hinwies.

Wer es nachsehen möchte: Hier zwischen Minute 6 und Minute 11:
https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1048167.html

Der neue AfD-Vorstand 2022

In den Vorstand gewählt wurden schließlich:

  • 1. Sprecher: Tino Chrupalla (Sachsen)
  • 2. Sprecher (sic): Alice Weidel (Baden-Württemberg)

Nicht in den Vorstand gewählt wurde derweil die ehemalige CDU-Rechtaußen-Vertreterin Erika Steinbach, die 2017 die CDU verließ, seit 2018 die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung leitet und seit einem Jahr AfD-Mitglied ist. Sie unterlag Peter Boehringer.

Tino Chrupalla hatte vor dem Bundesparteitag sein „Team Zukunft“ vorgestellt – von den Benannten schafften es acht in den Vorstand: Alice Weidel, Stephan Brandner, Carlo Clemens, Marc Jongen (Baden-Württemberg), Roman Reusch (Brandenburg), Peter Boehringer und Martin Reichardt. Nicht gewählt wurden Kay Gottschalk (NRW), Ingo Hahn (Bayern), Gerrit Huy (Bayern), Jörn König (Niedersachsen) und Sebastian Maack (Berlin).

Björn Höcke will „Festung Europa“ gegen „Globalisten“

In einer Debatte zur Außenpolitik am zweiten Tag des Parteitags forderte Björn Höcke die Auflösung der Europäischen Union inklusive Abschaffung des Euro und wünscht sich stattdessen eine „Festung Europa“, die nur noch beim Grenzschutz zusammenarbeiten soll. Unterstützung findet er im Vorstand bei Martin Reichhardt und Maximillian Krah, womit sich zeigt, dass seine Positionen im Vorstand nun mehr Fürsprecher haben als zuvor. Dagegen stören sich Teile des Parteitags sich doch an der verschwörungsideologisch rauenden Sprache Höckes, in der „Globalisten”, „abgehobenen Eliten“ und skrupellose „Kader hoch bezahlter Bürokraten“ vorkommen. Alice Weidel findet das zumindest „unseriös“, wenn auch inhaltlich richtig. Hardliner der Partei sind dagegen begeistert. Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt findet etwa, der Antrag enthalte „genau die Begriffe und die Orientierungen, die wir als Botschaft nach außen schicken müssen. Der Gegensatz zwischen Globalisten und Nationalstaaten – das ist der Weltkampf, in dem wir stehen, und das wird hier klar und deutlich benannt.“ Die Dogwhistle der „Globalisten“ bezieht sich auf die antisemitische Verschwörungserzählung einer vermeintlichen „Neuen Weltordnung“, auf der die wahren Geschicke der Welt bestimmt würden, statt in den gewählten Parlamenten.

Der Parteitag verliert sich danach in Abstimmungsscharmützel, handlungsfähig zeigt er sich nicht. Entscheidungen werden verschoben, und der Parteitag wird dann lieber beendet, bevor zwei weitere Höcke-Anträge besprochen werden können: Eine Resolution gegen den Nato-Beitritt der Ukraine und die Einrichtung einer „Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform“, die u.a. die Basis stärken und die Parteijugend mehr einbinden soll – beides Maßnahmen, die Höcke gestärkt hätten, der aber auch so eine dominante Person abgibt.

Aber auch so ist der Weg klar: weg von bestenfalls noch als konservativ interpretierbaren, demokratiekompatiblen Positionen, hin zu antidemokratischen, autokratischen und schlicht rechtsextremen Ideen und Konzepten. Tino Chrupalla wünschte sich zuvor „eine starke Alternative mit Zuversicht, Optimismus und Disziplin“. Offenbar vergeblich.

Zum Schluss noch ein Zusammenschnitt aus dem ARD-Hauptstadtstudio:

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